Ziel der Bildung

Re: Ziel der Bildung

Beitragvon stine » Di 1. Dez 2009, 08:00

Ein Filmbericht vor zwei Tagen zeigte eine Familie, die nach Dänemark auswanderte, um der deutschen Schulpflicht zu entgehen und ihre 4 Kinder jetzt selbst unterrichtet. Beide Elternteile waren promovierte Akademiker.
Die Kinder mussten konsequent den Vormittag mit Lernen verbringen. Das volle Programm: Mathe, Deutsch, Englisch, Französisch, Dänisch, Musik, Kunst, Geografie, Geschichte, Wirtschaft...
Der Älteste machte dann seinen Schulabschluß in der öffentlichen Realschule und schloss als Bester mit 1,0 ab.
Die soziale Kompetenz der Heimschüler war sehr beachtlich. Aber dass Einzelunterricht, von wahrscheinlich eh schon sehr Begabten, nur von Erfolg gekrönt sein kann, ist auch klar.

Allerdings, und das sind meine Bedenken, sind nicht alle Eltern promovierte Akademiker und die Frage nach dem Lernwillen der Kinder bei den eigenen Eltern, vor allem in der Pubertät, stellt sich außerdem.
Wäre das Modell der Heimschule in Deutschland also praktizierbar, dann würden wir mehr denn je eine Klassengesellschaft heraufbeschwören, die schlimmer nicht sein könnte. Die öffentliche Schule ist hier deshalb absolut als Chancengleichheit zu verstehen.

Aber was der Film deutlich zeigte war, dass in öffentlichen Schulen mehr darauf geachtet werden muss, die sozialen Kompetenzen zu fördern. Nicht das Wissen alleine ist es, was unsere Gesellschaft auf Dauer stark macht. Hier hat sich in den letzten Jahren ein großes Defizit aufgetan. Lernen ist abstrakter und umfangreicher denn je, aber das menschliche Miteinander bleibt auf der Strecke.
Dass nur der Stärkste durchkommt, kann nicht Ziel der Bildung sein.

LG stine
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Re: Ziel der Bildung

Beitragvon ujmp » Di 1. Dez 2009, 08:40

smalonius hat geschrieben: Gesetze nach dem Gießkannenprinzip? Nein, danke.

Wenn man nicht weiß, was sprießen wird, ist das Gießkannenprinzip die intelligenteste Strategie.

smalonius hat geschrieben:Wenn du die Wahl hättest, würdest du deinem Kind selbst die Dinge der Welt näherbringen wollen? Oder würdest du das professionellen Vermittlern überlassen?

Ich würde es schon deshalb nicht allein machen wollen, weil ich die Vielfalt und Qualität der Angebote nie so gewährleisten kann, wie eine Schule mit fachspeziefisch ausgebildeteten Lehrern. Das selbst machen zu wollen, wäre eine reine Verzweiflungstat, ich habe aber die Hoffnung, dass unser Bildungssystem zukunftsfähig umzubauen ist.

Die Bildungsfreiheit hat noch einen anderen Haken: Privilegierte entziehen sich dem System, dass sie privilegiert und tragen dadurch zu Absenkung des durchschnittlichen Bildungssniveaus bei. Wenn die Gesellschaft ihre besten Potenziale überhaupt nutzen will, muss sie erstmal mit der Gießkanne vorgehen, damit sie die besten Pflänzchen überhaupt findet. Dagegen sprechen nur quasirassistische Argumente, wie sie jackle schon vorgetragen hat.
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Re: Ziel der Bildung

Beitragvon ujmp » Di 1. Dez 2009, 08:50

stine hat geschrieben:Allerdings, und das sind meine Bedenken, sind nicht alle Eltern promovierte Akademiker und die Frage nach dem Lernwillen der Kinder bei den eigenen Eltern, vor allem in der Pubertät, stellt sich außerdem.
Wäre das Modell der Heimschule in Deutschland also praktizierbar, dann würden wir mehr denn je eine Klassengesellschaft heraufbeschwören, die schlimmer nicht sein könnte. Die öffentliche Schule ist hier deshalb absolut als Chancengleichheit zu verstehen.

