M_A_V_E_R_I_C_K hat geschrieben:Aber: A glaubt nicht an eine kausal geschlossene Welt. Anders formuliert: Er glaubt nicht, dass alles in der Welt messbar ist und durch die Naturwissenschaft erklärt werden kann. Es gibt für A Dinge, die sich einer naturalistischen Beschreibung und Erklärung entziehen (Qualia-Problem, Intentionalität etc.). Ob es ein Leben nach dem Tod gibt, das kann er nicht beantworten (weder widerlegen noch beweisen).
Ist A also ein Antinaturalist? Oder ist er ein gemäßigter, anspruchsvoller Naturalist? Oder ist er, weil er nicht glaubt, dass alles Natur ist, ein Supernaturalist? Und falls er Supernaturalist ist, ist er dann automatisch Theist (was A aber nicht sein will)?
Bitte helft A mal aus dem Begriffsdschungel ...
Zunächst zum Prinzip der kausalen Geschlossenheit, wie es sich in der Fachliteratur findet:
"[There is] the principle that the physical world constitutes a causally closed domain. For our purposes we may state it as follows:
The causal closure of the physical domain. If a physical event has a cause at t, then it has a physical cause at t.
There is also an explanatory analogue of this principle (but we will make no explicit use of it here): If a physical event has a causal explanation (in terms of an event occurring at t), it has a physical causal explanation (in terms of a physical event at t). According to this principle, physics is causally and explanatorily self-sufficient: there is no need to go outside the physical domain to find a cause, or a causal explanation, of a physical event. It is plain that physical causal closure is entirely consistent with mind-body dualism and does not beg the question against dualism as such; it does not say that physical events and entities are all that there are in this world, or that physical causation is all the causation that there is. As far as physical closure goes, there may be well be entities and events outside the physical domain, and causal relations might hold between these nonphysical items. There could even be sciences that investigate these nonphysical things and events. Physical causal closure, therefore, does not rule out mind-body dualism—in fact, not even substance dualism; for all it cares, there might be immaterial souls outside the spacetime physical world. If there were such things, the only constraint that the closure principle lays down is that they not causally meddle with physical events—that is, there can be no causal influences injected into the physical domain from outside. Descartes's interactionist dualism, therefore, is precluded by physical causal closure; however, Leibniz's doctrine of preestablished harmony and mind-body parallelism, like Spinoza's double-aspect theory, are perfectly consistent with it. Notice that neither the mental nor the biological domain is causally closed; there are mental and biological events whose causes are not themselves mental or biological events. A trauma to the head can cause the loss of consciousness and exposure to intense radiation can cause cells to mutate.
Moreover, physical causal closure does not by itself exclude nonphysical causes, or causal explanations, of physical events. As we will see, however, such causes and explanations could be ruled out when an exclusion principle like the following is adopted:
Principle of causal exclusion. If an event e has a sufficient cause c at t, no event at t distinct from c can be a cause of e (unless this is a genuine case of causal overdetermination)."———
"Es gibt das Prinzip, dass die physische Welt einen kausal geschlossenen Bereich bildet. Für unsere Zwecke können wir es wie folgt formulieren:
Die kausale Geschlossenheit des physischen Bereichs. Wenn ein physisches Ereignis zum Zeitpunkt t eine Ursache hat, dann hat es zu t eine physische Ursache.
Es gibt auch ein entsprechendes Erklärungsprinzip (wovon wir hier aber keinen ausdrücklichen Gebrauch machen werden): Wenn ein physisches Ereignis eine kausale Erklärung hat (bezogen auf ein zu t vorkommendes Ereignis), dann hat es eine physikalische Ursachenerklärung (bezogen auf ein physisches Ereignis zu t). Diesem Prinzip zufolge ist die Physik im Hinblick auf Ursachen und Erklärungen selbstgenügsam: Es ist nicht erforderlich, den physischen Bereich zu verlassen, um eine Ursache oder eine Ursachenerklärung eines physischen Ereignisses zu finden. Es ist klar, dass das Prinzip der kausalen Geschlossenheit des Physischen [PKGP] mit dem Geist-Körper-Dualismus gänzlich vereinbar ist und gegenüber dem Dualismus als solchem keine 'petitio principii' darstellt; es besagt nicht, dass physische Ereignisse und Entitäten alles sind, was es in dieser Welt gibt, oder dass es keine andere Art von Verursachung gibt als physische Verursachung. Was das PKGP angeht, so könnte es sein, dass es außerhalb des physischen Bereichs Entitäten und Ereignisse gibt, und dass zwischen diesen nichtphysischen Sachen kausale Beziehungen bestehen. Es könnte sogar Wissenschaften geben, die diese nichtphysischen Dinge und Ereignisse erforschen. Das PKGP schließt den Geist-Körper-Dualismus folglich nicht aus—ja nicht einmal den Substanzdualismus; denn es ist nicht gegen die Möglichkeit der Existenz immaterieller Seelen außerhalb der physischen Raumzeitwelt gerichtet. Wenn es solche Dinge gäbe, dann besteht die einzige Einschränkung, die das Geschlossenheitsprinzip festlegt, darin, dass sie sich nicht kausal in physische Ereignisse einmischen—das heißt, es kann keine kausalen Einflüsse geben, die von außen in den physischen Bereich eindringen. Der interaktionistische Dualismus Descartes' wird demnach vom PKGP ausgeschlossen. Dagegen ist Leibniz' Lehre von der prästabilierten Harmonie und dem Geist-Körper-Parallelismus, genauso wie Spinozas Doppelaspekt-Theorie, damit problemlos vereinbar. Man beachte, dass weder der psychische noch der biotische Bereich kausal geschlossen sind. Es gibt psychische und biotische Ereignisse, deren Ursachen nicht selbst psychische oder biotische Ereignisse sind. Ein Kopftrauma kann eine Ohnmacht auslösen und Zellen können mutieren, wenn sie starker Strahlung ausgesetzt sind.
