von Vollbreit » Mo 8. Okt 2012, 10:57
Es gibt da auch noch weitere sinnvolle Differenzierungen.
Ein Glaube kann tatsächlich auch fundamental sein, ohne gewalttätig sein zu müssen.
Die Amish gehören in diese Kategorie.
Man kann tief gläubig sein (bspw. der Überzeugung sein, es gäbe irgendeine Form von Übersinnlichem) ohne notgedrungen religiös sein zu müssen.
Der Zusammenhang von Gewalt und Religion ist mindestens ein doppelter:
Zum einen gibt es religiös motivierten Terror, der irgendeinen Glauben extrem und letztlich als so verstandene Legitimation für Gewalttaten ausdeutet und demgemäß handelt.
Da sind Moslemextremisten nicht die einzigen, besetzen aber bei der Kombination von Aktualität, Menge und Wucht sicher den Spitzenplatz.
Der andere Punkt, den man auch nicht vernachlässigen sollte, ist der, dass Religion (aber auch andere Weltanschauungen) als Pseudolegitimation herhalten müssen um den Wunsch nach Gewalt, Macht und Dominanz vor sich und anderen zu begründen. Hier könnte man den exotischen Begründungscocktail von Breivik beispielhaft nennen.
Es könnte sein, dass eine genügend große Zahl an hormonell bedingt nervösen jungen Männern auf einem Haufen (ohne soziale Rollenzuweisung) bereits ausreicht, um Gewalt zu produzieren.
Heinsohn, der diese youth bulge These hier verbreitet hat, vertritt die Auffassung die Aggression wäre da (und würde mit einem Lebensalter von 15-30 und männlichem Geschlecht korrelieren), der Grund würde, da beliebigt, je nach Bedarf, nachgeliefert.
Dafür spricht auch, dass selbst bestens sozialisierte Menschen, also nehmen wir in diesem Kreis mal eine Gruppe von anerkannten Spitzennaturwissenschaftlern, in erschreckend simplen gruppenpsychologischen Experimenten zu einem Rudel „wilder Tiere“ werden würde. Man müsste nur die Anweisung geben, für die nächsten Stunden offen über das zu reden, was einem gerade in den Sinn kommt und zu beobachten, wie das allgemein Verhalten ist.
Diese simplen Anweisungen reichen um sofort intensive Gruppenregressionen auszulösen, bei denen Misstrauen und Aggression dominieren und sich typische Muster bilden, die diese Aggressionen eindämmen (die Bion beschrieben hat).
Diese Pseudolegitimierung wäre sowohl bei Massenregressionen als auch bei Menschen der Fall, deren Persönlichkeitsstruktur nicht geeignet ist, einen solidarisches oder Gruppenbewusstsein auszubilden. Es ist im Einzelfall schwer zu sagen, was hier Ursache und was Wirkung ist, aber man kennt begünstigende und hemmende Faktoren für das Auftreten solcher Strukturen sehr gut.
Mit anderen Worten, wir haben ein breites Spektrum mehrerer, sich durchdringender Cluster, in denen Regression, Religiosität, Fundamentalismus, Gewalttätigkeit, Friedfertigkeit usw. einander durchdringen, überlagern und unterschiedliche und dynamische Schnittmengen bilden.
Das macht die ideologische Verengung der (obendrein zirkulären) Kurzformel, der wahre Religiöse sei stets ein gewaltbereiter Fundamentalist, so offensichtlich.