Diese Sich teile ich auch. Solche Beispiele sind Ausnahmen. Es kommt noch dazu, dass diese Leute sich der Gesellschaft entziehen, die ihnen ihre hohe Bildung und die finanzielle Freiheit ermöglicht.
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Re: Ziel der Bildung

Beitragvon Julia » Di 1. Dez 2009, 08:54

@smalonius:
Ich habe meine Mutter damals auch gedrängt auszuwandern, Schule fand ich immer bescheiden, weiß gar nicht was schlimmer war, die Lehrer oder die anderen Schüler.
Sie hätte auch nicht die Lehrerin spielen müssen, ich hätte mir das schon selbst beigebracht. Mein Traum war immer ein viel individuellerer Lehrplan, der natürlich abgesegnet werden muss und Fachkräfte, mit denen man bei Bedarf sprechen kann über das was man sich selbst beigebracht hat und die das Lernen begleiten, mit denen man sich vielleicht alle paar Tage oder Wochen mal trifft... Das alles könnte dann in einer großen Bibliothek statt finden, oder zu Hause übers Internet, egal...

Ich glaube auch, dass ich es besser könnte, immerhin war ich ständig damit beschäftigt meinen Banknachbarn das alles noch einmal zu erklären und ich behaupte ganz unbescheiden, dass der ein oder andere mir seinen Abschluss verdankt... ;)

Aber dann müsste ich ja doch Familienmanagerin werden.

Zu den Fanatikern: Ich denke schon, dass man auch an die anderen denken muss, an die Kinder, die problematische Eltern haben, die können wir nicht im Stich lassen, denke ich. Man kann ja schlecht kontrollieren, was die ihren Kindern beibringen.
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Re: Ziel der Bildung

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Di 1. Dez 2009, 09:45

ujmp hat geschrieben:Solche Beispiele sind Ausnahmen.
Und noch dazu nur ein Fernsehbericht. Und wer glaubt, dass ein Fernsehbericht - selbst wenn er nicht getürkt ist - die ganze Wahrheit annähernd zeigt, der irrt gewaltig.

Julia hat geschrieben:immerhin war ich ständig damit beschäftigt meinen Banknachbarn das alles noch einmal zu erklären
ist was ganz deutlich anderes, als sich was selbst beizubringen, was man noch nicht kapiert, ist was ganz anderes, als die Disziplin zu haben, sich (oder seinen Kindern) tatsächlich regelmäßig was beizubringen - da du ganz offensichtlich (wie ich übrigens auch und genau so auch :streichel: ) nicht die Disziplin gehabt hast, still zu sein, ist dies durchaus nicht sicher.

Aber Träume können was schönes sein.

Und es geht nicht nur um Kinder mit problematischen Eltern, es geht um den Großteil der Eltern, denn wie du ja selbst gemerkt hast, es ist von Vorteil, wenn der Lehrer weiß was er unterrichtet. Es geht zwar oft gut (m.E. gerade in der Erwachsenen-Fortbildung), aber lasse mal nur ein Kind (nennen wir es Julia? :mg: ) im Saal/Schulzimmer sitzen, was nachfragt, was weiterdenkt, was wirklich mitdenkt. Wenn der Lehrer nicht sehr geschickt ist und nicht irgendwo doch großes Fachwissen hat, dann ist spätestens nach dem dritten, fünften Patzer, Ausrutscher, Ausfluchtversuch ein waches Kind dem Lehrer auf die Schliche gekommen. Dann muss die Lehrkraft schon irgendwelche deutlichen Vorzüge haben, damit dieser Drahtseilakt noch funktioniert.
Zwar sollte theoretisch natürlich JEDER Absolvent einer Schule genau das können, was gelehrt wird, ist aber in der Praxis dann aber doch was anderes, dies auch so zu können, dass man es jemanden anderes erklären und beibringen kann. Merken viele Lehrer und Schüler jeden Tag.
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Re: Ziel der Bildung

Beitragvon Antonia » Di 1. Dez 2009, 13:54

1von6,5Milliarden hat geschrieben:... Dann muss die Lehrkraft schon irgendwelche deutlichen Vorzüge haben, damit dieser Drahtseilakt noch funktioniert.
... Zwar sollte theoretisch natürlich JEDER Absolvent einer Schule genau das können, was gelehrt wird, ist aber in der Praxis dann aber doch was anderes, dies auch so zu können, dass man es jemanden anderes erklären und beibringen kann.


