Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Fr 30. Dez 2011, 11:44

Vollbreit hat geschrieben:Auch anders wollen können, das kannst Du ja. Eigentlich möchtest Du in Hotel A, aber das ist abgebrannt, oder der Besitzer hat gewechselt und alles ist schlechter, das wissend, buchst Du um, Hotel B. Du kannst also anders.

Was ist denn das für eine Mogelpackung? In dem Beispiel geht es um zwei Entscheidungen hintereinander. Erst ist es die Entscheidung für A. Dann tauchen neue Infos auf und man entscheidet sich für B. Beide Entscheidungen waren nicht frei, sondern alternativlos. Hotel A musste ich buchen, weil das kausal determiniert war. Sobald die neuen Infos da waren, konnte ich mich nur noch für B entscheiden, weil bei dieser Entscheidung alle ursächlichen Faktoren dies erzwangen und ich nicht den Hauch einer freien Entscheidung hatte. Hast du dir denn nicht zugehört, als du zugestimmt hast, dass im Determinismus jede Entscheidung festgelegt ist?

Du scheinst in deinem Beispiel das Wort "frei" wirklich als Synonym für "vernünftig", "rational", "verständlich" zu benutzen. Mir scheint das der etwas ärmliche Kernpunkt der Diskussion zu sein. Es ist lediglich eine Frage des Sprachgefühls. Ich für meinen Teil sage "rational", wenn ich "rational" meine. Ihr Kompatibilisten scheint für Wortverdrehungen deutlich empfänglicher.

Vollbreit hat geschrieben:Ja, es ist alles festgelegt, aber der Spielraum der Freiheit (des Willens) ist sehr groß, prinzipiell nahezu unbegrenzt.

Auch hier ergibt dein Satz nur einen Sinn, wenn man unterstellt, dass du bei "Freiheit" vermutlich "nicht willkürlich sondern vernünftig" meinst. Du kannst es vermutlich nur schwer nachvollziehen, aber für Leute mit einem üblicheren Sprachgefühl ist es lustig, wenn jemand sagt: alles ist festgelegt aber der Spielraum ist nahezu unbegrenzt. Wundere dich also nicht, wenn ein Lächeln über die Gesichter huscht, nachdem ein Kompatibilist ausgeredet hat.

Vollbreit hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Wenn ich zu jemandem sage: "du hast die freie Wahl." Glaubst du wirklich, der versteht mich so, dass er nun ohne Zufall, Willkür oder Irrationalität wählen darf?

Warum nicht? Steht man vor einem Buffet, ist man ja in der Situation und nimmt in der Regel, was einem schmeckt. Wo ist das Problem?

Du sagst es doch selbst. Es gibt da eine Regel nach der du genau das nimmst, was dir schmeckt. Es mag ja schmecken aber nur kompatibilistische Wortverdreher nennen eine Wahl, die einer festen Regel folgt und bei der man immer dasselbe nimmt ja sogar laut Regel nehmen muss, frei.

Vollbreit hat geschrieben:Determiniert heißt doch nicht, dass Du nur eine Scheibe Knäcke bekommst. Du kannst auch dreimal gehen und bis zur Herzrhythmusstörung stopfen, es wäre halt nur determiniert.

Wer dreimal geht der entscheidet auch dreimal. Dies ist wieder deine Mogelpackung von oben, wo du mir mehrere einzelne Entscheidungen als angebliche Alternativen einer Entscheidung verkaufen willst. Nicht einmal ich falle darauf rein.

Vollbreit hat geschrieben:Aber warum sollte die Wahrnehmung dieser Daten – wenn wir doch nichts in der Welt illusionsfrei wahrnehmen können – nicht auch eine Illusion sein?

Nichts in der Welt illusionsfrei wahrnehmen können? Wie kommst du denn darauf? Die Illusion von der ich sprach bezieht sich auf die Wahrnehmung des Freiheitsgrades eigener Entscheidungen. Wenn du für die Darstellung logischer Inkonsistenzen plötzlich neue, globale Illusionen einführen musst, kann es ja nicht so schlimm sein mit der logischen Inkonsistenz. Überzeugend finde ich das jedenfalls nicht.

Vollbreit hat geschrieben:Zunächst, kannst Du Dir ja nicht vorstellen, dass es Freiheit überhaupt gibt, also hast Du eigentlich gar keinen Freiheitsbegriff.

Ich habe einen Freiheitsbegriff, unter dem ich mir auf etwas vorstellen kann, wie die Libertarier. Ich kann mir nur nicht vorstellen, dass es die Freiheit überhaupt gibt.

Vollbreit hat geschrieben:aber eigentlich ist das gar nicht Deiner, denn Willkür, Zufall und Irrationalität sind für Dich auch keine sehr glücklichen Komponenten für die Freiheit des Willens.

Doch. Die Komponenten sind glücklich. Sie würden das Kriterium für Freiheit erfüllen. Ihr einziges Unglück ist, dass sie nicht existieren. Ich bin da relativ leidenschaftslos. Wohingegen ich dir unterstelle, dass es eben diese Leidenschaftlichkeit ist, die dich unlogisch werden lässt. Du stellst, genau wie ich, fest, dass es Zufall und Willkür und Irrationalität in unserer Welt nicht gibt. Aber im Gegensatz zu mir scheinst du darüber derart glücklich zu sein, dass du im Taumel der Gefühle bereit bist, den Willen, der in dieser Welt dann übrig bleibt, kurzerhand "frei" zu nennen. Entschuldige, wenn ich das so darstelle, aber im Ernst, ich sehe kaum einen anderen Grund, wieso man für "festgelegtes" plötzlich das Wort "frei" verwenden wollte. Oder sollte es einfach nur Trotz sein?

Vollbreit hat geschrieben:Du müsstest also versuchen, mal kurz davon zu abstrahieren, dass es für Dich eigentlich keine Freiheit gibt und dann versuchen einen brauchbaren Begriff von Freiheit zu definieren.

Ich habe bereits eine Definition von Freiheit (beim Willen). Du sagst hier implizit, dass die aber nicht brauchbar ist. Erkläre mal bitte, wieso meine Definition nicht brauchbar ist. Ist es deshalb, weil aus ihr folgt, dass es keine Freiheit gibt und das Gefühl der Freiheit folglich eine Illusion ist? Ich glaube, dies ist genau der Punkt. Ein Kompatibilist verdreht die Definition von Freiheit so lange, bis sie seiner Meinung nach brauchbar ist, also in Übereinstimmung mit der Alltagserfahrung ist. Ziel dieser Übung scheint zu sein, weiterhin leugnen zu können, dass Menschen einer Illusion unterliegen. Könnte es sein, dass du das mit der Illusion als Kränkung und Herabwürdigung empfindest? Zumindest wäre mir dann deine Motivation für die Umdefinition der Begriffe klarer.

Vollbreit hat geschrieben:Um welche Freiheit, wenn nicht um die des Menschen, also einer Person, soll es bei der Diskussion denn gehen?

Ich sehe es wie Teh Asphyx. Die Freiheit einer Entscheidung ist eine Eigenschaft der Entscheidung, egal von welcher Person oder welchem Wesen sie getroffen wird. Nehmen wir als Beispiel an, ich wäre ein Zufallszahlengenerator (für echten Zufall). Eine Entscheidung bei mir wäre die Wahl einer Zahl. Mein Wille wäre es beispielsweise einfach mal, die 3 zu wählen. Meine Entscheidung wäre nur dann unabhängig und echter Zufall, wenn bei gleichen Ursachen auch andere Zahlen herauskommen können. Das ist dann zwar Willkür, oder irrational oder was auch immer, aber für die Person Zufallsgenerator ist es plötzlich wesentlich, wichtig, richtig und glücklich. Während, wie du ja immer wieder feststellst, diese Eigenschaften bei einer menschlichen Person unglücklich und wenig wünschenswert wären. Aber genau darum geht es. Die Freiheit der Zahlenwahl ist einzig darüber definiert, ob sie kausal festgelegt oder nicht festgelegt ist. Welche Person diese Wahl trifft spielt dabei keine Rolle. Menschliche Würde kann kein Argument dafür sein, den intuitiven Freiheitsbegriff so lange zu verdrehen, bis sie gewahrt bleibt.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Fr 30. Dez 2011, 12:42

Teh Asphyx hat geschrieben:Was spielt das für die Frage für eine Rolle, was irgendwer möchte? Oder geht es nur darum? Ich kann mir hier die Finger wundschreiben, aber es auch genauso lassen, weil Kompatibilisten sich eh die Welt so machen, wie sie möchten

Einen Anflug von Frustration und Resignation erlebe ich auch hier und da. Ich habe im Hinterkopf immer noch den Eindruck, dass wir noch nicht genau auf dem springenden Punkt gelandet sind. Bei einem Thema, das vor allem von Begriffs-Umdefinitionen lebt, ist es aber vielleicht auch extra schwierig, nicht aneinander vorbei zu reden.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Fr 30. Dez 2011, 19:26

ganimed hat geschrieben:Was ist denn das für eine Mogelpackung? In dem Beispiel geht es um zwei Entscheidungen hintereinander. Erst ist es die Entscheidung für A. Dann tauchen neue Infos auf und man entscheidet sich für B. Beide Entscheidungen waren nicht frei, sondern alternativlos.


Natürlich waren beide Entscheidungen frei. Du vergleichst die Preise, Lage, Deine Bedürfnisse und suchst den optimalen Kompromiss. Das ist zum Zeitpunkt t1 Hotel A und es war Deine freie Wahl genau dieses und kein anderes zu buchen. Nun erfährst Du, dass der Laden abgebrannt ist und muss die Geschichte erneut überdenken, Hotel A wird nun, zum Zeitpunkt t2 nicht mehr das Hotel Deiner Wahl sein. Das ist frei und rational.
Dass es vorher determiniert gewesen sein mag, dass Du erst A wählst und die Kiste abbrennt und Du dann ein anderes wählen würdest, mögen die Naturgesetze möglicherweise eisern erzwingen, aber außer dem lieben Gott kann niemand Einblick in dieselben haben, Du nicht, ich nicht und auch kein Supercomputer oder der Laplacesche Dämon.
Insofern bist Du gezwungen – wie ich und jeder andere – immer von Deinem aktuellen Kenntnissstand auszugehen, wenn Du eine Wahl triffst. Das ist sehr banal, nämlich einfach die Situation, in der wir uns vorfinden. Und da sammelt man, je nach Bedeutung der Entscheidung – aber auch hier entscheidet man selbst wie wichtig oder unwichtig einem ein Thema ist – Informationen, und zwar die besten die man kriegen kann, wenn einem das Thema wichtig ist.
Man sammelt, wertet aus, ob man dem Bauchgefühl 5% oder 72% vertraut entscheidet man selbst und sagt dann: Nach Sichtung aller mir zur Verfügung stehenden Informationen, Beratungen, Gutachten, drüber schlafen und sonst was, entscheide ich mir hier für.
Wenn man so vorgeht, erfüllt man genau die Bedingungen die die Kompatibilsten meinen und mir scheint das nicht sehr weltfremd zu sein, sondern ausgesprochen alltagsnah.

ganimed hat geschrieben:Hotel A musste ich buchen, weil das kausal determiniert war. Sobald die neuen Infos da waren, konnte ich mich nur noch für B entscheiden, weil bei dieser Entscheidung alle ursächlichen Faktoren dies erzwangen und ich nicht den Hauch einer freien Entscheidung hatte. Hast du dir denn nicht zugehört, als du zugestimmt hast, dass im Determinismus jede Entscheidung festgelegt ist?


