Zum Ausgangsposting:
Ich denke, ein wichtiger Aspekt,warum man seine eigene Meinung und Weltanschauung verbreiten möchte, ist oft nicht (nur) der Wille zur Macht. Sondern auch Altruismus - also dass man meint, was einem selbst hilft oder schadet, das gilt auch für andere. Vielleicht sogar alle anderen.
Und oft kommt es mir auch so vor, als ob wir anerkennen müssten, dass wir uns NICHT gänzlich in die Wahrnehmung anderer Menschen hineinversetzen können. In die mancher vielleicht gar nicht. Hätte man sich vor ein paar Jahren vorstellen können, dass manche Menschen, die z.B. Kinder missbrauchen, dies nicht aus purer Boshaftigkeit tun (- sondern weil ihr Trieb einfach übermächtig ist?). Oder Männer Frauen vergewaltigen, nicht weil sie ihnen bewusst und bösartig einfach richtig weh tun wollen, sondern weil sie nicht verstehen können, dass Frauen ein anderes Interesse haben als sie?
Ähnliches gilt meiner Ansicht nach auch für Religion und Spiritualität. Ich weiss nicht, wie ich es sagen soll...
Aber ich denke, die meisten Menschen hier im Forum sind wohl vollkommen überzeugt davon, dass es Religionen nur gibt, weil wir religösen Macht ausüben wollen und/oder etwas brauchen, um unseren Selbstwert zu stabilisieren. Und für ungebildete Menschen: um die Welt zu erklären. Wenn diese Bedürfnisse gestillt (oder abgeschafft) seinen, dann würden wir auch nicht mehr glauben wollen. Was mich betrifft: Dem ist nicht so.
Aber ich habe auch den Eindruck, ich könnte mir die Finger wund schreiben oder so, dass das auf mich nicht zutrifft - es würde nichts bewirken. Ein paar Leute, wie xander oder stine, haben von vornherein die Einstellung (wie ich auch), dass andere Leute so sehr anders wahrnehmen, denken, fühlen und handeln und GANZ andere Erfahrungen in ihrem Leben gemacht haben, als dass wir uns gegenseitig einfach nicht immer und in allem verstehen können. Und das es deshalb wirklich sehr sehr schwer bis unmöglich ist, andere Menschen von genau der eigenen Weltsicht zu überzeugen. (Meiner Erfahrung nach bewirkt man sogar oft das glatte gegenteil, wenn man sich schon mit diesem Ansinnen in eine Diskussion begibt!)
Ich habe z.B. die Erfahrung gemacht, dass christlicher Glauben nicht dogmatisch sein muss, um nicht in egalität oder Privatreligion zu zerfallen! Und auf diese Art kann und sollte man meiner Meinung nach auch seine Kinder im christlichen Glauben erziehen. Unser Pfarrer pflegt dazu zu sagen, dass unser Gott möchte, dass wir uns nicht gezwungen fühlen, sondern ganz frei für ihn entscheiden.
Meine Erläuterung dazu: Damit diese Freiheit überhaupt exestieren kann, müssten - ganz im christlichen Sinne - die Kinder möglichst neutral aufgeklärt werden über andere Religionen und Weltanschauungen. Und danach sollte man den Kindern beibringen, welche Anschauung man selbst hat und sich für das Kind wünscht - und weshalb. Und das tut meiner Ansicht nach so oder so jeder Mensch. Und nicht nur in Bezug auf Religion, sondern in Bezug auf alle Bereiche des Lebens, die ihm wichtig sind.
Aber meiner Ansicht nach gehört, die Aufforderung an das Kind bezüglich der eigenen Weltanschauung auf sich selbst zu hören und die Vermittlung der Gewissheit, dass man jede Entscheidung respektiert (und nicht abwertet) und niemals das Kind im Stich lassen würde, sogar elementar zu einer wahrhaft christlichen Erziehung.
Das hiese aber wiederum auch nicht, dass mein Kind sich vor Konfirmation so einfach weigern dürfte, in den Kindergottesdienst zu gehen - so etwas entscheide als Elternteil ich! Aber was es über die Inhalte denkt, bliebe immer seine Entscheidung. Und meine Pflicht, eine Aufklärung über andere mögliche Sicht- und Denkweisen zu ermöglichen und zur kritischen Auseinandersetzung mit offenem Ausgang aufzufordern. Auch zu solchen, die mir gar nicht schmecken - z.B. Fundamentalismus aller Art.
Wobei auch hier schon wieder gilt: Ich schreibe das in dem Wissen und der (notgedrungenen, aber trotzdem respektvollen) Akzeptanz, dass viele Christen das anders sehen.
Undogmatischer und kritischer christlicher Glaube ist meiner Ansicht nach spätestens seit der Reformation problemlos möglich. Und nach meinem Verständnis von Luther (und Jesus...) sogar die Pflicht eines jeden Christen.
Er hat erkannt, dass man als Christ nur seinem eigenen Gewissen und dem eigenen Gewissen vor Gott (Christus) verpflichtet ist.
Und diese Verpflichtung beinhaltet eher sogar die Verpflichtung zur eigenen Meinung und das kritische Denken, z.B. über Autoritäten wie den Pfarrer und den Papst - aber auch über die Schrift selbst.
Warum dann das Christentum trotzdem noch EIN Christentum ist: Weil Christen alle an den selben Gott glauben und an seinen Sohn Jesus Christus incl. Auferstehung (in welcher Form auch immer!) und daran, dass Gottes heiliger Geist trotz aller Unterschiede ermöglicht, dass Menschen sich verstehen und miteinander umgehen können (wenn sie es wirklich wollen)
Worüber es diesen Masssiven dissenz, sind letzlich überwiegend die Meinungen, die Gott zu diesem oder jenem Thema hat - oder nicht hat. Aber das ist immer so und ganz normal, ... 2 Menschen verstehen auch einen 3. immer ganz unterschiedlich.
LG, PW_
PS: stine, ich hoffe, du fühlst dich nicht angegriffen oder beleidigt durch das, was ich hier schreibe... nur falls du katholisch oder evangelikal bist!
PS2: xander, ich habe den Eindruck, dass z.B. unsere beiden Wertvorstellungen durchaus ausgesprochen ähnlich sind und wir uns in der Realität vielleicht sogar sehr gut verstehen könnten. (Zumindest, solange ich erst lese/höre/sehe/fühle, dann denke und dann erst handle - und nicht immer wieder die Reihenfolge verdrehe - wie es so typisch für mich ist...
) Den Unterschied, ob jemand an Gott glaubt oder nicht, finde ich ausgesprochen unwichtig, verglichen mit seinen Idealen im Umgang mit Menschen und der Natur und eben der Einstellung zum Leben selbst! Und der Gott, an den ich glaube, dem geht es letzlich auch genau darum. Denn er sieht in unsere Herzen - und nicht auf unser Ettikett. Und Unglauben, entstanden aus Fehl- und Desinformation oder Missverständnissen, da sieht er sofort darüber hinweg.)