Kritik an der Evolutionstheorie: Erklärung oder Hypothese

Re: Kritik an der Evolutionstheorie: Erklärung oder Hypothes

Beitragvon mat-in » Sa 4. Feb 2012, 16:22

Mir wären jetzt zwei neue Buntbarscharten und zwei neue Lachsarten und ein par Phänomene bei Fruchtfliegen auf Anhieb bekannt.

Der Lachs Artikel ist hier zu finden. Getrennte Arten nach nur 13 Generationen
"Rapid Evolution of reproductive isolation in the wild: evidence from introduced salmon"
http://www.sciencemag.org/content/290/5491/516.short
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Re: Kritik an der Evolutionstheorie: Erklärung oder Hypothes

Beitragvon stine » Sa 4. Feb 2012, 16:27

Aber es ist doch die selbe Art nur durch die Erbgesetze verändert.
Lachs ist Lachs. Auch wenn er kürzer oder länger wird, oder etwa nicht?

:ka: stine
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Re: Kritik an der Evolutionstheorie: Erklärung oder Hypothes

Beitragvon laie » Sa 4. Feb 2012, 16:32

@mat-in

Ja, die Evolutionsbiologie macht Gebrauch von Wahrscheinlichkeiten. Wahrscheinlichkeiten erklären nichts, sondern machen etwas plausibel. Das ist auch nicht weiter problematisch, damit kann man prima leben. Ich denke aber, daß die logisch-mathematische Struktur der Evolutionstheorie keineswegs so zwingend ist wie es manche Fachvertreter glauben machen. Das liegt nicht an den verwendeten Wahrscheinlichkeitsaussagen, sondern mehr darin, wie mit diesen operiert wrd. In der analytischen Wissenschaftstheorie hält sich hartnäckig der Verdacht, dass es sich bei der Evolutionstheorie gar nicht um etwas handelt, was den Namen Theorie verdient. Aber das ist vielleicht übertrieben. Interessant ist jedenfalls, wieviel Energie der grosse Ernst Mayr verwendet hat, die Evolutionstheorie von den verschiedensten Vorwürfen (Zirkularität, logische Inkonsistenz usw) freizusprechen.
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Re: Kritik an der Evolutionstheorie: Erklärung oder Hypothes

Beitragvon mat-in » Sa 4. Feb 2012, 16:34

Nein, Lachs ist nicht Lachs. Im Deutschen sind "lachse" 6 oder 7 unterschiedliche Arten, sogar aus unterschiedlichen Fischfamilien. Der Lachs um den es ging ist ein Fisch aus der Gattung der Salmonidae die etwa 200 Fischarten umfassen. Und da gibt es ein Beispiel das zwei Populationen Fisch vor 13 Generationen noch eine Art waren und jetzt getrennte Wege gehen.

Selbst Grundlagen von Chemie und Physik benutzen heute "wahrscheinlichkeiten", z.B. Aufentaltswahrscheinlichkeiten von Elektronen, weil es nicht deterministisch erfaßbar ist. Wenn ich ein Stück Kohle verbrenne: C + O2 -> CO2 ist das auch nicht deterministisch. Je nach umweltbedingungen ändert sich die sogenannte ausbeute, kein Chemiker oder Physiker der Welt kann dabei eine Aussage für ein einzelnes Kohlenstoffatom treffen. Dennoch zweifelt niemand, das ein Stück Kohle im Grill verbrennen wird. Niemand behauptet "Gott macht den Grill warm und das hat nichts mit Kohle zu tun" oder "Es ist sinnlos Kohlen in den Grill zu schütten, weil man ja nicht deterministisch weiß, was mit jedem Krümel passiert". Die Würstchen (Tofu oder Fleisch) werden trotzdem gar, die oxidation von Kohleenstoff scheint ein chemisches Gesetz zu sein. (und das obwohl sie - anders als die evolution - auch gerne mal rückwärts läuft wenn man die Umgebungsbedingungen ändert).

Die Evolution trifft in einer Horde panisch davonlaufender Kängurus auch keine Aussage drüber, ob das einzelne Känguru das Feuer überlebt. Sie kann aber in Zahlen fassen, was auf die Kängurus wirkt, und wie es sie umformt, wenn sie regelmäßig, noch im kindesalter vor Feuer flüchten müssen. Kängurus mit Längeren Beinen um wegzulaufen, besseren Nasen um Feuer zu riechen oder was das ein oder andere Tier der vom Feuer bedrohten Gruppe gerade an mutation aufweist kann da einen Vorteil bieten und wer sich nicht in Kohle und dann CO2 verwandelt kann sich fortpflanzen.

