Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon darwin upheaval » Di 1. Jun 2010, 11:53

Myron hat geschrieben: * Mahner/Bunge zitierend *

"Da aber sowohl Wissen als auch Glauben als Gehirnprozesse betrachtet werden müssen, werden wir gerechtfertigtes Glauben mit Hilfe des Wissensbegriffs definieren statt umgekehrt. Ausgehend von einem Stück Wissen (z.B. einem Gedanken)…"[/i]

Ja, Glauben und Wissen sind Gehirnzustände, die zu bewussten Gehirnzuständen werden können. Aber das bloße Vorhandensein eines (mit einem bewussten Gehirnvorgang gleichgesetzten) Gedankens stellt doch kein "Stück Wissen" dar. Einen Gedanken denken ist eine Sache, und glauben oder wissen, dass er wahr ist, sind zwei andere Sachen.


Jeder, der einen Gedanken denkt und diesem zustimmt, hält ihn aus seiner eigenen, subjektiven Sicht für wahr. Folglich weiß er etwas, oder aus dem Blickwinkel anderer: er meint, etwas zu wissen. Z. B. weiß ein Reinhard Junker, dass Gott existiert. Damit ist noch lange nicht gesagt, dass dieses Stück Wissen intersubjektiv gültig und objektiv wahr ist.

Glaube unterscheidet sich von Wissen m.E. nur in Bezug auf die Objektivität. Glaube ist immer subjektiv, Wissen dagegen in der Regel intersubjektiv nachvollziehbar bzw. rational rekonstruierbar. Daraus folgt aber wiederum nicht, dass dieses Wissen unfehlbar ist.

Myron hat geschrieben:"Wir müssen erst etwas wissen, egal ob es wahr oder falsch ist, bevor wir es glauben können."

Wie bitte?! Erstens, der Begriff "falsches Wissen" ist so selbstwidersprüchlich wie "falsche Tatsache".


Der ist überhaupt nicht selbstwidersprüchlich, sondern die logische Folge unseres unzureichenden Erkenntnisapparats.

"Tatsachen" sind nicht selbstevident, sondern werden theoretisch (re-) konstruiert. Da Theorien fehlbar sind, kann es auch falsche Tatsachen geben. Z. B. war es bis ins 20. Jahrhundert eine gewusste Tatsache, dass Raum und Zeit invariante (bezugspunktunabhängige) Größen sind. Bis Einstein kam und zeigte, dass das streng genommen nicht der Fall ist. Das Wissen um die Newtonsche Physik erwies sich zwar nicht als rundweg falsch, aber nur als als partiell richtig.


Myron hat geschrieben: Zweitens, ich muss doch mitnichten erst wissen, ob ein Gedanke (eine gedachte Aussage) wahr ist, bevor ich glauben kann, dass er wahr ist, oder ihn für wahr halten, bejahen oder ihm zustimmen kann.

"(i) x glaubt y =df x weiß y und x stimmt y zu;…"

Es erscheint mir logisch "pervers", Wissen zu einer notwendigen Bedingung für Glauben zu machen.


"Pervers" erscheint es Dir nur deshalb, weil es Deiner "gefühlt richtigen" Definition von "Wissen" widerspricht. Aber diese Definition kannst Du eben nicht erzwingen. Es gibt Wissenschaftsphilosophen, die halten Deine Definiton für "pervers": Es muss die Existenz postulierter Dinge erst unfehlbar bewiesen werden, bevor deren Existenz gewusst wird. Die Folge wäre, dass es überhaupt kein Wissen gäbe, und das Unternehmen Wissenschaft von vorn herein überflüssig wäre, weil dann eben nur jeder seine Hirngespinste hätschelte, ohne das Wort "Wissen" in den Mund nehmen zu dürfen.

Das Problem an Deiner Wissensdefinition ist, dass der Begriff "Wissen" ein Unbegriff ist, weil niemand über die mentalen Möglichkeiten verfügt, die Welt so zu erkennen, wie sie wirklich ist, um auf diese allumfassend "wahre" Erkenntnis ein Stück "Wissen" zu gründen, das diesen Namen verdiente. Der Sicherheitsanspruch, den Du an "Wissen" stellst, ist grundsätzlich nicht einlösbar. Damit wäre das Unternehmen namens "Wissenschaft" von vorn herein fehletikettiert, und Du müsstest sie als "Glaubensschaft" bezeichnen. Existierte Wissen nach Deinen Bedingungen tatsächlich, wäre das Unternehmen "Wissenschaft" augenblicklich wieder überflüssig. Weil es dann nämlich eine allumfassende Erkenntnis gäbe, so dass wir auf das Mittel, die Welt theoretisch zu erschließen, nicht mehr angewiesen wären.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon darwin upheaval » Di 1. Jun 2010, 12:33

Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Wenn jemand sagt: "Es fällt kein Spatz vom Dach, ohne dass dies nicht Gottes Wille entspräche", ist das natürlich sehr problematisch und lässt an den Okkasionalismus denken.


In der Tat. (http://plato.stanford.edu/entries/occasionalism)


Trotzdem distanzieren sich die Christen, die diesen Satz gebrauchen und die ich darauf angesprochen habe, vom Interventionalismus. Ihre Begründungen haben mich bislang allerdings nicht sonderlich überzeugt. Letzten Endes läuft das auf ein "Wasch mir den Pelz aber mach mich nicht nass" hinaus: Man möchte, dass Gott jedes Ereignis in dieser Welt "moderiert", will aber trotzdem vom ontologischen Prinzip einer natürlichen Veränderung der Welt nicht abrücken. Letzteres ist natürlich eine notwendige Bedingung für die rational-wissenschaftliche Rekonstruierbarkeit der Weltabläufe.

Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Und Du wirst Dich wundern, ich kenne sogar Christen, der einen strikten Deismus (ausgenommen allein die Auferstehung Jesus) vertreten.


Du meinst Leute, für die dieses angebliche Ereignis das einzige Offenbarungswunder ist?


Genau.


Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Ich denke, jemand der Evolution als "Methode der Schöpfung" sieht, für den ist auch die Evolution des Bewusstseins kein ernstes Problem. Aber ich müsste erst mal herum fragen, bevor ich das sicher sagen kann.


Die Theisten glauben ja traditionellerweise, dass Gott die Menschen "nach seinem Bilde" geschaffen hat. Wenn Gott aber nun eine—die einzige—spirituelle Substanz ist und wir alle materielle Substanzen sind, dann sind Gott und wir wesensverschieden und damit eben nicht "nach seinem Bilde" gestaltet. Das ist alles andere als ein triviales theologisches Problem!


"Nach seinem Bilde" ist ein schwammiger Ausdruck, der sich natürlich interpretatorisch aufweichen lässt. Damit kann auch die menschliche Natur gemeint sein, die Fähigkeit zur Liebe, Selbstaufopferung usw.

Die große interpretatorische Freiheit ist natürlich ein Einwand, der die Skepsis nährt. Alle wesentlichen Schlüsselterme des Christentums sind semantisch unbestimmt.

Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Ich bin mir sicher, dass die meisten Theisten nach wie vor bloß halbherzige Darwinisten sind, und zwar deshalb, weil sie die evolutionistische Sichtweise nicht in naturalistischer Manier auch auf die psychischen Phänomene anwenden wollen.

Stimmt, das trifft wohl vor allem auf Katholiken zu. Vielleicht sollte man dazu mal eine Umfrage machen.


Der orthodoxen Theologie zufolge bin ich eine Seele, die einen (entbehrlichen) Körper hat, aber kein Körper ist.
Die meisten Theisten reagieren immer noch allergisch, wenn man behauptet, Menschen seien Tiere.


Ich habe inzwischen einen evangelischen Theologen gefragt wie er es mit dem Seelenkreationismus hält. Seine Antwort war klar ablehnend. Der Gedanke an die unsterbliche Substanz namens "Seele" wird als überkommene Lehre der Antike angesehen, die in der späten Weisheitsschrift des Predigers Ecclesiastes klar zurück gewiesen werde: "Denn es geht dem Menschen wie dem Tier, wie es stirbt, so stirbt er auch, und es hat alles einerlei Atem, und der Mensch hat nichts mehr als das Tier, denn es ist alles nichtig. Es fährt alles an einen Ort, denn es ist alles aus Staub gemacht und wird wieder zu Staub. Wer weiss, ob der Atem des Menschen aufwärts fahre und der Atem des Tieres unterwärts unter die Erde fahre?" (3, 19-21).

Nach Aussage des Theologen beruhe die evangelische Theologie überwiegend auf diesem ganzheitlichen biblischen Menschenbild und lehne ein zwei- oder dreiteiliges Menschenbild nach griechisch-platonischem Vorbild ab. Eine substantielle Unsterblichkeit gibt es dann nicht, das ewige Leben mit Gott kann nur als Neuschöpfung im Jenseits verstanden werden. Von daher müsse man auch keine übernatürliche Einpflanzung einer Seele in den Menschen fordern. Gleichwohl dürften viele evangelische Christen immer noch die klassische Seelenvorstellung vertreten. Aber gepredigt werde in den evangelischen Kirchen anders.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » Di 1. Jun 2010, 19:28

darwin upheaval hat geschrieben:Einige Christen meinen, Gott verstecke sich im Zufall.


Der dann ja bloß ein Scheinzufall wäre.

darwin upheaval hat geschrieben:Andere wiederum meinen, die Art der Zweitursache sei ein Mysterium, für das man in dieser unserer Welt keine Begriffe findet. Auch eine Art, das Problem zu kaschieren.


Es ist typisch für Theologen, dass sie ihre Dogmen zu Mysterien verklären, wenn ihnen sonst nichts mehr einfällt.
(Siehe z.B.: http://plato.stanford.edu/entries/trinity/#Mys)

darwin upheaval hat geschrieben:Korrekt. Deshalb kann der Deismus eigentlich keine religiösen Bedürfnisse befriedigen.