Ich denke, die Lehrkraft sollte den "deutlichen Vorzug" haben, ihr pädagogisches Handwerk zu verstehen.
Galileo soll gesagt haben: "Man kann niemanden etwas lehren, man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu finden."

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Re: Ziel der Bildung

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Di 1. Dez 2009, 14:05

Antonia hat geschrieben:Ich denke, die Lehrkraft sollte den "deutlichen Vorzug" haben, ihr pädagogisches Handwerk zu verstehen.
Ja, und dies ist leider ein ganz dickes Manko in der Praxis aber auch schon in der Ausbildung.
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Re: Ziel der Bildung

Beitragvon Julia » Di 1. Dez 2009, 15:49

1von6,5Milliarden hat geschrieben: Und wer glaubt, dass ein Fernsehbericht - selbst wenn er nicht getürkt ist - die ganze Wahrheit annähernd zeigt, der irrt gewaltig.

Und wer daraus schließt, dass dann das Gegenteil wahr ist erst recht...

1von6,5Milliarden hat geschrieben:ist was ganz deutlich anderes, als sich was selbst beizubringen, was man noch nicht kapiert, ist was ganz anderes, als die Disziplin zu haben, sich (oder seinen Kindern) tatsächlich regelmäßig was beizubringen

Nun, ich könnte natürlich meinen Kindern auch kein Latein beibringen, Rechnen und Schreiben dagegen schon. Ich habe zum Beispiel Uhrzeit ablesen in ein paar Minuten gelernt (ein paar Wochen vor Schulanfang im Urlaub), wurde dann nachdem man es mir erklärt hat ein paar Mal gefragt wie spät es ist und die Sache war gegessen, in der Schule haben wir ewig dafür gebraucht und ich wurde nie aufgerufen, weil ich es eh schon konnte. Du weißt ja gar nicht was Langeweile ist, wenn du nicht in einem Klassenzimmer vor einer überdimensionalen Plastikuhr saßt während andere Kinder die Uhrzeit abgelesen haben.

Wie gesagt, für ältere Kinder habe ich ja einen anderen Vorschlag.

1von6,5Milliarden hat geschrieben:da du ganz offensichtlich (wie ich übrigens auch und genau so auch :streichel: ) nicht die Disziplin gehabt hast, still zu sein, ist dies durchaus nicht sicher.

Zuhörer muss man sich verdienen.
Ne, mal ernsthaft, ich habe festgestellt, dass Lehrer einen oft eher vom Lernen abhalten, indem sie wirres Zeug von sich geben. Ein Lehrer meinte mal, nachdem ich mich total verwirrt gemeldet habe um zu fragen, was das alles soll, dass ich einfach nicht hinhören soll, ich hätte es sowieso schon verstanden. :irre:
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Re: Ziel der Bildung

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Di 1. Dez 2009, 16:00

Julia hat geschrieben:
1von6,5Milliarden hat geschrieben: Und wer glaubt, dass ein Fernsehbericht - selbst wenn er nicht getürkt ist - die ganze Wahrheit annähernd zeigt, der irrt gewaltig.

Und wer daraus schließt, dass dann das Gegenteil wahr ist erst recht...
Ich würde sagen, genau so. Denn ganz sicher ist der - im idealsten Fall - Ausschnitt eben nicht die Wahrheit, sondern nur ein Teil der Wahrheit. In der Praxis aber auch nur dies maximal zum Teil. Aber wie du richtig anmerkst, ist das Gegenteil auch hier nicht (automatisch) richtig (auch ganz egal, dass es von vielen Dingen nicht ein profanes "Gegenteil" gibt).

