Die Konsenstheorie der Wahrheit

Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Lumen » Fr 23. Nov 2012, 17:24

Deine Argmentation ist opak, dunkel und verdunkelnd.

Vollbreit hat geschrieben:Perfekt ist das alles nicht. Man kann zwar sagen, dass [...] es bestimmte Wahrheiten gibt, die sogar ewig genannt werden können, [...] aber bei dem Gewusel aus emprischen Verifikationsversuchen, logischen Schlüssen und so weiter, kommt man "der Wahrheit" nie so recht auf die Schliche. [...]


Aus einer Vielzahl von Gründen hat zweiwertige Logik (wahr/falsch), somit auch das "perfekte, ewig wahre" einen schlechten Stand. Mehrwertige Logik (Wahrscheinlichkeiten) bildet verschiedene Ungenauigkeiten, sei es der Sprache, der Definitionen, der Wahrnehmung, des Wissenkönnens besser ab. Dabei sind sehr viele Dinge mit einer deratig eindeutigen Wahrscheinlichkeit belegt, dass sie im Alltag als wahr oder falsch gelten können. Ob Schnee weiß ist, ist keine Frage von Meinungen. Alle Sprecher haben vergleichbare Sinne und Wahrnehmungen und können sich auf Begriffe gut genug einigen, wobei diese Begriffe mit der Sache hochwahrscheinlich korrespondieren. Es gibt irgendwo einen Grenze, wo Schnee aufhört Schnee zu sein (wenn er schmilzt) und es gibt auch eine Grenze wo Weiß aufhört Weiß zu sein (wenn der Schnee verdreckt wird). Genau. Diese Grenze existiert objektiv gesehen nicht. In der Natur scheint alles ein einziges gewaltiges Kontinuum zu sein, dass erst durch den Wahrnehmungsaparat in eigene Konzepte und damit Begriffe abgrenzt wird. Aber alle Menschen scheinen vergleichbare Grenzen zu ziehen, wenn auch nicht genau an der gleichen Stelle. Aber wir kommen hier vom Hunderstens ins Tausendste. In deinem ersten Beitrag geht es gut erklärt um Ideologien, Einschätzungen und Meinungen. Das Modell, dass du da vorstellst, kannte ich nicht, fand aber gerade die Wiki Seite recht erhellend. In deinem zweiten Beitrag bist du dann bei der Farbe des Schnees (Naturwissenschaft? Semiotik? Philosophie?) und es geht nach meiner Ansicht komplett drunter und drüber. Irgendwie kommt die Sprachgemeinschaft da noch mit rein. Also versuche ich es mal damit:

Bild Bild

Ich sehe darin, dass sich eine Sprachgemeinschaft einigen muss, was mit Schulter (Schoulder) gemeint ist und es gibt dabei Ungenauigkeiten. Wir sehen hier, dass beide Möglichkeiten nebeneinander existieren können und das selbst, wenn du nicht verstehst, warum es "Blade Shoulder" und "Arm Shoulder" gibt (also vermeintlich 4 Schultern?), kannst du doch völlig problemlos sehen, was ich meine. Du kannst die Einteilung vielleicht nicht nachvollziehen. An dem Beispiel betrachtet könnte es vielleicht daran liegen, dass dein Wissen von Schweinefleisch und der Anatomie des Schweins nicht ausreicht, um zu verstehen, warum das Tier so aufgeteilt wird. Vielleicht erscheint die Aufteilung willkürlich oder sie scheint Sachverhalte zu erschaffen. Angenommen, die Qualität des Fleisches ändert sich eigentlich graduell (was kein Mensch je wissen kann, da wir nur Messpunkte aber das Kontinuum offenbar selbst nicht messen können). Indem ich jetzt zwei Bereiche definiere, habe ich plötzlich einen Bereich mit "schlechterem" und einen Bereich mit "besserem" Fleisch. Diese Eigenschaften sind, sprachlich und von der Wahrnehmung her gesehen, wirklich neu dazugekommen. Aus der graduellen Qualität des Fleisches wurde durch sprachliche Einteilung (angeregt durch funktionale, wahrnehmungsbedingte "Vorschläge") etwas neues, mit neuen Eigenschaften. Eine Sprachgemeinschaft muss sich einigen, ob sie zwei Kategorien (besseres Fleisch, schlechteres Fleisch) akzeptiert. Bei einer "querliegenden" Aufteilung des Fleisches würden diese Eigenschaften verschwinden, aber ggf. andere entstehen, die verbogen in den wahren Eigenschaften der neuen Objekte liegen. Was sich hält, hängt von der Nützlichkeit ab, und die Nützlichkeit hängt mE davon ab, was Leute sich von dem Sprechvorgang erhoffen.

Grenzen, die sinnvoll sind, wie zwischen Schnee und Schneematsch, sind nicht absolut aber werden meiner Ansicht nach durch eine Art "Brute Force" ermittelt. Zeige Leuten Schnee/Schneematch in unterschiedlichen Stadien und lasse sie jeweils eindeutig sagen, ob es entweder das eine, oder das andere ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Stadium als Schnee gesehen wird, steigt mit dessen fester Beschaffenheit (usw.) und wird irgendwann praktisch gesehen 100% erreichen und genauso ist etwas irgendwann recht eindeutig Matsch.

Ob Menschen sich für Artenschutz oder Infrastrutkur entscheiden ist keine Frage von Sprachgemeinschaften. Ein Mensch könnte mit Außerirdischen verhandelt, ob die Erde einer intergalaktische Autobahn Platz machen sollte. Die Außeridrischen, sofern sie überhaupt verstehbar sind können auf die Erde "zeigen" und verdeutlichen, dass der Planet nun einmal im Wege sei. Das Benennen und Feststellen eines Sachverhaltes ist hier gerade nicht das Problem und darin stecken dann ujmps und Myrons Darstellungen. Auch im Falle des ganz oben genannten Beispiels zur Nazi-Diktatur war das Problem ja nie, dass sich "Sprachgemeinschaften" sich nicht einigen konnte, was ein Jude ist, zum Beispiel. Vielleicht war dein Beispiel nur schlecht gewählt. Vielleicht ist Gerrymandering ein dienliches Beispiel aus Politik und Gesellschaft.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Fr 23. Nov 2012, 22:06

Lumen hat geschrieben:Aus einer Vielzahl von Gründen hat zweiwertige Logik (wahr/falsch), somit auch das "perfekte, ewig wahre" einen schlechten Stand.


