Wie sozial kann der Staat sein?

Re: Staatssysteme

Beitragvon stine » So 18. Okt 2009, 12:14

@tischl: Selbstverständlich habe ich eine Meinung zum Thema. Meine Fragen waren aber nicht dazu gedacht, sie mir selbst zu beantworten, sondern sie sollten dazu anzuregen, auch anderswo über das Thema nachzudenken. So ist das nämlich mit rhetorschen Fragen.
Und: selbstverständlich macht es keinen Sinn, Stellen falsch zu besetzen. Was die Bevorzugung betrifft so habe ich auch eine Meinung, siehe fünf Posts weiter oben.

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Re: Staatssysteme

Beitragvon stine » Mi 21. Okt 2009, 13:01

Ich bin mir ziemlich sicher, dass kein System der Welt es schaffen wird, des Menschen ureigenste Eigenschaft, den Egoismus, zu besiegen.
Ich stelle immer wieder fest, dass sich die Bereitschaft zum Miteinander am ehrlichsten in den ganz kleinen Dingen zeigt und gerade dann, wenn keine Zuschauer dabei sind und keine Zensur zu erwarten ist. Und da sieht es leider oft gar nicht gut aus in unserer Gesellschaft. Da wird, wenn sich die Möglichkeit ergibt, gelogen, betrogen, mitgenommen, zur Seite gebracht, Vorteile ausgenützt, Gemeinschaftseigentum zerstört, der Dienst für die Gemeinschaft verweigert.

Der mitgenommene Kugelschreiber, die unnützen Kopien (weil ich das selbst nicht zahlen muss), das auf die Straße geworfene MCDonald-Geschirr, die schöngerechnete Pendlerpauschale, das falsch abgerechnete Dienstessen, die nicht eingebrachte Leistung für die gemeinsame Büroküche (wieso immer ich?) und so weiter und so fort. Ich wage gar zu behaupten, dass die meisten Menschen nicht in der Lage sind, über ihren Egoismus zu stehen, wenn sie dabei nicht gesehen, belohnt oder sonstwie anerkannt werden.

Der Ruf der Gesellschaft nach Toleranz endet meist bei der Errichtung eines Asylheimes auf dem Nachbargrund, der Ruf nach sauberer Umwelt endet sonntags auf der Autobahn, der Ruf nach Arbeitsplätzen endet beim Discounter und der Ruf nach Familiengerechtigkeit und höherer Sozialhilfen endet bei dem Einen spätestens beim Ausfüllen der Einkommenssteuererklärung und beim Anderen bei der Offenlegung seiner Resteinkünfte. Es ist schön sich sozial zu präsentieren, aber schwer es auch wirklich zu sein.

Sozial werden, im Sinne der positiven Veränderung einer Gesellschaft, fängt nicht bei der Wahl einer bestimmten Partei an und endet nicht beim Aushandeln der Koalitionsverträge, sondern kann nur dann funktionieren, wenn jeder einzelne seinen Egoismus zu Gunsten einer Vision besiegt. Dazu gehört, dass sich jeder dort einbringt, wo er für die Gesellschaft etwas tun kann, auch wenn er nicht sofort dafür belohnt wird.

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Re: Staatssysteme

Beitragvon platon » Fr 23. Okt 2009, 22:12

stine hat geschrieben:Ich bin mir ziemlich sicher, dass kein System der Welt es schaffen wird, des Menschen ureigenste Eigenschaft, den Egoismus, zu besiegen.

Es gibt nicht den geringsten Grund, den Egoismus besiegen zu wollen. Das wäre so, wie wenn Du Deinen Stoffwechsel von Atmung auf Gärung umstellen wolltest. Egoismus ist eine inhärente und absolut notwendige Eigenschaft des Menschen. Glauben Religiöse, sie würden ohne Egoismus bessere Menschen?
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Re: Staatssysteme

Beitragvon milanburg » Sa 24. Okt 2009, 15:42

Zu den letzten Beiträgen von Stine und Platon:

Es war zu lesen: "Ich bin mir ziemlich sicher, dass kein System der Welt es schaffen wird, des Menschen ureigenste Eigenschaft, den Egoismus, zu besiegen."

