Wozu dient der Gottesbegriff?

Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Darth Nefarius » Sa 3. Nov 2012, 17:38

Das Problem von Lumen ist wohl, jemandem zu trauen, der sich auf so ein Machwerk (also nicht nur auf den Glauben, sondern auf das manifest selbst) beruft. Das ist eine ganz andere Ebene und somit werden ebensolche Stellen wichtig. Wenn mir als kritischem Menschen jemand erklärt, dass Säkularismus usw eigentlich doch gar nichts vorgebracht hat, jetzt alles schlimmer ist und immer wird, weil die Moral der Bibel nicht eingehalten wird, ist die Auseinandersetzung mit diesem Werk angebracht. stine vertritt den moralischen Anspruch, nicht ihren Glauben (den sie, soweit ich das verstanden habe, ohnehin nicht hat). Für mich ist es umso verwirrender und unlogischer das Christentum und speziell das Manifest zu verteidigen, obwohl man nicht durch irrationalen Glauben an diesen gebunden ist. Ja, es gibt bestimmt Menschen, wie du sie genannt hast: die Inkonsequenten, die durch Emotionalität an ihre Ideologie (und der Glaube ist auch eine, da aktiv in das Diesseits eingegriffen werden soll) an ihren Glauben gebunden sind, aber nicht durch Rationalität. Wirklich unverständlich ist für mich der Standpunkt, diese Doktrinen aus angeblich "rationalen" Gesichtspunkten zu vertreten. Aber dann will man sie doch bitte lesen.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon stine » So 4. Nov 2012, 15:55

Die Tatsache, dass selten ein Kulturchrist die Bibel überhaupt noch gelesen hat, sollte uns davon überzeugen, dass "christliche Werte" eben nur als solche verstanden werden, die Begründung der Werte aber dennoch, wenn auch modern, bequem immer noch aus dem Religionsunterricht stammen, um sie dann in konservativen, bürgerlichen Kreisen so dem Nachwuchs weiter zu vermitteln.

Ich möchte mal die Diskussion andersrum aufziehen: Wie erkärt ihr euch, dass heute ein Handschlag nichts mehr gilt? Die Zahlungsmoral dermaßen den Bach runtergeht, dass Handwerksbetriebe teilweise zur Aufgabe gezwungen sind? Dass Banken das Geld ihrer Anleger verspekulieren und dass gelogen und betrogen wird, was das Zeug hält. (betrifft übrigens jeden, der in seiner Steuererklärung die Pendlerpauschale tüchtig aufrundet). Die Liste kann beliebig verlängert werden.
Mit dem Wohlstand kommt offensichtlich der Egoismus und mit der Armut die Brutalität.
Dass wir in einer zunehmenden säkularen Gesellschaft leben, die christliche Religion mehr und mehr ablehnt und den Glauben denen überlässt, deren Religion im Mittelalter stecken geblieben ist, ist dabei wohl nur ein Zufall, oder wie?

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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Nanna » So 4. Nov 2012, 16:05

Die Frage ist, ob da die Wahrnehmung stimmt. Ich halte die "christlichen Werte" auf das gesamtgesellschaftliche Verhalten für weit weniger ausschlaggebend, als du (im positiven Sinne) oder Lumen (im negativen Sinne), und ich kann auch keinen flächendeckenden Sittenverfall erkennen. Was flächendeckend und auch als historische Konstante zu beobachten ist, ist ein Hang vieler Menschen, die frühere Zeit zu verklären und die Zukunft zu degradieren, eine Diagnose, die dem Realitätscheck meines Erachtens selten standhält.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Darth Nefarius » So 4. Nov 2012, 16:47

stine hat geschrieben:Ich möchte mal die Diskussion andersrum aufziehen: Wie erkärt ihr euch, dass heute ein Handschlag nichts mehr gilt?

Wann galt der denn je etwas? Die Vergangenheit zu verklären bedeutet ganz naiv die menschliche Natur zu missverstehen. Die historischen Persönlichkeiten von damals waren genauso amoralisch wie die heute relevanten Personen, der Trick ist, es anders aussehen zu lassen. Der Erfolg dieser Personen ist dann nur gaaanz großer Zufall, ist es nicht so? Oder liegt der Erfolg vielmehr darin, sich abzusichern und auf einen Handschlag nie etwas gegeben zu haben und sich somit von den Naivlingen, die die Masse darstellen, abzuheben? Ich habe gelernt, dass diejenigen, die auf einen Handschlag vertrauen zum einen sehr schnell und einfach scheitern, sowie selbst so wankelmütig und labil sind, dass sie selbst unzuverlässig sind.
stine hat geschrieben: Die Zahlungsmoral dermaßen den Bach runtergeht, dass Handwerksbetriebe teilweise zur Aufgabe gezwungen sind?

Zahlungsmoral - wieder etwas, dass ganze Kriege vom Zaun gebrochen hat. Kaum geht ein Königreich pleite, muss es expandieren, einem anderen Land den Krieg erklären, Kolonien ausbeuten oder eine Minderheit im Volk jagen und enteignen. Nein, Zahlungsmoral war damals wie heute gleichermaßen verbreitet.
stine hat geschrieben:Mit dem Wohlstand kommt offensichtlich der Egoismus und mit der Armut die Brutalität.

Der Egoismus ist immer vorhanden, im Wohlstand ist man weniger abhängig und muss sich nicht mit allen gut stellen und sich einschleimen.
Die Brutalität in der Armut ist das Resultat dieses Egoismus, ab einer bestimmten Stufe zahlt sich Kooperation so oder so nicht mehr aus, auf beiden Seiten.
stine hat geschrieben:Dass wir in einer zunehmenden säkularen Gesellschaft leben, die christliche Religion mehr und mehr ablehnt und den Glauben denen überlässt, deren Religion im Mittelalter stecken geblieben ist, ist dabei wohl nur ein Zufall, oder wie?

Nicht die Religion ist es, um die die Gebildeten mit der Masse kämpfen, sondern allgemein Ressorucen. Die Religion ist nur ein Werkzeug, das seinen Nutzen schon längt verloren hat.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Lumen » So 4. Nov 2012, 19:01

stine hat geschrieben:Ich möchte mal die Diskussion andersrum aufziehen: Wie erkärt ihr euch, dass heute ein Handschlag nichts mehr gilt? Die Zahlungsmoral dermaßen den Bach runtergeht, dass Handwerksbetriebe teilweise zur Aufgabe gezwungen sind? Dass Banken das Geld ihrer Anleger verspekulieren und dass gelogen und betrogen wird, was das Zeug hält. (betrifft übrigens jeden, der in seiner Steuererklärung die Pendlerpauschale tüchtig aufrundet). Die Liste kann beliebig verlängert werden.