Da trifft es sich ja gut, dass die Korrespondenztheorie gar nicht auf das perfekte, ewig Wahre abzielt.

Lumen hat geschrieben:Ob Schnee weiß ist, ist keine Frage von Meinungen.


Das ist wohl wahr, nur geht es darum nicht.
Du unterliegst immer noch dem Grundirrtum, dass die Korrespondenztheorie behaupte, eine Meinung sei eine Tatsache.

Lumen hat geschrieben:Aber wir kommen hier vom Hunderstens ins Tausendste.


Das ist nicht das Problem, sondern Deines ist, dass Du nicht begriffen hast, worum es mir geht und was im Allgemeinen an der Korrespondenztheorie kritisiert wird, kurz, was ihren definitorischen Zirkel ausmacht.

Lumen hat geschrieben:In deinem ersten Beitrag geht es gut erklärt um Ideologien, Einschätzungen und Meinungen. Das Modell, dass du da vorstellst, kannte ich nicht, fand aber gerade die Wiki Seite recht erhellend. In deinem zweiten Beitrag bist du dann bei der Farbe des Schnees (Naturwissenschaft? Semiotik? Philosophie?) und es geht nach meiner Ansicht komplett drunter und drüber. Irgendwie kommt die Sprachgemeinschaft da noch mit rein.


Da geht m.M.n. gar nichts drunter und drüber, falls doch, ist diese Kritik nicht hilfreich, denn „alles drunter und drüber“, wem soll das helfen? Mir? Dem Leser, der doch auch von Dir erfahren möchte, was genau da drunter und drüber geht?

Lumen hat geschrieben: Also versuche ich es mal damit:

Ich sehe darin, dass sich eine Sprachgemeinschaft einigen muss, was mit Schulter (Schoulder) gemeint ist und es gibt dabei Ungenauigkeiten. Wir sehen hier, dass beide Möglichkeiten nebeneinander existieren können und das selbst, wenn du nicht verstehst, warum es "Blade Shoulder" und "Arm Shoulder" gibt (also vermeintlich 4 Schultern?), kannst du doch völlig problemlos sehen, was ich meine.


Du bist gerade bei dem philosophischen Problem, was Quine skizziert hat, dem Übersetzungsproblem. Nie kann ich sicher sein, was der anderen tatsächlich meint.
Die Frage nach dem definitorischen Zirkel der Korrespondenztheorie hat damit, nach allem was ich sehen kann, überhaupt nicht zu tun, aber vielleicht sehe ich es einfach nur nicht und Du kannst Du mir da eine Brücke bauen…?

Auch der folgende Absatz bei dem man zu „besser“ und „schlechter“ kommt hat doch mit der Benennung von Tatsachen und was sie als „Wahrmacher“ (s. Wikiartikel) qualifiziert oder disqualifiziert, nichts zu tun.

Vielleicht habe ich einfach zu wenig vorausgesetzt und zu umständlich und weitschweifig geschrieben. Also noch mal kürzer:

Die Korrespondenztheorie besagt, wahr sei eine Aussage dann, wenn sie mit den Fakten oder Tatsachen übereinstimmt.

Das hört sich erst mal gut an, denn die Aussage „Schnee ist weiß“ entspricht ja den Tatsachen: Schnee ist tatsächlich weiß.

Das Problem:
Die „Tatsache“ auf die man da rekurriert, zurückgreift, sich bezieht, ist eine Einigung auf dem Boden gemeinschaftlich hinreichend ähnlicher Wahrnehmungen von mehreren Leuten, die bezeugen/sich festlegen würden, dass es bestimmte unterschiedliche Farbeigenschaften gibt, die Dingen zukommen.
Diese Leute würden bezeugen, dass Schnee, Milch, unbeschriebenem Papier und Schönwetterwolken eine gemeinsame Farbeigenschaft oder –qualität zukommt, die man hier bei uns als „weiß“ bezeichnet. Diese sichtbare Eigenschaft korrespondiert mit physikalischen Eigenschaften, eben jener Reflektion des sichtbaren Gesamtspektrums elektromagnetischer Wellen. Die sprachliche Einigung, die stattgefunden hat, ist aber eine aufgrund der Sichtbarkeit, der erklärende Zusatz, wie Weißsehen physiko-biologisch zustande kommt, wurde erst sehr viel später gefunden, nachdem man sich auf die Farbbezeichnung längst geeinigt hatte.
Das bedeutet aber, dass das Faktum des Weißseins von Schnee (Milch, Papier…) auf eine Einigung zwischen wahrnehmenden und sprechenden Wesen beruht.

Das heißt die Aussage: „Schnee ist weiß“ wird aus einer (vermeintlichen) Tatsache abgleitet, die selbst nicht mehr als eine Aussage ist. Das ist der definitorische Zirkel.

Lumen hat geschrieben:Grenzen, die sinnvoll sind, wie zwischen Schnee und Schneematsch, sind nicht absolut aber werden meiner Ansicht nach durch eine Art "Brute Force" ermittelt.


Vollkommen irrelevant für das Thema, wie der Rest auch.
Deine Artikel sind mitunter interessant und gelehrig, aber sehr oft habe ich das Gefühl, dass sie sich nicht mal im Ansatz auf das beziehen, was der andere geschrieben hat.
Woran liegt das? Bist Du immer schon vier Schritte weiter und willst die unvermeidliche Folge abwehren? Mir kommt das wirklich merkwürdig vor und man fühlt sich recht allein gelassen, in Deiner virtuellen Gegenwart. Mehr als wechselseitiger Monolog ist da selten drin. Das lässt die interessanten Fragmente dann irgendwann in ihrer Gesamtheit langweilig erscheinen, oder eben wie Zeitung lesen, da erwarte ich auch nicht, dass die mir antwortet.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 23. Nov 2012, 23:12

Widersprechen sich die Konsenstheorie und die Korrespondenztheorie der Wahrheit überhaupt? Mir scheint, das tun sie nicht, mir scheint, sie behandeln unterschiedliche Fragen:

1. Konsenstheorie: wann (unter welchen Umständen/Bedingungen) können wir eine Aussage gerechtfertigt als "wahr" bezeichnen?
2. Korrespondenztheorie: wann ist eine Aussage tatsächlich wahr?