Schon wieder so eine anthropologische Behauptung, bei der dem Menschen irgend welche natürlichen Attribute angehängt werden ohne den geringsten Beweis. Dann noch in der Form des Ursprünglichen, Ureigenen. Das sind schon mal zwei Gewaltmärsche durch das Ungefähre.

Ursprungsdenken, vor allem wenn es sich als natürlich ausgibt, ist doch obsolet. Es bieten sich andere Lösungsansätze an.

Der psychische Lebenstrieb und die physiologische Homöostase bauen keineswegs auf dem Egoismus auf. Keiner lebt aus Egoismus oder vom Egoismus. Trotzdem muss er sich morphologisch nicht in Sauerkohl verwandeln und auf Gärung umstellen.

Der Egoismus hat im Psychischen eine wichtige Bedeutung, ohne dass er eine fundamentale Bedeutung gewänne. Freud hat gezeigt, dass zwei Faktoren gekoppelt sind, die sich an der Umwandlung von egoistischen Trieben in soziale Verhaltensweisen beteiligen.

Der endogene Faktor zeichnet sich dadurch aus, dass er, durch das Liebesbedürfnis hervorgerufen, selbstbezogene Triebe in soziale transformiert. Man/frau will ja schließlich geliebt werden und verzichtet dafür auf andere Vorteilsnahmen.

Der exogene Faktor strahlt von der Kultur her aus, früh schon geprägt durch Erziehung und Bildung. Der Eintritt in den kulturellen Raum erfordert in einem gewissen Maße Triebverzicht. Der äußere Zwang in der Erziehung wird interiorisiert. Kulturelle Einflüsse wirken darauf ein, soziale Lösungen zu bevorzugen.

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Re: Staatssysteme

Beitragvon smalonius » Sa 24. Okt 2009, 16:04

x-post

@stine, platon: Ich kann euch beiden nicht ganz recht geben.

Imagine that you are an anthropologist studying a group of hunter-gatherers whose lives closely approximate the ancestral human condition. You know that meat is a resource that is critically important for fitness. [...] You expect that hunters will attempt to keep the game that they catch for themselves and their kin. If they share with nonrelatives at all, it must be in a way that will be reciprocated by those individuals in the future.

What you discover is not at all what you expected. The sharing of meat is scrupulously fair. Ever after you weigh with portable scales all the meat that is captured over a period of weeks, there is no statistically significant difference between the hunter's share and the shares of other members of the group. Neither is meat shared in a way that is likely to be reciprocated in the future. Some men are better hunters than others, yet they share equally with those who provide less and are unlikely to provide more in the future.

Sober, Wilson - Unto others, 1998


Was man daraus für das Sozialsystem eines modernen Staates folgert, steht auf einem anderen Blatt.

Wenn ich bedenke, was man so an Steuern und Sozialabgaben abdrückt, wird mir ganz anders. Und wenn ich dann noch dran denke, daß das Berliner Stadtschloß für eine hohe dreistellige Millionensumme aus Steuergeldern wieder aufgebaut wird, oder daß Regensburg 10 Mio für das Fußballstadion unseres drittklassigen SSV Jahn springen läßt, dann komme ich zum Schluß, hier läuft etwas gewaltig verkehrt.

Ein schlanker Staat sieht anders aus. Nichts tun Politiker lieber, als Geld auszugeben, das nicht ihres ist. (Nee, halt, sie schreiben ihren Bürgern auch noch gerne vor, was sie zu tun und zu lassen haben.)

Im anglo-amerikanischen Raum gibt es die Libertarians, das ist die kapitalistische Variante des Anarchismus. Diese Strömung ist in Kontinental-Europa praktisch nicht existent. Dabei könnten wir eine Prise davon echt gut gebrauchen.
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Re: Staatssysteme