Und dennoch hast Du die Wahl getroffen und nicht Deine Tante.
Du hast neue Infos erhalten und hast Dich nun anders entschieden. Stell Dir mal vor, Du wärst nicht determiniert, würdest Du dann in ein abgebranntes Hotel reisen? Nein, Du würdest sagen: Schade, muss ich eben woanders hin. Dann hättest Du frei entschieden.
Nun war es determiniert, dass das Ding brennt und Du reagieren würdest und auch noch wie Du reagieren würdest, nur hast Du ja dennoch gemäß der Informationen entschieden, die Du nun hattest. Die erste Wahl ist ausgefallen und Du wählst die Alternativem die am besten zu Deinen Bedürfnissen passt. Vielleicht fährst Du auch ganz woanders hin, weil Du sagst, wenn die nicht mehr sind, dann will ich da gar nicht mehr hin, auch das wäre determiniert, aber frei. Du weißt ja nicht, was die Zukunft bringt, also musst Du auf der Basis der Infos entscheiden, die Du hast.
Wenn die Naturgesetze alles sklavisch und minutiös festschreiben – was ich übrigens nicht glaube –, dann steht jede Deiner Entscheidungen fest. Dennoch entscheidest Du – und kannst gar nicht anders, wenn Du halbwegs gesund bist – auf der Basis guter Gründe, derjenigen, die für Dich als solche erscheinen. Und das ist Freiheit, wie die Kompatibilisten sie definieren.
Wenn Du meinst, ein Rückgriff auf Zufall, Irrationalität und Willkür böte mehr Freiheit als ein Rückgriff auf gute Gründe, müsstest Du sagen, wie der Zufall, die Irrationalität oder die Willkür den Grad an Freiheit erhöhen. Gewöhnlich geht man vom Gegenteil aus.

ganimed hat geschrieben:Du scheinst in deinem Beispiel das Wort "frei" wirklich als Synonym für "vernünftig", "rational", "verständlich" zu benutzen.


Ja.
Gemeint ist, dass die Freiheit meines Willens bedeutet, dass ich frei bin, etwas zu wollen.
Wenn es mein Wille sein soll, muss ich formulieren können, was ich will.
Wenn ich sage: „Ich liebe Schokolade und hasse Käse, darum hätte ich gerne die Käseplatte“ ist das nicht rational, sondern erscheint mir idiotisch. Worin da die Freiheit liegen soll, kann ich nicht sehen, außer wenn eine gute Begründung (die es ja geben könnte) geliefert wird.

ganimed hat geschrieben:Mir scheint das der etwas ärmliche Kernpunkt der Diskussion zu sein. Es ist lediglich eine Frage des Sprachgefühls. Ich für meinen Teil sage "rational", wenn ich "rational" meine. Ihr Kompatibilisten scheint für Wortverdrehungen deutlich empfänglicher.


Das ist keine Wortverdrehung, sondern einfach die Definition dessen, was K. unter Freiheit verstehen. Du bist ja frei etwas vollkommen anderes darunter zu verstehen, nur musst Du dann auch sagen, was Du darunter verstehst.
(Du bist natürlich insofern etwas weniger in der Pflicht, weil Du an Freiheit gar nichts glaubst und müsstest Dich daher mehr auf die Widersprüchen dieser Position fokussieren, aber der Clou ist, wenn man die Kernidee des Kompatibilismus mal verstanden hat, die ganz einfach darin besteht, dass gesagt wird, dass Determinismus und Willensfreiheit zwei Paar Schue sind und einander gar nicht in die Quere. Das sollst aber nicht glauben, sondern kapieren, weil Dir der Glaube nichts bringt, das Wissen darum bringt Dich allerdings um Längen weiter.
Da ich mich auch geziert habe wie ein Mädchen und nicht intelligenter bin als Du, sondern Dir einfach 5000 gefühlte Stunden Diskussion voraus habe, wäre es schön, wenn Du den Sprung schaffst.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ja, es ist alles festgelegt, aber der Spielraum der Freiheit (des Willens) ist sehr groß, prinzipiell nahezu unbegrenzt.


Auch hier ergibt dein Satz nur einen Sinn, wenn man unterstellt, dass du bei "Freiheit" vermutlich "nicht willkürlich sondern vernünftig" meinst.


Meine ich. Innehlaten, reflektieren, nach guten Gründen entscheiden, das ist im Kern eine vernünftige Geschichte. Aber nicht die Freiheit ist vernünftig, sondern Freiheit heißt, sich gemäß des eigenen Willens – und dafür muss man wissen, was der eigene Wille ist und es rational formulieren können – entscheiden zu können.

ganimed hat geschrieben:Du kannst es vermutlich nur schwer nachvollziehen, aber für Leute mit einem üblicheren Sprachgefühl ist es lustig, wenn jemand sagt: alles ist festgelegt aber der Spielraum ist nahezu unbegrenzt. Wundere dich also nicht, wenn ein Lächeln über die Gesichter huscht, nachdem ein Kompatibilist ausgeredet hat.


Warum sollte ich das nicht nachvollziehen können? Ich schrieb ja mehrfach, dass der Kompatibilismus oft kontraintuitiv ist, ich dieselben Schwierigkeiten wie Du hatte, ihn zu akzeptieren und er mir obendrein bis heute unsympathisch ist.
Aber das heißt ja nicht, dass die Kompatibilsten nicht gute Argumente haben.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Warum nicht? Steht man vor einem Buffet, ist man ja in der Situation und nimmt in der Regel, was einem schmeckt. Wo ist das Problem?

Du sagst es doch selbst. Es gibt da eine Regel nach der du genau das nimmst, was dir schmeckt. Es mag ja schmecken aber nur kompatibilistische Wortverdreher nennen eine Wahl, die einer festen Regel folgt und bei der man immer dasselbe nimmt ja sogar laut Regel nehmen muss, frei.


Ich schrieb doch hier nicht von einer Regel, sondern „in der Regel“, was sowas wie „gewöhnlich“ meint. Aber selbstvberständlich, wenn der Determinismus gilt, wird es da eine Regel geben, nach der Du wählst. Dennoch bist Du am Buffett doch frei zu wählen, was Du willst.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Determiniert heißt doch nicht, dass Du nur eine Scheibe Knäcke bekommst. Du kannst auch dreimal gehen und bis zur Herzrhythmusstörung stopfen, es wäre halt nur determiniert.


Wer dreimal geht der entscheidet auch dreimal.


Sicher, die Menge der Entscheidungen ist durch den Kompatibilismus ja nicht limitiert, Du könntest auch 20 Mal entscheiden, oder Dich vor einer Festlegung 1000 mal umentscheiden, kein Problem.

ganimed hat geschrieben:Dies ist wieder deine Mogelpackung von oben, wo du mir mehrere einzelne Entscheidungen als angebliche Alternativen einer Entscheidung verkaufen willst. Nicht einmal ich falle darauf rein.


Natürlich triffst Du im Leben immer einzelne Entscheidungen, was ist denn daran so absonderlich?
Einzelne Entscheidungen zwischen 2 Alternativen (gehen oder bleiben) oder 20 Alternativen (Kinoangebot) und alles ist eine andere einzelne Entscheidung.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Aber warum sollte die Wahrnehmung dieser Daten – wenn wir doch nichts in der Welt illusionsfrei wahrnehmen können – nicht auch eine Illusion sein?


Nichts in der Welt illusionsfrei wahrnehmen können? Wie kommst du denn darauf? Die Illusion von der ich sprach bezieht sich auf die Wahrnehmung des Freiheitsgrades eigener Entscheidungen.


Ach so, warum soll das denn eine Illusion sein?
Weil Schmidt-Salomon das schreibt? Das wäre dogmatisch.
Weil alles in der Welt determiniert ist? Versuch den Kompatibilismus zu verstehen, dann siehst Du, warum das kein Argument ist.
Weil man nicht wirklich frei sein kann, wenn das Gehirn einem nur vorgaukelt frei zu sein? Das wäre eine petitio principii, ein logischer Fehlschluss, der mit den Voraussetzungen begründet, die an sich erst noch zu begründen wären.
Weil die, die verkünden der Mensch sei nicht frei, als einzige wissen, was Freiheit bedeutet? Das ist ein impliziert Selbstwiderspruch, der in dieser Behauptung steckt.

ganimed hat geschrieben:Wenn du für die Darstellung logischer Inkonsistenzen plötzlich neue, globale Illusionen einführen musst, kann es ja nicht so schlimm sein mit der logischen Inkonsistenz. Überzeugend finde ich das jedenfalls nicht.


Muss ich gar nicht, der Kompatibilismus ist ja lebens- und alltagsnah.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Zunächst, kannst Du Dir ja nicht vorstellen, dass es Freiheit überhaupt gibt, also hast Du eigentlich gar keinen Freiheitsbegriff.


Ich habe einen Freiheitsbegriff, unter dem ich mir auf etwas vorstellen kann, wie die Libertarier. Ich kann mir nur nicht vorstellen, dass es die Freiheit überhaupt gibt.
[/quote]

Du hast aber noch kein Bild von dem Freiheitsbegriff der Kompatibilsiten, obwohl der denkbar einfach ist. So einfach, dass man denkt, das allein, kann doch keine Freiheit sein. Doch jeder der das meint, ist ja herzlich eingeladen, einen besseren Freiheitsbegriff zu finden.
Der, der Libertarier ist so schlecht, dass ihn niemand für voll nimmt – Du ja auch nicht – weil überhaupt nicht klar ist, wie eine Willensbildung ohne äußere Einflüsse stattfinden kann. Ich kann kein Eis wollen, wenn ich nie eines gesehen habe. Wenn ich aber eines gesehen habe, unterliege ich schon äußeren Einflüssen und kann kein Libertarier mehr sein.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Fr 30. Dez 2011, 19:29

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:aber eigentlich ist das gar nicht Deiner, denn Willkür, Zufall und Irrationalität sind für Dich auch keine sehr glücklichen Komponenten für die Freiheit des Willens.