Und da die beiden Fragen mE unterschiedlich sind, können beide Theorien auch problemlos nebeneinander existieren. Beide Theorien haben problematische Aspekte, jedoch finde ich die Konsenstheorie problematischer: sie definiert nicht, was "wahr" sein soll, sondern sie sagt nur: wenn sich die kompetenten Sprecher in einem erschöpfenden Diskurs auf etwas einigen, dann sei das wahr. Wobei man aber ebenso, und eigentlich viel genauer, sagen könnte: wenn sich die kompetenten Sprecher in einem ausgiebigen Diskurs auf etwas einigen, dann können sie das vorläufig - solange der Diskurs nicht mit erneuten Argumenten wieder aufgenommen wird - als gerechtfertigte Annahme ansehen. Es gibt mE keinen Grund, das zusätzlich noch als "wahr" zu bezeichnen. Außerdem hat man dann das Problem, dass gestern X wahr gewesen sein kann, heute aber [NICHT]-X.

Was aber meinem Begriff von "wahr" widerspricht. Ich hänge - zumindest inzwischen wieder - wohl eher der Korrespondenztheorie an: eine Aussage ist dann wahr, wenn sie den Tatsachen entspricht. Trotz aller Probleme, die damit zusammenhängen: dem impliziten nicht einnehmbaren 'god's point of view', also einem von allem völlig abstrahierten praktisch unmöglichen Standpunkt und dem daraus folgenden Problem, dass wir letztlich nicht wissen können, was wahr ist. Dennoch erscheint mir diese Abstraktion in diesem Falle hilfreicher zu sein, d.h. besser die gebräuchliche Bedeutung von "wahr" abbilden zu können als die Konsenstheorie.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Sa 24. Nov 2012, 00:53

Nein, Konsens- und Korrespondenztheorie widersprechen einander nicht, m.E. ergänzen sie einander.
In der Praxis nutzt man sie wohl pragmatisch beiden und es ist bei vielen die ich kenne so ein hin und her, wobei viele der Korrespondenztheorie einen leichten Vorrang geben.

Es stimmt, die Konsenstheorie erklärt nur bedingt, oder auf Umwegen, was wahr ist, aber was hat man von einem direkteren Punkt, der nicht (oder nur sehr unvollkommen) einzulösen ist?
Da wir nie wissen werden, wie die Welt aus Gottes Perspektive aussieht, gibt es immer eine Differenz zwischen einer metaphysischen Wahrheit – weil wir eben nicht sagen können, was denn nun die Fakten oder Tatsachen sind – und dem was wir erleben.

Was Tatsachen sind, ist dabei ja nicht nur das, was ohnehin jeder bezeugen kann, der Baum da, dass es Hunger gibt und dass man denken kann, sondern die Vorstöße kommen ja nicht selten aus der Spitzen von Wissenschaft, Philosophie und anderen Disziplinen und wenn es um Viele-Welten oder infenrentielle Philosophie oder Objektbeziehungstheorie oder Shunyata geht ist das in aller Regel wieder der Konsens der Wissenden der betreffenden Disziplinen. Auf Leere kann man so wenig deuten wie auf Higgs-Bosonen oder Gedanken, d.h. hier handelt es sich immer schon um Schlüsse, um das von dem manche sagen, es sei gar nicht real.

Was die Vorläufigkeit der Wahrheit in der Konsenstheorie angeht, so stimmt das natürlich, aber ändern sich die „Fakten“ denn nicht auch jede Nase lang?
Klar kann man sagen, die Fakten würden sich nicht ändern, wir näherten uns ihnen lediglich immer weiter an, aber mit irgendwas muss man eben auch heute arbeiten und da nimmt man die bestmöglichen Fakten, die derzeit zu kriegen sind und schwupps ist man wieder bei dem, von dem die Experten (wer sonst?) sagen, es seien die derzeitigen Fakten.

Dieses Ideal, man würde mit jedem Irrtum der Wahrheit zwingend näher kommen, erscheint mir dabei eher Wunschdenken zu sein, neue komplexere Probleme tun sich zum Teil erst während der Riese auf und unvermittelt findet man sich sehr viel weiter von „der Wahrheit“ entfernt als man je ahnte.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 24. Nov 2012, 01:22

Vollbreit hat geschrieben:Es stimmt, die Konsenstheorie erklärt nur bedingt, oder auf Umwegen, was wahr ist, aber was hat man von einem direkteren Punkt, der nicht (oder nur sehr unvollkommen) einzulösen ist?

Der Punkt ist zwar mE niemals einzulösen, (d.h. ich kann niemals mit allerletzter Sicherheit wissen, ob eine Aussage wahr ist oder nicht), aber dennoch ergibt es einen Sinn, den Begriff "Wahrheit einer Aussage" vom aktuellen Konsens, (und sei der auch noch so groß/umfassend), zu trennen und ihn in einer davon unabhängigen (letztlich unerkennbaren) Sphäre zu verorten, das zu abstrahieren von den praktisch möglichen Fähigkeiten.

Stimmt zwar, dass man sich damit auf etwas Metaphysisches bezieht, dass man, rein praktisch, mit unseren Mitteln, nicht zu einem eindeutigen/unumstößlichen/für immer gültigen Ergebnis (bezüglich der Wahrheit eines konkreten Aussagesatzes) kommen kann, aber das sehe ich (inzwischen) nicht mehr als grundsätzliches Problem an.