Beitragvon stine » Sa 24. Okt 2009, 19:49

milanburg hat geschrieben:Schon wieder so eine anthropologische Behauptung, bei der dem Menschen irgend welche natürlichen Attribute angehängt werden ohne den geringsten Beweis. Dann noch in der Form des Ursprünglichen, Ureigenen. Das sind schon mal zwei Gewaltmärsche durch das Ungefähre.
Findest du?
milanburg hat geschrieben:Der exogene Faktor strahlt von der Kultur her aus, früh schon geprägt durch Erziehung und Bildung. Der Eintritt in den kulturellen Raum erfordert in einem gewissen Maße Triebverzicht. Der äußere Zwang in der Erziehung wird interiorisiert. Kulturelle Einflüsse wirken darauf ein, soziale Lösungen zu bevorzugen.
Genau - und da sind wir wieder beisammen! Erziehung und Bildung machen den Menschen zum sozialen Wesen. Wo sie aber nicht tiefgründig greift und der Halberzogene sich ohne Aufsicht und Belohnung wähnt, wird er sich nicht sozial verhalten.
Das ist leider beobachtbare Tatsache.
Und das zeigt sich vor allem im ganz kleinen lächerlichen Alltag jedes Einzelnen. Dort, wo Mensch mit sich alleine ist und von sich aus tun kann, was er tun möchte oder wo er sein Verhalten nicht rechtfertigen muss zeigt sich erst, ob er sozial denken und handeln kann.
Beispiel die Autofahrer: Hindernis auf der Gegenfahrbahn bedeutet ganz klar: der Gegenverkehr muss warten. Und? Tut das einer außer mir? Selten. Meistens werde ich, die ich kein Hindernis vor mir habe, soweit von der Fahrbahn gedrängt, dass es besser ist zu warten, bis der Ausholende vorbei ist. So gibt es viele Beispiele der Rücksichtslosigkeit und der Übervorteilung im Reiche der Anonymität. Sozial reden und tun ist oft NUR damit verbunden, ob es jemand hört oder sieht.

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Re: Staatssysteme

Beitragvon platon » Sa 24. Okt 2009, 21:54

@x-post,
was Du da zitierst, ist keine Studie, sondern ein Gedankenexperiment und ein angenommenes Resultat. Wie kommt der Autor dazu, das als gegeben hinzustellen?
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Re: Staatssysteme

Beitragvon smalonius » So 25. Okt 2009, 17:42

Kein angenommenes Resultat. Ich war nur zu faul, noch mehr abzutippen.
This scenario informally describes the current conceptualization of meat sharing in hunter-gatherer societies (e.g. Blurton Jones 1984, 1987; Hawkes 1993; Kaplan and Hill 1985a,b; Kalpan, Hill and Hurtado 1984; reviewed by Wilson 1998).


stine hat geschrieben:So gibt es viele Beispiele der Rücksichtslosigkeit und der Übervorteilung im Reiche der Anonymität. Sozial reden und tun ist oft NUR damit verbunden, ob es jemand hört oder sieht.

Deshalb konnten die Jäger- und Sammlergesellschaften, in denen jeder jeden kennt, auch ganz anders funktionieren als unsere Massengesellschaft.
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Re: Staatssysteme

Beitragvon Nanna » Mo 26. Okt 2009, 14:08

smalonius hat geschrieben:Ein schlanker Staat sieht anders aus. Nichts tun Politiker lieber, als Geld auszugeben, das nicht ihres ist. (Nee, halt, sie schreiben ihren Bürgern auch noch gerne vor, was sie zu tun und zu lassen haben.)

Im anglo-amerikanischen Raum gibt es die Libertarians, das ist die kapitalistische Variante des Anarchismus. Diese Strömung ist in Kontinental-Europa praktisch nicht existent. Dabei könnten wir eine Prise davon echt gut gebrauchen.


Das sind jetzt auch eher unbelegte, polemische Meinungen. ;-) Beispielsweise wäre die Frage, ob ein schlanker Staat überhaupt wünschenswert ist. Man hat neoliberale Ideen seit 30 Jahren andauernd so aggressiv wiedergekäut, so dass gar nicht mehr groß danach gefragt wird, ob dieses Leitbild überhaupt hält, was es verspricht. Die Liberalisierung, der Wirtschaft und insbesondere der Finanzmärkte, hat zwar einen freieren Geldfluss ermöglich, das hat aber überproportional dem Bankensektor geholfen, der in zunehmender Weise mit sich selbst beschäftigt ist. Ob damit auch eine diese Maßnahmen rechtfertigende Steigerung des Lebensstandardes zustandegekommen ist, darf zumindest als offene Frage im Raum stehen gelassen werden.

