ujmp hat geschrieben:Klaus hat geschrieben:Würde man von Seiten des Klerus historisch gültige Analysen der Bibelschriften zulassen, wäre es das Ende der Kirche.
Es sieht nicht danach aus, als ob das klappen würde.
Die Tatsache, dass ein paar europäische Intellektuelle darüber Schriften verfasst haben, dass manche Dinge sich anders zugetragen haben, als in der Bibel steht, erschüttert die Grundfesten der Kirche halt nicht notwendigerweise. Ich liebe es immer, wenn in irgendwelchen Abenteuerfilmen Sätze wie "Wenn diese Schriften veröffentlicht würden, wäre das das Ende der Kirche, weil darin steht, dass Gott nicht existiert / die Kirche Verbrechen begangen hat / die Illuminati die Kirche unterwander haben oder was weiß ich sonstnoch". So ein Quatsch! Die Kirche bricht doch nicht zusammen, bloß weil Inkonsistenzen in ihrem Glauben auftreten, da gibt es eine jahrtausendealte Erfahrung darin, sich solche Sachen schönzulügen.
Wie Klaus schon ausgeführt hat, steht auch hinter dem Unternehmen Kirche eine eiskalte Machtpolitik, sicher nicht nur, aber eben auch und vor allem, je höher man in den Rängen des Klerus nach oben geht. Solche Machthaber sind zwar auf eine gewisse Legitimität, beispielsweise durch die Bibel angewiesen, entscheidend ist aber nicht der exakte Wortlaut, sondern das, was das Kirchenvolk draus macht, und seit wann interessiert sich das so besonders für den Wortlaut der Bibel? Kirche ist halt noch mehr als kultische Institution, sie ist auch Tradition, Machtträger, Basis für ein Zusammengehörigkeitsgefühl, eben eine Projektionsfläche für alles mögliche. Diese Projektionsfläche wird nicht notwendigerweise beschädigt, nur weil irgendwo ein paar Ungereimtheiten aufgetaucht sind, entscheidend ist, ob diese wahrgenommen und wie sie interpretiert werden.
Wie man im Irak sehr gut gesehen hat, kann sogar unter offenkundigen Lügen ein ganzes Land erobert werden, obwohl die halbe Welt kopfschüttelnd danebensteht. Es gab so wahnsinnig viele Ungereimtheiten vor dem Irakkrieg, hat das zum Ende der Bush-Regierung oder zumindest des Krieges beigetragen? Keine Spur. Solange der Herrscher noch Vertrauen und Prestige genießt (was in den für die beiden angesprochenen Fälle relevanten Kreisen, sprich, Gläubige und US-Wähler, nach wie vor gilt, vielleicht etwas weniger für Herrn Bush), ist es relativ egal, wie bescheuert und inkonsistent die Ideologie ist, auf die er sich stützt. In der katholischen Kirche wird seit 2000 Jahren in jedem Gottesdienst nach eigenen Angaben Kannibalismus und Vampirismus in Tateinheit begangen, was eigentlich extrem skurril und völlig idiotisch ist und im völligen Gegensatz zu einem der stärksten Tabus der europäischen Kultur steht, trotzdem nehmen die Leute das absolut ernst. Daran werden ein paar kluge Fachaufsätze nichts ändern, schon gar nicht kurzfristig, erst wenn andere soziale Prozesse die Kirchen noch weiter erodieren lassen oder wenn die Kirchenoberen selbst eingestünden, dass ihr Glaube absolut idiotisch ist, würde ein Zusammenbruch der Kirchen wahrscheinlich. Selbst dann würden aber noch jede Menge Menschen die Bibel als Quelle religiöser Inspiration ansehen, vermutlich sogar dann, wenn man zweifelsfrei nachweisen könnte, dass sie die Fälschung eines betrunkenen palästinensischen Eselhirtens war.
Um damit nochmal auf die Themenfrage zurückzukommen: Solange die Bibel ein angesehenes Kulturgut bleibt, dem von vielen Menschen übernatürliche Weisheit zugesprochen wird (was ein erlerntes, in vielen Fällen sogar indoktriniertes, Verhalten ist, so dass rationale Auseinandersetzung damit bei sehr vielen "Infizierten" nur partiell möglich sein wird), werden Leute das auch politisch ausschlachten. Dabei muss ja nicht immer auf die Bibel explizit rekurriert werden. Die CSU in Bayern gibt sich ja auch als äußerst gottesfürchtige Partei (hat natürlich nichts mit deren Politik zu tun) und nimmt damit auf eine sehr indirekte Weise auch Bezug auf die Bibel. Da viele Menschen nach wie vor großen Wert auf religiöse Traditionen legen, reicht es völlig aus, sich in deren Linie zu stellen, auch ohne Bibellesung auf dem Parteitag. Aber überlegt mal, was passieren würde, wenn man bei einer politischen Diskussion mit gewaschenen Unionsmitgliedern die Bibel als "Lügenmachwerk" o.ä. bezeichnen würde.
Übrigens, der Tempelhügel (Zion), wird gleich zweimal in der israelischen Nationalhymne erwähnt.