Doch. Die Komponenten sind glücklich. Sie würden das Kriterium für Freiheit erfüllen. Ihr einziges Unglück ist, dass sie nicht existieren. Ich bin da relativ leidenschaftslos.


Ich auch und darum sage ich Dir, dass das Quatsch ist.
Wenn Du das behauptest, dann musst Du belegen – und das ist unabhängig davon, ob eien solche Freiheit empirisch sein kann oder nicht – in welcher Weise, Zufall, Willkür oder Irrationalität Deine Freiheit vergrößern würden. Das ist gerade der Sargnagel dieser Idee, Du wirst nicht begründen können, warum einer der drei Faktoren Deine Freiheit vergrößert.
Wenn Du das nicht kannst, bleibt Dir nur noch anzuerkennen, dass die Nummer mit der schnöden Rationalität stimmt. Also gib Dein Bestes und widerlege die Kompatibilsten indem Du begründest, wie Zufall, Willkür oder Irrationalität die Freiheit Deines Wollens vergößern würden.

ganimed hat geschrieben:Wohingegen ich dir unterstelle, dass es eben diese Leidenschaftlichkeit ist, die dich unlogisch werden lässt. Du stellst, genau wie ich, fest, dass es Zufall und Willkür und Irrationalität in unserer Welt nicht gibt.


Oh nein, ich glaube, dass es Zufall, Willkür und Irrationlaität gibt.

ganimed hat geschrieben:Aber im Gegensatz zu mir scheinst du darüber derart glücklich zu sein, dass du im Taumel der Gefühle bereit bist, den Willen, der in dieser Welt dann übrig bleibt, kurzerhand "frei" zu nennen.


Nein, ich empfinde mich einfach als freien Menschen (der natürlich unter dem Einfluss einige Zwänge steht) und niemand hat mir bisher erklären können, was daran falsch sein soll.
Mein Hauptargument dagegen ist ein pragmatisches. Wenn mein Wille vollkommen entgegen meine Empfindungen unfrei sein soll, was ändert diese Einsicht, wenn ich sie akzeptiere dann eigentlich an meinem Leben? Im Bezug auf Beziehungen, Ideale, Hobbies, Beruf, Glauben, Hoffnung, Wissen?
Ich sehe nicht einen einzigen Unterschied nach diesem Erdrutsch, zu dem Zustand vorher.
Ich könnte mit derselben Folgenlosigkeit auch an das Spaghettimonster glauben, auch dieser Glaube änderte rein gar nichts.

ganimed hat geschrieben:Entschuldige, wenn ich das so darstelle, aber im Ernst, ich sehe kaum einen anderen Grund, wieso man für "festgelegtes" plötzlich das Wort "frei" verwenden wollte. Oder sollte es einfach nur Trotz sein?


Das ist ja gerade der Clou an der Nummer. Die meisten würden auf Anhieb reagieren wie Du (und ich) und sagen, frei und festgelegt, das passt nicht zusammen. Doch dann kommt man in die Region, wo man gefragt wird, was denn Freiheit für einen selbst bedeuten würde.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Du müsstest also versuchen, mal kurz davon zu abstrahieren, dass es für Dich eigentlich keine Freiheit gibt und dann versuchen einen brauchbaren Begriff von Freiheit zu definieren.

Ich habe bereits eine Definition von Freiheit (beim Willen). Du sagst hier implizit, dass die aber nicht brauchbar ist. Erkläre mal bitte, wieso meine Definition nicht brauchbar ist. Ist es deshalb, weil aus ihr folgt, dass es keine Freiheit gibt und das Gefühl der Freiheit folglich eine Illusion ist? Ich glaube, dies ist genau der Punkt.


Deine Definition war:

ganimed hat geschrieben:Eigentlich verstehe ich darunter, dass ich in derselben Situation (also mit allen gegebenen ursächlichen Faktoren) auch anders entscheiden könnte. Wenigstens teilweise müsste dazu meine Entscheidung unabhängig von den ursächlichen Faktoren sein. Puh, das wäre geschafft und die Aufgabe ist erfüllt. :)


Wenn Du nun etwas willst, dann wirst Du dafür auch einen Grund haben. Wenn Du in der gleichen (nicht einer ähnlichen) Situation, dann auf einmal etwas anderes willst, dann ist Dein Wunsch willkürlich. Wenn man die exakt gleiche Situation 100.000 mal wiederholen könnte, was man nicht kann, müsstest Du immer wieder die gleichen Wunsch haben (aber nicht, wenn die Situation nur sehr ähnlich ist).
Dein Wunsch kann auch ruhig willkürlich, irrational oder zufällig sein, Du müsstest dann nur erklären können, warum einer dieser drei Faktoren, Deinen Grad an Freiheit erhöht.
Wenn Du sagen würdest, dass Freiheit dann vorliegt, wenn Du eine Entscheidung treffen kannst, wie Du sie willst, dann müsstest Du auch sagen können, was Du willst. Wenn Dir jetzt zu kalt ist und Du sagst: „Ich hätte gerne die Heizung angedreht, mir ist kalt“, warum wäre es logisch oder freier, wenn Du unter den exakt gleichen Bedingungen sagen würdest: „Mach doch bitte das Fenster auf“? Dir ist kalt, es ist Dein Wille, dass die Heizung angedreht ist, weil Dir kalt ist, das wäre normal und würde auch nicht gegen die Naturgesetze verstoßen. Wenn nun exakt diese Situation sich wiederholen würde, Dir ist wieder kalt und nun sagst Du: „Ach, mach doch das Fenster auf“, wären Deine Gründe in einer der Situationen willkürlich gewesen. Wenn Willkür vorliegt, geschieht aber nicht, was Du willst, sondern es geschieht irgendwas. Und wenn Du von Willkür getrieben bist, ist das gerade kein Ausdruck von Freiheit. Du könntest vollkommen affektgesteuert sein, aber schon Kant bemerkte, dass ein Mensch, der das ist nicht frei ist, sondern ein Sklave seiner Triebe.

ganimed hat geschrieben: Ein Kompatibilist verdreht die Definition von Freiheit so lange, bis sie seiner Meinung nach brauchbar ist, also in Übereinstimmung mit der Alltagserfahrung ist. Ziel dieser Übung scheint zu sein, weiterhin leugnen zu können, dass Menschen einer Illusion unterliegen. Könnte es sein, dass du das mit der Illusion als Kränkung und Herabwürdigung empfindest? Zumindest wäre mir dann deine Motivation für die Umdefinition der Begriffe klarer.


Das ist immer so eine Standardbegründung, die ich nicht nachvollziehen kann. Sie ist auch nicht begründet, sondern ad hominem. Freiheit ist eine Illusion, wer anderer Meinung ist, muss sich gekränkt fühlen. Ich sehe keinen Grund dafür, warum Freiheit eine Illusion sein sollte.
Wie gesagt, diese vermeintlich kränkende Erkenntnis wäre für mich vollkommen folgenlos und bei allen komplett folgenlosen Erkenntnissen steht der begründete Verdacht im Raum, dass es sich um reine (und schlechte) Metaphysik handelt.
Könnte es nicht sein, dass wir alle von Leguanen, die auf der Rückseite des Mars wohnen ferngesteuert werden? Diese Leguane sind uns überlegen und können sich unsichtbar machen, was sie immer dann tun, wenn jemand sie anschaut. Diese Leguane geben uns das Gefühl, dass wir es sind, die handeln, aber in Wirklichkeit steuern sie all unsere Handlungen. Könnte das sein? Widerlegen kannst Du es nicht. Es könnte sein. Es könnte auch sein, dass die Erde in 6 Tagen erschaffen wurde, dass die Mondlandung ein Hollywood Gag war … bei all dieses „könnte sein“ Geschichten kommt irgendwann der Punkt der praktischen Relevanz.

Was heißt es denn nun, dass wir keinen freien Willen haben, das Ich eine Illusion ist und dergleichen?
Wärst Du bereit mir Dein nächstes Monatsgehalt zu überweisen? Du willst ja eh nichts, ich will es und außerdem glaubt Du nicht an ein Ich, da ist also niemand der die Kohle braucht, ich glaube an ein Ich und nehme sie. Wetten, Du wirst sehr viel zögerlicher mit Deinen Ideen?

ganimed hat geschrieben: Ich sehe es wie Teh Asphyx. Die Freiheit einer Entscheidung ist eine Eigenschaft der Entscheidung, egal von welcher Person oder welchem Wesen sie getroffen wird. Nehmen wir als Beispiel an, ich wäre ein Zufallszahlengenerator (für echten Zufall). Eine Entscheidung bei mir wäre die Wahl einer Zahl. Mein Wille wäre es beispielsweise einfach mal, die 3 zu wählen. Meine Entscheidung wäre nur dann unabhängig und echter Zufall, wenn bei gleichen Ursachen auch andere Zahlen herauskommen können. Das ist dann zwar Willkür, oder irrational oder was auch immer, aber für die Person Zufallsgenerator ist es plötzlich wesentlich, wichtig, richtig und glücklich.


Mh, der Vergleich hinkt ein wenig.
Du wirst ja Deine Partnerin, Deinen Beruf, Deinen besten Freund, Deine Präferenz für die Brights nicht vollkommen zufällig gewählt haben. Wenn Deine Freundin fragt: „Liebst du mich noch?“ würdest Du dann antworten: „Was heißt lieben, du warst halt da, es hätte auch jede andere sein können, ich bin frei und habe da generell überhaupt keine Präferenzen“?

ganimed hat geschrieben: Während, wie du ja immer wieder feststellst, diese Eigenschaften bei einer menschlichen Person unglücklich und wenig wünschenswert wären. Aber genau darum geht es. Die Freiheit der Zahlenwahl ist einzig darüber definiert, ob sie kausal festgelegt oder nicht festgelegt ist.


Soweit ich weiß, ist der radioaktive Zerfall halbwegs zufällig. Es gibt zwar die Halbwertzeit, nach der man recht genau sagen kann, wenn das radioaktive Material nur noch zur Hälfte vorhanden ist, aber man kann nicht sagen, welcher Kern nun als nächstes zerfällt. Ist Plutonium dadurch freier als jemand der sagen kann, was er will?

ganimed hat geschrieben: Welche Person diese Wahl trifft spielt dabei keine Rolle. Menschliche Würde kann kein Argument dafür sein, den intuitiven Freiheitsbegriff so lange zu verdrehen, bis sie gewahrt bleibt.


