Dr Fraggles hat geschrieben:Die ursprüngliche Frage in der philosophischen Willensfreiheitdiskussion war die Frage "Freiheit oder Determinismus"? Diese Frage ist heute sehr unpopulär. Heute dreht sich die Diskussion primär um das Vereinbarkeitsproblem.
Und das aus gutem Grund, denn die Forderung (der inkompatibilistischen Deterministen) der Mensch könne überhaupt nicht frei sein, verstrickt sich in Selbstwidersprüchen, die Forderung (der inkompatibilistischen Libertarier – um die scheint es Dir zu gehen) der Mensch sei a) in der harten Variante, in seiner Willensbildung vollkommen unabhängig von allen Kausalketten oder Einflüssen von außen, scheint mir schlicht und ergreifend UNDENKBAR zu sein: Wie kann ich etwas wollen, ob nun Vanilleeis, Schmerzfreiheit, Fliegen, ewiges Leben, größere Attraktivität oder was es auch sei, ohne zuvor die Erfahrung bspw. eines eigenen Mangels gemacht zu haben? Das scheint mir einfach nicht möglich zu sein. Agent fragt an anderer Stelle immer gerne – und zurecht – wer denn überhaupt einen solchen, harten libertaristischen Freiheitsbegriff verwendet – und irgendwie kennt niemand jemanden, der das tut und seine Position erklären kann.
Bleibt also b) der sanfte, inkompatibilistische Libertarismus, der irgendwie die Auffassung vertritt, der Mensch sei zwar im Großen und Ganzen abhängig von Einflüssen um ihn herum, aber wenn es um die eigene Willensbildung geht, switcht er sozusagen in seine Innenwelt und dort ist er frei und ganz bei sich, dort kann ihm niemand hineinreden, dort nimmt er Abstand von allen „Äußerlichkeiten“ und Einflüssen.
Ich kann mir vorstellen, dass hier ein entscheidender Punkt ist, an dem es zu Missverständnissen kommt, denn Kompatibilisten, sind nicht ein Gegner der Auffassung, dass ein Mensch ganz bei und für sich, allein entscheiden kann, sondern sie sind ebenfalls der Meinung, dass das geht.
Der Prozess der Entscheidungsfindung ist für beide, sanfte Libertarier und Kompatibilisten ein privater Prozess, man geht ggf. in sich, reflektiert, wägt ab, hört auf die Stimme der eigenen Intuition und unter all das zieht man einen Strich und am Ende steht bei beiden eine selbst gefundene und begründbare Einstellung, Meinung oder Entscheidung.
Ein Unterschied scheint nun, so wie ich ihn wahrnehme, dort zu liegen, dass sanfte Libertarier meinen, dieser innere Prozess sei nun ein Stück weit aus der normalen Welt und der Kausalität raus, von ihr unabhängig und erst mit der Handlung nach der Wahl, tritt man wieder die Kausalität ein.
Dabei spricht aber auch Geert Keil davon, dass die Rahmenbedingungen für diesen Diskurs u.a. lauten, dass die Naturgesetze gelten und alles mit rechten Dingen zugeht. Wie das zwischenzeitliche aus der Kausalität treten genau vor sich gehen soll, kann ich mir aber nicht vorstellen und würde es gerne erklärt haben.
Ein anderer Punkt ist das so oder auch anders Können.
Willensfreiheit, so behaupten Libertarier, bestehe darin oder nur dann, wenn man sich bei einer Entscheidung auch anders hätte entscheiden können.
Ob Vanille oder Schoko, Todesstrafe oder nicht, oder komplexe Vorstellungen über Ethik, Liebe oder sonst etwas ist dabei eigentlich zweitrangig.
Wie aber sollte es möglich sein, wenn ich bspw. überzeugt bin, dass es ein Leben nach dem Tod nicht geben kann – eine Überlegung, zu der ich vielleicht nach reiflicher Überlegung und dem ausführlichen Studium mehrerer Quellen und Stimmen gekommen bin – dass ich in dieser Frage auch anders hätte entscheiden können?
