Zappa hat geschrieben:Was ist an dem Appell falsch?
Es ist doch fast alles gewonnen, wenn auch die Vertreter merkwürdiger Ansichten (Gläubige) das Primat des friedlichen Zusammenlebens akzeptieren. Politik ist halt wichtiger als Religion und das Grundgesetz ausgefeilter als all die Testamente.
Falsch ist an dem Appell an sich überhaupt nichts, aber er ist im Grunde substanzlos, wenn ihm nicht vieles Technische hinzugefügt wird. Kommt ein Türke nach Deutschland und liest das Grundgesetz - das klingt nicht nur wie der Beginn eines Witzes, es ist auch einer, weil der Türke gar kein Deutsch kann (geht auch umgekehrt für Deutsche in der Türkei oder Franzosen in Japan, nur damit hier kein Rassismusverdacht aufkommt). Wir müssen also erstmal dafür sorgen, dass der Neuankömmling auch unsere Sprache spricht (oder wir vielleicht auch mal ein paar Brocken von seiner als Willkommensgeschenk? Könnte man doch in der Schule lernen: Die wichtigsten Grußformeln in den wichtigsten Immigrantensprachen Deutschlands.) und auch versteht, was wir meinen, wenn wir Sachen wie "Individualismus" sagen (z.B. dass das sein Recht auf Frömmigkeit einschließt und das seiner Tochter auf einen deutschen Freund und dass das alles kein Stress sein muss, insbesondere keiner mit uns).
Friedliches Zusammenleben baut auf so viel mehr auf, als auf dem Lippenbekenntnis zu einem Stück Papier. Integrationspolitik wäre nämlich selbst dann ein harter Brocken, wenn die deutsche Gesellschaft nicht gar so fremdenfeindliche Tendenzen hätte und wenn das Bildungsnivea der Einwanderer im Durchschnitt höher wäre. Ergo ist es mit Phrasen nicht getan.
Die Achtung des Grundgesetzes hat auch in Deutschland selbst nicht von alleine eingesetzt, sondern ist dadurch entstanden, dass die Phase seiner Geltung mit ökonomischer und individueller politischer Sicherheit über Jahrzehnte einherging; wobei selbst das die Bundesrepublik nicht vor einer ganzen Reihe ernster Krisen bewahrt hat, bei denen auch immer wieder das Grundgesetz unter Beschuss kam.
Was ich mit Maßnahmen, die über diesen Appell hinausgehen, meine, ist, was wir konkret tun können bzw. sollen, um die Fragmente der derzeitigen bundesdeutschen Gesellschaft einander näherzubringen, so dass gegenseitiges Verständnis ermöglicht wird. Dies wird eben nicht dadurch geschehen, dass die Muslime, wie Hagen Rether sagte "dreimal täglich auf die Verfassung schwören [müssen], bis die Finger bluten", sondern nur durch kleinteilige Verständigung in den Nachbarschaften, die durch konkrete politische
und zivilgesellschaftliche Maßnahmen angeleiert werden, und hin und wieder, ja, auch mal große pathetische Symbolik durch irgendeinen Meinungsführer. Weil ich's heute mit Zitaten habe, hier noch eines von Marina Weisband: "Dialog wird uns alle retten." Aber auch das bleibt natürlich eine Phrase, wenn wir nicht konkret darüber nachdenken, wie das aussehen könnte.
Wird klarer, was ich von stine wissen wollte?
stine hat geschrieben:Man erkennt sehr schnell, dass der gute Wille alleine nicht zählt.
Exakt, deshalb sage ich auch, dass Gesten guten Willens nicht mehr sind, als ein Anfang. Es müssen kraftvolle flankierende Maßnahmen ermöglicht (heißt übrigens auch: aus dem endlichen Staatstopf finanziert) werden.
stine hat geschrieben:Dass sich die Verfolgten hier in großen Gruppen treffen ist auch nicht unbedingt eine Erleichterung für das Gastland. Die Gastfreundschaft wird in diesen Gruppen zwar großgeschrieben, aber es bleibt eine geschlossene Gesellschaft.
Nun haben wir Deutschen aber im Großen und Ganzen auch nicht gerade eine ausladende Willkommenskultur. Das Problem besteht schon auf beiden Seiten, wobei wir die weitaus größeren Ressourcen haben, etwas zu tun. Oftmals reichen ja dann doch auch kleine Gesten, das darf man bei meinem ganzen Organisationsgejaule auch nicht vergessen.
Geschlossene Gesellschaften sind übrigens normal in Einwandererkulturen. Chinatown, Germantown, Little Italy usw. gab es in den USA nicht zufällig, aber in Germantown (Philadelphia) spricht heute nach ein paar Generationen fast keiner mehr Deutsch. Geduld gehört halt nunmal auch dazu. Das wär mal ein mutiges statement eines Sonntagsredners: Dass wir alle etwas Geduld miteinander haben sollten und uns nicht dauernd gegenseitig so anstressen müssen.
Ansonsten sind der Schlüssel zum Erfolg meiner Meinung nach Bildung, Eingliederung in den Arbeitsmarkt und zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit. Nicht umsonst wird der Vollzug der deutschen Einheit von vielen an dem Tag festgemacht, an dem busweise Westdeutsche den Ostdeutschen gegen die Überflutungen beigestanden haben. Also: Iraker in die freiwillige Feuerwehr!