Welche Wahl getroffen wird, ist auch nicht wichtig, wichtig ist, ob diese Wahl bewusst getroffen wird und ob man sie unterschreiben kann. Ja, ich liebe meine Freundin, ja, ich mag diesen Job, ja, ich finde die Brights besser, als die katholische Kirche. Freiheit bekommt doch erst dann einen Sinn, wenn man zwischen mindestens zwei Dingen bewusst wählen kann.
Wenn einfach irgendein Ereignis passiert, von dem wir nicht wissen warum, oder das vollkommen unkontrolliert ist, warum sollte man das frei nennen?
Epileptiker, Menschen mit Tourette Syndrom machen unwillkürliche Bewegungen, die mehr oder minder zufällig sind, findest Du, dass das ein Ausdruck übergroßer Freiheit ist?
Aber wie auch immer, Du müsstest darstellen, in welcher Weise Zufall und Willkür Freiheit vergrößern. Wenn ich aus 20 Möglichkeiten die eine auswähle, die mir am besten gefällt, fühle ich mich frei, für Dich scheint es Freiheit zu bedeuten, wenn Dir per Los eine zugeordnet wird.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 30. Dez 2011, 22:16

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich habe verschiedene Definitionen aus der deutschen Wikipedia geliefert, weil diese etwas umfangreicher ist und nicht nur die Definitionen aus dem britischen Empirismus kennt, was Dir aber, wie Du schriebst, ja nicht passt, weil für Dich jede Seite, die andere Definitionen anbietet, nicht zu gebrauchen sei. Damit will ich sagen, dass für mich Deine Links genausowenig Relevanz haben, so kommen wir also nicht weiter.

So, meine Zitate haben für Dich keine Relevanz, es ist Dir völlig egal, was andere Leute unter dem Thema 'Willensfreiheit' verstehen?

Gehen wir meine Zitate mal der Reihenfolge nach durch, betrachten wir die Autoren und ihre Einstellung:

1. Ansgar Beckermann - Kompatibilist
2. Wikipedia - (mehrere Autoren, keine Festlegung)
3. Timothy O'Connor (weiß nicht)
4. Kevin Timpe (Christlicher Philosoph - Inkompatibilist, Libertarier)
5. Galen Strawson - Harter Determinist
6. Peter van Inwagen - Libertarier

Mit all diesen Begriffsbestimmungen kann ich mich anfreunden, mit allen diesen Leuten kann ich eine gemeinsame Basis finden, (und z.B. auch mit dem deutschen Libertarier Geert Keil), von der ausgehend wir über ein gemeinsames Thema diskutieren und streiten könnten. Dabei ist es erst mal egal, dass ich ein Kompatibilist bin und die anderen (zum größten Teil) nicht.

Teh Asphyx hat geschrieben:Diese Zitate sind also allesamt irrelevant. Mir ist das egal, worüber diese Philosophen reden, weil diese Philosophen nicht die einzigen sind und die, wie ich schon sagte, eine Weltsicht haben, in der es gar keinen Willen geben kann, weswegen ich mit denen auch nicht über einen freien Willen diskutieren würde. Die wollen nur aus juristischen Gründen an diesem Begriff festhalten und müssen deshalb Theoriefindung betreiben, das ist alles.

Und mir ist es egal, über was Du redest, das ist auf jeden Fall nicht das, um das es bei diesem Thema geht. Du bist wie jemand, der auf der Autobahn in die falsche Richtung fährt und alle anderen für Geisterfahrer hält. Tatsächlich aber bist Du der Geisterfahrer.

Wenn Du aber dennoch meinen solltest, es wäre relevant, über was Du redest, dann erst mal die Frage: wieso und für was relevant?

Teh Asphyx hat geschrieben:Ob jemand eine Marionette des Zufalls sein möchte oder nicht, ist doch scheißegal. Was spielt das für die Frage für eine Rolle, was irgendwer möchte? Oder geht es nur darum? Ich kann mir hier die Finger wundschreiben, aber es auch genauso lassen, weil Kompatibilisten sich eh die Welt so machen, wie sie möchten? Dann sag das doch gleich, das spart mir eine Menge Zeit.

Mich interessiert das philosophische Thema "Willensfreiheit" sehr. Das ist alles. Wenn Dich das nicht interessiert, Du das als irrelevant ansiehst, dann gut, Deine Sache. Nur, wie gesagt: dann verstehe ich nicht, was eigentlich Dein Thema ist, und wofür das relevant sein sollte und könnte.

Du sagst, Du seiest weder Kompatibilist noch Inkompatibilist, sondern irgendwie was anderes. Nur gibt es dabei unglücklicherweise nichts Drittes. Das ist es schon, was mich an MSS gestört hat, der hat dasselbe behauptet. Man kann sich natürlich außerhalb des philosophischen Diskurses stellen, nur denke ich nicht, dass MSS dabei erfolgreich war und ich denke auch nicht, dass Du damit erfolgreich sein kannst.

Niemand kann meiner Ansicht nach das Rad von Grunde auf neu erfinden, jeder steht auf den Schultern von anderen, ist darauf angewiesen, die Überlegungen und Erkenntnisse der anderen zu berücksichtigen und darauf aufzubauen.

Und wenn Du unter dem Begriff "freier Wille" etwas anderes verstehst als es im philosophischen Diskurs üblich ist, dann ist das nicht das Problem der anderen, dann ist das nur Dein Problem.

Und kaum ein Mensch versteht unter 'freiem Willen' reine Willkür, kaum ein Mensch würde z.B. jemanden mit Tourette-Syndrom für frei halten, weil dieser von willkürlichen und von ihm nicht kontrollierbaren Zuckungen geplagt ist,

Worauf willst Du eigentlich hinaus? Sagen wir, es gäbe keine Freiheit in Deinem Sinne, (wie auch immer der sein mag). Und, was weiter? Was folgt daraus? Welche konkreten Forderungen an andere leitest Du daraus ab und wie begründest Du die? Und auf welche juristischen Gründe beziehst Du Dich hier (?):

Teh Asphyx hat geschrieben:Die wollen nur aus juristischen Gründen an diesem Begriff festhalten und müssen deshalb Theoriefindung betreiben, das ist alles.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 30. Dez 2011, 22:47

Vielleicht nochmal so gesagt: von jedem ernst zu nehmenden Vertreter egal welcher Ansicht (egal, ob Libertarier, Kompatibilist oder harter Determinist) hinsichtlich des freien Willens wird folgende Voraussetzung als notwendige Voraussetzung für einen freien Willen / eine freie Entscheidung akzeptiert:

- die Fähigkeit zur Erkenntnis, die Fähigkeit zur Reflexion, zur Abwägungen von Vor- und Nachteilen einer bestimmten vorgestellten Alternative.

Wer das nicht akzeptiert, für wen einfach nur reine Willkür, reiner Zufall schon Freiheit bedeutet, der hat sich außerhalb dieses gemeinhin anerkannten Diskurses gestellt. Und damit ist seine Ansicht entweder irrelevant oder aber er kann - gegen alle anderen Ansichten, gegen diesen allgemeinen Konsens - das hinreichend und nachvollziehbar begründen. Kann er das aber nicht, dann ist er draußen, denn dann gibt es nun mal keinen Grund, seine Ansicht einfach so akzeptieren zu sollen, egal, wie für intuitiv richtig er selber das auch hält.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 30. Dez 2011, 23:52

Was mich am meisten interessiert an dieser Diskussion im Allgemeinen ist dies: wie oben schon gesagt, bin ich der Meinung, dass wir einen freien Willen haben und zwar in diesem Sinne:

Willensfreiheit 3: Das Marionettentheater hat geschrieben:"Es ist zentral für unser Selbstverständnis, dass wir keine Puppen sind; dass wir unser Schicksal durch die Entscheidungen, die wir treffen, kontrollieren; dass wir uns verändern können; dass wir uns entschließen können, sorgfältig durchdachte, anstelle von irrationalen oder gedankenlosen Entscheidungen zu treffen; dass wir keine Sklaven unserer Emotionen sind; dass wir über die Umstände hinauswachsen können, in die wir hineingeboren wurden; dass wir uns deshalb korrigieren und verbessern und aus schlechten Umständen entkommen können; dass unsere Emotionen uns gehören und niemandem sonst; dass unsere Handlungen unsere Persönlichkeit demonstrieren; dass wir verantwortlich sind für die Entscheidungen, die wir treffen; und so weiter. Und doch: Jeder einzelne Eintrag auf dieser Liste ist wahr. CCF [der kontra-kausale/libertarische freie Wille] hat tatsächlich nichts mit all dem zu tun."


Und nun meine Fragen dazu:

- ist es hier Konsens, dass wir einen freien Willen in diesem Sinne haben?
- wenn ja: was wollen wir mehr? (Bzw.: was willst Du mehr und warum?)
- wenn nein: wieso und inwiefern nicht? Welche der o.g. Punkte treffen in einer determinierten Welt nicht zu, werden von einem Determinismus ausgeschlossen und: wieso genau, was sind die Gründe für diesen Ausschluss?
- wenn das, was da beschrieben ist, nicht "echt" oder "wirklich" frei sein sollte: was ist dann "echt" oder "wirklich" frei"?
- was bedeutet es, dass wir nicht "echt" oder "wirklich" frei sind?
- welche Folgerungen ergeben sich daraus?
- welche Anforderungen an andere ergeben sich daraus?
- und wie können andere diese Anforderungen erfüllen, wenn sie nicht anders können, als sie tun?
- und wenn aber andere diese Anforderungen verstehen und umsetzen können, wieso sind sie dann nicht in einem wesentlichen Sinne frei?

Ich meine, bei harten Deterministen steckt ein grundlegender logischer Fehler drin: entweder sind wir insofern frei, a) Argumente abwägen und berücksichtigen zu können oder b) wir sind es nicht. Wenn a), dann sind wir in meinem Sinne frei. Wenn b), dann sind Argumente sinnlos, die sind dann nur irrelevante und sinnlose Lautfolgen, könnten ebenso auch anders sein.

Und nun nochmal ein paar Fragen:

1. - an den harten Deterministen: Du willst nicht wirklich argumentieren, Dir ist konsequenterweise schon klar, dass Du selber so unfrei bist, wie Du alle anderen siehst. Wenn alle unfrei sind, dann logischerweise auch Du. Oder etwa nicht? Wenn nicht: wieso bist dann ausgerechnet Du frei? Wie kommt das, wie erklärst Du Dir das? Und wenn ja: dann sind Deine Argumente laut Deiner Ansicht automatisch wertlos, irrelevant.

