ostfriese hat geschrieben:Der evolutionäre Humanismus, den ich meine, ist gerade frei von Speziezismus, er begründet die Höhergewichtung menschlicher Interessen mit ihrem personalen Bewusstsein, nicht mit einer dogmatisch postulierten "Menschenwürde". In dem Maße, wie Schimpansen (z.B.) personales Bewusstsein zukommt, verdienen ihre Interessen entsprechende Berücksichtigung. [...]
Ich würde dir ja gerne zustimmen, weil mir diese Ansichten sehr sympathisch sind - aber ich sehe einfach nicht, wie der Kritische Rationalismus (KR) und die ethische Ausrichtung, die du hier umreißt, sozuagen
kausal miteinander zusammenhängen, also wie die Ethik aus der Denkweise folgt.
Der KR hat etliche ethische Implikationen, völlig klar. So geht man sicher nicht zu weit, wenn man feststellt, dass eine Ethik
revidierbar (=verbesserbar) sein sollte, um der kritisch-rationalen Methodologie gerecht zu werden. Das schließt in der Tat schon einmal dogmatische Anästze ("Gebote", "ewige Menschenwürde" usw) aus. Dann gibt es sicher noch einige speziellere Implikationen, z.B. gesellschaftliche Ermöglichung und Förderung der Kritik als Motor der Verbesserung, Ablehnung von autoritärem Denken in allen Bereichen (Erziehung, Politik, Wissenschaft usw)...
Unklar ist mir aber etwa , wie das Ziel der Leidminimierung aus dem KR hervorgehen soll. Sicher, man kann solche Ziele (Leidminimierung, Lustmaximierung usw) rational diskutieren und überlegen, zu welchen Konsequenzen sie führen. Aber um schließlich eines oder mehrere solcher Prinzipien als Ziel anzunehmen bedarf es ja wiederum eines Wertmaßstabes, mittels dem man das eine Ziel dem anderen vorzieht. Es bleibt also immer ein kleiner Rest an willkürlicher (d.h. nicht rationaler) Entscheidung für bestimmte Wertmaßstäbe bestehen. Und genau deswegen führt der KR nach meiner Meinung nicht unbedingt zum Ziel der Leidminimierung. KR und Leidminierung sind zweifellos sehr gut kompatibel. Aber es gibt nach meiner Meinung keine
Zwangläufigkeit dieses Zusammenhanges.