Ich sähe es jedoch als Problem an, wenn man darauf verzichtete, denn das bedeutete, dass sich der Wahrheitsgehalt einer Aussage im Laufe der Zeit - abhängig von dem jeweiligen Konsens - ändern könnte, (von "wahr" in "unwahr" oder umgekehrt). Aber das widerspricht meiner Intuition, meinem Sprachgefühl. Eine Aussage ist entweder wahr oder unwahr oder ihr Wahrheitsgehalt kann nicht bestimmt werden. Aber das kann sich jeweils nicht im Laufe der Zeit ändern, das muss immer gelten - und wenn nicht so, dann würde das nicht mehr meinem Sprachgebrauch des Begriffes "Wahrheit" entsprechen.

Vollbreit hat geschrieben:Klar kann man sagen, die Fakten würden sich nicht ändern, wir näherten uns ihnen lediglich immer weiter an, aber mit irgendwas muss man eben auch heute arbeiten und da nimmt man die bestmöglichen Fakten, die derzeit zu kriegen sind und schwupps ist man wieder bei dem, von dem die Experten (wer sonst?) sagen, es seien die derzeitigen Fakten.

Dieses Ideal, man würde mit jedem Irrtum der Wahrheit zwingend näher kommen, erscheint mir dabei eher Wunschdenken zu sein, neue komplexere Probleme tun sich zum Teil erst während der Riese auf und unvermittelt findet man sich sehr viel weiter von „der Wahrheit“ entfernt als man je ahnte.

Aber - zumindest mE - beinhaltet die Korrespondenztheorie beides nicht zwingend: weder, dass es für jede beliebige Aussage einen eindeutigen binären Wahrheitswert gäbe, noch dass sich Wissenschaft den "wahren Fakten" immer mehr annähern würde.

Man muss dabei mE berücksichtigen, dass z.B. die Wahrheit von normativen Aussagen von den jeweils zugrundegelegten Prämissen abhängt. Und diese wiederum sind letztlich lediglich nur Setzungen. Über die man sich einigen kann, aber nicht muss, (jetzt mal abgesehen davon, dass es dabei durchaus Metakriterien gibt, wie z.B. Konsistenz eines Prämissen-/Aussagengebäudes - missachtet man die/legt man keinen Wert darauf, dann wird das wenig überzeugend sein). Aber eine "grundlegende Wahrheit" von diesen Prämissen gibt es mE nicht und die kann es mE auch nicht geben. Deine Befürchtungen in dieser Richtung sind also unbegründet und sprechen nicht gegen die Korrespondenztheorie.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Lumen » Sa 24. Nov 2012, 04:32

Vollbreit hat geschrieben:Vollkommen irrelevant für das Thema, wie der Rest auch. Deine Artikel sind mitunter interessant und gelehrig, aber sehr oft habe ich das Gefühl, dass sie sich nicht mal im Ansatz auf das beziehen, was der andere geschrieben hat. Woran liegt das? Bist Du immer schon vier Schritte weiter und willst die unvermeidliche Folge abwehren? Mir kommt das wirklich merkwürdig vor und man fühlt sich recht allein gelassen, in Deiner virtuellen Gegenwart. Mehr als wechselseitiger Monolog ist da selten drin. Das lässt die interessanten Fragmente dann irgendwann in ihrer Gesamtheit langweilig erscheinen, oder eben wie Zeitung lesen, da erwarte ich auch nicht, dass die mir antwortet.


Kein Problem. Du bist allerdings nicht alleine, da noch ein halbes Dutzend anderer Leute kommentieren. Ich möchte in diesem Fall gar nichts abwehren. Ich habe gar keine Aktien. Die Fronten die es vielleicht möglicherweise in irgendeiner Tradition oder Disziplin für dich gibt sind mir entweder unbekannt, oder ich habe keinen Drang mich der einen oder anderen Seite anzuschließen.

Ich lese konkrete Sachverhalte, wie der "weiße Schnee" oder dein "Autobahnbeispiel"; bezog auch recht eigentümliche Hürden wie "Sprachgemeinschaften" konkret mit ein, und verband es mit dem, was ich dazu zum Thema Wahrheit beitragen kann. Ich fühle mich nicht getroffen, wenn du es langweilig oder nicht hilfreich findest und kann auch nicht entscheiden, ob ich "vier Schritte weiter" bin. Ich weiß wohl genügend über mich selbst, um zu verstehen, was das Problem sein könnte. Nun ist das aber nicht weiter wichtig und es ist ja dein Thema. Letztlich möchtest du bestimmte Fragen geklärt haben. Dein Feedback finde ich sogar lobenswert, da es deutlich besser ist, sich Beiträge direkt zu sparen, als sich einzubringen, dann aber stillschweigend ignoriert zu werden. :)
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » Sa 24. Nov 2012, 09:08

AgentProvocateur hat geschrieben:Widersprechen sich die Konsenstheorie und die Korrespondenztheorie der Wahrheit überhaupt? Mir scheint, das tun sie nicht, mir scheint, sie behandeln unterschiedliche Fragen:

1. Konsenstheorie: wann (unter welchen Umständen/Bedingungen) können wir eine Aussage gerechtfertigt als "wahr" bezeichnen?
2. Korrespondenztheorie: wann ist eine Aussage tatsächlich wahr?


In der Konsenstheorie wird etwas als "Wahrheit" bezeichnet, was in der Korrespondenztheorie "Meinung" heißt, d.h. dieses beiden Bergriffe fallen dort ein einem zusammen - und das ist m.E. genau das Problem an der Konsenstheorie. Ich schlage mal vor von "Wahrheitskonzepten" zu sprechen, weil dann deutlicher wird, dass man mit dem jeweiligen Wahrheitskonzept etwas bestimmtes erreichen will. Es liegt auf der Hand, dass im Bereich der Wissenschaft implizit oder meist sogar explizit die Korrespondenztheorie den Vorrang hat. Dagegen ist sicher in der Politik, Religion und überall wo es um ideologische Auseinandersetzungen geht die Konsenstheorie die bevorzugte Rechtfertigung. Ein wichtiger Vertreter der Konsenstheorie, Habermas, will uns ja auch den Katholizismus schmackhaft machen.