Julia hat geschrieben:Du weißt ja gar nicht was Langeweile ist, wenn du nicht in einem Klassenzimmer vor einer überdimensionalen Plastikuhr saßt während andere Kinder die Uhrzeit abgelesen haben.
Woher weißt du das? :erschreckt: Woher weißt du, dass es damals noch keine überdimensionalen Plastikuhren gab, wer hat dir dies verraten? :motz:
:mg:
Julia hat geschrieben: Ein Lehrer meinte mal, nachdem ich mich total verwirrt gemeldet habe um zu fragen, was das alles soll, dass ich einfach nicht hinhören soll, ich hätte es sowieso schon verstanden.
Kommt mir nicht ganz unbekannt vor, nur habe ich mich nie verwirrt gemeldet. *hust*
Je nach dem klingt es nach einem guten Didakten. Wobei wirres Zeug daherreden durchaus auch als Test taugt, wer passt auf, wer nicht.
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Re: Ziel der Bildung

Beitragvon platon » Di 1. Dez 2009, 21:45

Julia hat geschrieben:Und wer daraus schließt, dass dann das Gegenteil wahr ist erst recht...

Liebe Julia, niemand außer Dir hat behauptet, dass heute Samstag sein muss, nur weil heute nicht Sonntag ist.
Aber - und da hat 1von6,5Milliarden völlig Recht - wenn im Fernsehen behauptet wird, heute sei Sonntag, lohnt es in jedem Fall, das nachzuprüfen.
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Re: Ziel der Bildung

Beitragvon stine » Mi 2. Dez 2009, 08:27

Ziel der Bildung ist auch zu verstehen, dass die zuverlässigste Informationsquelle sowieso nur die Schnittmenge aller gelesenen, gehörten und gesehenen Meldungen ist.

Alles andere ist konstruktiver, journalistischer Ballast.

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Re: Ziel der Bildung

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Mi 2. Dez 2009, 08:55

stine hat geschrieben:Ziel der Bildung ist auch zu verstehen, dass die zuverlässigste Informationsquelle sowieso nur die Schnittmenge aller gelesenen, gehörten und gesehenen Meldungen ist.
EIne "richtige" Gewichtung sollte auch ein Bildungsziel sein, wobei "richtig" natürlich ein ganz schwieriger Punkt ist. Deshalb wäre Plausibilitätskontrolle und "gesunde" (was ist wiederum hier "gesund") Skepsis auch noch wichtig.
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Re: Ziel der Bildung

Beitragvon Julia » Mi 2. Dez 2009, 10:45

Lieber platon, ich danke dir für deine erhellenden Worte.
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Re: Ziel der Bildung

Beitragvon smalonius » Mi 2. Dez 2009, 21:17

Julia hat geschrieben:Ich war nie nicht eine fiese Sau!

Du schreckst ja nicht mal vor doppelter Verneinung zurück. :pfeif: Wenn das nicht fies ist?! :mg:

platon hat geschrieben:
smalonius hat geschrieben:Leider haben Politiker kaum ein Interesse, den Posten abzusägen, auf dem sie sitzen.
Stimmt, würdest Du auch nicht freiwillig.

Hältst du mich für einen Kleingeist?

platon hat geschrieben:Mit dem Ergebnis, dass ihr die Matheaufgaben von Viertklässern nicht mehr versteht?

Lags an mir oder an der Aufgabe? War ich blöd oder war die Aufgabe blöd? Oder beides?

Kinder haben immer Recht, auch wenn sie nicht Recht haben. Auf Deutsch heißt das, man sollte Kindern/Leuten erstmal ihre emotionelle Wahrheit lassen. Konkret in diesem Fall heißt das, nicht einfach 3 Leute als doof hinzustellen. Es könnte sich herausstellen, daß am Ende doch die Aufgabe doof war.

stine hat geschrieben:Allerdings, und das sind meine Bedenken, sind nicht alle Eltern promovierte Akademiker und die Frage nach dem Lernwillen der Kinder bei den eigenen Eltern, vor allem in der Pubertät, stellt sich außerdem.

Es muß ja nicht jeder machen. Und ich gebe gerne zu, bis Sekundarstufe II kann ich gut mithalten, darüber hinaus muß ich mich selbst erst wieder einarbeiten.

Deshalb habe ich mit Bedacht geschrieben: "Ich würde meine Kinder selbst unterrichten wollen, in einer perfekten Welt,..."

stine hat geschrieben:Wäre das Modell der Heimschule in Deutschland also praktizierbar, dann würden wir mehr denn je eine Klassengesellschaft heraufbeschwören, die schlimmer nicht sein könnte. Die öffentliche Schule ist hier deshalb absolut als Chancengleichheit zu verstehen.