Das ist bizarr. Hier einmal ein kleiner Exkurs mit meiner Ansicht dazu :)

Auch heute gilt der Handschlag, aber die Welt ist komplexer geworden. Vor einer oder zwei Generationen war die Gesellschaft insgesamt noch bodenständiger, und gewissermaßen auch einfacher. Handwerklicher. Die Leute mussten sich nicht mit komplizierten Handytarifen rumschlagen. Man musste sich zwangsweise stärker helfen, denn niemand kam auf die Idee, die örtliche Bibliothek zu befragen, wie der Garten zu bepflanzen sei. Da fragte man den Nachbarn. Wollte man Baumaterialien haben, gab es keine gut sortieren Baumärkte. Da kannte man den Förster beim Vornamen. Bei Beschwerden und Flecken halfen Haushaltsmittel, die von Generation zu Generation, oder Hausfrau zu Hausfrau weitergegeben wurden. Noch die Autos der 1990er konnte jeder mit vergleichsweise wenig Einarbeitung "verstehen". Vielleicht nicht im Detail, aber wenn was kaputt war, dann klemmte was, war verschliessen oder verstopft. Mit gewöhnlichem Werkzeug konnte daran herumgeschraubt werden.

Die digitale Revolution hat unser Leben komplett umgekrempelt. Es ist im Grunde genommen Science-Fiction. Drücke einen leichtgängigen Knopf und es kann irgendwas passieren. Keine Zahnräder, keine Kippschalter, keine Drähte, die Verbunden werden. Alles unsichtbar und unverständlich. Aber heute hat bald jeder Mensch Zugriff auf das gesamte Wissen und die gesamte Erfahrung der Menschheit, und das jederzeit. Dieses Wissen ist keine Handelsware mehr, die Leute nötigt zu kooperieren. Ich brauche meine Eltern nicht nach Hausmitteln befragen, denn Google ist wahrscheinlich schneller und hat auch ihren Trick auf Lager, dazu zehn anderen Hausmittel mit jeweils vor und Nachteilen. Nicht nur das. Heute kann jemand seine Kopfschmerz-Symptome beschreiben und sofort detaillierte Anweisungen finden, was für andere Leute mal klappte (und was weniger klug ist). Man muss diese Erkenntnis mal verdauen, was das Internet bedeutet. Jeder Mensch ist eine Art Wissenschaftler, der seine Beobachtungen mitteilen kann und andere können sie bestätigen, verwerfen und ergänzen. Nicht nur das, es ist auch eine gigantische Dokumentationsmaschine, die sicher auch bei "richtigen" wissenschaftlichen Hypothesen wie ein Brandbeschleuniger wirken wird (das am Rande).

Ich verstehe durchaus den Charme von Einmachgläsern und Nachbarschaft, aber zu behaupten, der Grund für das Verschwinden sei ein Werteverfall halte ich für Unsinn (was das Christentum da zu suchen hat, sehe ich noch viel weniger). Wie mehrfach hingewiesen (Steven Pinker) ist unsere Welt heute, objektiv betrachtet, eine "bessere" als noch vor zehn, hundert, tausend oder zehntausend Jahren. Noch nie ging es den Menschen so gut wie heute (in Bezug auf Ernährung und Lebensqualität, Wahrscheinlichkeit eines gewaltsamen Todes zu sterben, Vergewaltigungsopfer zu werden usw.).

Als letzte Dimension zählt vielleicht noch das, was für Menschen eigentlich gut oder ideal wäre. Gesunde Ernährung. Mehr Sport. Pünktlich Feierabend machen. Öfter Leute treffen. Den Obsthändler und den Nachbarn beim Vornamen kennen, als Gemeinde zusammenhalten usw. So etwas geht aber oft nicht ohne weiteres. Da braucht es manchmal gewisse Zwänge. In früheren Zeiten gab es diese Zwänge oder Umstände. Wenn alle etwa in der gleichen Fabrik arbeiten, und sonst im Dorf nichts los ist, dann trifft man sich eben in der Kneipe am Eck. Wenn die Bewohner halbwegs gleich bleiben, ist es auch möglich Leute irgendwann besser kennen zu lernen, zumal wenn weit und breit nichts los ist, und man notgedrungen mit ihnen feiert. Da war dann auch der Alkohol in rauen Mengen stets ein wichtiges Schmiermittel. In der "guten alten Zeit" waren die Männer ja meistens Trunkenbolde. Oder wo wir bei Christentum sind. Es ist natürlich friedensfördernd, wenn die Leute im Nachbardorf den gleichen Gott anbeten und zum selben "Staatswesen" gehören. Aber das ist eben eine zweischneidige Sache. Wenn Leute unterschiedlich sind, gibt es mehr Konflikte und Reibung, aber wenn sie alle gleichgeschaltet sind, dann sind es nur noch Roboter. Wenn Leute unendlich viele Möglichkeiten haben, dann sind Abstimmungen eben auch schwieriger, als wenn die Optionen begrenzt sind.

Die "guten" Strukturen gibt es bis heute noch genauso, aber sie sind eben nicht mehr der immer gleiche omnipräsente Standard aus Stammtisch und Wochenmarkt. Es ist heute unübersichtlicher, vielschichtiger und kein bisschen weniger sozial oder "menschlich". Was wir heute sehen sind im besten Sinne des Wortes Luxusprobleme. Zum Beispiel: das Vernetzung und Mobilität sorgt für ein Überangebot an Partnern. Früher konnte man nicht ewig rumeiern, sondern musste die hübscheste im Dorf bald klar machen, bevor es der nächste tut. Umgekehrt, musste "sie" zusehen, wo sie bleibt, da nach konservativem Bild der Mann der Geldverdiener war. Da konnte sie zwar wählen, aber auch nicht allzu wählerisch sein, denn mit 25 noch zu Hause wohnen war damals nicht drin. Bei Mietverträgen war zudem oft gefordert, dass die Leute verheiratet sind. Sie war also froh, wenn der Mann ein Benehmen leicht über dem eines Affen an Tag legte, dann war das schon "ok". Heute gibt es diese Zwänge nicht mehr so. Das hat dann eben den Effekt, dass Leute sich kaum noch auf Partner einlassen können, da diese in jeder Hinsicht perfekt sein müssen. Sie muss wie ein Model aussehen, aber klug sein, dabei dieses und jenes und auf keinen Fall diese und jene Macke haben und Er muss ölig verschmiert unter dem Wagen hervor gekrochen kommen, sich dann Waschen, Augenbrauen zupfen und Cremes anwenden, und es total lieben, mit ihr Sex and the City zu gucken (und natürlich perfekt Kochen, den Haushalt ohne murren machen, aber trotzdem den harten Handwerker und Ansager makieren).