Wir stimmen hoffentlich darüber überein, dass verbindliche Regeln für eine stabile Gesellschaft notwendig sind, für eine prosperierende sowieso. Dass das Individuum immer am besten geeignet ist, seine eigenen Interessen zu erkennen und zu formulieren oder gar ein unabhängig denkender homo oeconomicus wäre bzw. sein könnte, ist so ein Mythos, der durch den libertären Diskurs geistert, und mit dem gemeinschaftsorientierten Menschen wenig zu tun hat, der manipulierbar ist, einem Herdentrieb folgt und darüber recht erfolgreich Komplexität reduziert, wodurch er sich überhaupt erst in der Welt orientieren kann. Damit das halbwegs funktioniert brauchen wir Spezialisten, die sich damit beschäftigen, dieses Regelsystem auszuarbeiten und zu überwachen, darunter fallen auch die Politiker. Ein ganz interessantes, unterhaltsames Video, das zeigt, wie irrational viele unserer Verhaltensweisen sind, ist hier zu sehen: http://www.youtube.com/watch?v=JhjUJTw2i1M Es ist einfach notwendig, nicht alles dem Individuum zur freien Entscheidung überlassen nach dem Motto "Wenn jeder an sich denkt, ist ja an alle gedacht", genausowenig ist natürlich eine Diktatur sinnvoll. Es muss Wahlmöglichkeiten geben, die aber dort begrenzt werden, wo das Verhalten gemeinschaftsschädlich wird.
Dies ist übrigens im angelsächsischen Raum besonders gut zu beobachten, gerade auch jetzt in der Finanzkrise. Kurioserweise gibt es die Krankheit, Geld zu verjubeln, das einem nicht gehört, nämlich auch und gerade da. Ein gutes Beispiel sind die Manager, die die Finanzkrise nicht kommen sahen, massenweise Kapital verbrannt haben und sich selbst dann noch hohe Boni gönnten. Einen Politiker, der solchen Blödsinn macht, kann man bei der nächsten Wahl wenigstens noch effektiv feuern. Was uns übrigens zu stines Anmerkung führt, dass es öffentliche Überwachung, Transparenz und damit verbunden natürlich auch soziale Sanktionsmöglichkeiten braucht, damit kein Schlendrian geschieht. Das sind allerdings nicht gerade Eckpunkte des Libertarismus, was einer der Gründe ist, weshalb mir die Forderung nach mehr Liberarismus immer ziemlich suspekt ist. Besonders negativ tut sich dabei momentan ausgerechnet die Vermischung des öffentlichen Gutes mit dem neoliberalen, als tendentiell libertären, Gedankengut hervor, wie dieser Telepolis-Artikel vor einigen Tagen gut darlegte.
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Re: Staatssysteme

Beitragvon stine » Mo 26. Okt 2009, 15:45

Privatisierung kann durchaus eine Lösung sein, schließlich sind die notwendigen Gelder ja auch ins Privatreich verschoben worden. Aber bei der Grundversorgung hört sich der Spaß natürlich auch schnell wieder auf. Wo jemand für sich entscheiden kann, ob er etwas in Anspruch nehmen möchte oder nicht, kann sich der Preis nach dem Bedarf richten - bei Lebensnotwendigem, wie Wasser zB., aber nicht. Deshalb gehört die Grundversorgung nicht in private Hände.
Was nun aber zur lebensnotwendigen Grundversorgung gehört, darüber lässt sich schon wieder streiten. Energieversorgung und Beförderungswesen müssen nicht verstaatlicht sein, weil sie nicht im selben Maße lebensnotwendig sind, wie die Wasserversorgung. Beim Stromverbrauch ZB kann durchaus gespart werden, auch wenn das heute niemanden mehr interessiert.
Vorraussetzung für die Privatisierung der Kommunalaufgaben müsste allerdings eine Gewinnrückführung in prozentualer Höhe an die Gemeinde sein, um andere wichtige Versorgungen zu gewährleisten.

Bei der SWM scheint das zu funktionieren. Umfragen zur Folge sind die Kunden der SWM ihrem Netzbetreiber trotz Yellow-Strom und anderer Strommakler über Jahre hinaus treu. Der Kommunaleffekt ist der gleiche, wie bei den Raiffeisen- und Sparkassen.
Wenn man weiß, wo das Geld bleibt...

