Nanna hat geschrieben:Wenn, dann sollte man versuchen, dieses Konzept nicht so sehr auf den Glauben zu fixieren, sondern generellere Fragen der Persönlichkeitsentwicklung beleuchten und sich überlegen, inwiefern Glaube da förderlich sein kann. Denn wie du richtig sagst, kann ja auch ein Skeptiker eine vergleichbare Persönlichkeitsstruktur haben. Deshalb halte ich es für inkonsistent, diese Entwicklungsstufen auf den Glauben an sich zurückzuführen.
Nanna hat geschrieben:Ich für meinen Teil bin da auch nicht aus Prinzip ablehnend eingestellt. Dass Individuen emotional von ihrem Glauben profitieren können, würde ich auch nie bestreiten. In einer naturalistischen Welt ist durchaus denkbar, dass nicht-naturalistische Überzeugungen profitabel sind, genauso wie in einer deterministischen Welt denkbar wäre, dass die Vorstellungen eines freien Willens Möglichkeiten schafft. Die Welt würde dadurch nur nicht weniger naturalistisch oder deterministisch und das ist ja im Grunde das Kernthema, über das wir hier reden - und dass wir gesellschaftlich akzeptiert werden wollen, auch wenn wir bestimmte kosmologische Prämissen nicht mit anderen Teilen der Gesellschaft teilen.
Nanna hat geschrieben:Insofern habe ich persönlich nicht wirklich ein Problem mit dem, was du sagst; wobei ich davon ausgehe, dass auch eine religiöse Gesellschaft, selbst, wenn es ihr emotional damit gut ginge (ist jetzt nicht so, dass historische Beispiele das untermauern würden), eine Skeptikerfraktion als Korrektiv gebrauchen könnte.
Vollbreit hat geschrieben:Der Naturalismus ist ja längst „Staatsreligion“.
Heute ist doch jeder Naturalist, obwohl bei Licht betrachtet auch dieser seine Ecken und Kanten hat (und im Grunde von Beginn an eine supernaturalistische Idee ist, die auf eigenen Zirkelschlüssen aufbaut). Andere können auch nicht mehr, keine Frage, nur besser wird ein Konzept dadurch noch nicht, aber das ist eine andere Diskussion.
Vollbreit hat geschrieben:Aber dennoch sehe ich zwischen verängstigter und spießiger Frömmlerei, einer soliden Verwurzelung im Glauben, bei intaktem kritischen Bewusstsein und einer persönlichen transzendenten Erfahrung der Mystiker (um drei grobe Klassen zu nennen) Unterschiede.
Robert Brandom hat geschrieben:„Im seinem Meisterwerk "Empiricism and the Philosophy of Mind" beutet Sellars diese Konsequenzen seiner Einsicht, in die Signifikanz inferentieller Verknüpfungen für den Begriffsgebrauch aus, und zwar auch für Fälle responsiver Klassifikation: Nichtinferentielle Berichte, durch die Wahrnehmungszustände explizit gemacht werden, können keinen selbstständigen, unabhängig von anderen Bereichen verständlichen Bereich der Sprache bilden. Beobachtungsberichte haben zwar einen gewissen Vorrang bei der Rechtfertigung empirischer Behauptungen, nicht aber beim Verstehen. Da zum Wissen nicht nur Rechtfertigung, sondern auch Begreifen oder Verstehen des gerechtfertigten Inhalts gehört, kann es kein Beobachtungswissen ohne Inferenz geben. Man kann keine reine Beobachtungssprache oder Beobachtungsbegriffe haben und dann fragen, ob die Entscheidung ihnen einen inferentiellen Überbau zu verpassen, rational zu rechtfertigen ist. Der Fels, auf den der erkenntnistheoretische Fundamentalismus baut, ist dementsprechend seine Unfähigkeit zu erklären, was es heißt, die Signifikanz von Elementen der beobachtungsgestützten Rechtfertigungsbasis zu verstehen. Denn um einen Begriff nichtinferentiell anwenden zu können, um unterscheidend auf nichtsprachliche Reize zu reagieren, muss man andere Begriffe inferentiell anwenden können. Nur wenn die Reaktion eine solche inferentielle Signifikanz hat, ist sie begrifflich gehaltvoll. Der Gedanke eines autonomen Sprachspiels (oder Menge von Praktiken der Begriffsanwendung), in dem nur nichtinferentielle Berichte vorkommen (und sei es auch über rein mentale Ereignisse), geht komplett in die Irre.“ (Brandom, Expressive Vernunft, 1994, dt. 2001, Suhrkamp, S. 154)
Vollbreit hat geschrieben:Jeder muss bestimmte Grundannahmen aus dem Nichts treffen und die empristische Idee, man könne anhand von „Fakten“, möglichst noch objektiven, zu einem Weltbild kommen, ist Unfug.
Nanna hat geschrieben:Nun sind das ja alles Einwände, die naturalistischen Philosophen nicht fremd sind.