Überdies schließt das PKGP nicht per se nichtphysische Ursachen oder Ursachenerklärungen physischer Ereignisse aus. Wie wir allerdings sehen werden, können solche Ursachen und Erklärungen durch das Annehmen eines Ausschlussprinzips wie dem folgenden ausgeschlossen werden:
Prinzip des kausalen Ausschlusses. Wenn ein Ereignis e zu t eine hinreichende Ursache c hat, dann kann zu t kein von c verschiedenes Ereignis eine Ursache von e sein (es sei denn, es handelt sich um einen echten Fall kausaler Überbestimmung)." [© meine Übers.]
(Kim, Jaegwon.
Physicalism or Something Near Enough. Princeton, NJ: Princeton University Press, 2005. p. 15-7)
(Ein typisches Beispiel einer echten kausalen Überbestimmung: Ein Soldat wird im Krieg gleichzeitig von zwei Kugeln getroffen und getötet, wobei bereits eine der beiden Kugeln ausgereicht hätte, um ihn zu töten.)
Wie du siehst, ist das Prinzip der kausalen Geschlossenheit des Physischen an sich gar nicht reduktionistisch im ontologischen Sinn. Kausaler Reduktionismus ist nicht gleich ontologischer Reduktionismus!
Was ersteren betrifft, so erhalten wir erst durch die Kombination mit dem Ausschlussprinzip ein "totalitäres" Geschlossenheitsprinzip, welches die innerraumzeitliche Wirksamkeit nichtphysischer, insbesondere rein psychischer Dinge und Eigenschaften verneint. Das dazu erforderliche, zusätzliche Ausschlusskriterium lässt sich übrigens ganz einfach in das PKGP einbauen:
(PKGP*) Die kausale Geschlossenheit des physischen Bereichs. Wenn ein physisches Ereignis zum Zeitpunkt t eine Ursache hat, dann hat es zu t ausschließlich eine physische Ursache.Man beachte aber, dass selbst damit physikalisch irreduzible Dinge (Seelen, Geister) und Eigenschaften noch nicht ontologisch ausgeschlossen sind! Das Prinzip besagt nur, dass wenn es solche Sachen gäbe, sie keinerlei kausalen Einfluss auf das Naturgeschehen ausübten bzw. ausüben könnten.
Ich denke, es ist hinreichend klar, dass der Substanzdualismus keine Position ist, die ein Naturalist akzeptieren kann, sodass er höchstens den Eigenschaftsdualismus vertreten kann. Der bekannteste Verfechter eines naturalistischen Eigenschaftsdualismus ist David Chalmers, für den Qualia nichtphysische und physikalisch irreduzible, aber nichtsdestoweniger völlig natürliche Phänomene sind.
Der Glaube an die Existenz nichtphysischer Qualia ist mit dem Naturalismus durchaus vereinbar. Heikel wird es jedoch, sobald es um die Frage der kausalen Relevanz von Qualia beziehungsweise von psychischen Phänomenen im Allgemeinen geht. Wer das PKGP anerkennt, aber das Ausschlussprinzip ablehnt, der kann behaupten, dass manche physischen Ereignisse sowohl eine physische als auch eine rein psychische Ursache haben.
Diese Lehre von den Doppelursachen, d.h. von einer systematischen kausalen Überbestimmung physischer Ereignisse, wird jedoch von fast allen naturalistischen Philosophen entschieden abgelehnt.
Es scheint, dass das strenge PKGP eine notwendige Bedingung fürs Naturalistsein ist, sodass man als Naturalist letztendlich mit der folgenden Alternative konfrontiert ist:
1. Psychische Phänomene (Qualia) existieren und sie sind kausal relevant, weil sie ontologisch auf physische Phänomene reduzierbar sind.
2. Psychische Phänomene (Qualia) existieren und sie sind kausal irrelevant, weil sie ontologisch nicht auf physische Phänomene reduzierbar sind.
Kurzum: Entweder
Reduktionismus plus Antiepiphänomenalismus oder
Antireduktionismus plus Epiphänomenalismus!
Der nichtreduktionistische Physikalismus wollte beides haben: Antireduktionismus plus Antiepiphänomenalismus; aber der Versuch, die kausale Effektivität des Psychischen
als Psychischem zu retten, muss wohl als gescheitert betrachtet werden. Ich will aber nicht verschweigen, dass es immer noch einige Philosophen gibt, die die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben. (Aber selbst David Chalmers muss nolens volens einräumen, dass sein naturalistischer Dualismus wohl auf den epiphänomenalistischen Antireduktionismus hinausläuft.)
Links:
viewtopic.php?p=45634#p45634http://plato.stanford.edu/entries/mental-causation