In gewisser Hinsicht glaube ich kommt die praktische "handwerkliche" Seite wieder neu durch, im ewigen Zirkel. Und es wird auch wieder einen Wandel zu Authentizität geben, auch bei Menschen. Die Zeit der Fakes ist bald vorbei. Vielleicht werden alle auch mehr wie Marken sein, und ihre "Haltung" lesbar vor sich hertragen müssen, um die Einordnung zu erleichtern (komplett mit Kleidung und anderen Zeichen, die dem Gegenüber sagen: ich bin so-und-so). Es ist jedenfalls bald vorbei nur zu wissen, was man in Google eingeben muss. Als nächstes kommt es wieder verstärkt drauf an, das Wissen anwenden zu können, es verstanden zu haben. Das ist nochmal eine andere Dimension als nur Fakten und Texte gelernt zu haben. Auch das wird erstaunliche, noch kaum berücksichtigte Effekte haben.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Darth Nefarius » So 4. Nov 2012, 19:56

Lumen hat geschrieben:In gewisser Hinsicht glaube ich kommt die praktische "handwerkliche" Seite wieder neu durch, im ewigen Zirkel. Und es wird auch wieder einen Wandel zu Authentizität geben, auch bei Menschen. Die Zeit der Fakes ist bald vorbei. Vielleicht werden alle auch mehr wie Marken sein, und ihre "Haltung" lesbar vor sich hertragen müssen, um die Einordnung zu erleichtern (komplett mit Kleidung und anderen Zeichen, die dem Gegenüber sagen: ich bin so-und-so). Es ist jedenfalls bald vorbei nur zu wissen, was man in Google eingeben muss. Als nächstes kommt es wieder verstärkt drauf an, das Wissen anwenden zu können, es verstanden zu haben. Das ist nochmal eine andere Dimension als nur Fakten und Texte gelernt zu haben. Auch das wird erstaunliche, noch kaum berücksichtigte Effekte haben.

(von mir unterstrichen) Wie kommst du zu diesen Annahmen? Die erste scheint mir Wunschdenken zu sein, es müsste schon ein gewaltiger Rückschritt in der Zivilisation eintreten, damit das passiert. Die zweite ist keine logische Konsequenz aus der ersten, ich frage mich, wie dein leben aussieht, wenn du nicht jetzt schon anwenden können musst, was du weist. Mein Studium ist da jedenfalls anders: Zuerst 2 Stunden Vorlesung, dann 8 Stunden Praktikum, wo der Inhalt (kaum gelernt) schon perfekt angewendet werden muss. :motz:
Der rest des Textes ist zwar ganz nett, aber das deckt sich letztlich mit meiner Beobachtung. Gut, du hast einen Fokus auf die Massen gelegt. Aber Vertrauen und Naivität sind letztlich Sachen der Persönlichkeit, nicht der Zeit.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon stine » Mo 5. Nov 2012, 18:29

Nanna hat geschrieben:... und ich kann auch keinen flächendeckenden Sittenverfall erkennen.
Nein, wirklich nicht?
Dann ist es so, wie ich geschrieben habe: Es passiert schleichend!
Man passt sich an, wie bei der Betrachtung des morgendlichen, eigenen Spiegelbildes, das unverändert scheint, aber doch mit den Fotografien von vor 10 Jahren immer mehr auseinander klafft.
Heute kannst du dir alles einverleiben, betrachten oder mit dir machen lassen, da sind nicht nur der Fantasie keine Grenzen mehr gesetzt, sondern auch das Reallife ist grenzenlos geworden. Im Gegensatz zu anderen hier, bin ich aber der Meinung, dass uns Menschen nicht alles gut tut, was erlaubt ist und das ganz besonders, im Hinblick auf die Kinder, die das alles ungefiltert miterleben. Immer mehr Bilder über Brutalität und Sex in immer früheren Jahren. Selbst die Bravo ist nicht mehr so brav, wie noch vor 20 Jahren. Eben alles dem Zeitgeist geopfert. Mich wundert in dem Zusammenhang ehrlich, dass Pädophilie noch immer ein Tabu ist. Es kann auch nur eine Frage der Zeit sein, bis diese Grenzen aufgeweicht werden und ebenso dem Zeitgeist geopfert werden müssen.
Vielleicht glorifiziere ich die sogenannten christlichen Werte, aber ich stehe weiterhin zu meiner Aussage, dass moralische Schranken wichtig sind und dass man sie nicht beliebig verändern, erweitern oder modisch umgestalten kann. Dass dem Menschen nicht alles gut tut, was er sich einbildet, hat man eben schon früher herausgefunden und ich wundere mich in diesem Zusammenhang, warum das Rad ständig neu erfunden werden muss.

Eine Weltethik ohne Religion gibt es leider noch nicht. Die sieben Todsünden sind immer noch "Sünden" und keine ächtenswerten Eigenschaften oder gesetzliche Verfehlungen.

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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Darth Nefarius » Mo 5. Nov 2012, 20:02

stine hat geschrieben:Heute kannst du dir alles einverleiben, betrachten oder mit dir machen lassen, da sind nicht nur der Fantasie keine Grenzen mehr gesetzt, sondern auch das Reallife ist grenzenlos geworden. Im Gegensatz zu anderen hier, bin ich aber der Meinung, dass uns Menschen nicht alles gut tut, was erlaubt ist und das ganz besonders, im Hinblick auf die Kinder, die das alles ungefiltert miterleben. Immer mehr Bilder über Brutalität und Sex in immer früheren Jahren. Selbst die Bravo ist nicht mehr so brav, wie noch vor 20 Jahren. Eben alles dem Zeitgeist geopfert. Mich wundert in dem Zusammenhang ehrlich, dass Pädophilie noch immer ein Tabu ist. Es kann auch nur eine Frage der Zeit sein, bis diese Grenzen aufgeweicht werden und ebenso dem Zeitgeist geopfert werden müssen.