Das Korrespondenzkonzept scheint mir das intelligentere zu sein (ich meine das im Sinne einer "intelligenten Lösung"). Betrachtet man die Problematik mal biologisch, so wären die Gene eines Organismus seine Meinungen, seine Umweltbedingungen seine Realität und seine Fitness seine Wahrheit. Es ist klar, dass es noch soviele Organismen mit den selben Genen geben kann und deren Spezies dennoch ausstirbt, wenn sie nicht fit ist. Es ist auch klar, dass die Gene/Meinungen eines Experten nicht das Kriterium sein können. Wenn sich ein nicht-fitter Organismus gegen seine Rivalen bei der Reproduktion durchsetzt, vererbt er schlicht seine nicht-Fitness. Das eigentliche Kriterium ist offensichtlich die Bewährung einer Meinung in Bezug auf eine Realität, sprich: ob die Meinung mit der Realität korrespondiert. Wahrheit kann sozusagen als eine Anpassung an Umweltbedingungen verstanden werden. Dieser Wahrheitsbegriff macht sicher wenig Sinn, wo es um Absichten, Interessen usw. geht. Dort ist es umgedreht: Die Umweltbedingungen sollen an die Meinungen angepasst werden. Da sollte man aber auch nicht von "Wahrheit" sprechen. Es ist dann bestenfalls "wahr", ob eine Aktion ein Ergebnis gebracht hat, welches mit den Absichten korrespondiert.

Kurz: es scheint mir die intelligentere Strategie zu sein, zu akzeptieren, dass es eine von unseren Meinungen unabhängige Realität gibt und als Ziel die Korrespondenz zwischen Meinung und Realität anzustreben. "Schnee ist rot" ist obejktiv falsch, das ist nicht nur ein "Sprachspiel".
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Sa 24. Nov 2012, 12:51

AgentProvocateur hat geschrieben:Der Punkt ist zwar mE niemals einzulösen, (d.h. ich kann niemals mit allerletzter Sicherheit wissen, ob eine Aussage wahr ist oder nicht), aber dennoch ergibt es einen Sinn, den Begriff "Wahrheit einer Aussage" vom aktuellen Konsens, (und sei der auch noch so groß/umfassend), zu trennen und ihn in einer davon unabhängigen (letztlich unerkennbaren) Sphäre zu verorten, das zu abstrahieren von den praktisch möglichen Fähigkeiten.


Die Problematik, die ich hierbei sehe, ist, dass man einfach von einem Zirkel in den nächsten gerät.
Gewiss ist es sauber und nachvollziehbar und darum ein im Grunde schönes Kriterium die Übereinstimmung mit den Fakten zu fordern – was im Alltag auch prima klappt –, nur an den Rändern, gerade da, wo es darum geht zu klären, was Wahrheit denn überhaupt ist, greift das m.E. nicht mehr. Neben der Bedeutungsverdopplung oder dem definitorischen Zirkel gerät man dann gleich in die nächste unschöne Situation, sich auf etwas beziehen zu müssen, von dem man weiß, dass man es prinzipiell nie wird erreichen können (nämlich die Gesamtheit aller Fakten zu kennen). Die gefühlte Annäherung oder die Gewissheit der Wahrheit immerhin näher gekommen zu sein, ist
m.E. eine Illusion, weil das Wissen oder die Ahnung um eine bessere Annäherung, ja bereits ein Wissen um die Wahrheit, als Gesamtheit aller Fakten, voraussetzt.
Um zu wissen, wie nahe ich Rom bin, muss ich wissen, wo Rom liegt.

Auch zu sagen, dass man ja etliche Dinge heute viel besser kann als vor 1000 Jahren, was fraglos stimmt, wäre ein schleichender Übergang zu einer funktionalistischen Wahrheitstheorie. Brandom hat dieser eine Absage erteilt, in dem er das einfache Beispiel skizziert, dass wenn ich glaube, dass eine Schlucht 8 Meter breit ist und ich weiter glaube, ein Baumstamm sei 11 Meter lang, ich erfolgreich, mit ihm, über die Schlucht gelangen kann (es funktioniert), aber es sein könnte, dass die Schlucht in Wahrheit 10 Meter lang ist und der Baum 14 Meter. Was praktisch funktioniert, muss also theoretisch nicht stimmen, für eine Wahrheitstheorie wäre das damit das Ende.

AgentProvocateur hat geschrieben:Stimmt zwar, dass man sich damit auf etwas Metaphysisches bezieht, dass man, rein praktisch, mit unseren Mitteln, nicht zu einem eindeutigen/unumstößlichen/für immer gültigen Ergebnis (bezüglich der Wahrheit eines konkreten Aussagesatzes) kommen kann, aber das sehe ich (inzwischen) nicht mehr als grundsätzliches Problem an.


Man arbeitet ja eh so. Man setzt stur voraus, dass da irgendwo so etwas wie eine Wahrheit existiert, nur ist diese Haltung eben weitaus metaphysischer, als man zugeben mag.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich sähe es jedoch als Problem an, wenn man darauf verzichtete, denn das bedeutete, dass sich der Wahrheitsgehalt einer Aussage im Laufe der Zeit - abhängig von dem jeweiligen Konsens - ändern könnte, (von "wahr" in "unwahr" oder umgekehrt).


Ist ja ohnehin so. 1980 war Pluto ein Planet, heute nicht mehr, so sind die „Fakten“.
Wenn man sagt, das seien nur Konventionen, in Wahrheit sei Pluto aber immer ein Himmelskörper mit den und den Eigenschaften, so sind auch das im Grunde nur Konventionen.
Man hechelt halt der Wahrheit immer hinterher, was zu einigen merkwürdig verworrenen Strategien führt, auf die ich jetzt nicht eingehen will.

AgentProvocateur hat geschrieben: Aber das widerspricht meiner Intuition, meinem Sprachgefühl. Eine Aussage ist entweder wahr oder unwahr oder ihr Wahrheitsgehalt kann nicht bestimmt werden.


Sicher, wenn es eine behauptende Aussage ist, aber es ist ja nicht so, dass die Konsenstheorie kein wahr/falsch kennen würde.