Freisprechen klingt so nach Gericht, vielleicht wäre erklären das bessere Wort?
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Re: Kritik an der Evolutionstheorie: Erklärung oder Hypothes

Beitragvon stine » Sa 4. Feb 2012, 17:10

@mat-in: Wo ist der Unterschied, zwischen Vererbung und Evolution. So wie ich dich verstehe, ist jede Selektion als Evolution zu betrachten.
Was ist, wenn zB durch Inzucht ein bestimmtes Gen immer wieder vordergründig weitervererbt wird und daraus zB deine längeren Beine bei den Kängurus resultieren, spricht man dann schon von Evolution?
Wäre es dann auch Evolution, wenn ein Bergmassiv zwei Bergdörfer so voneinander trennt, dass die jeweilige Nachkommenschaft auf diese Weise sich extrem von der des anderen Volkes Unterscheidet? Hat man dann zwei Rassen von Bergvölkern?

Ist Evolution nun die Vermischung zweier Arten zu einer neuen Art oder die konsequente Trennung der bestehenden Arten bis hin zur eindeutigen Ausbildung genetischer Merkmale durch Vererbung?

:coffee2: stine
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Re: Kritik an der Evolutionstheorie: Erklärung oder Hypothes

Beitragvon Lumen » Sa 4. Feb 2012, 18:35

Bei der tieferen Theorie, dem mathematischen Grundgerüst der Theorie werden wir hier wahrscheinlich nicht weiter kommen, es sei denn jemand ist wirklich Experte genug um da etwas erhellendes zu bringen.

Wenn du mit Erklären "zutreffende Vorhersagen machen" meinst, so gibt es eine ganze Menge, die sich vorhersagen lassen. Wenn du allerdings erst zufrieden bist, wenn dir jemand vorgerechnet hat, wie sich Schakale in 2,3 Millionen Jahren verändert haben, wird dich der Stand der Forschung hängen lassen. Wissenschaftler können schon das Verhalten von vergleichbar einfachen Systemen nicht vollständig errechnen, zum Beispiel die exakte Verwirbelung von Flüssigkeiten, oder auch "nur" das Wetter. Das liegt an Komplexität die sich durch Myriaden von unbekannten Teilen ergibt, die sich allesamt ihrerseits durch extreme Komplexität in ihrem Verhalten auszeichnen. Das Gesamtsystem, von dem wir hier reden umfasst im Prinzip das Universum, exemplarisch an dem Meteor deutlich gemacht, der mutmaßlich die Dinosaurier auf dem Gewissen hat, damit die Umwelt so verändert hat, dass bestimmte Anpassungen erfolgreich sein konnten ...
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Re: Kritik an der Evolutionstheorie: Erklärung oder Hypothes

Beitragvon Zappa » Sa 4. Feb 2012, 21:22

mat-in hat geschrieben:Mir wären jetzt zwei neue Buntbarscharten und zwei neue Lachsarten und ein par Phänomene bei Fruchtfliegen auf Anhieb bekannt.


Da gibt es schon noch mehr, vor allem die Buntbarschevolution in den amerikanischen Seen ist sehr spannend. Zum Einstieg z.B.: O Seehausen: Proc R Soc B 2006: 273: 1987 (müsste open access sein).
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Re: Kritik an der Evolutionstheorie: Erklärung oder Hypothes

Beitragvon mat-in » So 5. Feb 2012, 02:44

Lumen hat geschrieben:Bei der tieferen Theorie, dem mathematischen Grundgerüst der Theorie werden wir hier wahrscheinlich nicht weiter kommen, es sei denn jemand ist wirklich Experte genug um da etwas erhellendes zu bringen.

Das Problem ist eher, daß wir hier zwar Einzelantworten und Detailfragen klären können, aber das eigentlich eine Exkursion von Wissenschaftstheorie über Genetik und Zoologie zur Evolutionstheorie machen müßten. Ich finde es eines der größten Urgewargs die man so haben annn, fest zu stellen, daß (als eines von vielen Beispielen) die Moleküle die halfen die ersten Mehrzeller zusammen zu halten, "baugleich" sind mit denen, die Nervenzellen benutzen um sich in der Entwicklung des Hirns zum Ziel zu tasten oder mit denen unser Körper an Fremdkörper andockt und sie bekämpft. Großartig, großartig, aber nur sehr schwer 4 Semester Studium in 3 Forenposts zu vermitteln, leider :(