Es könnte sein, dass jemand meint, Bewusstsein sei so eng mit dem Gehirn assoziiert oder von diesem kausal abhängig, dass, wenn das Gehirn zerfällt, das Bewusstsein bei diesem Menschen unweigerlich und irreparabel ausgelöscht sein muss. (Das muss keinesfalls Deine Einstellung sein, aber jemand könnte diese Einstellung haben.) Wie sollte ein Mensch, der diese Einstellung hat, bezüglich der Frage, ob ein Leben nach dem Tod möglich ist, nun einmal zu dem Schluss gelangen, dies sei unmöglich – ein äußerst wahrscheinlicher, wenn nicht zwingender Schluss bei diesen Prämissen – und ein anderes Mal (oder genau so gut) auch die Einstellung haben können, dies sei durchaus möglich?
Wie eine Wahl ausfällt, hängt doch ganz kausal von meinen Prämissen ab, ob beim Leben nach dem Tod, der Todesstrafe oder der Eissorte.
Wenn ich die Wahl habe zwischen Vanille oder Schoko und meine Prämissen in diesem Augenblick sind, a) die Möglichkeit Eis zu essen anzunehmen (ich könnte insofern auch anders, etwa wenn ich gerade auf der Hinfahrt ein Bericht über Salmonellen im Eis hörte und mir nun Sorgen mache oder eine Diät mache, das ist alles drin, nur irgendwelche Prämissen gelten ja zum Zeitpunkt der Entscheidung und müssen gelten), b) einfach das zu essen, was mir besser schmeckt (wobei ich Vanille sehr gerne mag und Schoko nicht) und c) der Ober fragt: „Vanille oder Schoko?“, dann ist die Wahl bei diesen Prämissen – die auch andere sein könnten – doch zwingend. Oder wie siehst Du das?
Ich entscheide mich prinzipiell Eis zu essen, entscheide, das zu essen, worauf ich Lust habe und habe die Wahl zwischen, einer Sorte, die ich sehr gerne mag und einer, die ich gar nicht mag, das ist doch eine Entscheidung die kausal verläuft und auch bei einer (und jeder) Wiederholung müsste ich mich so entscheiden. Wie könnte ich auch anders können?
Ist es nicht schlicht blödsinnig zu sagen, es gelten die obigen Prämissen, a) ich entscheide mich Eis zu essen, b) das was mir schmeckt (Vanille) und c) die Wahl zu haben zwischen Schoko und Vanille und Schoko zu wählen? Was daran frei?
Frei wirkt das nur, wenn man weitere Hilfsprämissen einführt, was man machen kann, nur sollte man sie angeben:
- Gerade heute, wollte ich mal etwas anders machen
- Ich wollte meinem Ruf, als einer, der immer dasselbe futtert, mal entgegegwirken
- Ich wollte mal ausprobieren, ob mir Schoko heute nicht doch schmeckt
- Ich habe gehört, gerade hier gibt es ein phantastisches Schokoeis
- …
Das ist alles möglich, das kann mir auch alles spontan einfallen, lebt aber m.E. von Prämissen, wie auch immer ich gerade zu ihnen gelange. Bspw. kann ich in letzter Zeit oft Bemerkungen über meinen sehr vorhersehbaren Lebensstil gehört haben, die mich berührten, aber auch das hätte seine Geschichte. Und es wäre andere Bedingungen, als bei dem Beispiel mit den obigen Prämissen.
Wenn ich aber gerade heute meinen „Ruf“ verändern will, dann steht meine Entscheidung gerade heute doch auch – gemäß meiner Prämissen – und sollte ich mich noch mal unter IDENTISCHEN Bedingungen entscheiden, wie sollte ich anders wählen?