Was würde passieren, wenn ein genialer Forscher, irgendeinen neuen Ansatz von was auch immer vorstellen würde und so genial ist, dass keiner der Experten des Themas ihn versteht? Er erklärt sein Verfahren, aber niemand kann damit umgehen. Aus Gottes Sicht könnte der Forscher richtig liegen, doch wenn alle der Meinung sind, es sei nicht nachvollziehbar, würde er vermutlich als Spinner enden.

AgentProvocateur hat geschrieben: Aber das kann sich jeweils nicht im Laufe der Zeit ändern, das muss immer gelten - und wenn nicht so, dann würde das nicht mehr meinem Sprachgebrauch des Begriffes "Wahrheit" entsprechen.


Dem stimme ich zu. Aber dann müsste man konsequenterweise den Begriff Wahrheit arg reduzieren, wovon können wir schon ganz genau sagen, dass es wahr ist? Ein paar Alltagswahrheiten und die Schlüsse aus endlichen formalen Systemen.
Und worauf beziehen sich Aussagen die „Der Baum vor meinem Haus“ denn wirklich, wenn nicht auf Bestätigungen durch Zeugen? Wenn jemand sagt: „Der Engel vor meinem Haus“, meinen wir, er hätte Halluzinationen und zwar weil, die anderen keinen Engel sehen und sonst erst einmal aus keinem anderen Grund. Da wäre man wieder im definitorischen Zirkel.

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber - zumindest mE - beinhaltet die Korrespondenztheorie beides nicht zwingend: weder, dass es für jede beliebige Aussage einen eindeutigen binären Wahrheitswert gäbe, noch dass sich Wissenschaft den "wahren Fakten" immer mehr annähern würde.


Ja, was die Annäherung an die Wahrheit angeht, da hatte ich jetzt auch eher Popper im Hinterkopf, habe diesen Themensprung aber nicht deutlich gemacht, insofern ist Dein Einspruch berechtigt.
Und Aussagen: Ich meine, dass sich Wahrheit nur auf Aussagen beziehen kann, aber dass nicht jeder Aussage ein Wahrheitswert zukommt.

AgentProvocateur hat geschrieben:Man muss dabei mE berücksichtigen, dass z.B. die Wahrheit von normativen Aussagen von den jeweils zugrundegelegten Prämissen abhängt.


Da bin ich ganz Deiner Meinung.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und diese wiederum sind letztlich lediglich nur Setzungen. Über die man sich einigen kann, aber nicht muss, (jetzt mal abgesehen davon, dass es dabei durchaus Metakriterien gibt, wie z.B. Konsistenz eines Prämissen-/Aussagengebäudes - missachtet man die/legt man keinen Wert darauf, dann wird das wenig überzeugend sein).


Rationalität in Handlungen und Aussagen ist ja demnach auch daran erkennbar, dass man die Handlung eines anderen nachvollziehen kann, wenn man auch so handeln könnte, wie er, für den Fall, dass seine Prämissen auch meine wären. Diese Empathieleistung wird auch für den Diskurs gefordert, aus dem die Konsenstheorie ja eine Abtleitung ist (oder umgekehrt?). In jedem Fall sind beide eng verflochten.

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber eine "grundlegende Wahrheit" von diesen Prämissen gibt es mE nicht und die kann es mE auch nicht geben. Deine Befürchtungen in dieser Richtung sind also unbegründet und sprechen nicht gegen die Korrespondenztheorie.


Das ist ja die Frage. Grundlegend sicher nicht, weil normative Werte m.E. niemals grundlegend sind (sondern immer schon eine hohe Abstraktionsstufe darstellen, auch wenn ein gewisser Teil des Moralempfindens angeboren sein sollte). Es könnte aber sein, dass am anderen Ende des Tunnels, man zu zwingenden Aussagen, den Letztbegründungen, gelangt (die, das sage ich nur zur Sicherheit, keinerlei religiöse Konnotation haben). Die Diskussion darüber wurde ja von Apel (pro Letztbegründungen) und Habermas (contra Letztbegründungen) geführt und dann irgendwann ergebnislos, mit dem Verweis auf unterschiedliche Vorstellungen über die theoretische Architektur eingestampft.

M.E. ergeben sich aus selbstgewählten moralischen oder ethischen Imperativen schon recht zwingende Konsequenzen, an die man sich zwar nicht halten muss, aber das ist wieder eine Frage der Empfänglichkeit für ethisch/moralische Gebote und Verbote im Allgemeinen.
Wer sich nicht festlegen lässt, den kann man zwar ächten oder bestrafen, aber nicht zwingen.
Das wiederum wirft Fragen im Hinblick auf gesamtgesellschaftliche Verantwortungen auf.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Sa 24. Nov 2012, 13:01

Lumen, nur ganz kurz, weil ich leider weg muss:
Begriffe wie „Sprachgemeinschaft“ sind m.E. keineswegs merkwürdig, sondern allgemein gebräuchlich. Das Uninteressante ergibt sich nicht aus den einzelnen, mitunter sehr lesenswerten Artikeln von Dir, sondern aus dem Gefühl (von mir), in Deinen Augen immer unter einem diffusen Generalverdacht zu stehen (der ja auch mit Begriffen von Vernebelung, Verdunkelung usw. immer wieder angefacht wird) und das finde ich auf Dauer ermüdend, zumal ich m.E. mit sehr offenen Karten spiele.

Ich sage eigentlich stets sehr klar, was ich denke und wo mir das nicht geglaubt wird und ich das Gefühl habe, dass mir gerade der Versuch einer Klärung als abermalige, noch geschicktere Verschleierung – von was denn bloß? – ausgedeutet wird (und auf der anderen Seite ein allwissender Deuter sitzt, der genauer als ich weiß, was ich da Schlimmes im Schilde führe), wird das sehr sehr anstrengend. Ansonsten sind Deine Beiträge in meinen Augen oft ein Gewinn, vielleicht liege ich daneben mit meiner Empfindung, aber Dein Stil erscheint mir bisweilen etwas paranoid zu sein.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » Sa 24. Nov 2012, 14:13

Vollbreit hat geschrieben:Neben der Bedeutungsverdopplung oder dem definitorischen Zirkel gerät .