Kannst du einen konkreten Zeitpunkt nennen, wo alles "besser" war? "Vor 20 Jahren" ist sehr ungenau. Ich bringe mit dieser Zeit etwa meine Geburt, den Verfall des Ostens, sowie darauffolgende Machtergreifungen und Vertreibungen in Zusammenhang, keine Zeiten mit mehr Sitte. Gut,dann gehst du weiter zurück, wir reden vom Nachhall der Hippies, Drogen, Zusammenprall von konservativen Systemen mit heute selbstverständlichen Rechten. Immer noch nicht? Dann etwa 40 Jahre zurück. Die Amerikaner und der Osten haben ihre Stellvertreterkriege, kämpfen gegen Feinde ihrer eigenen Sittengesetze, benutzen dabei die grausamsten Waffen, weil die andere Seite gerade durch Moral und das Böse entmenschlicht wird. Das könnten wir noch ewig fortsetzen, je weiter ich zurückgehe, desto chaotischer und grausamer scheint mir die Zeit. Wir machen insgesamt Fortschritte in Sachen Menschlichkeit. Ja, und dazu gehört es auch, die traditionen zu hinterfragen, zu ersetzen und seinen verstand zu gebrauchen.
In dieser Betrachtungsweise ist der Sittenverfall immer gut gewesen.
Übrigens will ich noch einen drauf setzen: Die vielleicht gefährlichsten Menschen oder auch die labilsten sind diejenigen, die sich panisch danach fragen, was eigentlich "das Böse" ist, es krampfhaft suchen. Was ist aber das Resultat wenn sie es angeblich finden? Grausamkeit ist das Resultat.
stine hat geschrieben:Vielleicht glorifiziere ich die sogenannten christlichen Werte, aber ich stehe weiterhin zu meiner Aussage, dass moralische Schranken wichtig sind und dass man sie nicht beliebig verändern, erweitern oder modisch umgestalten kann.

Jo, und ich stehe zu meinen Aussagen. Jetzt haben wir uns alle schön wiederholt.
stine hat geschrieben: Dass dem Menschen nicht alles gut tut, was er sich einbildet, hat man eben schon früher herausgefunden und ich wundere mich in diesem Zusammenhang, warum das Rad ständig neu erfunden werden muss.

Das Rad wird nicht neu erfunden, sondern eine Holzachse mit einem unfrömigen Stein durch ein Rad mit Holzspeichen, das wiederum durch eine gute Hydraulik, Gummi und Metall ersetzt. Soetwas nennt man Fortschritt.
stine hat geschrieben:Eine Weltethik ohne Religion gibt es leider noch nicht. Die sieben Todsünden sind immer noch "Sünden" und keine ächtenswerten Eigenschaften oder gesetzliche Verfehlungen.

Nein, das ist einfach unsinn. Zum einen gibt es diverse Ethiken, die sich auch durchsetzten, zum anderen ist keine Religion in allen Teilen der Welt relevant (naja, außer man betrachtet den Westen als Nabel der Welt, ignoriert Afrika, Asien, den nahen Osten, wenn man das Christentum meint). Sünden sind Sünden und Fenster sind Fenster, damit kommen wir nicht weiter. Sünde ist das, was verkrampften, religiösen, traditionalistischen Kleingeistern nicht passt.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Lumen » Mo 5. Nov 2012, 20:06

Stine, das Leben in 1950ern ist nicht das gleiche wie "christliche Werte". Nicht vergessen, öffentliche Hinrichtungen waren in christlichen Zeiten normal. Was du meinst sind einfach konservative Werte. Wobei ich mir da nichtmal sicher bin. Auch progressive Menschen wollen nicht zwangsläufig dass Kinder Gewalt und Sexualität ausgesetzt sind. Wie gehabt: sehe keinen Zusammenhang zu Jesus, der Bibel oder etwas religiösem. Bitte stelle doch mal den Zusammenhang her.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Nanna » Di 6. Nov 2012, 01:08

stine hat geschrieben:Im Gegensatz zu anderen hier, bin ich aber der Meinung, dass uns Menschen nicht alles gut tut, was erlaubt ist und das ganz besonders, im Hinblick auf die Kinder, die das alles ungefiltert miterleben. Immer mehr Bilder über Brutalität und Sex in immer früheren Jahren. Selbst die Bravo ist nicht mehr so brav, wie noch vor 20 Jahren.

Brutalität gab es vor einigen Jahrzehnten doch nicht weniger. Die Kinder haben Kriegsgeschichten gehört oder eben keine und dafür die subtilen Folgen der verdrängten Grausamkeiten zu spüren bekommen, die die Kriegsgeneration erlebt hatte. Auf dem Land war es normal, als Kinder Schlachtungen mitanzusehen, das würde im heutigen Fernsehen stark verfremdet. Gewalt als Konfliktlösungsstrategie war viel weniger geächtet als heute, Prügeleien galten nicht als primitiv, sondern als normaler Part des Heranwachsens. Erziehungsskandale (Heimkinder u.ä.) beziehen sich allesamt auf die frühe Nachkriegszeit, nicht auf heute, was auch nicht gerade auf einen gesunden Umgang mit Fragen der psychischen Gesundheit schließen lässt.

Ich sehe bestimmte Auswüche der Medienwelt wie die virtuellen Gewalt- und Sexexzesse ebenfalls nicht gerne. Aber ich bezweifle, dass es, zumindest bezogen darauf, qualitativ schlimmer geworden ist. Was mich viel besorgter stimmt, ist eine Tendenz zur Egozentrik, die meines Erachtens aber wenig mit Pornografie und Ballerspielen zu tun hat, sondern sich eher aus der Vernetzung ergibt, der wir heute unterliegen. In meinem persönlichen Umfeld finde ich z.B. meine eigene soziale Rolle immer viel definierter vor, als wenn ich mich im Internet tummle, wo man einem unheimlichen performance-Druck unterliegt, weil Oberflächlichkeiten und Äußerlichkeiten darüber entscheiden, ob wir den Zwei-Sekunden-Filter überleben, mit dem andere Menschen uns klassifizieren. Facebook ist auf diese Weise einerseits ein wunderbares Medium zum Kontakthalten und andererseits eben auch eines, das den Kampf um Beliebtheit auf eine Marktgröße erweitert, die mit traditionellen sozialen Netzwerken nichts mehr zu tun hat. Auf facebook gibt es immer tausende Menschen, die toller und beliebter sind, also ist man gezwungen, nachzulegen. Auf dem globalen Arbeitsmarkt oder in der Schule ist es dasselbe. Einerseits sind PISA und Co. nötig, um die Qualität der Schulen zu sichern, andererseits setzen sie Schüler aus NRW und Bremen und Bayern, die sich nie kennenlernen werden, in einen Kontext, der Konkurrenz suggeriert und wieder dazu beiträgt, dass alles für die eigene bzw. die performance des Nachwuchses getan werden muss. Dabei schaut man nicht so gern nach rechts und links.