Zappa hat geschrieben:Zum Einstieg z.B.: O Seehausen: Proc R Soc B 2006: 273: 1987 (müsste open access sein).
Danke dir, der Lachsartikel (Nature) ist wohl nicht open access und daher nicht für jeden lesbar!
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Re: Kritik an der Evolutionstheorie: Erklärung oder Hypothes

Beitragvon stine » So 5. Feb 2012, 12:44

Leider ist meine ernstgemeinte Frage noch nicht beantwortet:
stine hat geschrieben:@mat-in: Ist Evolution nun die Vermischung zweier Arten zu einer neuen Art oder die konsequente Trennung der bestehenden Arten bis hin zur eindeutigen Ausbildung genetischer Merkmale durch Vererbung?

Die Spezialisierung entsteht doch durch Vererbung und nicht durch Kreuzung.
Beispiel: Dass die Antilopen immer längere Beine bekommen und immer höher springen können, entsteht dadurch, dass diese Fähigkeit das Überleben sichert. In einem anderen Landstrich könnten die kürzeren Beine davor retten, dass sie im hohen Gras nicht sichtbar sind. So entstehen zwei Arten: kurzbeinige und langbeinige.

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Re: Kritik an der Evolutionstheorie: Erklärung oder Hypothes

Beitragvon Zappa » So 5. Feb 2012, 14:10

mat-in hat geschrieben: ... der Lachsartikel (Nature) ist wohl nicht open access und daher nicht für jeden lesbar!

Nature Publishing Group und open access? Machst Du Witze? :dielaughing:
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Re: Kritik an der Evolutionstheorie: Erklärung oder Hypothes

Beitragvon mat-in » So 5. Feb 2012, 15:34

stine hat geschrieben:Leider ist meine ernstgemeinte Frage noch nicht beantwortet:
stine hat geschrieben:@mat-in: Ist Evolution nun die Vermischung zweier Arten zu einer neuen Art oder die konsequente Trennung der bestehenden Arten bis hin zur eindeutigen Ausbildung genetischer Merkmale durch Vererbung?

Die Spezialisierung entsteht doch durch Vererbung und nicht durch Kreuzung.
Beispiel: Dass die Antilopen immer längere Beine bekommen und immer höher springen können, entsteht dadurch, dass diese Fähigkeit das Überleben sichert. In einem anderen Landstrich könnten die kürzeren Beine davor retten, dass sie im hohen Gras nicht sichtbar sind. So entstehen zwei Arten: kurzbeinige und langbeinige.
Das ist jetzt nicht ganz einfach, schon weil es 4 unterschiedliche Artbegriffe gibt... prinzipiell: die Genetik beschreibt vererbungsmechanismen, also zum Beispiel wie es zu solchen Mutationen kommt, die Evolutionstheorie beschreibt, wie sich daraus Veränderungen ergeben. Arten können sich wie oben beschrieben bilden, räumliche Trennung in unterschiedlichen Umweltbedingungen sorgen relativ schnell dafür. Artbildung ist aber für Evolution an sich nicht notwendig, wenn Antilopen immer längere Beine haben um Räubern besser wegrennen zu können und Räuber immer besser getarnt sind, um Antilopen auflauern zu können, dann müssen keine neuen Arten entstehen, aber nach 50 Generationen können die beiden bestehenden Arten ganz anders aussehen (und wären Inkompatibel zu ihren Vorfahren 50 Generationen davor).


Zappa hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben: ... der Lachsartikel (Nature) ist wohl nicht open access und daher nicht für jeden lesbar!

Nature Publishing Group und open access? Machst Du Witze?

Ich dachte die gehen nach 6 oder 12 Monaten OpenAccess... hab mich wohl geirrt. Bin Verwöhnt, unsere Uni hat viel im Abo.
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Re: Kritik an der Evolutionstheorie: Erklärung oder Hypothes

Beitragvon stine » So 5. Feb 2012, 19:27

mat-in hat geschrieben:...dann müssen keine neuen Arten entstehen, aber nach 50 Generationen können die beiden bestehenden Arten ganz anders aussehen (und wären Inkompatibel zu ihren Vorfahren 50 Generationen davor).
Also ist es still und leise über 50 Generationen eine neue Art geworden, weil verändert und Inkompatibel zur alten Art. Das habe ich bisher auch so unter Evolution verstanden.
Dann bleibt meine Frage, warum ein Hybrid, also eine Kreuzung aus zwei Arten ein Beweis für Evolution sein soll? Evolution wäre es doch nur, wenn sich eine neue Art herausbildete, die mit den anderen nicht mehr kombatibel ist, also zwar untereinander aber nicht mit den anderen kreuzbar, oder nicht? Wenn alle miteinander kreuzbar sind, ist es diesselbe Art.