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Re: Staatssysteme

Beitragvon smalonius » Mo 26. Okt 2009, 18:39

Nanna hat geschrieben:Das sind jetzt auch eher unbelegte, polemische Meinungen. ;-)

Das ist der Haken bei allen Polit-Diskussionen, deshalb halte ich mich da meist raus. ;-)

Nanna hat geschrieben:Die Liberalisierung, der Wirtschaft und insbesondere der Finanzmärkte, hat zwar einen freieren Geldfluss ermöglich, das hat aber überproportional dem Bankensektor geholfen, der in zunehmender Weise mit sich selbst beschäftigt ist. Ob damit auch eine diese Maßnahmen rechtfertigende Steigerung des Lebensstandardes zustandegekommen ist, darf zumindest als offene Frage im Raum stehen gelassen werden.

Der Lebensstandard ist sicher gestiegen - für Broker und Fondsmanager und Investoren. Der Normalbürger hingegen ist durch stagnierende Reallöhne eher gebeutelt.

Ein wirklich liberaler Finanzmarkt hätte bedeutet, daß man die Investmentbanken einfach pleite gehen läßt. Wer auf hohe Gewinne spekuliert, muß auch das Risiko tragen auf die Schnauze zu fallen. Man kann nicht Gewinne privatisieren und Verluste verstaatlichen.

Für Bankguthaben des Normalsparers gibt es in Deutschland eine Bestandsgarantie vom Staat. Aufgabe der Bankenaufsicht wäre es, für eine klare unternehmerische Trennung zwischen Risiko- und Sparbank zu sorgen.

Nanna hat geschrieben:Wir stimmen hoffentlich darüber überein, dass verbindliche Regeln für eine stabile Gesellschaft notwendig sind, für eine prosperierende sowieso.

Nur soweit es sich um Mord, Totschlag, Vertragsbruch usw. handelt. Weiter unten schreibst du von "gemeinschaftsschädlich". Das trifft es. Niemand sollte eine Müllverbrennungsanlage bauen dürfen, die keinen Dioxin-Filter hat.

Darüberhinaus ist jede Regel zuviel. Gerade in Deutschland gibt es ein Unmenge alter Zöpfe. Friedhofszwang, Apothekenpflicht, Meisterzwang, Schornsteinfegermonopol, Zwangskrankenversicherung nach dem Motto one size fits all - solche Regeln nützen bestimmten Gruppen und Zünften, nicht aber der Bevölkerung.

Der Neuro-Enhancer-Thread ist ein schönes Beispiel dafür, wie gerne das "Kollektiv" meint, klüger zu sein als das Individuum.
Nanna hat geschrieben:Dass das Individuum immer am besten geeignet ist, seine eigenen Interessen zu erkennen und zu formulieren oder gar ein unabhängig denkender homo oeconomicus wäre bzw. sein könnte, ist so ein Mythos, der durch den libertären Diskurs geistert, [...]

Der homo oeconomicus ist in der Tat ein Mythos, der oft genug widerlegt wurde. Ich schmeiße einfach mal loss aversion in den Raum. http://en.wikipedia.org/wiki/Loss_aversion

Ich denke aber nicht, daß es Aufgabe des Staates ist, Bürger vor ihrer eigenen Dummheit zu bewahren. Oder sie zu dem zu zwingen, was vermeintlich für sie gut ist. Im englischen gibt es ein Wort dafür: nanny state, der Kindermädchenstaat. Das hat bezeichnender weise noch keinen Eingang in den deutschen Wortschatz gefunden.

Nanna hat geschrieben:Damit das halbwegs funktioniert brauchen wir Spezialisten, die sich damit beschäftigen, dieses Regelsystem auszuarbeiten und zu überwachen, darunter fallen auch die Politiker.

Politiker, Spezialisten? Da kann ich mir Polemik nicht verkneifen. :pfeif:

Wiesheu fährt im Suff jemanden auf der Autobahn tot, deshalb ist er qualifiziert genug später Verkehrsminister zu werden.
Schäuble kassiert 100 000 DM in bar, deshalb machen wir ihn zum Finanzminister, er kennt die Probleme aus eigener Anschauung.