2. - an den Libertarier: woher kommt Deine Freiheit? Wie kann Willkür / reiner Zufall Freiheit herstellen? Es wäre doch per se absurd, anzunehmen, dass jemand freier wäre, der in ein und derselben Situatuation mal die von ihm gewünschte Alternative a) und mal die von ihm nicht gewünschten (von ihm als schlechter angesehehenen) Alternativen b) (und c) und d) und ...) ergreifen würde. Oder? Wieso sollte diese bedauernswerte Mensch freier sein als ein in Deiner Sicht unfreie Mensch, der sich in der beschriebenen Situatation immer für die ihm in derselben Situation besser erscheinende Alternative a) entscheidet? Das ist mir mehr als unklar. Ich würde es genau umgekehrt sehen wie Du: der erste Mensch wäre meiner Ansicht nach unfreier als der zweite Mensch. Aber gut: wir haben dann unterschiedliche Freiheitsbegriffe, das kann vorkommen, kein Problem soweit. Aber was weiter? Deine Freiheit ist mir gleichgültig, ja, ich möchte sie nicht haben, da sie meiner Ansicht nach weniger Freiheit bedeuten würde. Und nun? Was folgt weiter daraus?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Mark » Sa 31. Dez 2011, 00:19

Schlagt Euch mal die Köpfe ein über den Zusammenhang zwischen Freiheit und Informationsverfügbarkeit. Wie frei kann jemand sein der theoretisch nix weiss, ja im Grunde garnicht wirklich wissen kann was "wissen können" bedeuten soll. Und dann sind wir idR auch noch äusserst schlecht informiert.
Und dann streitet man über Begriffsdeutungen von solchen Monstern wie "Freiheit" ?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 31. Dez 2011, 00:37

Wer nix weiß, (und sich auch nicht informieren kann), ist (meiner Meinung nach!!!) unfreier als jemand, der mehr weiß oder zumindest die Möglichkeit hat, sich informieren zu können.

Aber nach der Meinung von ganimed macht es wohl überhaupt keinen Unterschied, ob jemand etwas weiß oder nicht, ob jemand etwas kann oder nicht, ob jemand bestimmte Fähigkeiten hat oder nicht: alle sind absolut gleichermaßen unfrei, denn die Freiheit eines jeden ist seiner Ansicht nach exakt gleich null.

Frei ist nach ganimed nur der, der völlig willkürlich und von allem unbeeinflusst irgendwelche idiotischen Entscheidungen trifft, solche, die niemand bei vollem Verstande niemals treffen würde, die der Entscheider selber als völlig idiotisch ansehen würde. Hauptsache nur, die Entscheidung wurde indeterminiert getroffen, dann ist sie frei und das war's schon. Das verstehe, wer will, ich verstehe des nicht, ich halte das für schlicht absurd, für absolut nicht nachvollziehbar. Jemand mit Tourette-Syndrom soll frei sein, sofern seine Zuckungen echt zufällig erfolgen? Und unfrei, falls seine Zuckungen determiniert erfolgen? Hm, tut mir leid, ich halte das für totalen Quark, glaube nicht, dass viele andere dem zustimmen würden.

Und Teh Asphyx sieht das wohl ähnlich, wenn ich das richtig verstehe. Könnte mir zwar eigentlich egal sein, es gibt viele Leute, die völlig merkwürdige Ansichten haben, manche glauben sogar an einen Gott. Aber das ist mir dann nicht mehr egal, wenn sie daraus irgendeine Forderung ableiten, die auch für mich gelten soll. Dann tangiert mich das sehr wohl. Jeder soll nach seiner Fasson selig werden, an einen Gott oder an seine eigene Unfreiheit glauben, das ist mir gleich, aber wenn er was von mir will, dann sollte er das sehr, sehr gut begründen können. Ich meine, das ist nicht zuviel verlangt. Da reicht keine intuitive Meinungsäußerung, die ich nicht nachvollziehen kann.

Und das allergrößte Rätsel dabei für mich ist dies: wie kann jemand, der meint, dass alle Menschen völlig unfrei seien, an andere inhaltliche und / oder moralische Forderungen stellen? Gut, es könnte sein, dass er das tut, weil er so determiniert ist, also einfach so, ohne Grund, er könnte also genauso gut das Gegenteil von dem sagen, was er sagt. Dann wäre es zwar konsistent, aber warum sollte mich das dann jucken? Wäre dann ja nicht anders als wenn ein Papagei etwas sagte, der beansprucht ebenso wenig Geltung wie die harte Deterministen - sofern die konsequent sind. Und wenn sie nicht konsequent sind und dennoch Geltung beanspruchen - dann begehen sie doch unweigerlich einen performativen Selbstwiderspruch. Oder etwa nicht? Das ist das grundsätzliche Problem, was ich mit der Auffassung der harten Determisten habe, und ich sehe nicht, wie dieser offensichtliche Widerspruch zu lösen wäre.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Mark » Sa 31. Dez 2011, 02:54

..und welchen Sinn macht ein freier Wille wenn es einen allmächtigen allstrafenden allwissenden Gott gibt..
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 31. Dez 2011, 03:39

Wenn Du das mich fragst: spielt mE bei der Willensfreiheit überhaupt keine Rolle, ob es einen allmächtigen allstrafenden allwissenden Gott gibt oder nicht. (Eine Rolle spielen würde es jedoch, wenn dieser Gott nicht lediglich allmächtig, allstrafend und allwissend wäre, sondern zusätzlich noch alles geplant und erschaffen hätte und alles hätte vorhersehen können. In dem Falle wäre es mE zumindest ziemlich merkwürdig, wenn er allstrafend wäre. [Aber das ist hier wohl ein unwesentlicher Nebenaspekt, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.])

Anders gesagt: es spielt keine Rolle für meinen Begriff von Willensfreiheit, ob jemand evolutionär entstanden ist oder (von jemandem, Gott oder whoever) erschaffen wurde. Siehe dazu auch hier. Ich wüsste jedenfalls nicht, warum das eine Rolle spielen könnte, vielleicht aber hat jemand ein gutes Argument dafür, dass es das sehr wohl tut, dass also jemand, der von einem Dritten erschaffen / konstruiert wurde, nicht frei sein könne. Per se selbstverständlich finde ich das jedenfalls nicht, es muss also mindestens ein Argument dafür geben, falls man vertreten will, dass das der Fall sei.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Sa 31. Dez 2011, 11:53

Du wirfst schon wieder so viel Dinge durcheinander, dass es echt Mühe macht, das alles wieder „auseinanderzuknoten“, damit man da überhaupt irgendeine Klarheit kriegt.

Sprechen wir von Begriffsdefinitionen und ob die miteinander Kompatibel sind, sprechen wir von der vermeintlichen Realität oder sprechen wir davon, wie wir es gerne hätten?
Wir müssen da eine klare Linie reinkriegen, sonst kommt da nur Schwachsinn bei raus.

Ich meine, dass es sich um ein rein sprachliches Problem handelt. Determinismus ist als Vorbestimmung definiert, während der freie Wille (zumindest laut Thread-Überschrift geht es um den freien Willen und nicht um Freiheit an sich, also sollten wir auch ganz streng dabei bleiben, dass es darum geht, ob der Wille frei sein kann und ein freier Wille würde eben dann auch nicht durch die Vernunft kontrolliert sein können) eben ein Wille sein muss, der keinen Zwängen oder Kontrolle unterliegt.
Möchtest Du darüber diskutieren, ob der Mensch im Allgemeinen frei sein kann, wenn die Welt determiniert ist? Das ist ein anderer Ausgangspunkt, da Du auch von einem harten und einem weichen Determinismus gesprochen hast und den weichen vertrittst, klar kann dabei Freiheit möglich sein.
Da ich allerdings für strenge Begriffsdefinitionen bin, kommt für mich nur harter Determinismus als Definition eines Determinismus in Frage und wenn es in der Realität keinen harten Determinismus gibt, sollten wir nicht mehr von Determinismus sprechen.
Meine Definitionen gibt es in vielen philosophischen Diskursen, nur nehmen wahrscheinlich viele Philosophen den Streit zwischen Kompatibilisten und Inkompatibilisten nicht mal ernst/beteiligen sich nicht daran, weil es an der Sache vorbeiführt.

Meine Position in dem Ganzen hast Du trotzdem nicht verstanden, weil Du mich schließlich als Libertarier bezeichnest. Ich habe aber eine dialektische Position, die zwar eine Kausalkette als auch eine Willkür des Subjekts voraussetzt, aber dadurch dass beides zu einer Synthese kommt und dies den kreativen Prozess ausmacht (was ja wunderbar in der Evolutionstheorie bestätigt ist), ist das Ergebnis weder Determination noch freier Wille.
Das heißt, es gibt sehr wohl eine dritte Position (und vielleicht noch mehr), nur weil Du sie nicht denken kannst, ist es noch lange nicht ausgeschlossen.

Du machst einen Fehler in Deiner Frage an den Libertarier. Du gehst davon aus, dass der Zufall dafür sorgt, dass ich eine Entscheidung treffe, die ich nicht wünsche, da wir aber von einem freien Willen sprechen, ändert sich durch den Zufall jedoch das, was ich wünsche, das heißt, ich entscheide mich ja trotzdem immer für das, was ich wünsche. Wenn ich mich immer für das entscheiden kann, was ich wünsche, einfach nur weil es meinem Wunsch entspricht und nicht, weil es determiniert ist, dann würde ich selbstverständlich von Freiheit sprechen und ich weiß nicht, was daran bedauernswert sein soll.

Dass der Mensch frei ist, kann auch daran liegen, dass der Mensch zwar einen Willen hat, der frei ist/durch Zufall entsteht, sich aber auch gegen diesen Willen entscheiden kann, wenn es andere Gründe gibt, die eine andere Entscheidung sinnvoller erscheinen lassen.

Das ist ja das verheerende an dem alttestamentarischen Gott, der immer noch in unserem Justizsystem herum wütet. Er erlaubt einerseits den Menschen, sich frei zu entscheiden in einem Sinne, wo er eigentlich aber doch gar nicht anders kann, andererseits muss er sich selbst dafür verantworten und seine Strafe akzeptieren.
Das ist genau die falsche Freiheit des liberalen Bürgers: Du darfst Dich frei entscheiden, das zu tun, was man von Dir erwartet.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Dissidenkt » Sa 31. Dez 2011, 12:14

Mark hat geschrieben:Und dann streitet man über Begriffsdeutungen von solchen Monstern wie "Freiheit" ?



Sämtliche Diskussionen kranken genau an diesem Punkt!
Alle haben komplett unterschiedliche Vorstellungen und Assoziationen vom Begriff "Freiheit" und so lange man sich nicht auf eine RATIONALE Definition einigt, wird aneinander vorbei diskutiert.

