von Nanna » Di 10. Mai 2011, 00:38
Ich verstehe nicht so recht, wofür diese narrative Verbindung zwischen der toten Gans und einem bestimmten Molekül, das gut auf bestimmte Geschmacksrezeptoren passt, gut sein soll. So wie du es formulierst, klingt es, als gäbe es eine Art "Geschmack des Todes", der jedem Stück Fleisch innewohnen würde. Diesem Argumentationsstrang folgend müsste man den Tod der Gans nicht nur billigend in Kauf nehmen, sondern aktiv fördern und begrüßen, um den Gänsebratengeschmack tatsächlich genießen zu dürfen.
Für mich klingt es reichlich überflüssig, seinem Mittagessen einen ideologischen Überbau zu geben, der bis in das Reich des Eigengeschmacks reicht. Klar, Menschen hören gerne Geschichten und eine bestimmte Speise kann tatsächlich an Attraktivität gewinnen, wenn man sie mit einer schönen Erzählung um ihre Entstehung kredenzt, aber dein Gedanke geht darüber weit hinaus. Du verlangst, dass ein Vegetarier die komplette kulinarische Lebenswelt eines Carnivoren ablehnt, aber nicht nur auf der rationalen Ebene und im Bezug auf das Töten, sondern bis hinunter in die tiefsten emotionalen Ecken seiner geschmacksverarbeitenden Hirnteile. Das erinnert mich an Extremfeministinnen, die ihre Geschlechtsgenossinnen dafür kritisieren, dass ihnen Sex Spaß macht, bei dem sie unten liegen - als ließe sich daran irgendetwas ändern ohne sich selbst pathologische Ekelkomplexe anzukonditionieren, abgesehen davon, dass der ganze Begründungsweg einfach schräg und arbiträr ist.
Die untrennbare Verbindung von Tod und Bratengeschmack ist eine Projektion, die kulturell bedingt ist, genau wie die Ablehnung von gesundheitlich unschädlichem, geschmacklich hochwertigem synthetischen Erdbeeraroma aus Baumrinde o.ä. erstmal absurd klingenden Ausgangsstoffen. Ich kann schon verstehen, dass man gerade in Gourmetkreisen die Narrative um das Essen mindestens ebensosehr schätzt wie das Essen an sich, weil es eben nicht nur um Hungerstillen, sondern um das Zelebrieren von Genuss geht. Da spielt natürlich die Geschichte vom "natürlich" gereiften Apfel in der unberührten (und bitteschön unabhängig kontrollierten und zertifizierten) Idylle eine wichtige Rolle, das innere Auge isst schließlich mit. Man tut dann gerne so, als würde der Apfel geschmacklich dadurch hinzugewinnen, dass ein glückliches Kind unter ihm hindurchgehüpft ist. Der Punkt ist nur, dass das ganze lebensmittelchemisch keinen Unterschied macht. Oftmals ist das synthetisch (also unter ausnahmslos kontrollierten) Bedingungen erzeugte Lebensmittel sogar gesundheitlich unbedenklicher, weil der synthetische Reinstoff von Störfaktoren eliminiert und getestet werden kann, was bei "natürlichen" Produkten mit ihren hunderttausenden unbekannten Komponenten eben nicht unbedingt geht.
Ich für meinen Teil mag Erdbeergeschmack auch dann, wenn ich weiß, dass ich nicht wirklich Erdbeeren esse, und ich finde Bratengeschmack super, esse aber wegen ethischer Bedenken trotzdem kein Fleisch. Das Sojagulasch hätte mich sicherlichauch sehr begeistert. Ich sehe nicht ganz ein, warum ich ein schlechtes Gewissen für die Konfiguration meiner Geschmacksnerven haben sollte, und noch weniger, warum ich dieses Bedürfnis in einer pseudoreligiösen Weise als unerwünschte fleischliche Begierde niederringen sollte, warum ich kein Anrecht darauf haben sollte, Fleischgemack zu mögen, aber keine Tötung verantworten zu wollen. Wenn ein paar findige Lebensmittelchemiker und experimentierfreudige Hobbyköche Alternativen finden, kann ich die doch verwenden? Soll ich mir aus ideologischen Gründen ein Ekelgefühl antrainieren, nur um "authentischer" rüberzukommen und ein "statement" abzugeben? Sorry, aber ich finde das so völlig überflüssig.