Nanna hat geschrieben:Dass der Naturalismus ein Quäntchen Metaphysik braucht, um existieren zu können, und dass Ockhamsche Denkökonomie kein wissenschaftliches, sondern ein ästhetisches Prinzip ist, ist uns (naja, zumindest mir) schon bekannt. Ich habe auch schon öfter hier betont, dass meiner Meinung nach der Solipsismus die einzige philosophisch restlos zu rechtfertigende Position ist, dass man aber, wie Schopenhauer sagt, damit einem Irren gleicht, der in einem uneinnehmbaren Blockhaus sitzt. Ein bisschen auf unsicheres Terrain muss man sich schon wagen.
Nanna hat geschrieben:"Metaphysisch" ist übrigens nicht gleichbedeutend mit "supernaturalistisch"; Unterscheidungskriterium wäre für mich, dass Metaphysik rational kritisierbar ist und Supernaturalismus nicht.
Nanna hat geschrieben:Mit dem Wort "willkürlich" wäre ich etwas vorsichtig, weil die Methodologie der Naturwissenschaften sicherlich nicht aus willkürlichen Gründen so anerkannt ist.
Nanna hat geschrieben: Genausowenig ist andersherum die Bibel aus willkürlichen Gründen geschrieben worden, wie sie geschrieben wurde, sondern, naja, eben aus Gründen (die wir woanders auseinanderklamüsern können). Die Naturwissenschaft ist (genau wie die Bibel) sicherlich kein Dadaismus und ich sehe da definitiv einen qualitativen Unterschied. In einer Verballhornung der Thermodynamik würde ich sagen, dass der Ordnungsgrad der Naturwissenschaften höher ist als der der Bibel als der des Dadaismus. Ob das jetzt schon irgendetwas beweist, sei mal dahingestellt, aber mit Willkür im emphatischen Sinn hat das alles sicher wenig zu tun.
Nanna hat geschrieben:Ja doch. Das wissen wir ja. Nimm meine Signatur da an der Stelle nicht allzu ernst, die ist bloß für den Hausgebrauch. Das zentrale Argument des Naturalismus ist Plausibilität. Ich kann dir wärmstens einen Text von Gerhard Vollmer empfehlen, der auf dem Brightsblog frei zugänglich ist, da werden meiner Meinung nach einige Widersprüche aufgelöst oder zumindest relativiert.
Vollmer gesteht da unter anderem freimütig ein: "Argumentativ kann man niemanden zum Realismus zwingen." (Abschnitt 3. b)).
Nanna hat geschrieben:Wir Naturalisten und vor allem wir Brights (auch hier: zumindest viele, mich eingeschlossen) wissen schon, dass es keinen zwingenden Weg zu unseren Schlussfolgerungen über die Welt gibt, was ein Grund dafür ist, dass wir so propluralistisch sind.
Nanna hat geschrieben:Ein bisschen Wohlwollen ist nötig, um Naturalismus als evidente Position anzuerkennen, was ja für so ziemlich alles auf der Welt gilt, nur dass man für manches mehr Wohlwollen braucht als für anderes. Vollmer zitiert auch Russel sehr schön: "'auf dem kahlen Zweifel wachsen keine Gründe' (Bertrand Russell)" (Abschnitt 3. a)).
Nanna hat geschrieben:Es mag ja sein, dass der Naturalismus nicht das Maß aller Dinge ist oder es zumindest nicht restlos zu begründen ist, dass er es sein sollte (sowieso ist man hier mal wieder am unüberbrückbaren Abgrund zwischen Präskription und Deskription angelangt), aber ich halte es für plausibel, dass der Naturalismus einem Maß der Dinge eher entgegenkommt als z.B. ein auf der Bibel gegründeter religiöser Dogmatismus, der viel schneller und leichter in Widersprüche zu verwickeln ist als der Naturalismus.
Nanna hat geschrieben:Kleiner Fun Fact: Brandoms Text, obwohl inhaltlich sicher gehaltvoll, erhält 0,47 auf dem dem Blablameter, kein guter Wert mehr. Macht mich immer wahnsinnig, wenn man nicht durch sprachliche Eleganz beeindrucken kann, sondern solche barocken Satzungetüme baut.
Robert Brandom hat geschrieben:„Die Möglichkeit, dass sowohl die substituierbaren Ausdrücke als auch die entsprechenden Satzrahmen eine symmetrische Ersetzungssignifikanz haben könnten, wird durch die Feststellung ausgeschlossen, dass die Sätze, die nach dieser Analyse Substitutionsvarianten voneinander sind, in asymmetrischen substitutions-inferentiellen Relationen zueinander stehen. Damit reduziert sich die Frage, Warum gibt es singuläre Termini?, auf die Frage, warum syntaktisch substituierbare Ausdrücke eine symmetrische und keine asymmetrische substitutions-inferentielle Signifikanz haben. Denn eine solche Signifikanz zu besitzen bedeutet, dass der Beitrag des Ausdrucks zum substitutions-inferentiellen Potenzial der Sätze, in denen er vorkommt, als eine Menge von EMSIFs artikuliert wird, die ihn mit anderen Ausdrücken verbinden.“
(Brandom, Expressive Vernunft, Suhrkamp 2001, S.544)
Vollbreit hat geschrieben:...Dass die Evolutionstheorie überhaupt eine Theorie ist, die auch noch konsistent ist, ist ja im Grunde wirklich fragwürdig....