Die rationale Definition ist ganz einfach:

1. Eine absolute Freiheit gibt es nicht. Das ist ein geistiges Konstrukt, mehr nicht.
Die Benutzung des Wortes "Freiheit" oder "frei" in einem absoluten Sinn ist also unzulässig, weil irrational.
Deshalb ist auch "der freie Wille" ein irrationaler Begriff.

2. Freiheit ist immer nur graduell und mit einem konkreten Bezug möglich.
Physisch kann ich frei sein von Fesseln oder Behinderungen,etc..
Psychisch (also auch der Wille) kann ich frei sein von gesellschaftlichen Druck, eigenen Zwängen, Krankheiten,etc...

Wer also behauptet, er habe einen freien Willen, redet dummes Zeug.
Richtig - zumindest diskutabel - wäre zB. die Behauptung, ich habe einen von äusserem Druck weitestgehend freien Willen. Das wäre zB dann der Fall, wenn man finanziell und beruflich sehr unabhängig ist.

Wer diese einfache Definition nicht akzeptiert, ist für jede Diskussion von vorneherein disqualifiziert.


[MOD]Sorry, aber das Rot war zu laut.[/MOD/Myron]
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Sa 31. Dez 2011, 13:50

@Vollbreit
Ich habe das Gefühl, wir kommen nicht weiter. So war es seinerzeit bei meiner Diskussion mit AgentProvocateur auch. Meine Argumente führen bei dir, soweit ich das überblicke, zu keinerlei Bewegung mehr und umgekehrt ist es nach meinem Gefühl ebenfalls so. Ich stelle sogar fest, dass ich viele Argumente von dir und sogar die Stoßrichtung der Beispiele (wenn man eine Entscheidung 1000 mal wiederholen könnte) in sehr ähnlicher Weise auch von AgentProvocateur gebracht wurden. Für mich seid ihr an dieser Stelle kaum unterscheidbar :)

Ich versuche mal ein vorläufiges Fazit, eine vereinfachte Sicht der festgefahrenen Situation:

Für mich ist mein Wille genau dann frei, wenn er nicht festgelegt ist.
Für dich ist dein Wille frei, wenn du ihn hast (und nicht deine Tante) und er rational ist und ohne Willkür.

Ich nenne etwas frei, wenn es nicht völlig festgelegt ist.
Du nennst etwas frei, wenn es dir gehört und nicht dumm ist.

Mein Sprachgefühl ist an dieser Stelle vernünftig, intuitiv und üblich.
Dein Sprachgefühl scheint außer Kraft zu sein und es kommt Unsinn heraus.

Soweit mein subjektives Fazit. Ich nehme an, deines sähe entsprechend anders aus.

Was bei dir neu ist im Vergleich zu AgentProvocateur, ist dein Hinweis, dass du auch mal so inkompatibilistisch gedacht hast wie ich und dann die Sicht geändert hast. Das finde ich interessant. Meine intuitive Annahme, dass ihr Kompatibilisten einfach nur den Verstand verloren habt, scheint also tatsächlich nicht völlig stichhaltig. :) Es scheint Argumente zu geben, die einen von dieser abgedrehten Position überzeugen können. Vielleicht höre ich ja eines Tages mal so eines.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Sa 31. Dez 2011, 14:47

@ Dissidenkt

Der einzige, der sich hier disqualifiziert bist Du, weil Du glaubst, dass Deine Schlussfolgerung als einzige gültig sein kann und Du nicht weiter denken willst.

Dissidenkt hat geschrieben:1. Eine absolute Freiheit gibt es nicht. Das ist ein geistiges Konstrukt, mehr nicht.


Vieles in der Philosophie sind geistige Konstrukte, das heißt nicht, dass man nicht darüber diskutieren kann.

Dissidenkt hat geschrieben:Die Benutzung des Wortes "Freiheit" oder "frei" in einem absoluten Sinn ist also unzulässig, weil irrational.


Warum soll etwas irrational sein, was ich definieren kann? Du meinst wohl eher, dass es Freiheit Deiner Ansicht nach in der Realität nicht gibt (was mit Rationalität noch nicht viel zu tun hat), aber das ist etwas anderes.

Dissidenkt hat geschrieben:Wer also behauptet, er habe einen freien Willen, redet dummes Zeug.


Nein, nicht zwingend, mein dialektisches Beispiel ist alles andere als dummes Zeug, wobei der freie Wille da auch wieder aufgehoben wird.

Dissidenkt hat geschrieben:Richtig - zumindest diskutabel - wäre zB. die Behauptung, ich habe einen von äusserem Druck weitestgehend freien Willen. Das wäre zB dann der Fall, wenn man finanziell und beruflich sehr unabhängig ist.


Das ist das, was das liberale Bürgertum als frei sieht, ist aber ziemlich von der gesellschaftlichen Konstellation abhängig und so gesehen ist man eben doch nicht frei, weil man nach den Regeln dieser Konstellation leben muss.
Wie kannst Du überhaupt finanziell frei sein? Der Wert des Geldes allein wird schon durch Sachen bestimmt, auf die Du gar keinen Einfluss hast, also bist Du da immer abhängig.

@ ganimed

Ich habe das Gefühl, dass das, was überzeugend gewirkt hat, die ständige Wiederholung und der Hirnfick ist, der da betrieben wird von Seiten der Kompatibilisten. Das ist auch eine durchaus gängige rhetorische Methode etwas „wahr“ zu reden. Wenn man einmal „Eristische Dialektik“ von Schopenhauer gelesen hat, beeindruckt das aber nur noch wenig, es ist nur anstrengend und nervig.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Nanna » Sa 31. Dez 2011, 14:58

Leute, es stirbt keiner, wenn ihr euch hier nicht einigen könnt. Ich freue mich ja über die rege Diskussion, aber geht es nicht mit etwas weniger ad-personam-Argumenten? Idealerweise mit gar keinen?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Sa 31. Dez 2011, 17:33

AgentProvocateur hat geschrieben:Und nun meine Fragen dazu:

- ist es hier Konsens, dass wir einen freien Willen in diesem Sinne haben?

Ja. Ich zumindest stimme zu.

AgentProvocateur hat geschrieben:- wenn ja: was wollen wir mehr? (Bzw.: was willst Du mehr und warum?)

Es gibt ja zwei Definitionen von freien Willen. Den der Kompatibilisten, der in der ersten Frage gemeint ist. Und den der Inkompatibilisten, wo es um kausale Abhängigkeit geht. Und weil diese Freiheit nach der zweiten Definition nicht existiert, sie aber vom Gehirn als Illusion ständig suggeriert wird, ergeben sich wichtige Konsequenzen. Was wollen wir also? Wir wollen dem Umstand Rechnung tragen, dass wir gar nicht anders handeln konnten als wir gehandelt haben. Wir wollen diesen Umstand an genau allen Stellen beachten, die bisher implizit davon ausgehen, dass der Mensch einen freien Willen im Sinne von "man hätte auch anders entscheiden können" haben. Ich zumindest bin davon überzeugt, dass es fast immer besser ist, nicht aufgrund einer Illusion sondern aufgrund besseren Wissens zu entscheiden und zu handeln.

AgentProvocateur hat geschrieben:- wenn das, was da beschrieben ist, nicht "echt" oder "wirklich" frei sein sollte: was ist dann "echt" oder "wirklich" frei"?

Nichts. Denn wirkliche Freiheit gibt es nicht.

AgentProvocateur hat geschrieben:- was bedeutet es, dass wir nicht "echt" oder "wirklich" frei sind?
- welche Folgerungen ergeben sich daraus?
- welche Anforderungen an andere ergeben sich daraus?

Der Begriff "Schuld", wie er im üblichen Sinne und insbesondere im juristischen Bereich verwendet, müsste neu überdacht werden.
Die eigenen Handlungen würden im Licht der Erkenntnis vermutlich anders bewertet werden.
Man würde sich selbst und andere besser verstehen können, weil man nicht mehr ständig von irrigen Annahmen einer Illusion ausgeht.

AgentProvocateur hat geschrieben:- und wie können andere diese Anforderungen erfüllen, wenn sie nicht anders können, als sie tun?

Indem von anderen oder ihnen selber genau jene ursächlichen Faktoren geschaffen werden, die sie zur Erfüllung der Anforderungen zwingen.

AgentProvocateur hat geschrieben:- und wenn aber andere diese Anforderungen verstehen und umsetzen können, wieso sind sie dann nicht in einem wesentlichen Sinne frei?

Weil auch das Verstehen und Umsetzen von Anforderungen (wie auch alle anderen Entscheidungen) kausal abhängig sind.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Sa 31. Dez 2011, 19:46

Dissidenkt hat geschrieben:
Die rationale Definition ist ganz einfach:

1. Eine absolute Freiheit gibt es nicht. Das ist ein geistiges Konstrukt, mehr nicht.
Die Benutzung des Wortes "Freiheit" oder "frei" in einem absoluten Sinn ist also unzulässig, weil irrational.
Deshalb ist auch "der freie Wille" ein irrationaler Begriff.


Was ist denn eine absolute Freiheit und warum ist sie irrational?
Den weitesten Freiheitsbegriff haben sicher einige Libertarier, dem kann ich in der Tat nicht folgen, aber eine Freiheit im Sinne des Kompatibilismus, warum sollte es die nicht geben?
Es kommt mir vor, als ob Du gar kein Interesse an einer Diskussion hast, sondern die Antwort dogmatishc verkünden möchtest.

Dissidenkt hat geschrieben:
2. Freiheit ist immer nur graduell und mit einem konkreten Bezug möglich.
Physisch kann ich frei sein von Fesseln oder Behinderungen,etc..
Psychisch (also auch der Wille) kann ich frei sein von gesellschaftlichen Druck, eigenen Zwängen, Krankheiten,etc...

Wer also behauptet, er habe einen freien Willen, redet dummes Zeug.


Hm. Weil man frei sein kann, wie Du selbst beschreibst, redet man dummes Zeug, wenn man vom freien Willen redet? Wie soll das gehen?


Dissidenkt hat geschrieben:Richtig - zumindest diskutabel - wäre zB. die Behauptung, ich habe einen von äusserem Druck weitestgehend freien Willen. Das wäre zB dann der Fall, wenn man finanziell und beruflich sehr unabhängig ist.

Wer diese einfache Definition nicht akzeptiert, ist für jede Diskussion von vorneherein disqualifiziert.


Ist ja schon zig mal erwähnt worden und läuft ungefähr mit der Definition der Abswesenheit von Zwang zusammen. Ist also ein alter Hut.



ganimed hat geschrieben:Ich versuche mal ein vorläufiges Fazit, eine vereinfachte Sicht der festgefahrenen Situation:

Für mich ist mein Wille genau dann frei, wenn er nicht festgelegt ist.