Ein solch kühler Vernunftsglaube an einen unerreichbar fernen Gott, der weder Gebete erhört noch einem in der Not hilft, ist wahrlich kein Herzenswärmer und Trostspender. Außerdem muss ja auch der deistische Gott in seiner Allwissenheit vorausgesehen haben, dass sein "Weltdesign" zu sehr viel Leid und Elend führen würden, das von Krankheiten und anderen schädlichen Naturereignissen hervorgerufen wird. All das hat er also bewusst in Kauf genommen, was ein schlechtes Licht auf seinen moralischen Charakter wirft.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » Di 1. Jun 2010, 22:04

darwin upheaval hat geschrieben:Jeder, der einen Gedanken denkt und diesem zustimmt, hält ihn aus seiner eigenen, subjektiven Sicht für wahr.


Ja.

darwin upheaval hat geschrieben:Folglich weiß er etwas, oder aus dem Blickwinkel anderer: er meint, etwas zu wissen. Z. B. weiß ein Reinhard Junker, dass Gott existiert. Damit ist noch lange nicht gesagt, dass dieses Stück Wissen intersubjektiv gültig und objektiv wahr ist.


"12. – Denn 'Ich weiß…' scheint einen Tatbestand zu beschreiben, der das Gewusste als Tatsache verbürgt. Man vergisst eben immer den Ausdruck 'Ich glaubte, ich wüsste es'.
13. Es ist nämlich nicht so, dass man aus der Äußerung des Andern 'Ich weiß, dass es so ist' den Satz 'Es ist so' schließen könnte. Auch nicht aus der Äußerung und daraus, dass sie keine Lüge ist. – Aber kann ich nicht aus meiner Äußerung 'Ich weiß etc.' schließen 'Es ist so'? Doch, und aus dem Satz 'Er weiß, dass dort eine Hand ist' folgt auch 'Dort ist eine Hand'. Aber aus seiner Äußerung 'Ich weiß…' folgt nicht, er wisse es.
14. Es muss erst erwiesen werden, dass er's weiß.
15. Dass kein Irrtum möglich war, muss erwiesen werden. Die Versicherung 'Ich weiß es' genügt nicht. Denn sie ist doch nur die Versicherung, dass ich mich (da) nicht irren kann, und dass ich mich darin nicht irre, muss objektiv feststellbar sein."


(L. Wittgenstein, Über Gewissheit)

Daraus, dass Junker glaubt zu wissen, dass Gott existiert, folgt nicht, dass er tatsächlich weiß, dass Gott existiert. Aus seiner Behauptung, er wisse es, folgt eben nicht, dass er es weiß.
Wenn Gott nicht existiert, dann besitzt er kein falsches Wissen, sondern einen falschen Wissensglauben.

darwin upheaval hat geschrieben:
Glaube unterscheidet sich von Wissen m.E. nur in Bezug auf die Objektivität.


Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass es sowohl wahres als auch falsches Glauben gibt, aber kein falsches Wissen.

darwin upheaval hat geschrieben:
Glaube ist immer subjektiv, Wissen dagegen in der Regel intersubjektiv nachvollziehbar bzw. rational rekonstruierbar.


Auch Mahner & Bunge unterscheiden zwischen privatem und nichtprivatem Wissen:

"Eine verwandte Einteilung ist die in privates und öffentliches Wissen. Wir sagen, jemand besitzt privates Wissen über x gdw niemand sonst x weiß. Andernfalls, d.h. wenn ein Stück Wissen wenigstens von einigen Mitgliedern einer Sozietät geteilt wird, ist es öffentliches oder intersubjektives Wissen. Privates Wissen kann weiter unterteilt werden in Wissen über jemandes eigene Zustände (oder Prozesse), insbesondere Gehirnprozesse (z.B. wie ich mich gerade fühle), und Wissen, das lediglich geheimgehalten wird."

(Mahner, Martin, und Mario Bunge. Philosophische Grundlagen der Biologie. Berlin: Springer, 2000. S. 64)

darwin upheaval hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:[D]er Begriff "falsches Wissen" ist so selbstwidersprüchlich wie "falsche Tatsache".

Der ist überhaupt nicht selbstwidersprüchlich, sondern die logische Folge unseres unzureichenden Erkenntnisapparats.
"Tatsachen" sind nicht selbstevident, sondern werden theoretisch (re-) konstruiert.


Es gibt zwei Auffassungen von Tatsachen: Für die einen ist eine Tatsache einfach eine wahre Aussage (oder ein wahrer Gedanke [Frege]) und für die anderen ein (sprachunabhängig) bestehender, wirklicher Sachverhalt. Nach der ersten Definition kann es keine falschen Tatsachen gegen, da es keine falschen wahren Aussagen geben kann; und nach der zweiten Definition kann es keine falschen Tatsachen geben, da man einen Kategorienfehler begeht, wenn man einem Sachverhalt die Eigenschaft des Wahr- bzw. Falschseins zuspricht.

Und was die angebliche "Konstruktion" von Tatsachen betrifft, so setzen wir zwar innerhalb der soziokulturellen Sphäre durch unser Denken und Handeln neue Tatsachen (vor allem institutionelle) in die Welt, aber all die natürlichen Tatsachen, um deren Aufdeckung sich die Naturwissenschaften bemühen, sind nicht "theoretisch konstruiert"; denn sie bestehen theorie-, sprach- und geistunabhängig.

darwin upheaval hat geschrieben:
Da Theorien fehlbar sind, kann es auch falsche Tatsachen geben. Z. B. war es bis ins 20. Jahrhundert eine gewusste Tatsache, dass Raum und Zeit invariante (bezugspunktunabhängige) Größen sind. Bis Einstein kam und zeigte, dass das streng genommen nicht der Fall ist.


Wenn Einstein recht hat und Newton unrecht, dann war der Sachverhalt, dass Raum und Zeit voneinander unabhängige Größen sind, niemals eine Tatsache und die entsprechende Aussage niemals wahr.
Wie gesagt, wenn Einstein recht hat, dann haben die Anhänger der Newton'schen Physik niemals gewusst, dass diese wahr ist, sondern nur irrtümlicherweise geglaubt zu wissen, dass sie wahr ist.

darwin upheaval hat geschrieben:
Das Wissen um die Newtonsche Physik erwies sich zwar nicht als rundweg falsch, aber nur als als partiell richtig.


Hierzu noch einmal folgender Kommentar:

"Although the truth-condition enjoys nearly universal consent, let us nevertheless consider at least one objection to it. According to this objection, Newtonian Physics is part of our overall scientific knowledge. But Newtonian Physics is false. So it's possible to know something false after all.
In response, let us say that Newtonian physics involves a set of laws of nature {L1, L2,…, Ln}. When we say we know Newtonian physics, this could be interpreted as saying we know that, according to Newtonian physics, L1, L2,…, Ln are all true. And that claim is of course true.
Additionally, we can distinguish between two theories, T and T*, where T is Newtonian physics and T* updated theoretical physics at the cutting edge. T* does not literally include T as a part, but absorbs T by virtue of explaining in which way T is useful for understanding the world, what assumptions T is based on, where T fails, and how T must be corrected to describe the world accurately. So we could say that, since we know T*, we know Newtonian physics in the sense that we know how Newtonian physics helps us understand the world and where and how Newtonian physics fails."


(http://plato.stanford.edu/entries/knowledge-analysis)

darwin upheaval hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:"(i) x glaubt y =df x weiß y und x stimmt y zu;…"
Es erscheint mir logisch "pervers", Wissen zu einer notwendigen Bedingung für Glauben zu machen.

"Pervers" erscheint es Dir nur deshalb, weil es Deiner "gefühlt richtigen" Definition von "Wissen" widerspricht. Aber diese Definition kannst Du eben nicht erzwingen. Es gibt Wissenschaftsphilosophen, die halten Deine Definiton für "pervers": Es muss die Existenz postulierter Dinge erst unfehlbar bewiesen werden, bevor deren Existenz gewusst wird. Die Folge wäre, dass es überhaupt kein Wissen gäbe, und das Unternehmen Wissenschaft von vorn herein überflüssig wäre, weil dann eben nur jeder seine Hirngespinste hätschelte, ohne das Wort "Wissen" in den Mund nehmen zu dürfen.


Man muss doch wahrlich kein akademisch ausgebildeter Philosoph oder Logiker sein, um die Widersinnigkeit von Sätzen der folgenden Form zu erkennen:

"Obwohl die Aussage A falsch ist, wissen einige Leute, dass A wahr ist."

"'S knows that p only if p is true' gives a non-optional condition for knowledge: it is totally eccentric to say that though p is false still N knows that p."

(Nathan, N. M. L. The Price of Doubt. London: Routledge, 2001. p. 17)

Ja, das ist wirklich "total exzentrisch"!

"[Y]ou can only speak of 'knowledge' if the thing said to be known is in fact the case. If it is not the case, then it is a semantic rule of English that the cognitive attitude involved is not to be called 'knowledge'. The word has a demand for truth built into its meaning[.]"

(Armstrong, D. M. Belief, Truth and Knowledge. Cambridge: Cambridge University Press, 1973. p. 138)

Andererseits habe in einem vorherigen Beitrag unter Berufung auf David Lewis ja schon angedeutet, wie der Wissensbegriff gegen die Panskeptiker verteidigt werden könnte:
viewtopic.php?p=66694#p66694

Außerdem denke ich, dass es eigentlich um zwei unterschiedliche Aspekte geht:
Zum einen um die Frage, ob man einen Wissensanspruch auf eine Aussage A auch dann erheben darf, wenn die Beweise für A nicht alle logischen Möglichkeiten ausschließen, in denen die Beweise gleich sind, aber A falsch ist; und zum anderen um die Frage, ob auch dann ein Fall von Wissen, dass A wahr ist, vorliegen kann, wenn A nicht wahr ist.