Wenn Politiker Regelsysteme ausarbeiten, dann drängt sich mir gelegentlich der Verdacht auf, diverse Lobbyisten hätten zur Lösung beigetragen.
Nanna hat geschrieben:Besonders negativ tut sich dabei momentan ausgerechnet die Vermischung des öffentlichen Gutes mit dem neoliberalen, als tendentiell libertären, Gedankengut hervor, wie dieser Telepolis-Artikel vor einigen Tagen gut darlegte.

Da gebe ich dir zu 100% Recht. Public-private-partnership ist das allerletzte. Darüber könnte ich mich seitenlang aufregen.

Wie hast du geschrieben? "Einen Politiker, der solchen Blödsinn macht, kann man bei der nächsten Wahl wenigstens noch effektiv feuern." Ahhmm, tja, warten auf Godot.
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Re: Staatssysteme

Beitragvon platon » Mo 26. Okt 2009, 20:58

smalonius hat geschrieben:Kein angenommenes Resultat. Ich war nur zu faul, noch mehr abzutippen.

Doch, ich hab das paper gelesen!
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Re: Staatssysteme

Beitragvon jackle » Fr 30. Okt 2009, 17:41

1von6,5Milliarden hat geschrieben:
stine hat geschrieben:Können Staatssysteme die sich nach dem Schwächsten ausrichten überhaupt funktionieren?
Macht keines


Doch, unseres tut dies.

Bei der Darwinschen Evolutionstheorie geht es primär um die Fortpflanzung: Fittere Individuen hinterlassen durchschnittlich mehr Nachkommen als weniger fitte. Das ist eine Ausrichtung an der "Stärke" (genauer: Fitness), die für Generationengerechtigkeit sorgt. Man mag dies als ungerecht gegenüber "schwachen" Individuen in der aktuellen Generation empfinden, es ist aber gerecht unter dem Generationengesichtpunkt.

In unserer Gesellschaft bekommen aber die "Schwachen" durchschnittlich mehr Kinder als die "Starken". Das ist etwas, was meiner Meinung nach nicht dauerhaft funktionieren kann (jedenfalls steht dies im Widerspruch zur Evolutionstheorie). Im Grunde geschieht hier eine Selektion zu Gunsten der "Schwachen", und zwar gesellschaftlich gefördert. Denn die Familienförderung in unserem Land fördert den Kinderwunsch in sozial schwachen Familien viel stärker als den in beruflich erfolgreichen Familien.

Die von dir berichtete Begünstigung von "Schwachen" etwa bei der Vermittlung von offenen Stellen könnte dagegen gesellschaftlich Sinn machen. Sie wäre im Prinzip sogar mit Darwin vereinbar.
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Re: Staatssysteme

Beitragvon folgsam » So 1. Nov 2009, 15:21

Dass Kinder aus "schwachen" Elternhäusern durchaus nicht zu tumben Hooligans aufwachsen müssen, der Gedanke ist dir vielleicht auch schon gekommen.
Statt Herdprämien und reaktionärer Geselschaftsmodelle, könnte man an der Stelle ansetzen und dafür sorgen, dass aus diesen Kindern vielleicht auch was wird.

Dass es bei Darwin natürlich nicht um 'schwache' und 'starke' Individuen geht und deine plumpe Übertragung dieses falschen Bildes auf moderne westliche Geselschaften nicht nur hinkt, sondern noch gar nicht gehen gelernt hat, macht die Sache kaum besser.
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Re: Staatssysteme

Beitragvon platon » So 1. Nov 2009, 18:57

folgsam hat geschrieben:Dass Kinder aus "schwachen" Elternhäusern durchaus nicht zu tumben Hooligans aufwachsen müssen, der Gedanke ist dir vielleicht auch schon gekommen.

Dass Kinder aus "schwachen" Elternhäusern im Schnitt jedoch erheblich häufiger zu tumben Hooligans heranwachsen, ist dir aber klar und auch statistisch belegt.
Über die Gründe dafür können wir uns gerne unterhalten, über die Tatsache eher nicht!
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Re: Staatssysteme

Beitragvon jackle » Mo 2. Nov 2009, 01:04

folgsam hat geschrieben:Dass Kinder aus "schwachen" Elternhäusern durchaus nicht zu tumben Hooligans aufwachsen müssen, der Gedanke ist dir vielleicht auch schon gekommen.
Statt Herdprämien und reaktionärer Geselschaftsmodelle, könnte man an der Stelle ansetzen und dafür sorgen, dass aus diesen Kindern vielleicht auch was wird.