Naja, für mich auch, das steht irgendwie ganz am Anfang, ich dachte wir wären schon ein paar Schritte weiter.

ganimed hat geschrieben:Für dich ist dein Wille frei, wenn du ihn hast (und nicht deine Tante) und er rational ist und ohne Willkür.


Das ist ja nicht unbedingt ein Gegensatz. Meinen Willen kann ja per def nur ich haben, das gilt ja auch für Dich oder jeden, dem wir einen freien Willen zuschreiben wollen.

ganimed hat geschrieben:Ich nenne etwas frei, wenn es nicht völlig festgelegt ist.
Du nennst etwas frei, wenn es dir gehört und nicht dumm ist.


Nein, das trifft es einfach nicht.
Mein Wille ist ja auch nicht festgelegt, sonst würde ich ja nicht frei entscheiden.
Das „dir gehört“ gehört ohnehin dazu und rational heißt nicht unbedingt, nicht dumm.
Rational heißt hier, Gründen folgend und Gründen folgend meint, dass ich nicht festgelegt bin.
(Und falls Dir das zu wenig ist oder Du eine andere Definition bevorzugst, immer her damit, falls sie auf Zufall beruht, bitte ich um die ausstehende Erklärung, inweiweit der Zafall irgendjemandes Freiheit vergößert.)

ganimed hat geschrieben:Mein Sprachgefühl ist an dieser Stelle vernünftig, intuitiv und üblich.
Dein Sprachgefühl scheint außer Kraft zu sein und es kommt Unsinn heraus.


Im Gegensatz zu Dir sind die Kompatibilsiten aber nicht ausgestiegen, bei der Frage, inwiefern denn Zufalll, Willkür oder Irrationalität die angesprochene Freiheit vergrößern würden.
Wenn Du das vergeisgerst stehst Du auch beim nächsten Mal vor einer geschlossenen Tür, denn es ist den Kompatibilsten mäöglich Deine Position und Dein Denken nachzuvollziehen, aber Dir ist es nicht möglich, das Denken der Kompatibilisten nachzvollziehen, d.h. Du verstehst einfach nicht, was sie meinen.
Beweise mir das Gegenteil, indem Du mal als Kompatibilist argumentierst.
Deine Position kenne ich ausgezeichnet, da es meine eigene war.

ganimed hat geschrieben:Soweit mein subjektives Fazit. Ich nehme an, deines sähe entsprechend anders aus.

Was bei dir neu ist im Vergleich zu AgentProvocateur, ist dein Hinweis, dass du auch mal so inkompatibilistisch gedacht hast wie ich und dann die Sicht geändert hast. Das finde ich interessant. Meine intuitive Annahme, dass ihr Kompatibilisten einfach nur den Verstand verloren habt, scheint also tatsächlich nicht völlig stichhaltig. :) Es scheint Argumente zu geben, die einen von dieser abgedrehten Position überzeugen können. Vielleicht höre ich ja eines Tages mal so eines.


Die Argumente habe ich Dir schon geliefert, tue es aber gerne nochmal.
Der Punkt ist, dass Du definieren musst, was Freiheit ist, gleich, ob Du dafür bist oder sie ablehnst.
Wenn Du sagst, ich bin gegen Krieg, musst Du auch sagen, was Krieg bedeutet.
Dass Willensfreiheit heißt, dass man irgendwie frei entscheiden kann, nunja, das bedeutet ungefähr dasselbe, aber was ist nun Freiheit?
Außerhalb jeder Ursache zu stehen? Geht schlecht, da sind wir uns einig.
Also folgt logisch zwingend, dass es bedeuten muss innerhalb von Ursachen (und Gründen) zu stehen. Innerhalb von Ursachen und Gründen heißt aber schlicht determiniert.
Deine Ausfahrt liegt genau hier: Wenn determiniert, dann kann also der Wille gar nicht frei sein.
Die Kompatibilisten denken aber weiter.
Sie sagen auch innerhalb von Ursachen (und Gründen) heißt determiniert, aber fragen sich, ob das schon bedeuten muss, unfrei zu sein.
Denn wenn ich Gründe habe, für mein Handeln, Wollen, Wünschen, warum bin ich denn dann unfrei? Um diesen Punkt geht es. Begründe mir mal, warum ich unfrei sein soll, wenn ich sage:
Ich habe schon als Kind gerne gebastelt und ein technisch-mathematisches Talent, deshalb möchte ich gerne Ingenieurswissenschaften studieren. Das ist doch ne klare Ansage. Warum bin ich dann unfrei? Weil ich ein Talent geerbt habe? Wäre ich freier, wenn ich gar nichts könnte? Warum?

Man könnte das zu retten versuchen – und das war einer meiner Versuche – in dem man sagt, dass manches determiniert ist, anderes aber nicht und das die Freiheit so zustande kommt.
Aber dann kommt die Schwierigkeit, dass man nicht sagen kann, wie der undeterminierte Rest sei er 0,0001%, 5% oder 98% groß denn nun Freiheit erzeugen kann.
Was ist denn gegeben, wenn etwas undeterminiert ist? Ist er oder es dann frei oder nur dem Zufall unterworfen? Undeterminiert, das heißt zufällig, es geschieht einfach so.
Freiheit Deines Willens muss irgendwie heißen, es geschieht, in einem gewissen Umfang, was ich will.
Oder jedenfalls habe ich eine klare Vorstellung davon, was passieren soll.
Wenn Zufälliges passiert, passiert nicht immer das was ich will, sondern Zufälliges.
Ich will Cola, kriege aber Milch. Ich möchte gerne Jura studieren, lande aber bei Mathe. Ich will Inge heiraten, bekomme aber Gabi. Ist das Freiheit, frage ich Dich? Oder hat nicht der mehr davon, der bekommt, was er will und will, was er bekommt.
Oder ist man freier wenn man Cola will, aber auch Milch wollen könnte? Warum? Wenn man in Inge verliebt ist, aber auch in Gabi verliebt sein könnte? Ich finde, das ist eher unentschlossen. Man man Jura studieren möchte, aber es einem egal wäre, wenn man Mathe studiert? Was genau ist freier daran?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 31. Dez 2011, 20:15

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich meine, dass es sich um ein rein sprachliches Problem handelt. Determinismus ist als Vorbestimmung definiert, während der freie Wille [...] eben ein Wille sein muss, der keinen Zwängen oder Kontrolle unterliegt.

Hm, an diesem grundlegenden Punkt, dem Startpunkt der Diskussion schon sehe ich das anders. Meiner Ansicht nach (und ich meine: auch nach der Ansicht der meisten Philosophen) geht es bei der Frage um die Willensfreiheit um die Frage, inwieweit wir unseren Willen und unsere Entscheidungen selber bestimmen. (So wie bei der Frage nach der Handlungsfreiheit, aber dann eben auf Handlungen bezogen).

Ich möchte Dir an der Stelle eine einfache Frage stellen: würdest Du diese Argumentation nun auch analog auf die Handlungsfreiheit anwenden, würdest Du also meinen, dass es bei der Handlungsfreiheit darum geht, ob eine Handlung keinerlei Zwängen und keinerlei Kontrolle unterliegt?

Ich sehe die Relevanz dessen nicht, es wäre nett, wenn Du die mal darlegen könntest. Eine Handlung, eine Entscheidung, ein Wille, der keinerlei Kontrolle unterliegt, wäre gut / wünschenswert für was und wieso?

Nochmal kurz zu der Bezeichnung "Harter Determinist", hier scheint es noch ein Verständigungsproblem zu geben. Mit diesem Ausdruck bezeichne ich einen Inkompatibilisten, der Determinismus in unserer Welt als gegeben ansieht, der also folglich einen freien Willen in unserer Welt als nicht gegeben ansieht.

Vielleicht doch mal ein paar Begriffsklärungen:

- Inkompatibilist: hält Willensfreiheit und Determinismus für unvereinbar
- Kompatibilist: hält Willensfreiheit und Determinismus für vereinbar
- Harter Determinist: Inkompatibilist, der Determinismus annimmt und daher Willensfreiheit als nicht gegeben ansieht
- Libertarier: Inkompatibilist, der Willensfreiheit annimmt und daher Determinismus als nicht gegeben ansieht

Noch ein paar Anmerkungen:

wie schon gesagt, sind sich alle Beteiligten bei dieser Diskussion über etwas Grundlegendes einig. nämlich:

- die notwendige Voraussetzung dafür, anzunehmen, ein Wesen hätte Willensfreiheit, ist die Fähigkeit dieses Wesens zur Erkenntnis und zur rationalen Abwägung

Dissens gibt es an dieser Stelle:

Inkompatibilisten sehen eine der zwei folgenden Fähigkeiten als zusätzlich notwendig für einen freien Willen an:

- PAP (Principle of Alternate Possibilities) - Prinzip der alternativen Möglichkeiten = jemand kann in einer völlig identischen Situation mal so und mal so entscheiden und handeln

- UR (Ultimate Responsibility) - Ultimative Verantwortung = jemand ist nur verantwortlich für das, was er zu 100% selber entschieden hat, was zu 100% auf ihn zurückgeführt werden kann

Anmerkung noch dazu: normalerweise verlangen Inkompatibilisten nicht beide Fähigkeiten als notwendige Voraussetzung für Willensfreiheit, sondern nur eine der beiden. Meist lehnen sie die jeweils andere ab. Mir scheint, dass PAP etwas aus der Mode gekommen ist, darauf beharrt kaum noch einer, (was nicht unwesentlich an den Gegenbeispielen von Harry Frankfurt liegt).

Teh Asphyx hat geschrieben:Meine Position in dem Ganzen hast Du trotzdem nicht verstanden, weil Du mich schließlich als Libertarier bezeichnest.

Hm, ich bleibe dabei: so wie ich das verstehe, bist Du eindeutig Libertarier. Du hältst Determinismus und Willensfreiheit für unvereinbar und meinst, in unserer Welt gäbe es Willensfreiheit. Diese beiden Ansichten charakterisieren einen Libertarier, mehr braucht es dazu nicht.

Teh Asphyx hat geschrieben:Du machst einen Fehler in Deiner Frage an den Libertarier. Du gehst davon aus, dass der Zufall dafür sorgt, dass ich eine Entscheidung treffe, die ich nicht wünsche, da wir aber von einem freien Willen sprechen, ändert sich durch den Zufall jedoch das, was ich wünsche, das heißt, ich entscheide mich ja trotzdem immer für das, was ich wünsche. Wenn ich mich immer für das entscheiden kann, was ich wünsche, einfach nur weil es meinem Wunsch entspricht und nicht, weil es determiniert ist, dann würde ich selbstverständlich von Freiheit sprechen und ich weiß nicht, was daran bedauernswert sein soll.