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Re: Kritik an der Evolutionstheorie: Erklärung oder Hypothes

Beitragvon mat-in » So 5. Feb 2012, 19:34

So still und leise nun auch nicht. Es läßt sich schlecht beweisen, wo der Punkt ist, an dem es inkompatibel wird (weil man ja keine Vorfahren von vor 500 Jahren auf Eis hat in den meisten Fällen). Wenn die Sprünge groß genug sind (so im Erdzeitgeschichtlichen Maßstab) grenzt man daher von Fund zu Fund ab, ob es wohl unterschiedlich genug ist eine neue Art zu sein und reiht es irgend wo in einen Stammbaum ein.

Ein Hybrid der unfruchtbar ist, ist ein Zeichen dafür, daß sich die beiden Arten vor noch nicht all zu langer Zeit / mit nicht all zu hoher Geschwindigkeit auseinander entwickelt haben. Sie sind noch nah genug Verwand um Nachkommen zu haben, aber eben keine Art, weil die Nachkommen nicht fruchtbar sind. Das würde ich keine "Beweis" für die Evolution nennen, aber die Evolution ist eine sehr gute Erklärung dafür.
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Re: Kritik an der Evolutionstheorie: Erklärung oder Hypothes

Beitragvon stine » So 5. Feb 2012, 19:50

mat-in hat geschrieben:Ein Hybrid der unfruchtbar ist, ist ein Zeichen dafür, daß sich die beiden Arten vor noch nicht all zu langer Zeit / mit nicht all zu hoher Geschwindigkeit auseinander entwickelt haben. Sie sind noch nah genug Verwand um Nachkommen zu haben, aber eben keine Art, weil die Nachkommen nicht fruchtbar sind.
:up:
Vielen Dank, jetzt habe ich das begriffen!
Das heißt die Artenentstehung hat bereits stattgefunden. Ich dachte immer irrtümlicherweise, der Beweis für die Wissnschaft wäre die "neue Art" die durch die Kreuzung entstanden ist.

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Re: Kritik an der Evolutionstheorie: Erklärung oder Hypothes

Beitragvon Zappa » So 5. Feb 2012, 19:56

stine hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Ein Hybrid der unfruchtbar ist, ist ein Zeichen dafür, daß sich die beiden Arten vor noch nicht all zu langer Zeit / mit nicht all zu hoher Geschwindigkeit auseinander entwickelt haben. Sie sind noch nah genug Verwand um Nachkommen zu haben, aber eben keine Art, weil die Nachkommen nicht fruchtbar sind.
:up:
Vielen Dank, jetzt habe ich das begriffen!

Wobei das nun auch ein ziemlich enger Artbegriff ist. Normalerweise bezeichnet man mittlerweile (ist halt Definitionssache) als Art, was in der natürlichen Umgebung nur untereinander Nachwuchs erzeugt. Sich rasch entwickelnde Arten, wie z.B. die Buntbarsche in afrikanischen Seen, kann man unter Zuchtbedingungen hybridisieren und weiter vermehren.
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Re: Kritik an der Evolutionstheorie: Erklärung oder Hypothes

Beitragvon laie » Mo 6. Feb 2012, 12:25

Lumen hat geschrieben:Bei der tieferen Theorie, dem mathematischen Grundgerüst der Theorie werden wir hier wahrscheinlich nicht weiter kommen, es sei denn jemand ist wirklich Experte genug um da etwas erhellendes zu bringen.


Ich bin kein Experte. Aber ich will es dennoch versuchen. Ich weiss aber, daß die folgenden Bemerkungen nicht die einzige Möglichkeit sind, so über das Thema zu denken.

Die Behauptung einer empirischen Theorie kann als Ramsey-Sneed-Satz rekonstruiert werden. Umgangssprachlich kann ein solcher Satz so formuliert werden:

(I) “Es gibt Begriffe in einer Theorie, die auf eine solche Weise bestimmt werden können, so daß die Theorie gültig ist.”