Vollbreit hat geschrieben:...Wo kommt denn Evolution auf einmal her? Warum findet man sie nicht in der Physik, oder findet man sie da?
Vollbreit hat geschrieben:Was sind denn nun wirklich die Prinzipien einer geglückten Evolution? Viele Nachkommen, also Gene verbreiten? Viele Bücher oder Ideen verkaufen, also Meme verbreiten?
Naturalist66 hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:...Dass die Evolutionstheorie überhaupt eine Theorie ist, die auch noch konsistent ist, ist ja im Grunde wirklich fragwürdig....
Evolution ist eine Tatsache.
Naturalist66 hat geschrieben:Bei jeder Antibiotika-Therapie läuft sie ab: Der Selektionsdruck auf die Bakterien steigt, nur die fittesten kommen durch. Die Evolutionstheorie erfüllt die Kriterien einer wissenschaftlichen Theorie.
Naturalist66 hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:...Wo kommt denn Evolution auf einmal her? Warum findet man sie nicht in der Physik, oder findet man sie da?
Selbstverständlich gilt das Schema von Zufall und Notwendigkeit auch in der unbelebten Natur ab: Die Evolution des Kosmos ist evolutionär verlaufen.
Naturalist66 hat geschrieben:Mein Atheisten-Gott, die "Evolution" der Wissenschaften ist doch beileibe keine treffende Analogie zur natürlichen Evolution, sondern nur eine Metapher; und keinesfalls geht es hier nur nach Zufall und Notwendigkeit!!!
Naturalist66 hat geschrieben:Hier ist (im Gegensatz zur natürlichen Evolution) selbstverständlich ein Ziel, ein menschengemachtes Ziel, vorgegeben: kontinuierlich verbesserte Adaptierung von Theorien an Naturgesetze.
Vollbreit"[quote="Naturalist66 hat geschrieben:Bei jeder Antibiotika-Therapie läuft sie ab: Der Selektionsdruck auf die Bakterien steigt, nur die fittesten kommen durch. Die Evolutionstheorie erfüllt die Kriterien einer wissenschaftlichen Theorie.
mat-in hat geschrieben:Auch wenn der Arme hier den Fehler gemacht hat, Tatsachen und die erklärende Theorie etwas zu mischen, ja daß ganze ist falsifizierbar. Haue ich kein Antibiotikum dazu, entstehen auch keine Resistenzen. Im Gegenteil, bestehende Resistenzen verschwinden sogar wieder, weil der Aufwand zu hoch ist Gene für nix mit zu schleppen. Da gibt es jede Menge schritte, die unsere Theorie wiederlegen könnten...
mat-in hat geschrieben:Hat das jetzt noch was mit dem Ursprungsthema zu tun?
Vollbreit hat geschrieben:Wie sieht es denn mit ihrer Falsifizierbarkeit aus?
Vollbreit hat geschrieben:Natürlich können gute Wissenschaftler religiös sein, was spräche dagegen?
Lumen hat geschrieben:Eine Theorie in wissenschaftlichen Sinne besteht aus Fakten, die durch sie in eine vernünftige, nachvollziebare Ordnung gebracht werden, und anhand ihrer sich Vorhersagen treffen lassen.
Lumen hat geschrieben:Dazu gelten Kriterien wie Stringenz. Die Religion, die Vollbreit hier anführt spielt nicht in der selben Liga, und ist nichtmal annähernd dieselbe Sportart.
Lumen hat geschrieben:Das eine dient der Vermehrung (provisorischen) Wissens, das andere sind Märchen, Mythen und Legenden, also fiktionale Erzählungen. Der Glaube an das eine oder andere kann separat betrachtet werden. Die Geschichten können ja nichts dafür, dass Verrückte an sie glauben, als seien sie wahr.
Optimist hat geschrieben:Die Evolutionstheorie hat viele Standbeine in Paläoontologie, Biologie, Geologie, usf. und alle Fakten lassen sich einsortieren. Neue Fossilfunde tauchen immer an der "richtigen" Stelle auf, morphologische Eigenschaften von Skeletten folgen der "richtigen" Logik, DNA und Vererbung fügen sich nahtlos an. Man kann die Stadien auch "Live" beobachten und die Grundvoraussetzungen (z.B. Mutation) studieren.
Lumen hat geschrieben:Vollbreit, zweifelst du an der Evolutionstheorie?
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