Es mag sein, dass Wissensansprüche (und damit überhaupt die Verwendung des Wissensbegriffs) auch dann berechtigt und zulässig sind, wenn gewisse Irrtumsmöglichkeiten übrig bleiben; aber es kann nicht sein, dass De-facto-Wissen vorliegt, wenn das Geglaubte falsch ist.
Wie Armstrong mit Recht unterstreicht:

"The word ['knowledge'] has a demand for truth built into its meaning[.]"

Der Wissensanspruch in Bezug auf die Newton'sche Theorie mag im 18. Jahrhundert angesichts der damals gegebenen wissenschaftlichen Belege voll und ganz berechtigt gewesen sein; doch wenn stattdessen die Einstein'sche Theorie wahr ist, dann liegt dem Wissensanspruch der damaligen Physiker eben nur ein irrtümlicher Wissensglaube und kein De-facto-Wissen zugrunde.
Es kann einfach nicht sein, dass die Physiker im 21. Jahrhundert wissen, dass die Theorie T falsch ist, und die Physiker im 18. Jahrhundert wussten, dass dieselbe Theorie T wahr ist.

darwin upheaval hat geschrieben:
Der Sicherheitsanspruch, den Du an "Wissen" stellst, ist grundsätzlich nicht einlösbar. Damit wäre das Unternehmen namens "Wissenschaft" von vorn herein fehletikettiert, und Du müsstest sie als "Glaubensschaft" bezeichnen.


Ich fürchte, du hast mich großteils missverstanden. Ich behaupte ja gar nicht, dass wir niemals das Recht haben, Wissensansprüche zu erheben, oder dass wir niemals etwas wissen.
Ich habe hier hauptsächlich nur das von so gut wie allen Erkenntnistheoretikern und Wissenslogikern anerkannte und verwendete Axiom Kp –> p verteidigt, das eigentlich eine Binsenwahrheit ist.
Umso verwunderter bin ich darüber, dass du dieses so entschieden ablehnst.
(Ich hoffe, dass du es nach meinen Ausführungen nicht länger ablehnst.)
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » Di 1. Jun 2010, 22:46

darwin upheaval hat geschrieben:Trotzdem distanzieren sich die Christen, die diesen Satz gebrauchen und die ich darauf angesprochen habe, vom Interventionalismus. Ihre Begründungen haben mich bislang allerdings nicht sonderlich überzeugt. Letzten Endes läuft das auf ein "Wasch mir den Pelz aber mach mich nicht nass" hinaus: Man möchte, dass Gott jedes Ereignis in dieser Welt "moderiert", will aber trotzdem vom ontologischen Prinzip einer natürlichen Veränderung der Welt nicht abrücken.


Die können reden, was sie wollen: Beeinflussung ist Beeinflussung und Eingreifung ist Eingreifung.
Gott ist entweder ein direkter oder indirekter Urheber raumzeitlicher Ereignisse oder eben nicht.

darwin upheaval hat geschrieben:"Nach seinem Bilde" ist ein schwammiger Ausdruck, der sich natürlich interpretatorisch aufweichen lässt. Damit kann auch die menschliche Natur gemeint sein, die Fähigkeit zur Liebe, Selbstaufopferung usw.


Gut, man kann diesen Ausdruck auch nur auf bestimmte psychische oder moralische Ähnlichkeiten beziehen.

darwin upheaval hat geschrieben:Die große interpretatorische Freiheit ist natürlich ein Einwand, der die Skepsis nährt. Alle wesentlichen Schlüsselterme des Christentums sind semantisch unbestimmt.


Da fällt mir ein schöner Satz von Charles Peirce ein:

"It is easy to be certain. One has only to be sufficiently vague."

(Collected Papers, 4, #237)

darwin upheaval hat geschrieben:Ich habe inzwischen einen evangelischen Theologen gefragt wie er es mit dem Seelenkreationismus hält. Seine Antwort war klar ablehnend. Der Gedanke an die unsterbliche Substanz namens "Seele" wird als überkommene Lehre der Antike angesehen, die in der späten Weisheitsschrift des Predigers Ecclesiastes klar zurück gewiesen werde: "Denn es geht dem Menschen wie dem Tier, wie es stirbt, so stirbt er auch, und es hat alles einerlei Atem, und der Mensch hat nichts mehr als das Tier, denn es ist alles nichtig. Es fährt alles an einen Ort, denn es ist alles aus Staub gemacht und wird wieder zu Staub. Wer weiss, ob der Atem des Menschen aufwärts fahre und der Atem des Tieres unterwärts unter die Erde fahre?" (3, 19-21).


Sieh´an, die ach so aufgeklärt-fortschrittlichen Protestanten…! :^^:
(Praktisch die gleichen Worte kenne ich aus dem ersten Stück der Vier ernsten Gesänge von Brahms, op. 121:
http://www.youtube.com/watch?v=Bz5pCUhn7JQ)

darwin upheaval hat geschrieben:Nach Aussage des Theologen beruhe die evangelische Theologie überwiegend auf diesem ganzheitlichen biblischen Menschenbild und lehne ein zwei- oder dreiteiliges Menschenbild nach griechisch-platonischem Vorbild ab. Eine substantielle Unsterblichkeit gibt es dann nicht, das ewige Leben mit Gott kann nur als Neuschöpfung im Jenseits verstanden werden. Von daher müsse man auch keine übernatürliche Einpflanzung einer Seele in den Menschen fordern.


Geht es um den Glauben an unsterbliche Seelen oder den Glauben an Seelen überhaupt?
Das mit der "Neuschöpfung im Jenseits" ist natürlich, gelinde gesagt, auch eine sehr fragwürdige Geschichte.
Was genau ist damit überhaupt gemeint? Was für ein Jenseits? Welche Neuschöpfung von was?
Könntest du da noch mal nachfragen?

darwin upheaval hat geschrieben:Gleichwohl dürften viele evangelische Christen immer noch die klassische Seelenvorstellung vertreten. Aber gepredigt werde in den evangelischen Kirchen anders.


Aha. :/
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon darwin upheaval » Di 1. Jun 2010, 23:27

Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Trotzdem distanzieren sich die Christen, die diesen Satz gebrauchen und die ich darauf angesprochen habe, vom Interventionalismus. Ihre Begründungen haben mich bislang allerdings nicht sonderlich überzeugt. Letzten Endes läuft das auf ein "Wasch mir den Pelz aber mach mich nicht nass" hinaus: Man möchte, dass Gott jedes Ereignis in dieser Welt "moderiert", will aber trotzdem vom ontologischen Prinzip einer natürlichen Veränderung der Welt nicht abrücken.


Die können reden, was sie wollen: Beeinflussung ist Beeinflussung und Eingreifung ist Eingreifung.
Gott ist entweder ein direkter oder indirekter Urheber raumzeitlicher Ereignisse oder eben nicht..


Das meinte ich mit "Wasch mir den Pelz aber mach nicht nicht nass". Ich hoffe, Du weißt, dass ich deren Position nur referiere :^^:

Wie absurd die intellektuellen Verrenkungen auch sind, die Wissenschaft tangieren sie nicht, solange die sich auf den Standpunkt stellen, dass die Ereignisse in dieser unserer Welt durch naturalistische Beschreibungsmittel rekonstruierbar sind. Darauf wollte ich eigentlich hinaus.


Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Die große interpretatorische Freiheit ist natürlich ein Einwand, der die Skepsis nährt. Alle wesentlichen Schlüsselterme des Christentums sind semantisch unbestimmt.


Da fällt mir ein schöner Satz von Charles Peirce ein:

"It is easy to be certain. One has only to be sufficiently vague."

(Collected Papers, 4, #237)


Man kann in Abwandlung eines Ausspruchs von A. Montague auch sagen: Der Wissenschaftler hat Beweise ohne Sicherheit, der Religiöse Sicherheit ohne Beweise. Die Sicherheit ist umso größer, je weniger Beweise vorliegen.


Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Ich habe inzwischen einen evangelischen Theologen gefragt wie er es mit dem Seelenkreationismus hält. Seine Antwort war klar ablehnend. Der Gedanke an die unsterbliche Substanz namens "Seele" wird als überkommene Lehre der Antike angesehen, die in der späten Weisheitsschrift des Predigers Ecclesiastes klar zurück gewiesen werde: "Denn es geht dem Menschen wie dem Tier, wie es stirbt, so stirbt er auch, und es hat alles einerlei Atem, und der Mensch hat nichts mehr als das Tier, denn es ist alles nichtig. Es fährt alles an einen Ort, denn es ist alles aus Staub gemacht und wird wieder zu Staub. Wer weiss, ob der Atem des Menschen aufwärts fahre und der Atem des Tieres unterwärts unter die Erde fahre?" (3, 19-21).


Sieh´an, die ach so aufgeklärt-fortschrittlichen Protestanten…! :^^:
(Praktisch die gleichen Worte kenne ich aus dem ersten Stück der Vier ernsten Gesänge von Brahms, op. 121:
http://www.youtube.com/watch?v=Bz5pCUhn7JQ)


Immerhin, um Größenordnungen aufgeklärter als die Kreationisten! Bei denen beißt man sich schon die Zähne an der Frage aus, wie alt die Erde sei oder wie evident der Satz ist, dass es eine Makroevolution gibt. Dagegen ist das bisschen Unaufgeklärtheit der liberalen Theologen geradezu eine Wohltat.

Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Nach Aussage des Theologen beruhe die evangelische Theologie überwiegend auf diesem ganzheitlichen biblischen Menschenbild und lehne ein zwei- oder dreiteiliges Menschenbild nach griechisch-platonischem Vorbild ab. Eine substantielle Unsterblichkeit gibt es dann nicht, das ewige Leben mit Gott kann nur als Neuschöpfung im Jenseits verstanden werden. Von daher müsse man auch keine übernatürliche Einpflanzung einer Seele in den Menschen fordern.


Geht es um den Glauben an unsterbliche Seelen oder den Glauben an Seelen überhaupt?


Es geht um den Glauben an die autonome Existenz von Seelen. Im Gegensatz zur katholischen Glaubenslehre fordert die evangelische Theologie derartiges offenbar nicht.

Myron hat geschrieben:Das mit der "Neuschöpfung im Jenseits" ist natürlich, gelinde gesagt, auch eine sehr fragwürdige Geschichte.


Natürlich.

Myron hat geschrieben:Was genau ist damit überhaupt gemeint? Was für ein Jenseits? Welche Neuschöpfung von was?
Könntest du da noch mal nachfragen?


Die Antwort kannst Du Dir sicher denken: Was Gott außerhalb unserer Wirklichkeit zu tun vermag, ist ein Mysterium ;-)

Was den anderen Thread anbelangt, muss ich Dich ein paar Tage mit der Antwort vertrösten. Bin ein paar Tage offline, und jetzt muss ich ins Bett. Im Moment nur so viel:

Myron hat geschrieben:Man muss doch wahrlich kein akademisch ausgebildeter Philosoph oder Logiker sein, um die Widersinnigkeit von Sätzen der folgenden Form zu erkennen:

"Obwohl die Aussage A falsch ist, wissen einige Leute, dass A wahr ist."


Stimmt, das muss man wahrlich nicht. Aber der logische Widerspruch, den Du mir anhängen willst, betrifft mich nicht, weil Du m.E. von falschen Voraussetzungen ausgehst. [Nachtrag 0:48 Uhr: Ersetze in dem von Dir gewählten Beispiel einfach "Wissen" durch "Perzeption", so wie Mahner/Bunge den Begriff definieren, dann löst sich der Widerspruch auf. ("Obwohl in der Wahrnehmung einiger Menschen die Aussage A falsch ist, nehmen einige Leute A als richtig wahr.")]

Wie gesagt, niemand behauptet, dass A zugleich wahr und falsch sein könne. Entweder x existiert oder es existiert x nicht. Aber "Wissen" impliziert weder notwendigerweise die Wahrheit von Sätzen, noch die Existenz des Gewussten, weil Existenz einer ontologischen Kategorie angehört, Wissen dagegen einer epistemischen. "Wissen" lässt sich reduzieren auf Gehirnprozesse, und diese sind sozusagen nur "Hypothesen" der Wirklichkeit, aber keine Spiegelbilder des Seins. Wenn Hypothesen nicht beweisbar sind, dann lässt sich auch nicht beweisen, dass die Aussage A falsch und die Aussage Nicht-A wahr sei. Das Wissen, dass A falsch ist, lässt sich höchstens begründen gegenüber dem unbegründeten Wissen, dass A wahr sei. Somit gibt es streng genommen keine formallogisch beweisbare Wahrheiten, sondern nur verschiedene Standpunkte oder Versionen. (Man könnte auch sagen: A erkennt x als y, und B erkennt x möglicherweise als z. Und damit variiert, je nach "Interpretationsleistung" des Gehirns, das Wissen.)

Letztlich kann man nur eines konstatieren: dass Wissen begründet ist oder nicht. Ist Wissen begründet, dann handelt es sich um objektives Wissen. Wenn nicht, dann ist es (beliebiger) Glaube. Und selbstverständlich repräsentiert auch Newtons Theorie, die partiell falsch ist, ein Stück (zeitkernig gültiges) Wissen. Ich behaupte, faktisches (sich auf die Erfahrungswelt beziehendes) Wissen ist immer unvollständig und daher notwendigerweise partiell falsch. Wenn ich einen Stuhl anfasse oder ihn über den Schädel gezogen bekomme, dann weiß ich, dass der Stuhl undurchdringbar ist, auch wenn das (Konrad Röntgen sei Dank) nur "die halbe Wahrheit" ist. Die binäre Logik "Null oder Eins" (wahr oder falsch) taugt nicht zur Beschreibung der Welt, Du benötigst eine differenziertere Logik.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » Mi 2. Jun 2010, 04:28

darwin upheaval hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Gott verursacht ein Ereignis B nicht direkt, sondern indirekt, indem er ein anderes Ereignis A direkt verursacht, welches dann wiederum B direkt verursacht: G –> A –> B anstatt G –> B

Richtig. Einige Christen meinen, Gott verstecke sich im Zufall. Andere wiederum meinen, die Art der Zweitursache sei ein Mysterium, für das man in dieser unserer Welt keine Begriffe findet. Auch eine Art, das Problem zu kaschieren.


Ein herrlicher, sprachgewaltiger Ausschnitt aus Feuerbachs Das Wesen des Christentums, Kapitel XX, der das das Spannungsverhältnis von natürlichem und göttlichem Wirken betreffende Grundproblem der Theologen aufzeigt:

"Die Religion wird überhaupt aufgehoben, wo sich zwischen Gott und den Menschen die Vorstellung der Welt, der sogenannten Mittelursachen einschleicht. Hier hat sich schon ein fremdes Wesen, das Prinzip der Verstandesbildung eingeschlichen – gebrochen ist der Friede, die Harmonie der Religion, welche nur im unmittelbaren Zusammenhang des Menschen mit Gott liegt. Die Mittelursache ist eine Kapitulation des ungläubigen Verstandes mit dem noch gläubigen Herzen. Der Religion zufolge wirkt allerdings auch Gott vermittelst anderer Dinge und Wesen auf den Menschen. Aber Gott ist doch allein die Ursache, allein das handelnde und wirksame Wesen. Was dir der andere tut, das tut dir im Sinne der Religion nicht der andere, sondern Gott. Der andere ist nur Schein, Mittel, Vehikel, nicht Ursache. Aber die Mittelursache ist ein unseliges Mittelding zwischen einem selbständigen und unselbständigen Wesen: Gott gibt wohl den ersten Anstoß; aber dann tritt ihre Selbsttätigkeit ein.

Die Religion weiß überhaupt aus sich selbst nichts von dem Dasein der Mittelursachen; dieses ist ihr vielmehr der Stein des Anstoßes, denn das Reich der Mittelursachen, die Sinnenwelt, die Natur ist es gerade, welche den Menschen von Gott trennt, obgleich Gott als wirklicher Gott selbst wieder ein sinnliches Wesen ist.Darum glaubt die Religion, daß einst diese Scheidewand fällt. Einst ist keine Natur, keine Materie, kein Leib, wenigstens kein solcher, der den Menschen von Gott trennt: einst ist nur Gott und die fromme Seele allein. Die Religion hat nur aus der sinnlichen, natürlichen, also un– oder wenigstens nichtreligiösen Anschauung Kunde vom Dasein der Mittelursachen, d.h. der Dinge, die zwischen Gott und dem Menschen sind – eine Anschauung, die sie jedoch dadurch sogleich niederschlägt, daß sie die Wirkungen der Natur zu Wirkungen Gottes macht. Dieser religiösen Idee widerspricht aber der natürliche Verstand und Sinn, welcher den natürlichen Dingen wirkliche Selbsttätigkeit einräumt. Und diesen Widerspruch der sinnlichen mit ihrer, der religiösen Anschauung löst die Religion eben dadurch, daß sie die unleugbare Wirksamkeit der Dinge zu einer Wirksamkeit Gottes vermittelst dieser Dinge macht. Das Wesen, die Hauptsache ist hier Gott, das Unwesen, die Nebensache die Welt.

Dagegen da, wo die Mittelursachen in Aktivität gesetzt, sozusagen emanzipiert werden, da ist der umgekehrte Fall – die Natur das Wesen, Gott das Unwesen. Die Welt ist selbständig in ihrem Sein, ihrem Bestehen; nur ihrem Anfang nach noch abhängig. Gott ist hier nur ein hypothetisches, abgeleitetes, aus der Not eines beschränkten Verstandes, dem das Dasein der von ihm zu einer Maschine gemachten Welt ohne ein selbstbewegendes Prinzip unerklärlich ist, entsprungnes, kein ursprüngliches, absolut notwendiges Wesen mehr. Gott ist nicht um seinetwillen, sondern um der Welt willen da, nur darum da, um als die erste Ursache die Weltmaschine zu erklären. Der beschränkte Verstandesmensch nimmt einen Anstoß an dem ursprünglich selbständigen Dasein der Welt, weil er sie nur vom subjektiv praktischen Standpunkt aus, nur in ihrer Gemeinheit, nur als Werkmaschine, nicht in ihrer Majestät und Herrlichkeit, nicht als Kosmos ansieht. Er stößt also seinen Kopf an der Welt an. Der Stoß erschüttert sein Gehirn – und in dieser Erschütterung vergegenständlicht er denn außer sich den eignen Anstoß als den Urstoß, der die Welt ins Dasein geschleudert, daß sie nun, wie die durch den mathematischen Stoß in Bewegung gesetzte Materie, ewig fortgeht, d.h., er denkt sich einen mechanischen Ursprung. Eine Maschine muß einen Anfang haben; es liegt dies in ihrem Begriffe; denn sie hat den Grund der Bewegung nicht in sich.