Dazu zwei Bemerkungen. Der Existenzquantor beschränkt die empirische Aussage einer Theorie auf ein paar Begriffe. Der Ramsey-Satz sagt nicht: Alle Begriffe können so bestimmt werden daß … “, sondern er sagt: “Es gibt Begriffe … “. Damit ist klar, daß die Begriffe in einer Theorie auf zwei Arten charakterisiert werden können: Die einen können unabhängig so bestimmt werden, daß die Theorie gültig ist, und für die anderen wird diese Unabhängigkeit behauptet. Das soll kurz am Beispiel einer Miniaturtheorie erläutert werden:

Für die klassische Partikelmechanik (KPM) lautet die empirische Behauptung: Die Masse und die Kraft in einem potentiellen Modell der KPM können auf eine solche Weise bestimmt werden, daß die untersuchte Anwendung ein Modell der Klassischen Mechanik ist. Eine Anwendung ist ein Modell von KPM, wenn in dieser Anwendung das gilt, was man umgangssprachlich ausdrücken kann als: “Kraft ist Masse mal Beschleunigung”. “Auf eine solche Weise” bedeutet dabei: ohne das Gesetz dieser Theorie zu bemühen.

Wissenschaftstheoretisch interessant, aber hier nur eine Randnotiz, ist, daß der Satz “Kraft ist Masse mal Beschleunigung” nicht die empirische Behauptung der klassischen Mechanik abbildet. Man kann diesen Satz als Fundamentalgesetz der klassischen Mechanik bezeichnen. Als Minimalbedingung für ein solches Fudamentalgesetz kann man fordern, daß es zum einen alle Begriffe, die in der Theorie vorkommen, miteinander in Beziehung setzt, und zum zweiten, daß es die Gestalt eines Allsatzes hat. Manche dieser Begriffe können unabhängig von der Gültigkeit dieses Gesetzes bestimmt werden, beispielsweise der Begriff Ort in der klassischen Mechanik. Für manche Begriffe aber, und bei diesen Begriffen handelt es sich wissenschaftsgeschichtlich um das Neuartige einer Theorie, funktioniert dies nur dann, wenn man auf das Fundamentalgesetzt zurückgreift. Das führt jedoch in einen Zirkel. Eben darum lautet die eigentliche empirische Behauptung der klassischen Mechanik: es ist möglich, die Masse und die Kraft der betrachteten Partikel ohne Rückgriff auf das Fundamentalgesetz von KPM zu bestimmen.

Jetzt zur Evolutionstheorie. Außer der sehr guten Arbeit von Tuomi (1981) ist mir bis dato keine Axiomatisierung der biologischen Evolutionstheorie bekannt. Meine folgenden Ausführungen haben den Charakter von etwas Skizzenhaftem. Der Begriff, der als Kandidat für einen Ramsey-Sneed-Satz in Frage kommt, dürfte der Begriff der “Variation” sein. Versuch einer Formulierung des Ramsey-Sneed-Satzes der biologischen Evolutionstheorie:

(A) Es ist möglich, den Begriff der Variation unabhängig vom Fundamentalgesetz der biologischen Evolutionstheorie zu bestimmen.

Wie lautet das Fundamentalgesetz der biologischen Evolutionstheorie? Die natürliche Auslese ist kein Gesetz im strengen Sinne des Wortes, obgleich sie unschätzbare heuristische Hilfe leistet. Wo es einen solchen zentralen Satz nicht gibt, kann man nur die wissenschaftstheoretische Vermutung aufstellen, der Begriff der Variation sei das eigentlich Neuartige. Plausibel ist dieser Begriff, denn durch die Mendelschen Gesetze wurde es möglich, den Begriff Variation so zu schärfen, daß man mit dem Konzept der natürlichen Auslese arbeiten konnte. Sicher bin ich mir da nicht, so daß ich gar nicht sagen kann, worin die empirische Behauptung der biologischen Evolutionstheorie eigentlich besteht.

Gut, man könnte jetzt sagen: Na und? Dann gibt es eben kein Fundamentalgesetz wie in der Mechanik. Nur muß man dann eben mit der Konsequenz leben, daß die biologische Evolutionstheorie über weite Strecken hin wissenschaftstheoretisch unklar bleibt.
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Re: Kritik an der Evolutionstheorie: Erklärung oder Hypothes