Ich sehe die Gesellschaft also nicht rosarot, im Gegenteil, was ich beobachte oder zu beobachten meine, finde ich sogar besorgniserregender als das bisschen Porno im Internet. Ich glaube nur nicht, dass die Gesellschaft von einem Sittenverfall betroffen ist, eher von einer Umdeutung der Sitten, weg von einem "sittsam aus Anstand" hin zu einem "sittsam aus Opportunismus". Gab es zu allen Zeiten, klar, aber ich habe zumindest den Eindruck, dass gesellschaftliche Narrative früher deutlicher auf solche Vorstellungen des Guten als Selbstzweck Bezug genommen haben. Die Gegenbewegung zu Porno und Gewalt, der Neobiedermeier, der gerade in Deutschland umgeht und neuen Konventionalismus einfordert, gehört meines Erachtens in dieselbe Schublade, weil es da eben auch um einen Fassadenanstand geht. Da ist mir der überdrehte Idealismus der 68er irgendwie sympathischer, weil ehrlicher.

stine hat geschrieben:Mich wundert in dem Zusammenhang ehrlich, dass Pädophilie noch immer ein Tabu ist. Es kann auch nur eine Frage der Zeit sein, bis diese Grenzen aufgeweicht werden und ebenso dem Zeitgeist geopfert werden müssen.

Die Leute sind nicht per se kälter oder gleichgültiger geworden, nur häufig überfordert davon, in einer so vielfältigen Welt eine klare Haltung zeigen zu müssen. Auch das trägt zur Erklärung bei, warum sich viele derzeit auf ihre eigenen vier Wände konzentrieren. Bei Pädophilie ist es einfacher, diese Haltung zu zeigen, weil das Thema nicht so ambivalent ist, wie z.B. Pornografie entscheidungsfähiger Erwachsener.

Übrigens, waren nicht vor 30, 40 Jahren Plattencover mit nackten Kindern en vogue? Das geht heute gar nicht mehr, so viel zum früher-war-alles-besser.

stine hat geschrieben:Vielleicht glorifiziere ich die sogenannten christlichen Werte, aber ich stehe weiterhin zu meiner Aussage, dass moralische Schranken wichtig sind und dass man sie nicht beliebig verändern, erweitern oder modisch umgestalten kann. Dass dem Menschen nicht alles gut tut, was er sich einbildet, hat man eben schon früher herausgefunden und ich wundere mich in diesem Zusammenhang, warum das Rad ständig neu erfunden werden muss.

Ja, da stimmen wir ja im Kern überein. Nur müssen gesellschaftliche Normen eben schon offen für Reevaluation sein, das ist ja das ganze Prinzip einer freien Gesellschaft. Und die Frage, wie wir da als Gesellschaft auf einen grünen Zweig kommen, der mehr als ein absoluter Minimalkonsens ist, ist meines Erachtens auch die zentrale Frage für eine Gesellschaft überhaupt, denn letztlich muss es eben unter den Bedingungen von Freiwilligkeit gehen.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Vollbreit » Di 6. Nov 2012, 17:54

Zudem haben die sexuellen und gewalttätigen Missbrauchsfälle, die heute aufgedeckt werden, ja in den 1950er usw. stattgefunden, in der guten alten Zeit.
Da hat man nicht drüber geredet, das war's dann aber auch schon.

Oder die schwarze Pädagogik, das war Teil der guten alten Zeit. Und ich bin ziemlich sicher, dass ein biederer christlicher Muff, eher dazu gereichte, die Geschichten zu vertuschen. Es ist teilweise nach wie vor so, dass nicht die Täter, sondern die Opfer als die eigentlichen Störenfriede gelten. "Kannst du nicht einfach ruhig sein? Ist doch so lange her. Was willst du denn eigentlich, du störtst die Harmonie." So in etwa war es nicht selten.

Freud wird immer vorgefworfen, er sei sexfixiert. Er kam darauf, weil viele seiner Patienten von sexuellen Begebenheiten in der Kindheit berichteten und nicht mal Freud sich vorstellen konnte, dass das nicht phantasierte Wünsche von Kindern, sondern reale Missbrauchszenarien waren, die dann irgendwann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrunderts stattfanden. Nicht alle, aber so wie man heute weiß, viel mehr als man sich damals auch nur vorzustellen wagte.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon stine » Di 6. Nov 2012, 18:50

Also der Reihe nach:
Darth Nefarius hat geschrieben:Das Rad wird nicht neu erfunden, sondern eine Holzachse mit einem unfrömigen Stein durch ein Rad mit Holzspeichen, das wiederum durch eine gute Hydraulik, Gummi und Metall ersetzt. Soetwas nennt man Fortschritt.
Aber das Rad ist immer noch rund, das nenne ich, den Sinn an einem Rad. Um die Metapher wieder in den Kontext zu bringen: Wir wissen heute sehr genau, was den Menschen gut tut und was nicht. Also warum alles in Frage stellen?

Lumen hat geschrieben:Stine, das Leben in 1950ern ist nicht das gleiche wie "christliche Werte". (...) Bitte stelle doch mal den Zusammenhang her.
Da hast du vielleicht recht und ich denke ebenso sehr viel darüber nach, warum ich den Eindruck nicht los werde, heute wäre alles bodenlos. Warum schlage ich eigentlich immer und immer wieder in die selbe Kerbe?
Weil ich im Herzen Naturalist bin, aber ich erkenne, dass der Naturalismus alleine nicht taugt, die Menschen in soziale Bahnen zu lenken. Er ist als alleinige Weltsicht mE untauglich. Verhaltensregeln die von Generation zu Generation neu entstehen müssen, weil sie sich natürlich entwickeln sollen, sind eine Belastung für das Zusammenleben. Wer kann schon warten, bis der Dümmste geschnallt hat, dass er mit Brutalität und Egoismus zum Zerstörer wird. Daher halte ich religiöse Vorgaben, sofern sie die Menschen zum Nachdenken bringen, für ein passables Angebot.

Nanna hat geschrieben:Ich sehe bestimmte Auswüche der Medienwelt wie die virtuellen Gewalt- und Sexexzesse ebenfalls nicht gerne. Aber ich bezweifle, dass es, zumindest bezogen darauf, qualitativ schlimmer geworden ist.
Dann musst du das mal eins zu eins vergleichen. Alte Zeitschriften durchblättern, alte Filme schauen oder die ersten PC-Spiele spielen. Dann schau mal, was es heute frei verfügbar gibt und zu was die Kinder bereits Zugriff haben.