In Deutschland ist sie also nicht praktizierbar, aber woanders schon? :/

Über zwei Punkte sind wir uns wohl einig:

- Heimschule kann wirkungsvoller sein als staatliche Schule
- Heimschule wird höchstwahrscheinlich aus weltanschaulichen Gründen als Heim-verdummung mißbraucht werden.

Das mit der drohenden Klassengesellschaft kann ich nicht teilen. Erstens können sich wohlhabende nach wie vor eher private Nachhilfe leisten oder gebildete Leute selber geben. Zweitens ist es Gleichmacherei. Drittens tauscht du nur die eine Klassengesellschaft gegen eine andere aus. Nämlich gegen eine solche, in der eine Klasse einer anderen Vorschriften macht.

Der Konflikt zwischen Kollektiv und Individuum ist aber eigentlich ein anderes Thema. Vielleicht kapere ich demnächst den verwaisten Werbe-Thread von ARDO, um mehr dazu zu sagen.

Merkwürdigerweise ist gerade in Deutschland der schulische Erfolg sehr von der sozialen Herkunft abhängig. Da hätten wir im europäischen oder sogar weltweiten Vergleich nach etwas aufzuholen, wenn man Berichten in den Medien glaubt.

Antonia hat geschrieben:Ich denke, die Lehrkraft sollte den "deutlichen Vorzug" haben, ihr pädagogisches Handwerk zu verstehen.
Galileo soll gesagt haben: "Man kann niemanden etwas lehren, man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu finden."

In der zweiten Klasse hab ich meine Natur- und Sachkundelehrerin gefragt, was eine Flamme sei. Das konnte sie nicht beantworten. Da hat mein Glaube an die Erwachsenen die erste Delle gekriegt. Und als mir etwas später der Religionslehrer nicht sagen konnte, wo Gott herkommt , ist mir gedämmert, daß Erwachsene ihr Gerede auch manchmal an den Haaren herbeiziehen.


Mal so in die Runde gefragt, ganz konkretes Bildungsbeispiel. Meine Beobachtung war: viele Kinder im Kindergartenalter wissen nicht, daß aus Schnee Wasser wird, wenn man den Schnee in einem Glas in die warme Stube stellt. Ist meine Beobachtung ein statistischer Ausreißer? Oder versäumen wir, Kindern von klein auf was beizubringen über die Welt?
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Re: Ziel der Bildung

Beitragvon platon » Mi 2. Dez 2009, 22:10

Julia hat geschrieben:Lieber platon, ich ...

Liebe Julia, ich bitte Dich. Nichts was ich lieber täte ...
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Re: Ziel der Bildung

Beitragvon stine » Mi 2. Dez 2009, 23:02

smalonius hat geschrieben:Mal so in die Runde gefragt, ganz konkretes Bildungsbeispiel. Meine Beobachtung war: viele Kinder im Kindergartenalter wissen nicht, daß aus Schnee Wasser wird, wenn man den Schnee in einem Glas in die warme Stube stellt. Ist meine Beobachtung ein statistischer Ausreißer? Oder versäumen wir, Kindern von klein auf was beizubringen über die Welt?
Seit der Sendung mit der Maus hat sich das wieder etwas gebessert. :wink:

Aber im Ernst: Erwachsene sehen vieles als selbstverständlich an, was Kinder noch gar nicht wissen können. Kinder die einem Löcher in den Bauch fragen sind da fein raus, kleine Beobachter und Experimentierer auch. Bei der Gameboy- und Playstation-Generation sieht das schon anders aus. Das ganze Ausmaß wird erst später sichtbar werden. :(

smalonius hat geschrieben:In Deutschland ist sie also nicht praktizierbar, aber woanders schon? :/
Gleiches Tun hat gleiche Folgen. Aber in anderen Ländern ist man vielleicht nicht so auf (Chancen)Gleichheit aus.


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Re: Ziel der Bildung

Beitragvon ujmp » Do 3. Dez 2009, 22:13

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Re: Ziel der Bildung

Beitragvon platon » So 6. Dez 2009, 20:00

stine hat geschrieben:Aber in anderen Ländern ist man vielleicht nicht so auf (Chancen)Gleichheit aus.