Beitragvon stine » Do 9. Feb 2012, 10:03

Frage an den Biologen @mat-in:
Die Anfrage eines Veganers/einer Veganerin brachte mich auf die Frage, ob sich das Tier Mensch vom Allesfresser auch hin zu zwei Arten weiter entwickeln könnte: Fleischfresser und Pflanzenfresser. Wäre dies prinzipiell möglich?
Einseitige Nahrungsaufnahme steuert ja bekanntlich den Enzymhaushalt in seine benötigte Richtung. Da es immer wieder mal ungewollt kinderlose Paare gibt, wo beide Elternteile gesund sind, sich aber dennoch kein Nachwuchs einstellen mag, ist die Frage, wie weit und in welche Richtung gehen hier die Forschungen?
(Gehört vielleicht in einen anderen Thread)

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Re: Kritik an der Evolutionstheorie: Erklärung oder Hypothes

Beitragvon mat-in » Do 9. Feb 2012, 15:26

Prinzipiell ist das sehr gut möglich, da sich Zähne im Säugetier aus der gleichen "Vorlage" entwickeln und nur die Balance zwischen zwei Genen angibt, welche Zähne wie groß und welcher Typ werden. Da gibt es sehr schöne Experimente in Maus. Kippt das Verhältniss zur einen oder anderen Seite, bekommt man andere Zähne. Es müßte also nicht mal der "Bauplan" geändert werden, sondern nur die Regulierung. Das kann durch Viren, Umweltgift, Punktmutationen in der Regulierung schnell mal passieren. Das müßte sich aber auch als "vorteilhaft" oder "besser angepaßt" erweisen, um in einem Maße weitergegeben zu werden, daß man dann davon reden könnte das die ganze Spezies ein anderes Gebiß hat.

Hier liegt der Knackpunkt beim Menschen: Wir haben es geschafft der natürlichen Selektion sehr gut zu entkommen (moderne Medizin, moderne Lebensmittelzubereitung). Wir sind damit nicht "der Evolution entkommen", wir entwickeln uns immer noch von Generation zu Generation, aber es gibt eben nicht mehr den Ausschlag, ob wir Hafer essen oder Nüsse knacken, sondern ob wir aussehen wie auf Werbeplakaten und mit gebeugtem sitzen vor dem Computer zurecht kommen...
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Re: Kritik an der Evolutionstheorie: Erklärung oder Hypothes

Beitragvon stine » Do 9. Feb 2012, 21:12

mat-in hat geschrieben:Das müßte sich aber auch als "vorteilhaft" oder "besser angepaßt" erweisen, um in einem Maße weitergegeben zu werden, daß man dann davon reden könnte das die ganze Spezies ein anderes Gebiß hat.
Oder vom Schönheitsiideal, wie du schon selbst angemerkt hast. Aber eine eine neue Art würde daraus nicht entstehen. Was den Verdauungsapparat betrifft, aber vielleicht schon.


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Re: Kritik an der Evolutionstheorie: Erklärung oder Hypothes

Beitragvon ujmp » Do 9. Feb 2012, 21:52

mat-in hat geschrieben:Hier liegt der Knackpunkt beim Menschen: Wir haben es geschafft der natürlichen Selektion sehr gut zu entkommen (moderne Medizin, moderne Lebensmittelzubereitung). Wir sind damit nicht "der Evolution entkommen", wir entwickeln uns immer noch von Generation zu Generation, aber es gibt eben nicht mehr den Ausschlag, ob wir Hafer essen oder Nüsse knacken, sondern ob wir aussehen wie auf Werbeplakaten und mit gebeugtem sitzen vor dem Computer zurecht kommen...

Das ist nichtsweiter, als ganz "natürliche" Selektion. Die Umweltbedingungen, die der Mensch sich selbst geschaffen hat, wirken auf ihn zurück. Es ist ganz falsch und entspringt dem religiösen Mensch-Natur-Dualismus, wenn man meint, Flugzeuge, Computer und Medizin wären nicht "natürlich". Das sind genau so natürliche Dinge, wie Maulwurfhügel, Staudämme von Bibern, Bienenstöcke, Spinnennetze, Vogelnester usw. Es gibt da in Bezug auf die Evolution keinen qualitativen Unterschied. Es ist die Art des Menschen, zu überleben. Das bedeutet ja nicht, dass das Ganze gut gehen muss. Das bedeutet aber Evolution nie. Kann sein, dass die Menschen sich gerade durch ihre Anpassungsfähigkeit selbst ausrotten, da ihr Bestand nicht mehr reguliert werden kann und sie ihren Lebensraum selbst auffressen. Na gut, dann sterben sie eben aus - seit es Leben gibt, stirbt jeden Tag eine Art aus. Viren töten auch ihren Wirt um dann mit ihm zu sterben.
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