Nanna hat geschrieben:Gewalt als Konfliktlösungsstrategie war viel weniger geächtet als heute, Prügeleien galten nicht als primitiv, sondern als normaler Part des Heranwachsens. Erziehungsskandale (Heimkinder u.ä.) beziehen sich allesamt auf die frühe Nachkriegszeit, nicht auf heute, was auch nicht gerade auf einen gesunden Umgang mit Fragen der psychischen Gesundheit schließen lässt.
Das stimmt ja nicht. Auch heute gibt es immer wieder mal skandalöse Aufdeckungen, die Schulen, Heime, Sportstätten oder sonstige Einrichtungen anprangern. Täter sind dort, wo die Opfer sind.
Du (und auch die anderen hier) kannst doch nicht sagen, moralische Vorgaben sind schlecht, weil Menschen zuwider handeln!
Das wäre so, als würde ich staatliche Gesetze abschaffen wollen, weil sich eh niemand dran hält.

Nanna hat geschrieben:Was mich viel besorgter stimmt, ist eine Tendenz zur Egozentrik (...) sondern sich eher aus der Vernetzung ergibt, der wir heute unterliegen.
Ich denke, dass die Anonymität die Menschen legerer macht und dass eine Performance, die nicht bewiesen werden muss zur Hochstapelei anstiftet. Aber selbst hier, könnte man sagen, wenn Menschen "Werte" anerkennen würden, und zwar aus sich selbst heraus und nicht nur wegen ihrer Kontrolle, dann würde so etwas auch im Netz nicht vorkommen.

Vollbreit hat geschrieben:Zudem haben die sexuellen und gewalttätigen Missbrauchsfälle, die heute aufgedeckt werden, ja in den 1950er usw. stattgefunden, in der guten alten Zeit.
Da hat man nicht drüber geredet, das war's dann aber auch schon.
Ja, wie ich schon sagte: Nicht die Gesetze sind schlecht, sondern die, die zuwider handeln. Nirgendwo steht geschrieben, dass man Kinder misshandeln dürfte.

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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Vollbreit » Di 6. Nov 2012, 19:35

stine hat geschrieben:Ja, wie ich schon sagte: Nicht die Gesetze sind schlecht, sondern die, die zuwider handeln. Nirgendwo steht geschrieben, dass man Kinder misshandeln dürfte.


Oh, das gehörte aber durchaus zum "guten Ton". Klare Hierarchien, klare Werte, die in den meisten Fällen ziemlich patriarchal waren, was mit auch mit der ökonomischen Situation zu tun hatte. Kinder zu schlagen war vollkommen normal, das durften sogar noch die Lehrer meines Vaters - und haben reichlich davon Gebrauch gemacht -
und ich bin jünger als 100 Jahre.

Also die gelebte Realität war eine misshandelnde, in breitem Stil.
Ich halte insgesamt nicht viel von den Thesen von Alice Miller, aber wenn sie ein starkes Buch geschrieben hat, dann ist es "Am Anfang war Erziehung."
Wenn es Dir mal über den Weg läuft, schau mal rein.

Sehe gerade, dass das Buch bei wiki einen Artikel hat:
http://de.wikipedia.org/wiki/Am_Anfang_war_Erziehung
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon stine » Mi 7. Nov 2012, 09:09

Du denkst, dass die sogenannte "schwarze Pädagogik" christlichen Ursprungs ist?
und du denkst weiter, dass das prügelnde und misshandelnde Patriachat ebenfalls christlichen Ursprungs ist?
Woraus schließt du das?

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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Vollbreit » Mi 7. Nov 2012, 11:04

Nein, das denke ich nicht im Sinne der Ursprünglichkeit. Miller vertritt diese These, garniert mit den biblischen Beispielsätzen „Wer sein Kind liebt, der züchtigt es“, aber sie sieht eigentlich in jeder Ecke der Welt Kindesmissbrauch und verwickelt sich in zirkuläre Begründungen.

Was ich aber glaube, ist, dass es bestimmte Strukturen gibt, die dazu dienen Missbrauch zu legitimieren und zu vertuschen und patriarchale Strukturen gehören m.E. dazu.
Alle monotheistischen Religionen sind patriachal organisiert und da hat der Vater (im Himmel und auf Erden) eben das erste und letzte Wort. Das muss nicht zwingend aus einer religiösen Tradition kommen, das Patriarchat hat seinen Usprung m.E. nicht in der Religion. Übrigens hat Homophobie seine Wurzel eher in patriarchalen Strukturen, als in religiösen.

Es ist auch, wie immer, so, dass eine patriachale Struktur keinesfalls nur Nachteile hat.
Kommt eben drauf an, wie der Patriarch gestrickt ist, er kann weise und gütig sein oder ein Tyrann.
Aber genau das ist eben das Wagnis, was auch in die Hose gehen kann.

Dass wir übermäßig patriarchal organisiert sind, kann man aber nicht mehr wirklich behaupten.

Das Problem besteht m.E. immer darin, wenn man meint, die Deutungshoheit darüber zu haben, was richtig verstandenes Christentum ist. Du kannst sagen, wer sein Kind misshandelt, hat das Christentum nicht richtig kapiert und wirst sicher Belege finden, warum das der Fall ist.
Und dann kommt Lumen daher und belegt diverse Aufforderungen zu Folter, Mord und Vergewaltigung und dann schlägt man sich seine Deutungen um die Ohren, wer nun der „wahre Christ“ ist.

M.E. hängt beides zusammen, die Strukturierung von der man profitiert ist immer etwas patriarchal.
Im Konfuzianismus hat die Generation der Älteren einen ganz anderen fast unantastbaren Stellenwert, funktioniert auch und wie wir mit unseren Alten umgehen, darüber kann man sich fast nur schämen.

Ein weitgehender Abbau an Strukturierung und eine Entwertung der Väter, der Konservatismus und der Tradition hat uns ja nun auch nicht die Glückseligkeit gebracht, sondern viel Verwirrung und viele Freiheiten und Fortschritte.

Es ist halt schwer das auseinander zu friemeln. Du musst heute Hirnforscher sein um im Lichte irgendwelche obskuren Neuroforschungen zu sagen, dass Computer nicht ins Kinderzimmer gehören, Hausmusik gut ist und die beste Demenzprophylaxe die Beschäftigung mit den Enkeln ist.
Ich meine, um mal zu dem Buch von Lück, was ich kürzlich las zurückzukommen, das ist nun wirklich was, was die Oma aus der Eifel schon wusste.

Also der Weg ist keine 68er Revolte, die überall nur alten Muff riecht und alles, was immer schon gut geklappt hat zertrümmern will, weil „schon immer“ ein zentrales Feindwort ist und auch keine Verherrlichung der guten alten Zeit um jeden Preis, die war nämlich nicht immer gut.