Dass es bei Darwin natürlich nicht um 'schwache' und 'starke' Individuen geht und deine plumpe Übertragung dieses falschen Bildes auf moderne westliche Geselschaften nicht nur hinkt, sondern noch gar nicht gehen gelernt hat, macht die Sache kaum besser.


Aus deiner Antwort wird ein gravierendes Bildungsproblem sichtbar. Du hat von dem Thema wirklich Null Ahnung. Allein schon die unqualifizierte Vorstellung über die Darwinsche Evolutionstheorie: Erschreckend.

Und dann das resprektlose Verwenden von Herdprämie. Sollen die Kinder weiter verarmen, wie in den letzten 25 Jahren? Diese Gesellschaft hier wird systematisch kaputt gemacht, und zwar nicht von Bankern, sondern von reaktionären Typen wie dir, die auch noch meinen, sie verstünden etwas und wären fortschrittlich. Dein Denken ist dermaßen veraltet und reaktionär, dass es einem die Schuhe auszieht.
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Re: Staatssysteme

Beitragvon jackle » Mo 2. Nov 2009, 01:05

platon hat geschrieben:
folgsam hat geschrieben:Dass Kinder aus "schwachen" Elternhäusern durchaus nicht zu tumben Hooligans aufwachsen müssen, der Gedanke ist dir vielleicht auch schon gekommen.

Dass Kinder aus "schwachen" Elternhäusern im Schnitt jedoch erheblich häufiger zu tumben Hooligans heranwachsen, ist dir aber klar und auch statistisch belegt.
Über die Gründe dafür können wir uns gerne unterhalten, über die Tatsache eher nicht!


Eben. Wird aber von folgsam alles geleugnet, nur damit er weiterhin seine absurden Ideologien unter die Leute bringen kann. Erschreckend so etwas.
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Re: Staatssysteme

Beitragvon jackle » Mo 2. Nov 2009, 01:29

folgsam hat geschrieben:Dass es bei Darwin natürlich nicht um 'schwache' und 'starke' Individuen geht und deine plumpe Übertragung dieses falschen Bildes auf moderne westliche Geselschaften nicht nur hinkt, sondern noch gar nicht gehen gelernt hat, macht die Sache kaum besser.


Hören wir mal, was Dawkins zu dem Thema zu sagen hat:
Aus "Was ist Ihre gefährlichste Idee?: Die führenden Wissenschaftler unserer Zeit denken das Undenkbare":
"Doch wenn man Kühe für hohen Milchertrag, Pferde für Schnelligkeit bei Rennen und Hunde für umsichtiges Hüten züchten kann, warum eigentlich sollte es unmöglich sein, Menschen für mathematische, musikalische oder sportliche Leistungen zu züchten? Solche Einwände wie der, dass es keine 'eindimensionalen' Fähigkeiten gibt, gelten genauso für Kühe, Pferde und Hunde und haben in der Praxis nie jemanden aufgehalten."

Ferner aus "Das egoistische Gen":

"Nun ist, was den modernen, zivilisierten Menschen betrifft, folgendes geschehen: Die Größe der Familie ist nicht mehr durch die begrenzten Mittel beschränkt, die die einzelnen Eltern aufbringen können. Wenn ein Mann und seine Frau mehr Kinder haben, als sie ernähren können, so greift einfach der Staat ein, das heißt der Rest der Bevölkerung, und hält die überzähligen Kinder am Leben und bei Gesundheit. Es gibt in der Tat nichts, was ein Ehepaar, welches keinerlei materielle Mittel besitzt, daran hindern könnte, so viele Kinder zu haben und aufzuziehen, wie die Frau physisch verkraften kann. Aber der Wohlfahrtsstaat ist eine sehr unnatürliche Sache. In der Natur haben Eltern, die mehr Kinder bekommen, als sie versorgen können, nicht viele Enkel, und ihre Gene werden nicht an zukünftige Generationen vererbt. ... Doch man kann keinen unnatürlichen Wohlfahrtsstaat haben, wenn man nicht auch unnatürliche Geburtenkontrolle hat, andernfalls wird das Endergebnis noch größeres Elend sein, als es in der Natur vorherrscht. Der Wohlfahrtsstaat ist vielleicht das größte altruistische System, das das Tierreich je gekannt hat. Aber jedes altruistische System ist von Natur aus instabil, weil es dem Missbrauch durch egoistische Individuen offensteht. Die einzelnen Menschen, die mehr Kinder bekommen, als sie versorgen können, sind in den meisten Fällen wahrscheinlich zu unwissend, als dass man sie böswiller Ausnutzung beschuldigen könnte. Mächtige Institutionen und führende Persönlichkeiten, die sie bewusst dazu ermutigen, scheinen mir von diesem Verdacht weniger frei zu sein."