Erklär mal, wieso! Kann sein, dass Du in einen definitorischen Zirkel gerätst - dann ist eben Deine Definition untauglich.

Der Satz "Schnee ist rot, das ist wahr" besteht aus zwei Aussagen, der Aussage 1 "Schnee ist rot" und der Aussage 2, die eine Aussage über Aussage 1 ist, nämlich, dass Aussage 1 wahr sei. Die Aussage 1 ist eine Tatsachenbehauptung und die Aussage 2 ist eine Behauptung über den Wahrheitsgehalt der Aussage 1, deren Informationsgehalt 1 Bit beträgt, nämlich "richtig" oder "falsch". Da Aussage 1 auch falsch sein kann, ist die Behauptung, dass sie wahr sei keineswegs redundant.

Vollbreit hat geschrieben:man dann gleich in die nächste unschöne Situation, sich auf etwas beziehen zu müssen, von dem man weiß, dass man es prinzipiell nie wird erreichen können (nämlich die Gesamtheit aller Fakten zu kennen).

Das ist ein typischer Einwurf von religiös geprägten Menschen, die einem göttliches Allwissenheitskonzept anhängen, das es nur im Märchen gibt.
Mann muss doch nicht die "Gesamtheit aller Fakten" kennen, um den Satz des Pytagoras erfolgreich anzuwenden, man muss dazu nur den Satz des Pytagoras kennen. Außerdem können wir aus dem selben Grund, aus dem wir nicht sicher sein können, dass wir eine Wahrheit haben auch nicht sicher sein, dass wir sie nicht haben.


Vollbreit hat geschrieben:Die gefühlte Annäherung oder die Gewissheit der Wahrheit immerhin näher gekommen zu sein, ist m.E. eine Illusion,

Die Mondlandung war keine Illussion, sondern das erwartete Ergebnis von Wissenschaft und Forschung. Dieses Unternehmen hat gezeigt, dass die angenommen Gesetzmäßigkeiten offensichtlich bestehen.


Vollbreit hat geschrieben:weil das Wissen oder die Ahnung um eine bessere Annäherung, ja bereits ein Wissen um die Wahrheit, als Gesamtheit aller Fakten, voraussetzt.Um zu wissen, wie nahe ich Rom bin, muss ich wissen, wo Rom liegt.

Ach was! Wenn du in Rom angekommen bist, weißt du, wie weit du vor einer Stunde davon entfernt warst. Die Newtonsche Mechanik kann dir sehr präzise beschreiben, wie weit es noch zum Mond ist, obwohl sie "nur" eine Nährung ist. Es ist die Frage, ob dich deine "Wahrheit" dort hin bringt, wo du hin willst, oder ob das Ergebnis deinen Erwartungen widerspricht. Das ist eben nicht vom Konsens abhängig.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » Sa 24. Nov 2012, 17:04

Vollbreit hat geschrieben:Und mit der Korrespondenztheorie kommst Du zur Aussage, dass die Wahrheit von "Schnee ist weiß, ist wahr" darin liegt, dass man die Farbe des Schnees eben "weiß" nennt.
Perfekt ist das alles nicht.

Man kann zwar sagen, dass bestimmten formalen Systemen mit endlichen Schlussregeln, es bestimmte Wahrheiten gibt, die sogar ewig genannt werden können, weil ihre Richtigkeit auch dann gegeben ist, wenn sie noch niemand gefunden hat und zwingend aus dem System folgt, aber bei dem Gewusel aus emprischen Verifikationsversuchen, logischen Schlüssen und so weiter, kommt man "der Wahrheit" nie so recht auf die Schliche. Was meinst Du?


Der Korrenspondenztheorie kommt es zunächst nicht darauf an, wie man Wahrheit herausfindet. Es geht ihr erstmal darum festzustellen, dass es von unseren Meinungen unabhängige Fakten gibt. Was du hier abschätzig wertend als "Gewusel" bezeichnest ist in Wirklichkeit ein sehr erfolgreiches bewehrtes Verfahren, das dem Menschen seit Jahrtausenden Fortschritt gebracht hat. Du würdest doch nicht auf deinen Zahnarzt verzichten, bloß weil er sich nicht absolut sicher sein kann und nicht alle Fakten kennen kann! Ich erkenne in deine Argumentation immer wieder das Strickmuster religiöser Wissenschaftsfeindlichkeit wieder. Der aus der Luft gegriffene Anspruch nach "ewigen Wahrheiten" wird als Maßstab an die Wissenschaft gelegt um dann festzustellen, dass die Wissenschaft diesem Anspruch nicht gerecht wird.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 24. Nov 2012, 22:08

Vollbreit hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Ich sähe es jedoch als Problem an, wenn man darauf verzichtete, denn das bedeutete, dass sich der Wahrheitsgehalt einer Aussage im Laufe der Zeit - abhängig von dem jeweiligen Konsens - ändern könnte, (von "wahr" in "unwahr" oder umgekehrt).

Ist ja ohnehin so. 1980 war Pluto ein Planet, heute nicht mehr, so sind die „Fakten“.

Meinst Du mit "Fakten" die zugrundegelegten Definitonen? Die Aussage "Pluto ist ein Planet" ist selbstverständlich abhängig davon, wie man "Planet" definiert. 1980 galt eine andere Definition als heute, daher sind beide Aussagen: 1. "Pluto war nach der Definition von 1980 ein Planet" und 2. "Pluto ist nach heutiger Definiton kein Planet" wahr und es gibt dabei auch keinen Widerspruch und der Wahrheitswert dieser Aussagen hat sich auch nicht im Laufe der Zeit geändert. Oder anders gesagt: die Aussage "Pluto ist ein Planet" hatte 1980 eine andere Bedeutung als heute, die damalige Aussage ist also nicht mit der heutigen Aussage identisch, daher entsteht kein Widerspruch, wenn man beide Aussagen für wahr hält.

Vollbreit hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben: Aber das widerspricht meiner Intuition, meinem Sprachgefühl. Eine Aussage ist entweder wahr oder unwahr oder ihr Wahrheitsgehalt kann nicht bestimmt werden.