Ganz im Gegenteil! In anderen Ländern ist man viel mehr auf Chancengleichheit aus und dabei auch noch erfolgreich. Siehe Abhängigkeit der Bildung vom Sozialstatus der Eltern etc. Krippenplätze, Ganztagsschule, ungeliedertes Bildungssystem, all das sind erfolgreiche Konzepte auf dem Weg zu erheblich größerer Chancengleichheit.
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Re: Ziel der Bildung

Beitragvon stine » Mo 7. Dez 2009, 09:13

platon hat geschrieben:Wie schaffst Du das eigentlich, diesen Blödsinn schmerzfrei zu denken, ehe Du ihn aufschreibst? Oder schreibst Du, ohne zu denken?
Da denken wohl die Menschen unterschiedlich.
Ich denke, und zwar völlig schmerzfrei, dass sich die Menschen aus Hochtechnologieländern langsam aber sicher gegenseitig in den Bildungswahnsinn treiben. Nicht jeder muss nämlich alles wissen.
Was Kindern heute schon im Gymnasium beigebracht wird, war noch vor zwanzig Jahren Stoff der ersten Semester Mathematik - und was Kinder heute bereits im vierten Schuljahr leisten müssen, war früher Stoff aus den ersten Gymnasialklassen.

Heute ist Vorschule im Kindergarten eine Pflichtveranstaltung und die Erstklasslehrerin begrüßt es, wenn die neu Eingeschulten ihren Namen fehlerfrei schreiben und das Zahlenverständnis bis 20 haben. Die Krippenkinder werden zweisprachig gewickelt und die Dreijährigen der Mittelschicht besuchen regelmäßig eine Sprachenschule.
Klar auch, dass spätestens ab der 5.Klasse Nachhilfeunterricht angesagt ist.
Hier kommt dann plötzlich der gerechtfertigte Protest, dass Akademikerkinder den Vorteil der häuslichen Hilfe erfahren und Arbeiterkinder auf der Strecke bleiben. Wer hat aber letztlich die Ansprüche so nach oben geschraubt und wo ist das Ziel der Bildung?
Was wollen wir denn als Gesellschaft für jedermann erreichen?
Mir ist immer noch nicht klar, wo das Ende der Fahnenstange ist.

Solche und ähnliche Einrichtungen sorgen schon im Kindesalter dafür, dass der Klassenunterschied im Volk erhalten bleibt. Da hilft es auch nichts, wenn man anschließend nach der Gesamtschule schreit, die ist letztlich nämlich nur noch eine Bremse für die so Fortgeschrittenen.

Wer sagt denn eigentlich, dass die sogenannten Lernexperten überhaupt recht haben?
Länder die den wirtschaftlichen Leistungsdruck permanent nach unten weitergeben unterscheiden sich in meinen Augen durch nichts von den Ländern die mit Kinderarbeit auf der schwarzen Liste der Menschrechtler stehen.

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Re: Ziel der Bildung

Beitragvon Nanna » Mo 7. Dez 2009, 16:27

stine hat geschrieben:
platon hat geschrieben:Wie schaffst Du das eigentlich, diesen Blödsinn schmerzfrei zu denken, ehe Du ihn aufschreibst? Oder schreibst Du, ohne zu denken?
Da denken wohl die Menschen unterschiedlich.
Ich denke, und zwar völlig schmerzfrei, dass sich die Menschen aus Hochtechnologieländern langsam aber sicher gegenseitig in den Bildungswahnsinn treiben. Nicht jeder muss nämlich alles wissen.

Auf der anderen Seite wird aber in einer Demokratie (das ist das Gebilde, in dem Menschen aufgerufen sind, an den politischen Entscheidungen eines Landes teilzuhaben und damit Verantwortung zu übernehmen) und einer freien Marktwirtschaft (das ist das Gebilde, wo sog. "Marketingexperten" sinnlose Must-Haves kreieren und damit nicht nur, aber überdurchschnittlich vielen Ungebildeten das Geld aus der Tasche ziehen) immer wieder und völlig zu Recht gefordert, dass die Leute über das, worüber sie - ob an der Urne oder an der Supermarktkasse "mit den Füßen" - abstimmen auch gut informiert sind. Das wiederum setzt Kernkompetenzen beim Suchen und Verwerten von Informationen voraus, die eine ziemlich umfangreiche Bildung voraussetzen.

stine hat geschrieben:Was Kindern heute schon im Gymnasium beigebracht wird, war noch vor zwanzig Jahren Stoff der ersten Semester Mathematik - und was Kinder heute bereits im vierten Schuljahr leisten müssen, war früher Stoff aus den ersten Gymnasialklassen.

