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chulinn hat geschrieben:...objektive Diskussion...
Ich finde das einen sehr begrüßenswerten Ansatz. Allerdings kann a) eine Diskussion als solche nicht objektiv sein, es können höchstens mehr oder weniger objektive Ansichten geäußert werden (sorry, aber wenn schon akurrat, dann richtig) und b) sehe ich nur einen einzigen Quellenbeleg in deinen Ausführungen. Eine Diskussion, die sich dem Ziel der Objektivität verpflichtet fühlt, sollte schon etwas belegter sein, denn du beginnst auch selber schon, gewisse Zerrbilder zu zitieren, die zwar nicht generell falsch sind, aber doch teilweise auf eine äußerst selektive Wahrnehmung des Themas schließen lassen.
chulinn hat geschrieben:1. Der Name "Islam" steht für Unterwerfung. Eine kritische Betrachtung der Religion
ist also nicht nur nicht gewünscht, sondern wird sehr schnell als Beleidigung angesehen.
Hier werden (anders als bei quasi jeder anderen Religion) auch sehr schnell
Todesdrohungen ausgesprochen.
Hier würde ich mal forsch sagen: Scheinkausalität. Denn was du sagst ist eine unzusammenhängende Reihe von Behauptungen, die weder in logischem Zusammenhang stehen, noch empirisch belegt sind.
"Islam" steht für "Unterwerfung". Stimmt mehr oder weniger, aber so wirklich korrekt ist es nicht. Fragen wir mal ein anständiges Buch zum Thema, nämchlich das "Arabische Wörterbuch für die arabische Schriftsprache der Gegenwart" von Hans Wehr, das Standardwörterbuch der Arabistik: Da steht unter "إسلام 'islām" folgendes: "Hingabe (an Gott), Ergebung in Gottes Willen;", zu finden auf S. 593 unter der Wurzel SLM, deren Grundbedeutung "Unversehrtheit, Wohlergehen, Heil, Friede, Sicherheit" bedeuten kann.
Man kann daraus nun durchaus schließen, dass eine kritische Betrachtung der Religion kompliziert werden kann, wenn schon der Name des Kultes die "Ergebung in Gottes Willen" fordert. Allerdings ist hier nirgendwo etwas von Gewalttätigkeit zu sehen, die Assoziation von Islam und Gewalt dürfte viel eher eine Mischung aus mittelalterlichen propagandistischen Schauergeschichten und neuzeitlichem Terrorismus sein, der in den 1960ern und 70ern unter säkularen (!) Vorzeichen und aus der Schwäche gegenüber Israel und dem Westen entstand.
chulinn hat geschrieben:2. Mohammed ist auch über jede Kritik erhaben. Wenn man die Berichte über sein Leben liest fragt man sich aber was an ihm so vorbildlich gewesen sein soll. Eine Diskussion ist auch hier kaum möglich, man hat ratz fatz 1,4 Milliarden (oder wieviel auch immer) Muslime beleidigt.
Ja, das ist ein Problem, innerhalb des muslimischen Denksystems aber auch relativ naheliegend, da Mohammed als erster Muslim und Prophet ja schlecht etwas im Sinne des Islam falsch gemacht haben kann - er hat ihn, nicht zuletzt durch sein in den Hadithen festgehaltenes Leben ja erst definiert. Natürlich ist diese Denkweise hochgradig zirkulär und ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass die Immunisierung des Korans und Mohammeds gegenüber einer kritischen, unvoreingenommenen Betrachtung DAS zentrale Problem des vergangenen und gegenwärtigen Islams ist (wahrscheinlich, aber nicht notwendigerweise, auch des zukünftigen)
chulinn hat geschrieben:3. Menschen wie Sam Harris, Christopher Hitchens und Richard Dawkins haben wiederholt den Islam als die gefährlichste Religion auf diesem Planeten bezeichnet.
Ja, und alle drei verstehen nichts von Religionswissenschaft. 'Tschuldigung, aber wenn du das Autoritätsargument bringen willst, dann berufe dich bitte auf fachlich relevante Personen.
chulinn hat geschrieben:Es gibt zwar nur eine Version des Koran, aber die Auslegung des arabischen Textes ist alles andere als eindeutig, und bei den vielen Hadithen wird es völlig unübersichtlich.
Es gibt vier Versionen des Korans, wobei diese einheitlicher sind, als die unterschiedlichen Bibelversionen und -übersetzungen. Der Punkt ist, dass im (verlorengegangenen) Original die Punkte ("Diakritika") fehlten und das Schreiben ohne Diakritika macht einen Text im Arabischen leider uneindeutig. DIe Hadithe sind auch unter Muslimen umstritten, es gibt radikale Ansätze, zum Teil aus den Reihen der Muslimbruderschaft, die für ein Ungültigerklären von fast allen Hadithen plädieren, weil die Quellenlage so mies ist.
chulinn hat geschrieben:Man kann also sehr einfach einen friedlichen bzw. einen aggresiven/kriegerischen Islam mit Koranzitaten und Hadithen belegen, ganz wie es gerade opportun ist. Der Terroranschlag von Arid U. am Frankfurter Flughafen hat gezeigt wie schnell die Radikalisierung gehen kann, das ist so wohl auch nur im Islam möglich.
Und schon wieder zwei Sätze, die bei näherer Betrachtung keinen rechten Zusammenhang offenbaren mögen.
chulinn hat geschrieben:4. Der Islam geht weit über eine Religion hinaus, der totalitäre Charakter ist unverkennbar.
