ujmp hat geschrieben:Ich vermute, dass der Gottesbegriff geistesgeschichtlich betrachtet etwa so entstanden ist: Für ein Wesen ("vor vielen Millionen Jahren"), das beginnt, seine Umwelt, seine Erfahrungen zu interpretieren gibt es zunächst keinen Anlass, einen Unterschied zwischen sich selbst und der Umwelt zu machen. Konkretes Beispiel: Es nimmt sein Handeln als durch einen Willen gesteuert wahr. Welchen Anlass hat dieses Wesen, daran zu zweifeln, dass alles um es herum gewollt ist? Man könnte die Frage also umgedreht stellen: Wozu dient der Begriff des Nichtbewussten (ich meine damit nicht "Unterbewusstsein", klar...).
Nee, das ist der falsche Ansatz. Versuch dich in einen Neanderthaler oder einen Cro-Magnon-Menschen hineinzuversetzen. Er versteht gar ncihts und hat riesen Probleme und Ängste. Die Ängste werden durch einen großen imaginären Freund getilgt und die Fragen durch desssen Macht und Ursächlichkeit geklärt. Du könntest die Frage umformulieren und fragen "Wozu dient die Gottesvorstellung?". Der Begriff und die Form des Konstrukts ergeben sich aus der Denkweise von bestimmten Menschen, denen Widersprüche nicht so sehr auffallen. stine hat das in etwa auch geschrieben.
stine hat geschrieben:Und wozu dient der Gottesbegriff heute?
Eine konsequente Frage, ich versuche über deine Antworten darauf zu antworten.
stine hat geschrieben:Ich denke Gott ist nach wie vor das alles zusammenfassende unerklärliche Leben.
Ich würde das "unerklärliche" streichen und das "unerklärte" einsetzen. Es gibt Menschen, die etwas erklären wollen, aber nicht können und dann die, die beides nicht tun. Diejenigen, die "unerklärlich" bewusst benutzen, gehören zur zweiten Kategorie.
stine hat geschrieben:Uns als Teil einer Biomasse zu bezeichnen wird dem Menschen mit seiner Fähigkeit zum eigenen Bewusstsein nicht gerecht.
Wieso, wir können doch auch soetwas wie Bewusstsein haben und ein Klumpen Biomasse sein. "Gerechtigkeit" ist subjektiv.
stine hat geschrieben:Also braucht er eine Instanz, die es ihm möglich macht, nicht am Bewusstsein seines kurzen Lebens und dem eigenen Ende zu verzweifeln.
Stimmt, zumindest meistens.
ujmp hat geschrieben:Auf die Frage z.B., wie man das Rad erfunden hat, kann die Antwort nicht lauten, "weil man es grad für Räderwagen benötigt hat". Das ist jedenfalls keine sehr intelligente Argumentation.
Diese Argumentation ist in diesem Fall sehr intelligent. Das Rad wurde nicht zum Spaß erfunden, sondern für einen Zweck, Sinn gebraucht und deswegen erdacht. Das rad wurde für den erleichterten Transport benötigt und erdacht. Im alten Ägypten hat man immer zunächst Holzbalken unter schwere Gegenstände gelegt, dadurch wurde die reibung verringert. Irgendjemand hatte dann mal Mangel an Holzbalken und hat einige an ihrer Achse mit der Transportplattform verbunden. Die Absicht war hier die Ursache der Erfindung. So geht es auch dem Gottesbegriff, er wurde gebraucht und deswegen erfunden.
ujmp hat geschrieben:Es handelt sich also um die Frage, wie man auf die Idee gekommen ist dass jemand "verantwortlich" sein müsse - und das hab ich versucht zu erklären. Das Interessante an der Fage ist m.E., ob es eine vernünftige Alternative zu diesen Vorstellungen gab und wodurch diese Vorstellungen widerlegt wurden.
man ist auf die Idee gekommen, dass jemand verantwortlich sein muss, weil man wollte, dass jemand verantwortlich ist. Wenn dies der fall wäre, könnte man die Schuld zuordnen und gleichzeitig Bestechungsversuche unternehmen (also Opfergaben), um vielleicht die eigene Situation zu verbesssern zumindest nicht untätig sein Schicksal anzunehmen. Das ist eine Form des Aktionismus.
Gewiss gab und gibt es Alternativen, aber die sind anstrengender. Wegen dieser Einfachheit hat sich diese Vorstellung durchgesetzt gegenüber Atheismus, Resignation oder der akribischen Aufdeckung der tatsächlichen Ursachen und Wirkungen. Heute hat man jedoch eine andere Situation, die den Atheismus und die Aufarbeitung der Tatsachen erleichtert und diese antike Sichweise zurecht verdrängt.