Alle religiös-spekulative Kosmogonie ist Tautologie – dies sehen wir auch an diesem Beispiel. In der Kosmogonie erklärt sich oder verwirklicht nur der Mensch den Begriff, den er von der Welt hat, sagt er dasselbe, was er außerdem von ihr aussagt. So hier: Ist die Welt eine Maschine, so versteht es sich von selbst, daß sie »sich nicht selbst gemacht« hat, daß sie vielmehr gemacht ist, d.h. einen mechanischen Ursprung hat. Hierin stimmt allerdings das religiöse Bewußtsein mit dem mechanischen überein, daß ihm auch die Welt ein bloßes Machwerk, ein Produkt des Willens ist. Aber sie stimmen nur einen Augenblick, nur im Moment des Machens oder Schaffens miteinander überein – ist dieses schöpferische Nu verschwunden, so ist auch die Harmonie vorüber. Der Mechanikus braucht Gott nur zum Machen der Welt; ist sie gemacht, so kehrt sie sogleich dem lieben Gott den Rücken und freut sich von Herzen ihrer gottlosen Selbständigkeit. Aber die Religion macht die Welt, nur um sie immer im Bewußtsein ihrer Nichtigkeit, ihrer Abhängigkeit von Gott zu erhalten. Die Schöpfung ist bei dem Mechaniker der letzte dünne Faden, an dem die Religion mit ihm noch zusammenhängt; die Religion, welcher die Nichtigkeit der Welt eine gegenwärtige Wahrheit ist (denn alle Kraft und Tätigkeit ist ihr Gottes Kraft und Tätigkeit), ist bei ihm nur noch eine Reminiszenz aus der Jugend; er verlegt daher die Schöpfung der Welt, den Akt der Religion, das Nichtsein der Welt – denn im Anfange, vor der Erschaffung war keine Welt, war nur Gott allein – in die Ferne, in die Vergangenheit, während die Selbständigkeit der Welt, die all sein Sinnen und Trachten verschlingt, mit der Macht der Gegenwart auf ihn wirkt. Der Mechaniker unterbricht und verkürzt die Tätigkeit Gottes durch die Tätigkeit der Welt. Gott hat bei ihm wohl noch ein historisches Recht, das aber seinem Naturrecht widerspricht, er beschränkt daher soviel als möglich dieses Gott noch zustehende Recht, um für seine natürlichen Ursachen und damit für seinen Verstand um so großem und freiem Spielraum zu gewinnen.

Es hat mit der Schöpfung im Sinne des Mechanikers dieselbe Bewandtnis wie mit den Wundern, die er sich auch gefallen lassen kann und wirklich gefallen läßt, weil sie einmal existieren, wenigstens in der religiösen Meinung. Aber – abgesehen davon, daß er sich die Wunder natürlich, d.h. mechanisch erklärt – er kann die Wunder nur verdauen, wenn und indem er sie in die Vergangenheit verlegt; für die Gegenwart aber bittet er sich alles hübsch natürlich aus. Wenn man etwas aus der Vernunft, aus dem Sinne verloren, etwas nicht mehr glaubt aus freien Stücken, sondern nur glaubt, weil es geglaubt wird oder aus irgendei nem Grunde geglaubt werden muß, kurz, wenn ein Glaube ein innerlich vergangner ist, so verlegt man auch äußerlich den Gegenstand des Glaubens in die Vergangenheit. Dadurch macht sich der Unglaube Luft, aber läßt zugleich noch dem Glauben ein, wenigstens historisches, Recht. Die Vergangenheit ist hier das glückliche Auskunftsmittel zwischen Glaube und Unglaube: ich glaube allerdings Wunder, aber nota bene keine Wunder, die geschehen, sondern einst geschehen sind, die gottlob! bereits lauter Plusquamperfecta sind. So auch hier. Die Schöpfung ist eine unmittelbare Handlung oder Wirkung Gottes, ein Wunder, denn es war ja noch nichts außer Gott. In der Vorstellung der Schöpfung geht der Mensch über die Welt hinaus, abstrahiert von ihr; er stellt sie sich im Momente der Erschaffung vor als nichtseiend; er wischt sich also aus den Augen, was zwischen ihm und Gott in der Mitte steht, die Sinnenwelt; er setzt sich in unmittelbare Berührung mit Gott. Aber der Mechaniker scheut diesen unmittelbaren Kontakt mit der Gottheit; er macht daher das Präsens, wenn er sich anders so hoch versteigt, sogleich zu einem Perfektum; er schiebt Jahrtausende zwischen seine natürliche oder materialistische Anschauung und zwischen den Gedanken einer unmittelbaren Wirkung Gottes ein.

Im Sinne der Religion dagegen ist Gott allein die Ursache aller positiven, guten Wirkungen, Gott allein der letzte, aber auch einzige Grund, womit sie alle Fragen, welche die Theorie oder Vernunft aufwirft, beantwortet oder vielmehr abweist; denn die Religion bejaht alle Fragen mit Nein: sie gibt eine Antwort, die ebensoviel sagt wie keine, indem sie die verschiedensten Fragen immer mit der nämlichen Antwort erledigt, alle Wirkungen der Natur zu unmittelbaren Wirkungen Gottes, zu Wirkungen eines absichtlichen, persönlichen, außer- oder übernatürlichen Wesens macht. Gott ist der den Mangel der Theorie ersetzende Begriff. Er ist die Erklärung des Unerklärlichen, die nichts erklärt, weil sie alles ohne Unterschied erklären soll – er ist die Nacht der Theorie, die aber dadurch alles dem Gemüte klar macht, daß in ihr das Maß der Finsternis, das unterscheidende Verstandeslicht ausgeht –, das Nichtwissen, das alle Zweifel löst, weil es alle niederschlägt, alles weiß, weil es nichts Bestimmtes weiß, weil alle Dinge, die der Vernunft imponieren, vor der Religion verschwinden, ihre Individualität verlieren, im Auge der göttlichen Macht nichts sind. Die Nacht ist die Mutter der Religion."


WOW! =)
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon El Schwalmo » Mi 2. Jun 2010, 14:59

darwin upheaval hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:wobei man noch definieren sollte, was 'Wissenschaftsrevisionismus' bedeuten soll. Google und einschlägige Fachbücher lassen mich hier ein wenig im Stich.

Dem kann doch abgeholfen werden:

http://de.wikipedia.org/wiki/Revisionismus

ich habe an einer seeeehr linken Uni studiert und Rotzer gegen [M|H]SB-ler hautnah mitbekommen. Du kannst davon ausgehen, dass mir der Begriff 'Revisionismus' wohl vertraut ist. Leider habe ich Dummerchen nach 'Wissenschaftsrevisionismus' gegoogelt. Dieser Begriff scheint nicht üblich zu sein.

darwin upheaval hat geschrieben:Oder wenn Du es konkreter haben willst:

http://ag-evolutionsbiologie.de/app/dow ... ugner.html

Genauer: Wenn ich eine der ganz wenige Quellen lesen möchte, in denen dieser Begriff verwendet wird ...
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon El Schwalmo » Mi 2. Jun 2010, 15:09

Ich war ein paar Tage OffLine und warte daher noch ein wenig ab, bis ich zum Thema Wahrheit etc. etwas beitrage. Wenn ich mich richtig erinnere, haben Myron, andere und ich dieses Thema hier schon länglich behandelt. Damals ging es aber eher um Agnostizismus.

Meine Einschätzung hinsichtlich der liberalen 'Christen' hat sich aber bestätigt. Wenn man die Eingriffe eines Gottes auf Urknaller und nachtodlich Neubastler, der sich zeitlebens hinsichtlich des seelenlosen Menschen zurückhält, beschränkt (okay, da soll dann noch einer auferstanden sein, aber das ist eine Petitesse, die weiter niemanden stört), macht so ein Gott hinieden keinen Unterschied zu keinem Gott. Ich kann nicht verstehen, dass Menschen in so einem Weltbild einen Halt finden, aber ich gönne es ihnen.

Ich kann aber sehr gut verstehen, dass Menschen, die sich 'Christen' nennen und das für wahr halten, was in den üblichen Glaubensbekenntnissen dahergesagt wird, solchen 'Theologen' unter die Nase reiben, dass das bestenfalls 'Christentum light' ist. Wobei das noch seeehr euphemistisch ausgedrückt ist.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » Mi 2. Jun 2010, 20:39

darwin upheaval hat geschrieben:…Dagegen ist das bisschen Unaufgeklärtheit der liberalen Theologen geradezu eine Wohltat.


Gut, ihren verbliebenen theistischen "Spleen" könnte man ihnen eventuell nachsehen. :winkgrin2:

darwin upheaval hat geschrieben:Es geht um den Glauben an die autonome Existenz von Seelen. Im Gegensatz zur katholischen Glaubenslehre fordert die evangelische Theologie derartiges offenbar nicht.


Nichtautonome, d.i. abhängige Existenz ist nicht dasselbe wie Nichtexistenz.
Man muss bei den Theologen immer ganz genau nachfragen.
Denn entscheidend ist die Aussage, dass es keine menschlichen oder tierischen Seelen oder Geister als immaterielle Substanzen gibt – weder abhängige noch unabhängige. Mich interessiert vor allem, ob sie diese ausdrücklich, ehrlich und vorbehaltlos bejahen.

darwin upheaval hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Das mit der "Neuschöpfung im Jenseits" ist natürlich, gelinde gesagt, auch eine sehr fragwürdige Geschichte.
Natürlich.


Ein Zitat (allerdings von einem Katholiken):

"'Auferstehung' meint nicht den Vorgang der Wiederbelebung eines Leichnams, sondern die bleibende Rettung des ganzen Menschen über den Tod hinaus in der Gemeinschaft Gottes und damit jenseits der Welt. Auferstehung kann deshalb als so etwas wie ein Akt der Neuschöpfung angesehen werden. Diese Neuschöpfung ist allerdings nicht als eine Schöpfung aus dem Nichts zu verstehen, insofern Gott in dieser Neuschöpfung anknüpft an der gewordenen Identität des Menschen. So wie die Auferstehung des einzelnen Menschen also ein Akt rettend-verwandelnder Neuschöpfung ist, der an der konkreten Personalität des Menschen anknüpft und diese verwandelt, so ist auch das eschatologische Geschehen am Ende aller Tage als Neuschöpfung der Schöpfung insgesamt zu verstehen. Auch dieses eschatologische Geschehen ist als Transformation der Welt aufzufassen und knüpft also an deren gewachsene Struktur an."