Wir müssen halt selbst entscheiden, was wir wollen, dass man dabei Wertediskussionen selbst entwertet, ist natürlich dummes Zeug und im Zweifel finde ich das totale Wertevakuum des Naturalismus oder des Biologismus um Längen schlimmer als eine religiöse Werteorientierung und würde das auch begründen können.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Lumen » Mi 7. Nov 2012, 13:14

Vollbreit hat geschrieben:Wir müssen halt selbst entscheiden, was wir wollen, dass man dabei Wertediskussionen selbst entwertet, ist natürlich dummes Zeug und im Zweifel finde ich das totale Wertevakuum des Naturalismus oder des Biologismus um Längen schlimmer als eine religiöse Werteorientierung und würde das auch begründen können.


Eine Vorliebe für Jazzmusik sagt dir auch nicht, wie du deine Kinder erziehen sollst. Warum sollte "Naturalismus" dir diese Frage beantworten (wollen)? Es geht darum, dass Leute sich nicht von Scharlatanen ausbeuten lassen und dabei jeden Mist glauben sollen, der ihnen aufgetischt wird. Auch nicht von wissenschaftlichen Autoritäten. Es ist auch keine Forderung von irgendwem, jeder aktuellen Hypothese hinterherzulaufen und das ganze Leben umzukrempeln, weil meinetwegen irgendeiner herausgefunden haben will, dass täglich 4 Stunden atonale Musik das Leben um 5 Jahre verlängert. Auch hier kann man vorsichtig, skeptisch und konservativ sein. Die Evolution zum Beispiel ist bestens belegt, unstrittig und was die ganzen Grundzüge angeht über jeden Zweifel erhaben. Von da bis zum spekulativen Neusten des Neusten gibt es eine Spannbreite. Das ist doch etwas völlig anderes als offensichtlich fragwürdige Prämissen zu übernehmen, tiefgreifende Sachen ohne plausible Begründung zu glauben, und dabei auch die Umkehrung der Beweislast zu akzeptieren. Man kann mit offenen Augen durch die Welt gehen und Vorschläge annehmen, die plausibel erscheinen. Es wird so nicht einfach sein, jemanden davon zu überzeugen, dass z.B. "Kinder schlagen" eine gute Erziehungsmethode ist. Erscheint "Kindern Pornographie zu Aufklärungszwecken zeigen" in diesem Lichte für dich plausibel? Für mich jedenfalls nicht. Sieh an. Das einzige was hier total ist, sind eure totalitären Fantasien einer Lehre, die alles vom Universum bis zur Kindererziehung auf einem Bierdeckel zu klären behauptet (beziehungsweise eure Klagerufe, dass der "Naturalismus" diesem Ideal nicht gerecht wird).
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Darth Nefarius » Mi 7. Nov 2012, 16:32

stine hat geschrieben:Also der Reihe nach:
Darth Nefarius hat geschrieben:Das Rad wird nicht neu erfunden, sondern eine Holzachse mit einem unfrömigen Stein durch ein Rad mit Holzspeichen, das wiederum durch eine gute Hydraulik, Gummi und Metall ersetzt. Soetwas nennt man Fortschritt.
Aber das Rad ist immer noch rund, das nenne ich, den Sinn an einem Rad. Um die Metapher wieder in den Kontext zu bringen: Wir wissen heute sehr genau, was den Menschen gut tut und was nicht. Also warum alles in Frage stellen?

Zum einen streiten wir uns gerade um den Punkt, was angeblich gut für den Menschen ist, also wissen wir es nicht. Zum anderen ist Neugier der nützlichste Reflex, Skepsis der Anfang von Weiterentwicklung. oder anders gesagt: Warum nicht? (abgesehen davon, dass ich die Gründe für das warum genannt habe)
stine hat geschrieben:Warum schlage ich eigentlich immer und immer wieder in die selbe Kerbe?
Weil ich im Herzen Naturalist bin, aber ich erkenne, dass der Naturalismus alleine nicht taugt, die Menschen in soziale Bahnen zu lenken.

Das ist auch nicht die Absicht. Religion mag diese zwar haben, aber die erfüllt sie noch viel weniger als unsere heutigen, kapitalistischen Systeme. Zur alleinigen Weltsicht: Diese absolute Position ist für die Religionen typisch.
stine hat geschrieben: Verhaltensregeln die von Generation zu Generation neu entstehen müssen, weil sie sich natürlich entwickeln sollen, sind eine Belastung für das Zusammenleben.

Natürlich ist es einfacher davon auszugehen, dass die alte Frau von nebenan eine Hexe ist, wenn der Prister sie so nennt. Aber ist das wünschenswerter? Ob es dir passt oder nicht, Wandel ist unvermeidlich und wie wir in der Natur sehen auch ein Bestandteil des Lebens (Ob du aus Sicht eines Biologen von Evolution oder aus Sicht eines Physikers von Entropie sprichst). Deine Kritik am Wandel ähnelt der Angst eines Kindes vor dem Umzug in eine andere Stadt. Du setzt nichtmal den Fokus auf die Resultate, sondern auf die Tatsache, dass dich der Wandel grundsätzlich stört. Aber das ist nicht das Problem des Wandels sondern deines!
stine hat geschrieben:Wer kann schon warten, bis der Dümmste geschnallt hat, dass er mit Brutalität und Egoismus zum Zerstörer wird. Daher halte ich religiöse Vorgaben, sofern sie die Menschen zum Nachdenken bringen, für ein passables Angebot.

Sofern Schweine fliegen sind sie ein passables Angebot, um inerkontinentalreisen zu tätigen.
stine hat geschrieben:Du (und auch die anderen hier) kannst doch nicht sagen, moralische Vorgaben sind schlecht, weil Menschen zuwider handeln!
Das wäre so, als würde ich staatliche Gesetze abschaffen wollen, weil sich eh niemand dran hält.

Eine Theorie, die die der Realität nicht standhält, ist falsch. Die effizientesten und langlebigsten Systeme funktionieren ohne Wunschdenken (in Gesetzen oder Moralvorstellungen ausgedrückt), sondern durch Kausalität.
stine hat geschrieben: Aber selbst hier, könnte man sagen, wenn Menschen "Werte" anerkennen würden, und zwar aus sich selbst heraus und nicht nur wegen ihrer Kontrolle, dann würde so etwas auch im Netz nicht vorkommen.