Okay, an der Stelle hast Du recht: der Zufall selber muss nicht die Entscheidung sein. Es gibt unter Libertariern öfter mal folgendes Modell:

- im Gehirn gibt es eine Art Zufallsgenerator
- dieser Zufallsgenerator generiert in einer bestimmten Situation sinnvolle Alternativen
- die Reihenfolge dieser Alternativen ist jedoch zufällig
- nun kann es sein, dass in einer Situation mit den möglichen Alternativen 1, 2, 3, .... 99.999 die beiden Alternativen 2.465 und 52.741 vom Entscheider beide als völlig hinreichend zur Lösung des Problemes gesehen werden
- präsentiert also der Zufallsgenerator zuerst die Alternative 52.741, dann wählt der Entscheider diese, präsentiert er erst die 2.465, dann wird diese gewählt
- und so kann in ein un derselben Situation mal die und mal die Entscheidung getroffen werden

Nun gut, das mag ja nun ziemlich sophisticated sein, aber mir ist leider nicht klar, wieso das Freiheit herstellt.

Wieso wäre ein hypothetischer Mensch A mit einem solchen echten Zufallsgenerator im Gehirn frei und wieso wäre einer (B) nicht frei, der sowas nicht hätte, dessen Vorschlagsgenerator also immer (nehmen wir an, wir spulten die Zeit fantastrilliarden-mal zurück) in derselben Situation die Alternative 2.465 zuerst präsentieren würde? Jetzt mal abgesehen davon, dass wir die Zeit nicht zurückdrehen können, wir also nicht feststellen können, ob es einen solchen Zufallsgenerator gibt oder nicht und auch mal abgesehen davon, dass, wenn wir die Zeit nicht zurückspulen, es wohl niemals identische zwei Situatuationen gegeben hat, gibt oder geben wird. Wo ist nun der Witz bei dieser metaphysischen, d.h. nicht falsifizierbaren Annahme? Wofür genau spielt es eine Rolle, ob wir in der Situation von A oder von B sind, wo wir das doch prinzipiell nicht wissen können? Und: hypothetisch könnte das Leben von A ubd von B absolut und komplett und total identisch sein, bis ins letzte Atom, ins letzte Elemntarteilchen. Unterscheiden würden sie sich nur durch eine hypothetische, prinzipiell nicht feststellbare Möglichkeit. Dennoch aber wäre A frei und B unfrei. Wegen der metaphysischen Möglichkeit, dass, würde man die Zeit zurückspulen können, B anders handeln würde als A.

Und, tut mir leid, aber das verstehe ich nicht. Oder anders gesagt: was nun? Was, wenn wir A sind, was sollen wir dann tun? Wo ist der Witz, was folgt nun?

Edit: sorry, muss jetzt los, später mehr.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Sa 31. Dez 2011, 22:01

- PAP (Principle of Alternate Possibilities) - Prinzip der alternativen Möglichkeiten = jemand kann in einer völlig identischen Situation mal so und mal so entscheiden und handeln


Das war übrigens meine Position, die ich erbittert verteidigt habe.
Freiheit, so dachte ich, kann nur sein, wenn man sich unter identischen Bedingungen auch anders entscheiden kann, alles andere, war meiner Meinung nach, keine Freiheit, sondern die sklavische Gebundenheit immer und immer wieder dasselbe tun zu müssen.

Warum habe ich mein Meinung geändert?
Mir war irgendwann nicht mehr klar, warum, wenn ich unter bestimmten Bedingungen A will und B ablehne und mir dessen sicher bin, ich nicht unter den exakt gleichen Bedingungen, wieder A wählen und B ablehnen sollte.
Wenn ich sage, dass ich gerne Butter möchte und keine Margarine, weil ich a) meine, dass Butter gesünder und b) meine, dass sie besser schmeckt, warum sollte ich, wenn exakt diese Bedingungen wieder gelten, d.h. ich von a) und b) in der exakte selben Situation, wieder überzeugt bin, dann Margarine wählen? Es ist doch erkennbar blöd zu sagen, erstens halte ich Butter für gesünder, zweitens schmeckt sie mir besser, darum will ich Margarine.

Dann habe ich darauf gepocht, dass es keine exakt gleichen Bedingungen geben kann und ich bin auch heute noch sicher, dass das stimmt. Nur, darum geht es in dem Gedankenexperiment ja gar nicht. Es geht nicht darum, ob man exakt identische Situationen simulieren kann, sondern, was sein würde, wenn es diese exakt identischen Situationen geben würde. Und auf einmal habe ich nicht mehr erkannt, warum mein Einwand – obwohl er stimmt – hier gegen den Kompatibilismus sprechen würde, der von einem anderen Szenario ausgeht.

Irgendwie parallel habe ich versucht Gründe dafür zu finden, warum eine minimale Abweichung vom Determinismus, dennoch den Grad der Freiheit eines Menschen vergrößern würde.
Ich bin mir relativ sicher, dass es echte zufällige Prozesse in der Welt gibt (auch wenn das nicht unbedingt heißt, dass die Naturgesetze nicht gelten, aber das ist ein Sonderthema), nur als ich zu begründen versuchte, warum, wo und in welcher Weise (eine der Antworten zu klären wäre schon hilfreich) dieser Indeterminismus denn den Grad an Freiheit von mir oder sonst wem erhöht, fand ich keine Argumente dafür. Vielleicht bin ich da nur zu wenig kreativ, aber bisher habe ich über diesen mir sehr entscheidend vorkommenden Punkt von den Kritikern des Kompatibilismus auch noch keine gelesen, wenn ich sie überlesen haben sollte, bitte noch mal wiederholen.

Und wenn der Zufall Freiheit nicht vergrößert, was wäre es für ein Vorteil willkürlich entscheiden zu können? Bei unwichtigen Dingen kann man schon mal spontan, aus dem Bauch entscheiden oder eine Münze werfen, aber warum ist es Freiheit nach sorgfältiger Analyse zu sagen: „Ich bin krank. Wenn ich nichts dran ändere, wird die Krankheit lebensbedrohlich. Wenn ich jetzt was mache, ist sie sehr gut in den Griff zu kriegen, wie alle Experten versichern. Ich würde gerne weiterleben, meine Frau will das auch, ich bin recht glücklich mit meinem Leben. Also lasse ich mich nicht behandeln und schaue mal was wird.“ Ich würde das unter den Prämissen als willkürlich ansehen und kann nicht erkennen, inwieweit das meine Freiheit vergrößert. (Wie gesagt, es geht nicht darum zu beweisen, dass ich todesmutig, tollkühn oder sonst was bin, auch das wären ja Gründe, die für die andere Variante sprechen würden, es gilt, ich lebe gern, möchte auch weiterleben, wie oben beschrieben.)


Um eine Brücke zu ganimed und Teh Asphyx zu baunen.
Ich glaube man kann einen sehr prinzipiellen Standpunkt einnehmen und sagen, dass Freiheit bedeutet dass man eben nicht determiniert ist und dass sich beides kategorisch ausschließt, schin von der Wortbedeutung her.
Und dennoch ist auch das nicht zu Ende gedacht. Warum?

Man müsste sich dann in der Tat fragen, ist der Mensch nun determiniert, oder ist er es nicht?
Ich glaube, keiner hier würde sagen, dass der Mensch überhaupt nicht determiniert ist, also frei von allen Ursachen und Gründen existiert. (Es gibt, das muss ich fairerweise noch sagen, auch differenziertere Positionen des Liberalismus, als ich sie hier erwähne, Geert Keil wurde schon genannt, ich habe sein Buch gelesen, es hat mich leider auch nicht überzeugt.)
Gehen wir also davon aus, dass der Mensch in Teilen determiniert ist.
Was aber heißt dann „in Teilen“? Das gibt ein ewiges Gezerre wo der Mensch denn nun frei und wo er determiniert ist. Also meine Eltern könnten treue Kirchgänger sein, ich hätte alles was die Kirche zu bieten hat mitgenommen, dann hätte ich dieses und jenes Buch von überzeugten Atheisten gelesen, hier und da diskutiert und am Ende wäre auch ich Atheist. War ich nun frei in meiner Entscheidung, oder wurde ich nur umprogrammiert? Warum überzeugen den einen Argumente, die den anderen kalt lassen? Man streitet sich weiter und muss doch klären, was Freiheit denn nun heißen soll und ein guter Kandidat auch hier: Die Gründe, die ich für meine Überzeugungen angeben kann (oder es eben nicht zu können).
Man könnte auch sagen, da der Mensch determiniert ist und wenn er letztlich von den Naturgesetzen determiniert ist (präziser: von den empirischen Gegebenheiten, die die Naturgesetze darzustellen versuchen), muss er 100% determiniert sein (andernfalls würden irgendwo die Naturgesetze nicht gelten). Gemäß der Formel von oben, wäre es mit der Freiheit dann nix.
Aber dann kommt man, wie ich finde, in deutliche Erklärungsnot, warum denn einige Lebewesen deutlich freier erscheinen als andere und warum wir sie ganz praktisch im Alltag auch genau so behandeln, nämlich mit einem unterschiedlichen Grad Verantwortung ausgestattet.
Niemand würde doch einem Orang-Utan, einem Geistesgestörten oder einem 3-jähgrigen Kind die Kontrolle über unsere Atomwaffen anvertrauen oder eine Maschinenpistole in die Hand geben.
Auch die, die Freiheit kategorisch leugnen, würden nicht so handeln. Aber warum nicht?
Weil wir unterschiedliche Grade von Freiheit ganz selbstverständlich zusprechen und das in meinen Augen auch keineswegs ein Ausdruck unzureichender Überlegung ist, sondern auch im philosophischen Sinne gibt es die Auffassung, die sich breit durchgesetzt hat, dass Rationalität nicht nur in unseren Gedanken- und Theoriegebäuden zu finden ist, sondern man sie auch in unseren Handlungen (praktischen Festlegungen) auffindbar ist.
Kurz gesagt, wenn ich sage, dass ich gleich noch dringend in die Stadt will und dafür stets den Bus nehme, aber den letzten Bus am Abend nicht besteige, wirft mein (Nicht-)Handeln die Berechtigung zu Nachfragen auf. Theoretische und praktische Festlegungen und Folgen sind eng miteinander verwoben und genau das ist der Grund, warum es inkonsistent ist, dass ich theoretisch behaupte, alle Wesen seien gleichermaßen frei, nämlich gar nicht, und dann praktisch, feinst differenziert durch meine Handlungen unterschiedliche Grade in der impliziten Zuschreibung von Freiheit durch meine unterschiedlichen Behandlungen von verschiedenen Gegenständen, Tieren und Menschen erkennen lasse.

So, jetzt ist die Suppe fertig und ich geh feiern.

Guten Rutsch in 2012
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