(von Stosch, Klaus. Einführung in die systematische Theologie. 2. Aufl. Paderborn: Schöningh (UTB), 2009. S. 168)

Noch Fragen…? :schiefguck:

darwin upheaval hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Man muss doch wahrlich kein akademisch ausgebildeter Philosoph oder Logiker sein, um die Widersinnigkeit von Sätzen der folgenden Form zu erkennen:
"Obwohl die Aussage A falsch ist, wissen einige Leute, dass A wahr ist."

Stimmt, das muss man wahrlich nicht. Aber der logische Widerspruch, den Du mir anhängen willst, betrifft mich nicht, weil Du m.E. von falschen Voraussetzungen ausgehst.


Ich sehe vielmehr darin einen Widerspruch, dass du nun hier (indirekt) zugibst, dass man nur dann wissen kann, dass p (wahr ist), wenn p wahr ist. Doch genau das hast du bislang energisch bestritten.

darwin upheaval hat geschrieben:Ersetze in dem von Dir gewählten Beispiel einfach "Wissen" durch "Perzeption", so wie Mahner/Bunge den Begriff definieren, dann löst sich der Widerspruch auf. ("Obwohl in der Wahrnehmung einiger Menschen die Aussage A falsch ist, nehmen einige Leute A als richtig wahr.")


Das lese ich wie folgt:

"Obwohl einige Leute glauben, dass die Aussage A falsch ist, glauben einige andere Leute richtigerweise, dass sie wahr ist."

An diesem Satz ist nichts widersinnig.

darwin upheaval hat geschrieben:Wie gesagt, niemand behauptet, dass A zugleich wahr und falsch sein könne.


Um das logische Nichtwiderspruchsgesetz geht es hier ja auch gar nicht. Das steht außer Frage (ungeachtet dessen, dass Graham Priest es mit seinem Dialethismus de facto infrage stellt.)

darwin upheaval hat geschrieben:Aber "Wissen" impliziert weder notwendigerweise die Wahrheit von Sätzen, noch die Existenz des Gewussten, weil Existenz einer ontologischen Kategorie angehört, Wissen dagegen einer epistemischen. "Wissen" lässt sich reduzieren auf Gehirnprozesse, und diese sind sozusagen nur "Hypothesen" der Wirklichkeit, aber keine Spiegelbilder des Seins.


Hm…, zunächst noch einmal die Anmerkung, dass ich mich hier nur auf Wissen-dass, d.h. auf Aussagen- bzw. Tatsachenwissen beziehe.
Wissen ist ein intentionaler Geisteszustand (= geistiger Gehirnzustand), d.h. ein Geisteszustand mit einem repräsentationalen Inhalt. Im Englischen nennt man diese Zustände auch propositional attitudes, womit eine geistige Einstellung zu einer Aussage oder einem Sachverhalt gemeint ist. Glauben ist eine solche Geisteshaltung, die darin besteht, dass man das Wahrsein einer Aussage oder das Wirklichsein eines Sachverhaltes bejaht. Und die Wahrheit eines wahren Glaubens leitet sich von der Wahrheit der geglaubten Aussage beziehungsweise von der Tatsächlichkeit des geglaubten Sachverhaltes ab.
Und da – ich betone es zum x-ten Mal – ein Glaube nur dann Wissen sein kann, wenn er wahr ist, impliziert er sehr wohl die Wahrheit von Sätzen beziehungsweise die Wirklichkeit von Sachverhalten.
Wenn es keine Tatsachen als wahre Aussagen oder als wirkliche Sachverhalte gäbe, dann gäbe es logischerweise auch kein Tatsachenwissen.

darwin upheaval hat geschrieben:Letztlich kann man nur eines konstatieren: dass Wissen begründet ist oder nicht. Ist Wissen begründet, dann handelt es sich um objektives Wissen. Wenn nicht, dann ist es (beliebiger) Glaube.


Wissen ist nie ein beliebiger Glaube, sondern ein Glaube, der (i) wahr ist und (ii) (objektiv) begründet/begründbar oder gerechtfertigt/rechtfertigbar ist.
Natürlich kann ein Wissenschaftler nur mithilfe seiner Beweise für einen Glauben (eine Hypothese) feststellen, ob dieser wahr ist oder nicht. Jedes Beweisstück steigert die Wahrscheinlichkeit des Glaubens, aber in den Erfahrungswissenschaften wird diese nie gleich 1 in dem Sinne, dass es absolut sicher ist, dass der Glaube wahr ist. Unumstößliche logische Gewissheit ist ein unerreichbares Ideal in den Erfahrungswissenschaften. Dennoch darf der Wissensbegriff durchaus darin gebraucht werden.
Ich denke allerdings, dass wir im Hinblick auf diesen zwischen logischen Wahrheitsbedingungen und pragmatischen Behauptungsbedingungen unterscheiden sollten:

1. Unter welchen Bedingungen weiß man, dass A?
2. Unter welchen Bedingungen darf man mit Recht behaupten zu wissen, dass A?

In den Wissenschaften darf ein Wissensanspruch erhoben, d.h. ein Glaube als Wissen "verkauft" (gelehrt) werden, wenn eine bestimmte Menge an guten Gründen (Beweisen) vorliegt, die für dessen Wahrheit sprechen.
Es kann aber durchaus sein, dass ein wissenschaftlich bestens begründeter Glaube, dem der Status von Wissen zugebilligt wird, nur ein Scheinwissen ist, was genau dann der Fall ist, wenn er trotz aller Wahrscheinlichkeit doch nicht wahr ist.
Ein noch so gut begründeter, gerechtfertigter Glaube bleibt eben bloßes Scheinwissen, wenn er nicht de facto wahr ist – und zwar unabhängig davon, ob es uns jemals gelingt, für echtes Wissen gehaltenes Scheinwissen als solches zu durchschauen.

darwin upheaval hat geschrieben:Die binäre Logik "Null oder Eins" (wahr oder falsch) taugt nicht zur Beschreibung der Welt, Du benötigst eine differenziertere Logik.


Man kann in der Erkenntnistheorie auch mit dem Begriff der Wahrscheinlichkeit arbeiten:
http://plato.stanford.edu/entries/epistemology-bayesian

Vielleicht kann man auch sinnvoll mit dem umstrittenen Begriff der Wahrheitsähnlichkeit oder Wahrheitsnähe arbeiten:
http://plato.stanford.edu/entries/truthlikeness

Aber wie heißt es so schön: Knapp vorbei ist auch daneben!
Auch eine "wahrheitsnahe" falsche Theorie bleibt eine falsche Theorie, und folglich kann man nicht wissen, dass sie wahr ist.
(Vielleicht könnte man zusätzlich zu "Wissen" und "Scheinwissen" den Begriff "Beinahewissen" einführen.)
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » Mi 2. Jun 2010, 22:30

dMyron hat geschrieben:Ich sehe vielmehr darin einen Widerspruch, dass du nun hier (indirekt) zugibst, dass man nur dann wissen kann, dass p (wahr ist), wenn p wahr ist. Doch genau das hast du bislang energisch bestritten.


KEIN WISSEN OHNE WAHRHEIT, OHNE TATSÄCHLICHKEIT! :klugscheisser:

Noch drei Zitate zu diesem elementaren Punkt, damit wir ihn endlich abhaken können:

"Virtually all theorists agree that true belief is a necessary condition for knowledge[.]"

("Knowledge." In The Oxford Companion to Philosophy, edited by Ted Honderich, 447-448. Oxford: Oxford University Press, 1995. p. 447)

"[O]ne virtually universal presupposition is that knowledge is true belief, but not mere true belief."

("Epistemology." In The Shorter Routledge Encyclopedia of Philosophy, edited by Edward Craig, 224-227. London: Routledge, 2005. p. 224)

"What is not true is not known. When we claim we know something and later discover that it is false, we sometimes say things like 'Well, I certainly believed it'; but we do not seriously maintain that we knew it. One might say 'I just knew it,' but this is usually taken to exhibit an inverted commas use of 'know,' a use in which 'know' stands in for something like 'was certain'. If we seriously insisted we knew it, others would likely conclude that (for instance) we do not really believe that it is false, or perhaps that we are unaware that we are using 'I knew' to mean 'I felt great confidence,' as in 'I just knew I'd win – I still can't really believe I lost'. In cases like the commonsense ones just described, when truth is subtracted from what appears to be knowledge, what remains is not knowledge but belief.
These points suggest that knowledge is at least true belief."


(Audi, Robert. Epistemology: A Contemporary Introduction to the Theory of Knowledge. 2nd ed. London: Routledge, 2003. p. 220)
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon darwin upheaval » Fr 4. Jun 2010, 21:03

Myron hat geschrieben:
dMyron hat geschrieben:Ich sehe vielmehr darin einen Widerspruch, dass du nun hier (indirekt) zugibst, dass man nur dann wissen kann, dass p (wahr ist), wenn p wahr ist. Doch genau das hast du bislang energisch bestritten.


KEIN WISSEN OHNE WAHRHEIT, OHNE TATSÄCHLICHKEIT! :klugscheisser:

Noch drei Zitate zu diesem elementaren Punkt, damit wir ihn endlich abhaken können:

"Virtually all theorists agree that true belief is a necessary condition for knowledge[.]"

("Knowledge." In The Oxford Companion to Philosophy, edited by Ted Honderich, 447-448. Oxford: Oxford University Press, 1995. p. 447)

"[O]ne virtually universal presupposition is that knowledge is true belief, but not mere true belief."