Ignoerier einfach mal diejenigen, die es nicht tun. Abgesehen davon ist das nur eine Behauptung. Die Suche nach diesem sogenannten "Eigenwert" ist schon metaphysisches Geschwätz. Mal auf Moral, mal auf den Menschen angewandt.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Nanna » Mi 7. Nov 2012, 19:59

Lumen hat geschrieben:Das einzige was hier total ist, sind eure totalitären Fantasien einer Lehre, die alles vom Universum bis zur Kindererziehung auf einem Bierdeckel zu klären behauptet (beziehungsweise eure Klagerufe, dass der "Naturalismus" diesem Ideal nicht gerecht wird).

Hä?
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon stine » Do 8. Nov 2012, 08:33

Darth Nefarius hat geschrieben:Ob es dir passt oder nicht, Wandel ist unvermeidlich und wie wir in der Natur sehen auch ein Bestandteil des Lebens (Ob du aus Sicht eines Biologen von Evolution oder aus Sicht eines Physikers von Entropie sprichst). Deine Kritik am Wandel ähnelt der Angst eines Kindes vor dem Umzug in eine andere Stadt. Du setzt nichtmal den Fokus auf die Resultate, sondern auf die Tatsache, dass dich der Wandel grundsätzlich stört. Aber das ist nicht das Problem des Wandels sondern deines!
Ich bin nicht gegen Wandel, im Gegenteil:
Du und deinesgleichen haben eine fast panische Angst davor, dass Religion sich wandeln und anpassen könnte und dann die alten Zöpfe des alten Testaments nicht mehr hinreichen würden, um sie verdammen zu können. Religion und Sinnsuche müssen für euch statische, mittelalterliche Elemente bleiben, weil sie sonst nicht mehr anfechtbar und abwertbar wären. Religion ist aber ein Begleiter der Menschen immer schon gewesen und viele haben überhaupt nur überlebt, weil sie einen Halt darin fanden. Der sinnstiftende Kern mag der selbe bleiben, die äußere Form verändert sich aber trotzdem ständig.

Um nochmal auf die Eingangsfrage zu antworten:
Der Gottesbegriff dient auch dazu, den Menschen nicht übermütig werden zu lassen und ihn vor allem vor sich selbst zu schützen. Ich finde gerade, dass sich Menschen mit den Möglichkeiten der fortschreitenden Technik, viel zu viel Verantwortung aufhalsen. Mit all den technischen Möglichkeiten muss man auch umgehen können.

LG stine
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Darth Nefarius » Do 8. Nov 2012, 18:50

stine hat geschrieben:Du und deinesgleichen haben eine fast panische Angst davor, dass Religion sich wandeln und anpassen könnte und dann die alten Zöpfe des alten Testaments nicht mehr hinreichen würden, um sie verdammen zu können.

Keineswegs, ich halte es nur eher für wahrscheinlicher, dass ich mal ein gentechnisch manipuliertes Schwein zum Fliegen bringe. Warum sollte ich Angst haben? Mein Problem mit der Religion ist kein grundsätzlich unduldbares. Wenn ich einen Katholiken oder Moslem treffe, der liberal ist, kein Fanatiker, der anderen seinen Glauben aufzwingen will und sich angepasst verhält, die wissenschaft akzeptiert, sowie politische, staatliche Autorität mit Legitimation, habe ich keine Probleme mit ihm, zumindest nicht mehr als mit anderen Moralisten oder dem Durchschnittswesen. Aber solche Menschen stellen eine Minderheit dar wenn sie wirklich religiös ist. Das liegt in der Natur der Religion. Ich habe eine nette Analogie dazu: Das angeborene Immunsystem besitzt Abwehrmechanismen, die stark konserviert sind (also beim Menschen wie bei der Maus funktionieren)und trotzdem funktionieren, weil bestimmte Strukturen von einigen Krankheitserregern sich nie ändern können. Die Religion kann sich genau wie diese Krankheitserreger nie völlig von ihren Abfallprodukten lösen, sie wird sich im Kern nie ändern. Virus bleibt Virus.
stine hat geschrieben: Religion und Sinnsuche müssen für euch statische, mittelalterliche Elemente bleiben, weil sie sonst nicht mehr anfechtbar und abwertbar wären.

Unsinn, Mittelalterlichkeit ist kein Gegenargument. Dem Mittelalter sind auch nützliche Dinge entsprungen, die aber auch nichts mit Religion zu tun hatten. Alles ist anfechtbar, auch moderne Richterurteile oder neueste Forschungsergebnisse sind es. Was ich an der Religion verabscheue habe ich deutlichst schon mehrmals formuliert. Das Mittelalter ist es nicht.
stine hat geschrieben:Religion ist aber ein Begleiter der Menschen immer schon gewesen und viele haben überhaupt nur überlebt, weil sie einen Halt darin fanden.

Ja, dieser Halt hat sich in der einfachen Aufteilung von "Gut" und "Böse" manifestiert. Für viele Menschen ist es einfacher, wenn sie wissen, wen sie hassen und verfolgen dürfen. Wenn Menschen anders sind, reicht dies für viele, sie schon zu hassen, eine Ideologie wie die Religion, die diesen Hass legitimiert kommt da gerade recht. Nun gibt es bessere Wege, "Halt" zu finden.
stine hat geschrieben: Der sinnstiftende Kern mag der selbe bleiben, die äußere Form verändert sich aber trotzdem ständig.

Ne, der Papst wird immer noch gleich gewählt, vertritt eine opportunistische, aber eigennützige, traditionalistische Politik, die nur auf Machterhalt fixiert ist. So handelt jede noch mächtige Religion. Nichts hat sich geändert, zumindest nicht friwillig in der religion. Alles, was jetzt an ihr erträglich ist, wurde aufgezwingen von weltlichen Herrschern.
stine hat geschrieben:Um nochmal auf die Eingangsfrage zu antworten:
Der Gottesbegriff dient auch dazu, den Menschen nicht übermütig werden zu lassen und ihn vor allem vor sich selbst zu schützen.

...eher ich selbst zu entfremden, unmenschlich zu werden und ein Sklave einer primitiven Doktrin zu werden, ihn von seinem Potential abzuhalten. Ja, für einen Herrscher eine gute Philosophie, da sie gute Sklaven schafft und keine kritischen Bürger. Deswegen arbeitet Putin mit der orthodoxen Kirche zusammen (als Paradebeispiel).
stine hat geschrieben: Ich finde gerade, dass sich Menschen mit den Möglichkeiten der fortschreitenden Technik, viel zu viel Verantwortung aufhalsen. Mit all den technischen Möglichkeiten muss man auch umgehen können.

Diesen Ungang können Theologen, die von diesen Technologien keine Ahnung haben, nicht lehren.
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