Jede Dogmatik ist totalitär, da nimmt der Islam keine Sonderstellung ein. Dass der Islam nicht nur Entwürfe für kultische Handlungen und die direkte Gläubiger-Gott-Beziehung liefert, ist ebenfalls kein Alleinstellungsmerkmal, das tun alle abrahamitischen Religionen und auch viele andere. Insofern ist mir nicht klar, inwiefern der Islam hier etwas besonders schlimmes sein soll, verglichen mit anderen Religionen.
chulinn hat geschrieben:Auch wenn sich in den meisten islamisch dominierten Ländern die Menschen zum Glück nicht so streng an die Vorgaben halten gibt es doch auch immer Strömungen den "ursprünglichen" Islam wiederzubeleben.
Keiner weiß, was der ursprüngliche Islam wirklich war. Das, was die Fundamentalisten wie die Wahhabiten predigen, hat vermutlich nicht allzu viel mit dem zu tun, was zu Zeiten Mohammeds und der vier rechtgeleiteten Kalifen alltäglicher Usus war.
chulinn hat geschrieben:5. Der Islam ist hoffnungslos statisch. Alles steht (angeblich) ausreichend klar und für alle Zeiten fest im Koran geschrieben. Im Zweifelsfall nimmt man noch die Hadithe dazu, aber das wars dann. An dem engültigen Wort Gottes darf kein Jota geändert werden. Mohammed war der letzte Prophet, Klarstellungen sind also nicht zu erwarten.
Theologische Kniffe, wie beispielsweise das offizielle Wiederöffnen der
Tore des Idschtihad, sind durchaus möglich, außer vielleicht für die ganz krassen Fundamentalisten. Aber im die extremen Fundamentalisten haben an alltagsfähigen Aussagen meist so viel brauchbares zu vermelden wie die Solipsisten in der Philosophie und sollten daher nicht weiter beachtet werden.
Bitte richtig verstehen: Ich stimme dir, wie oben schon gesagt, absolut zu, dass diese Inflexibilität das Hauptproblem des Islam ist. Ich würde aber nicht so weit gehen, jeden Interpretationsspielraum wegzuerklären, weil das nur wieder den Fundamentalisten in die Hände spielt. Wenn die liberalen muslimischen Gelehrten einen Weg für den Islam in die Moderne finden, würde ich wegen ein paar "Rundungsfehlern" mal nicht so sein wollen.
chulinn hat geschrieben:Ich bin mir der diversen weltanschaulichen Unterschiede zwischen z.B. Schiiten und Sunniten durchaus bewusst, halte aber die Unterschiede für relativ gering. Die Kritikpunkte von Rod Little gelten ja auch für alle Spielarten des Islam.
Ich bin mir gerade nicht ganz so sicher, ob du das so sicher behaupten kannst. Die Schiiten haben beispielsweise in vielen Dingen weitreichendere Freiheiten, als die Sunniten, was sicherlich mit dem jahrtausendealten Bildungsideal der Perser zu tun hat. Der Iran hatte schon immer eine urbanere und progressivere Kultur als die arabischen Wüstenvölker, auch wenn in den letzten 30 Jahren bedauerlicherweise eine traurige Episode diese Hochkultur unterbrochen hat.
Beispielsweise folgen die Schiiten in ihrer Glaubenspraxis normalerweise einem bestimmten Großayatollah, von dem es zu jeder Zeit eine Handvoll zur Auswahl gibt. Der schiitischen Interpretation nach ist der Großayatollah am Ende vor Gott verantwortlich, wenn er etwas falsch vorgelebt hat, der Gläubige selbst aber hat nichts zu befürchten, weil er ja mangels Bildung die theologischen Feinheiten nicht unterscheiden konnte, daher akzeptiert Gott sein Bemühen trotz allem als redlich. Diese Praxis hat den Vorteil, dass ein liberaler Ayatollah, der die Reformbedürftigkeit mancher Inhalte erkennt, die komplette Verantwortung auf sich laden kann, was den schiitischen Islam meiner Meinung nach - neben anderen Einzelheiten - deutlich reformtoleranter macht als die Sunna.
chulinn hat geschrieben:Ich möchte das jetzt nicht mit der Geschichte des Christentums vergleichen, die war meiner Meinung nach ungleich komplexer. Parallelen gibt es aber durchaus. Solange man in der Bevölkerung nur eine kleine Minderheit stellte gab man sich unauffällig, aber ab einer gewissen Grenze wurde man immer fordernder und intoleranter.
Das ist bei kaum einer Ideologie anders, kann auch bei Kommunisten und Nazis so beobachtet werden. Der Islam hat da in Teilen mit seiner Schriftfixiertheit tatsächlich ein Problem, ich frage mich nur, ob er qualitativ wirklich so viel gefährlicher ist als andere Ideologien, schließlich hat fast jede Ideologie irgendwo hetzerische Beiklänge gegen Andersdenkende und auch irgendeine Fraktion von Hardlinern, die das umsetzen wollen. Dass dies im Moment in der muslimischen Welt ein latenteres Problem zu sein scheint, als anderswo, halte ich einerseits für eine selektive Wahrnehmung westlicher Beobachter, die religiöse Gewalt anderswo, beispielsweise durch fanatische Hindu in Indien oder christliche Milizen in den USA, ignorieren und gleichzeitig sehe ich auch sozioökonomische Ursachen in der mittelöstlichen Welt, die solche Exzesse befeuern. Dass die Araber es da mit einer besonders krassen Auslegung des Islam am schwersten haben, streite ich keinesfalls ab, mich stört nur der absolute Ton, mit dem hier über "den" Islam geurteilt wird, als lebten da 1,4 Milliarden intolerante Irre auf einen Haufen, wie du weiter oben suggerierst. Das ist nicht die Erfahrung, die ich persönlich im Nahen Osten mit Muslimen gemacht habe.