("Epistemology." In The Shorter Routledge Encyclopedia of Philosophy, edited by Edward Craig, 224-227. London: Routledge, 2005. p. 224)

"What is not true is not known. When we claim we know something and later discover that it is false, we sometimes say things like 'Well, I certainly believed it'; but we do not seriously maintain that we knew it. One might say 'I just knew it,' but this is usually taken to exhibit an inverted commas use of 'know,' a use in which 'know' stands in for something like 'was certain'. If we seriously insisted we knew it, others would likely conclude that (for instance) we do not really believe that it is false, or perhaps that we are unaware that we are using 'I knew' to mean 'I felt great confidence,' as in 'I just knew I'd win – I still can't really believe I lost'. In cases like the commonsense ones just described, when truth is subtracted from what appears to be knowledge, what remains is not knowledge but belief.
These points suggest that knowledge is at least true belief."


(Audi, Robert. Epistemology: A Contemporary Introduction to the Theory of Knowledge. 2nd ed. London: Routledge, 2003. p. 220)



Tut mir Leid, aber Deine Zitate überzeugen mich nicht. Das Ausklammern des Wahrheitsbegriffs bei der Defintion von "Wissen" ist ein ganz zentraler Punkt der fallibilistischen Erkenntnistheorie, weil es sonst "hypothetisch-deduktiv erschlossenes Wissen" im Popperschen Sinne nicht geben kann. Dazu muss man sich von der traditionellen Definition des Wissensbegriffs verabschieden, auch wenn dies manchen kontraintuitiv erscheint. Obwohl kontraintuitiv, ist die Bungesche Auffassung in sich konsistent, sie widerspricht eben nur der herkömmlichen Wissens-Definition (im Sinne von sicher Bewiesenem). Ich stimme Mahner zu, wenn er sagt, dass Bunges Analyse der Praxis der Wissenschaften besser gerecht werde als die herkömmliche, weil die wissenschaftliche Praxis eben darin besteht, Wissen zu rekonstruieren, das zu einen späteren Zeitpunkt erweitert, ergänzt, revidiert oder nötigenfalls aufgegeben werden muss.

Das führt dann, um noch einmal Mahner (pers.comm.) zu bemühen, dazu, dass man:

- etwas Wahres wissen kann
- etwas Falsches wissen kann
- einer Aussage zustimmen kann (sie glauben kann), obwohl sie falsch ist
- einer Aussage zustimmen kann, weil sie wahr ist
- nur Aussagen zustimmen (glauben) sollte, deren Wahrheitsgehalt positiv geprüft ist, d.h. die wahr sind
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon darwin upheaval » Fr 4. Jun 2010, 22:25

Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:…Dagegen ist das bisschen Unaufgeklärtheit der liberalen Theologen geradezu eine Wohltat.


Gut, ihren verbliebenen theistischen "Spleen" könnte man ihnen eventuell nachsehen. :winkgrin2:

darwin upheaval hat geschrieben:Es geht um den Glauben an die autonome Existenz von Seelen. Im Gegensatz zur katholischen Glaubenslehre fordert die evangelische Theologie derartiges offenbar nicht.


Nichtautonome, d.i. abhängige Existenz ist nicht dasselbe wie Nichtexistenz.
Man muss bei den Theologen immer ganz genau nachfragen.
Denn entscheidend ist die Aussage, dass es keine menschlichen oder tierischen Seelen oder Geister als immaterielle Substanzen gibt – weder abhängige noch unabhängige. Mich interessiert vor allem, ob sie diese ausdrücklich, ehrlich und vorbehaltlos bejahen.


Na, Seelen existiert ja, dem stimmen selbst Naturalisten zu. Sie existieren in Gestalt kooperativer Hirnphänomene (ohne Hirn keine Seele). Oder anders: Es gibt keine immateriellen Substanzen. So sehen das auch die Evangelen, die ich dazu befragt habe.


Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Das mit der "Neuschöpfung im Jenseits" ist natürlich, gelinde gesagt, auch eine sehr fragwürdige Geschichte.
Natürlich.


Ein Zitat (allerdings von einem Katholiken):

"'Auferstehung' meint nicht den Vorgang der Wiederbelebung eines Leichnams, sondern die bleibende Rettung des ganzen Menschen über den Tod hinaus in der Gemeinschaft Gottes und damit jenseits der Welt. Auferstehung kann deshalb als so etwas wie ein Akt der Neuschöpfung angesehen werden. Diese Neuschöpfung ist allerdings nicht als eine Schöpfung aus dem Nichts zu verstehen, insofern Gott in dieser Neuschöpfung anknüpft an der gewordenen Identität des Menschen. So wie die Auferstehung des einzelnen Menschen also ein Akt rettend-verwandelnder Neuschöpfung ist, der an der konkreten Personalität des Menschen anknüpft und diese verwandelt, so ist auch das eschatologische Geschehen am Ende aller Tage als Neuschöpfung der Schöpfung insgesamt zu verstehen. Auch dieses eschatologische Geschehen ist als Transformation der Welt aufzufassen und knüpft also an deren gewachsene Struktur an."

(von Stosch, Klaus. Einführung in die systematische Theologie. 2. Aufl. Paderborn: Schöningh (UTB), 2009. S. 168)

Noch Fragen…? :schiefguck:


Nun, wenn Dir "bleibende Rettung in der Gemeinschaft Gottes" zu kryptisch ist, kannst Du auch von "Selbstmitteilung Gottes", von "Selbsttranszendenz der Schöpfung durch den Geist Gottes" oder von "Kreativ werden lassen durch Hingabe" sprechen. Oder um es in einem Satz zu sagen: "Gott ist ständig ganz verschenkt". Was zum Teufel ist Dir denn daran unklar? :santagrin:
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon El Schwalmo » Fr 4. Jun 2010, 22:37

darwin upheaval hat geschrieben:Na, Seelen existiert ja, dem stimmen selbst Naturalisten zu.

hier hast Du das selbe Problem wie mit 'Wissen'. Ist eine reine Definitionssache. Das, was Mahner unter 'Wissen' versteht, ist nicht das, was die Philosophen, auf die sich Myron bezieht (das sind vermutlich keine, die nach Deiner Definition 'akademische Philosophen' sind), darunter verstehen.

'Seele' als Emergenz ist mit Sicherheit nicht das, was ein Christ unter 'Seele' versteht. Wobei wir wieder beim 'wahren Schotten' wären: Sind die Evangelen, die Du kennst, überhaupt noch Christen (tm)?
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » Sa 5. Jun 2010, 01:04

darwin upheaval hat geschrieben:Tut mir Leid, aber Deine Zitate überzeugen mich nicht. Das Ausklammern des Wahrheitsbegriffs bei der Defintion von "Wissen" ist ein ganz zentraler Punkt der fallibilistischen Erkenntnistheorie, weil es sonst "hypothetisch-deduktiv erschlossenes Wissen" im Popperschen Sinne nicht geben kann.


Ich fürchte, du fasst den Fallibilismus falsch auf.
Die Fallibilisten sagen nicht, dass man auch dann wissen kann, dass p, wenn p falsch ist, sondern dass man auch dann wissen kann, dass p, wenn die Beweise für p dessen Wahrheit nicht 100%ig, d.h. nicht mit logischer Notwendigkeit gewährleisten.

"Assuming that knowledge requires justified belief, fallbilism about knowledge can be formulated as follows:

For some P, it is possible for one to know that P even if one could have exactly the same justification for believing P when P is false.

This thesis is sometimes formulated in terms of the notion of evidence:

For some P, it is possible for one to know that P even if one's evidence for P does not necessitate or entail the truth of P."

(p. 370)

"The fallbilist view is that one can know the truth of a proposition on the basis of grounds that do not necessitate its truth. …
Fallibilism licenses one to assert 'I know that p' when one's epistemic position regarding p does not entail or necessitate p's truth."

(p. 372)

Da steht nicht:
"Fallibilism licenses one to assert 'I know that p' when p is false."

"The slogan 'If you know p, then you can't be wrong' has been taken to raise particular problems for fallibilism. However, this slogan is susceptible to multiple interpretations. If we interpret it as 'Necessarily, if one knows that p, then p is true', then it simply states that knowledge requires truth, which fallibilism does not deny. [my emph.] If we interpret it as asserting that when one knows that p there is a tight causal, nomological, or counterfactual connection between one's belief state and the truth, then fallibilism need not deny it. If we interpret it as asserting that whenever one knows that p there must be something about one's belief state that entails or necessitates the truth of one's belief, then of course fallibilism denies it. But, so interpreted, the slogan is hardly a truism."
(p. 372)

("Fallibilism." In A Companion to Epistemology, edited by Jonathan Dancy, Ernest Sosa, and Matthias Steup, 2nd ed., 370-375. Malden, MA: Wiley-Blackwell, 2010.)

darwin upheaval hat geschrieben:Dazu muss man sich von der traditionellen Definition des Wissensbegriffs verabschieden, auch wenn dies manchen kontraintuitiv erscheint.