Wen könnte Dawkins mit seinem Schlusssatz wohl meinen? Vermutlich Leute wie dich.
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Re: Staatssysteme

Beitragvon folgsam » Mo 2. Nov 2009, 09:36

Trage ich vielleicht einen Dawkinssticker am Revers, dass du zu jeder Unzeit mit herausgeklaubten Zitaten von ihm kommen musst? Jedenfalls hat das, was du zitiert hast, nichts mit dem zu tun was ich über deinen Kommentar geschrieben habe.
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Re: Staatssysteme

Beitragvon jackle » Mo 2. Nov 2009, 11:29

folgsam hat geschrieben:Trage ich vielleicht einen Dawkinssticker am Revers, dass du zu jeder Unzeit mit herausgeklaubten Zitaten von ihm kommen musst? Jedenfalls hat das, was du zitiert hast, nichts mit dem zu tun was ich über deinen Kommentar geschrieben habe.


Das hat eine ganze Menge mit deinem Kommentar zu tun. Aber um das zu verstehen, sollte man schon ein wenig Kenntnisse von der Evolutionstheorie besitzen und nicht nur herumreden.

Du schriebst:
Dass Kinder aus "schwachen" Elternhäusern durchaus nicht zu tumben Hooligans aufwachsen müssen, der Gedanke ist dir vielleicht auch schon gekommen.
Das ist der übliche Unsinn, den Gutmenschen verbreiten. Niemand behauptet, dass Kinder aus schwachen Elternhäuser zu tumben Hooligans heranswachsen müssen (!!!), sondern höchstens, dass sich dann die Wahrscheinlichkeit dafür erhöht. Und: Warum macht es Leuten wie dir Spaß, Menschen vorwiegend in Armut aufwachsen zu lassen? Welchen Sinn siehst du darin? Die Vermeidung von "Herdprämien" zur Sicherstellung politsich korrektem Dumpfgeredes? Lieber den Kindern die Zähne wegfaulen lassen als Mütter eine "Herdprämie" zu geben? Das neue soziale Denken in unserer Gesellschaft.

Statt Herdprämien und reaktionärer Geselschaftsmodelle, könnte man an der Stelle ansetzen und dafür sorgen, dass aus diesen Kindern vielleicht auch was wird.

Ja könnte hätte täte. Das ist unverantwortlich. Die typische Haltung des unverantwortlichen Gutmenschen, ein Problem von sich auf andere zu verschieben: "Warum sorgt der Staat nicht dafür, dass aus diesen Kindern was wird?" Das ist der typische Blödsinn populistischer Politiker, mit der auf verantwortungslose Weise diese Gesellschaft kaputt gemacht wird. Genau das meinte Dawkins mit seinem Schlusssatz.

Dass es bei Darwin natürlich nicht um 'schwache' und 'starke' Individuen geht und deine plumpe Übertragung dieses falschen Bildes auf moderne westliche Geselschaften nicht nur hinkt, sondern noch gar nicht gehen gelernt hat, macht die Sache kaum besser.

Dann lies dir die Sätze von Dawkins noch einmal genauer durch. Und der ist gewissermaßen noch immer die Referenz, was die Evolutionstheorie angeht. Diese angeblich plumpe Übertragung findest du in seinen Worten noch viel ausgeprägter. Also bitte erst einmal nachdenken in Zukunft, bevor du wieder irgendetwas Unreflektiertes schreibst.
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