Was Oberstufenschüler schon in den 50ern mehr so nebenbei gelernt haben, war vor 300 Jahren noch Inhalt eines kompletten Gelehrtenlebens. Fortschritte bei der Didaktik und der Bildungsinfrastruktur insgesamt machen das möglich. Das muss sich nicht in einem Schaden für die Kinder niederschlagen, sofern ihnen anderweitige Freiräume zum Spielen und Erfahren der Welt bleiben. Da Wissen quantitativ explodiert und gleichzeitig immer leichter reproduzierbar und abrufbar ist, ist die Entwicklung von operationalen Fertigkeiten heute meiner Meinung nach wichtiger. Und da kann man den Kindern sehr vieles früher beibringen, indem man allein die Effizienz der didaktischen Methoden verbessert, ohne die Kinder unter zusätzlichen Leistungsdruck zu setzen. Der Leistungsdruck ist eher die halbrationale Folge der Mittelschichtsängste vor dem sozialen Abstieg, da käme es aber nicht darauf an, ob die Kinder sich nun bilden oder anderweitig arbeiten müssen.

stine hat geschrieben:Wer hat aber letztlich die Ansprüche so nach oben geschraubt und wo ist das Ziel der Bildung?

Erste Frage: Der Markt, der alle ausselektiert, die nicht mithalten können natürlich.
Zweite Frage: Das Ziel der Bildung sollte meines Erachtens einen mündigen Bürger mit Erwerbsfähigkeiten hervorbringen, also jemand, der sowohl soziale, politische und ökonomische Allgemeinkompetenzen und darüber hinaus eine Spezialkompetenz erworben hat, die ihn für den Arbeitsmarkt qualifiziert.

stine hat geschrieben:Was wollen wir denn als Gesellschaft für jedermann erreichen?

Ein "gutes Leben", was auch immer man darunter versteht. Das lässt sich, egal wie nun der persönliche Lebensentwurf aussieht, für alle nur in einer stabilen, kooperativen Gesellschaft haben, für die wiederum obige allgemeine und spezielle Fähigkeiten notwendig sind.

stine hat geschrieben:Mir ist immer noch nicht klar, wo das Ende der Fahnenstange ist.

Du lebst in einer evolutionären Welt, es gibt weder eine Fahnenstange, noch deren Ende. Wenn es so weitergeht, wie es sich für mich abzeichnet, wird irgendwann im Laufe des 21. oder 22. Jahrhunderts das Ende der menschlichen Erwerbstätigkeit erreicht sein, weil Maschinen uns in allen Punkten überlegen sind oder wir derart mit ihnen verschmolzen sind, dass man kaum mehr vom klassischen homo sapiens reden kann. Bis dahin werden zumindest die gebildeten Gesellschaftsschichten sich weiterhin einen mit Frühförderung, Ritalin und viel Geld befeuerten Kleinkrieg um die Intelligenz der nächsten Generation liefern. Und irgendwie kommt es am Ende sowieso anders, aber es gibt sicher keine Planung á la "So weit wollen wir noch auf der Fahnenstange vorankommen".

stine hat geschrieben:Länder die den wirtschaftlichen Leistungsdruck permanent nach unten weitergeben unterscheiden sich in meinen Augen durch nichts von den Ländern die mit Kinderarbeit auf der schwarzen Liste der Menschrechtler stehen.

Wie gesagt, Kinder brauchen ihre Freiräume, sonst werden wir sowieso mit einer depressiven, komplexbeladenen Zombiegeneration bedankt. Das menschliche Gehirn ist allerdings komplett auf Lernen ausgelegt, da mache ich mir keine Sorgen, dass man prinzipiell auch große Mengen Lernstoff interessant vermitteln kann.
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