Der Fallibilismus verabschiedet sich aber gar nicht von der Auffassung von Wissen als wahrem und gerechtfertigtem Glauben. (Die diffizile Problematik mit den Gettier-Fällen lasse ich hier mal außer Betracht.)
Er verneint lediglich, dass die einen Glauben rechtfertigenden Gründe dessen Wahrheit logisch implizieren müssen, damit er als Wissen gelten darf.
Er verneint also, dass man nur dann wissen kann, dass p, wenn P(p/E) = 1, d.h. wenn die Wahrscheinlichkeit von p unter der Bedingung E (= evidence) gleich 1 ist.
Damit bejaht er wiederum, dass <>(Kp & P(p/E) < 1), d.h. dass es auch dann möglich ist zu wissen, dass p, wenn die Wahrscheinlichkeit von p unter der Bedingung E kleiner als 1 ist.
Das bedeutet allerdings, dass das "fehlbare Wissen" der Fallibilisten eines ist, das möglicherweise gar kein echtes Wissen, sondern nur Scheinwissen ist.
Hier fragt sich der Infallibilist:
Wie kann ich wissen, dass p, wenn ich nicht weiß, ob ich weiß, dass p?

darwin upheaval hat geschrieben:Das führt dann, um noch einmal Mahner (pers.comm.) zu bemühen, dazu, dass man:
(i)- etwas Wahres wissen kann
(ii)- etwas Falsches wissen kann
(iii)- einer Aussage zustimmen kann (sie glauben kann), obwohl sie falsch ist
(iv)- einer Aussage zustimmen kann, weil sie wahr ist
(v)- nur Aussagen zustimmen (glauben) sollte, deren Wahrheitsgehalt positiv geprüft ist, d.h. die wahr sind


ad (i): Ja.
ad (ii): Nein.
ad (iii): Ja.
ad (iv) + (v): ?
Heißt das:
"Man soll glauben, was man weiß" ?
"Man soll nicht glauben, was man nicht weiß" ?


P.S.:

"Almost all epistemologists will adopt this generic conception of [fallible knowledge]:

Any instance of fallible knowledge is a true belief which is at least fallibly (and less than infallibly) justified.

…Nonetheless, generic though it is, the question still arises of whether the Fallible Knowledge Thesis is ever satisfiable, let alone actually satisfied. And that question readily leads into this more specific one: Can a true belief ever be knowledge without having its truth entailed by the justification which is contributing to making the belief knowledge?"


[We need] "to distinguish between two significantly different kinds of question. The first asks whether a particular belief, given the justification supporting it, is true (and thereby fallible knowledge). The other question asks whether, given that belief’s being true, there is enough supporting justification in order for it to be (fallible) knowledge. The former question is raised from 'within' a particular inquiry into the truth of a particular belief. The latter question arises from 'outside' that inquiry into that belief’s being true (even if this question is arising within another inquiry, perhaps an epistemological one)."

(http://www.iep.utm.edu/fallibil/#H9)
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » Sa 5. Jun 2010, 01:32

darwin upheaval hat geschrieben:Na, Seelen existiert ja, dem stimmen selbst Naturalisten zu. Sie existieren in Gestalt kooperativer Hirnphänomene (ohne Hirn keine Seele). Oder anders: Es gibt keine immateriellen Substanzen. So sehen das auch die Evangelen, die ich dazu befragt habe.


Solange unter einer "Seele" nichts weiter als eine bestimmte, von Leibern besessene Menge seelischer Eigenschaften oder Fähigkeiten verstanden wird, hat der Naturalist nichts einzuwenden. Aber üblicherweise wird darunter eher der unleibliche Träger seelischer Eigenschaften im Sinne einer immateriellen Substanz verstanden, die neben dem Leib als materiellen Substanz existiert.

darwin upheaval hat geschrieben:
Nun, wenn Dir "bleibende Rettung in der Gemeinschaft Gottes" zu kryptisch ist, kannst Du auch von "Selbstmitteilung Gottes", von "Selbsttranszendenz der Schöpfung durch den Geist Gottes" oder von "Kreativ werden lassen durch Hingabe" sprechen. Oder um es in einem Satz zu sagen: "Gott ist ständig ganz verschenkt". Was zum Teufel ist Dir denn daran unklar?


Ich habe beispielsweise mal Karl Barths Einführung in die evangelische Theologie gelesen und versucht, sie zu verstehen. – Ich bin gescheitert. Obwohl ich sie gelesen habe, ist sie für mich unlesbar. :skeptisch:
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » Sa 5. Jun 2010, 04:06

darwin upheaval hat geschrieben:Das Ausklammern des Wahrheitsbegriffs bei der Defintion von "Wissen" ist ein ganz zentraler Punkt der fallibilistischen Erkenntnistheorie, weil es sonst "hypothetisch-deduktiv erschlossenes Wissen" im Popperschen Sinne nicht geben kann.


Wenn es nicht wahr ist, dass p, dann ist das Popper'sche "Vermutungswissen" (*, dass p, kein falsches Wissen, sondern schlichtweg falsches Glauben und damit überhaupt kein Wissen.
Der Wahrheitsbegriff lässt sich aus dem Glaubensbegriff ausklammern, aber nicht aus dem Wissensbegriff—auch nicht aus dem fallibilistischen.

"Almost all epistemologists will adopt this generic conception of [fallible knowledge]:

Any instance of fallible knowledge is a true belief which is at least fallibly (and less than infallibly) justified."


(http://www.iep.utm.edu/fallibil/#H9)

(* Bedeutet dieses Wort etwas anderes als "wissenschaftlich wohlbegründetes/wohlbestätigtes Glauben, das vermutlich Wissen ist"?)
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon El Schwalmo » Sa 5. Jun 2010, 06:05

Myron hat geschrieben:"Almost all epistemologists will adopt this generic conception of [fallible knowledge]

bei Eurer Diskussion muss ich immer an

Desiderius Erasmus hat geschrieben:The fox has many tricks. The hedgehog has but one. But that is the best of all.

denken. Du weißt, was gemeint ist, wenn Du von 'almost all epistemologists' schreibst, denn Du kennt etliche. Darwin Upheaval kennt nur das, was er als 'akademische Philosophie' bezeichnet.

Ihr redet von zwei Ebenen. Darwin Upheaval misst alles an seinem geistigen Ziehvater, auf den er sich sogar via pers. comm. bezieht. Mahner ist ausgebildeter Naturwissenschaftler und sein Ansatz bezieht sich auf einen eher speziellen Bereich (nur nebenbei: Mahners Ansatz ist für mich in diesem Bereich überzeugender als alles, was ich sonst noch kenne). Du hingegen gehst von einem weiteren Rahmen aus. 'Wissen' ist für Dich ein Ideal, das man definieren und damit allgemein weiterarbeiten kann. Für Darwin Upheaval ist das eher eine Nebensächlichkeit und es geht daraum, wie man im Bereich der Naturwissenschaften zu zeitkernigen Gültigkeiten gelangen kann. Ein 'One Trick Pony' eben.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » Sa 5. Jun 2010, 06:57

El Schwalmo hat geschrieben:Du weißt, was gemeint ist, wenn Du von 'almost all epistemologists' schreibst, denn Du kennt etliche. Darwin Upheaval kennt nur das, was er als 'akademische Philosophie' bezeichnet.


Sei doch nicht so polemisch!

El Schwalmo hat geschrieben:Ihr redet von zwei Ebenen. Darwin Upheaval misst alles an seinem geistigen Ziehvater, auf den er sich sogar via pers. comm. bezieht.


Wir alle sind von anderen Leuten beeinflusst, und jeder hat seine persönlichen intellektuellen "Helden". – Ich auch.

El Schwalmo hat geschrieben:'Wissen' ist für Dich ein Ideal, das man definieren und damit allgemein weiterarbeiten kann.


Wissen ist das Ziel aller Wissenschaft—daher der Name.
Ob dieses Ziel erreichbar ist und, wenn ja, unter welchen Bedingungen, darüber streiten die Philosophen.
Aber eines steht in den Augen so gut wie aller Erkenntnistheoretiker fest: Kein Wissen ohne Wahrheit!
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon El Schwalmo » Sa 5. Jun 2010, 07:16

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:'Wissen' ist für Dich ein Ideal, das man definieren und damit allgemein weiterarbeiten kann.


Wissen ist das Ziel aller Wissenschaft—daher der Name.

Namen sind Schall und Rauch. Eigentlich müsste man dann den Namen ändern, wenn man der Meinung ist, dass Wissen nicht erreichbar ist. Wir hatten das ja schon sehr ausführlich durchdiskutiert: bestenfalls kann man Sätze über Seiendes (darum geht es ja in den Naturwissenschaften) formulieren, die wahr sind. Das Problem ist allerdings festzustellen, ob sie wahr sind. Das steht für Darwin Upheaval und die Autoren, auf die er sich bezieht, im Vordergrund. Das, was Dich und die Autoren, auf die Du Dich beziehst, bewegt, interessiert hier weniger.

Myron hat geschrieben:Ob dieses Ziel erreichbar ist und, wenn ja, unter welchen Bedingungen, darüber streiten die Philosophen.

Eben. Und die Naturwissenschaftler nehmen das bestenfalls amüsiert zur Kenntnis, denn an deren Tagesgeschäft würde sich nichts ändern. Es sei denn, jemand könnte zeigen, dass Wissen nicht nur zeitkernig gültig ist. Okay, es gibt hier natürlich Ansätze (ich denke an v. Weizsäcker, der eine Art Platonismus vertrat, sollte das stimmen, gäbe es tatsächlich erkennbare Wahrheit).

Myron hat geschrieben:Aber eines steht in den Augen so gut wie aller Erkenntnistheoretiker fest: Kein Wissen ohne Wahrheit!

Wie gesagt, es geht hier eher um Definitionen als um Einlösung eines Anspruchs. Wenn man Wissen als 'wahres Wissen' definiert, hast Du Recht. Wenn man aber davon ausgeht, dass es keine erkennbare Wahrheit gibt, kann man entweder den Begriff 'Wissen' aufgeben (mir persönlich gefällt 'zeitkernige diskursiv einzulösende Gültigkeit' besser, aber das ist dann ein Begriff von der Qualität des 'Wissenschaftsrevisionismus', den man nur ergoogeln kann, weil der nur von wenigen Personen in irgendwelchen Internet-Diskussionen verwendet wird) oder 'Wissen' einfach umdefinieren, wie Mahner das nach Darwin Upheavals Bericht ja auch tut.
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