Sicher, wenn es eine behauptende Aussage ist, aber es ist ja nicht so, dass die Konsenstheorie kein wahr/falsch kennen würde.

Was würde passieren, wenn ein genialer Forscher, irgendeinen neuen Ansatz von was auch immer vorstellen würde und so genial ist, dass keiner der Experten des Themas ihn versteht? Er erklärt sein Verfahren, aber niemand kann damit umgehen. Aus Gottes Sicht könnte der Forscher richtig liegen, doch wenn alle der Meinung sind, es sei nicht nachvollziehbar, würde er vermutlich als Spinner enden.

Das ist ein gutes Beispiel, um meinen Punkt zu verdeutlichen. Ich möchte gerne folgendes ausdrücken können: "die Aussagen des Forschers sind wahr, obgleich sie jeder (außer ihm und mir) für falsch hält". Aber das könnte ich ja unter Zugrundelegung der Konsenstheorie nicht mehr ausdrücken, nach der Konsenstheorie wäre der Satz automatisch falsch, weil "wahr" ja dort dasselbe wie "heute mit guten Gründen allgemein anerkannt" bedeutet. Stellen wir uns nun vor, einige Zeit geht ins Lande, die Ansichten ändern sich und irgendwann meint man, dass der Forscher recht hatte - wobei "recht hatte" dasselbe ist wie "seine Aussagen waren wahr" - aber das könnte man dann auch nicht so ausdrücken. Denn sie waren zu dem vorherigen Zeitpunkt ja nicht wahr - wenn "wahr" "der aktuelle Konsens" bedeutet.

Diesen Problemen könnte die Konsenstheorie nur entgehen, wenn sie einen hypothetischen Konsens von hypothetischen allwissenden Wesen postulierte. Aber dann wäre sie nicht mehr unterscheidbar von der Korrespondenztheorie.

Die Konsenstheorie mag ja sinnvoll sein, wenn man betrachten will, welche Aussagen man unter welchen Bedingungen als "wahr" bezeichnen möchte, welche Kriterien man dafür anlegen will. Alllerdings wäre es mE besser, wenn man den Wahrheitsbegriff der Korrespondenztheorie beibehält und dann diese so geprüften Aussagen als "zeitkernig gültig" oder "gemeinhin anerkannt" oder so bezeichnet, aber nicht als "wahr".
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » So 25. Nov 2012, 09:28

Kleiner Einschub:
Warum Wahrheit unabhängig von Expertenmeinungen und Meinungen überhaupt ist

Addiere dein Geburtsdatum und deine Telefonnummer. Die Aussage "Das Ergebnis lautet 017223142451" ist entweder wahr oder falsch und zwar selbstverständlich unabhängig davon, ob das Ergebnis außer dir noch jemandem anderes bekannt wird und sogar unabängig davon, ob es überhaupt jemals wirklich ausgerechnet wird!
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » So 25. Nov 2012, 09:47

AgentProvocateur hat geschrieben:Die Konsenstheorie mag ja sinnvoll sein, wenn man betrachten will, welche Aussagen man unter welchen Bedingungen als "wahr" bezeichnen möchte, welche Kriterien man dafür anlegen will. Alllerdings wäre es mE besser, wenn man den Wahrheitsbegriff der Korrespondenztheorie beibehält und dann diese so geprüften Aussagen als "zeitkernig gültig" oder "gemeinhin anerkannt" oder so bezeichnet, aber nicht als "wahr".

Ich stimme mit allem überein, was ich hier von dir gelesen habe. Es läuft auf das Begründungsproblem hinaus. Ich vermute aber, dass es den Verfechtern der Konsenstheorie hauptsächlich darum geht, nichtwissenschaftlichen Aussagen (grob gesagt), z.B ethischen, religiösen oder ideologischen einen Wahrheitswert zuzuschreiben um solchen Aussagen dieselbe Relevanz zu verleihen. Bei z.B. ethischen Fragen ist das Konsensverfahren ja durchaus sinnvoll, evtl. das einzig sinnvolle. Das Diskurs-Reglement der Konsenstheorie ist dabei sicher hilfreich. Was rauskommt hat nur eben nichts mit Wahrheit zu tun, es ist schlicht Konsens, also ein Wille. Das hat aber in der Wissenschaft nichts zu suchen.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » So 25. Nov 2012, 10:03

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Neben der Bedeutungsverdopplung oder dem definitorischen Zirkel gerät .

Erklär mal, wieso!


Vollbreit hat geschrieben:Wenn wir nun sagen „Schnee ist weiß“, ist damit bereits alles gesagt. Wir haben damit die Kompetenz bewiesen (wenn wir verstehen, was wir sagen und das heißt: theoretisch begründen könnten, warum wir es sagen), über ein Sehsystem zu verfügen, das dem der meisten anderen Menschen entspricht und die Sinneseindrücke sprachlich richtig (gemäß dem aktuellen Gebrauch der Sprachgemeinschaft in der ich lebe) zuzuordnen und ausdrücken zu können.

Der Satz „Schnee ist weiß, ist wahr“ ist deshalb lediglich eine Verdoppelung der Bedeutung des Satzes „Schnee ist weiß“. Seine Wahrheit bezieht er daraus, dass wir zu bestimmten Dingen eben „weiß“ oder „ist weiß“ sagen und gefragt warum wir das tun, könnten wir nur antworten, dass es eben so ist und uns auf andere Beispiele, die uns farblich gleich erscheinen, Kuhmilch, Schönwetterwolken, unbeschriebenes Papier, verweisen, die wir eben auch „weiß“ nennen.
Und das überzeugend klingende „Sie sind aber auch weiß“ bedeutet einfach, dass wir zu bestimmten Dingen, die alle Wellenlängen des sichtbaren Teils des elektromagnetischen Spektrum gleichermaßen reflektieren, eben sagen, sie seien weiß.

So werden aus beobachterunabhängigen Fakten, das, was sie in Wirklichkeit sind, Konventionen.
Mit anderen Worten, etwas ist so, weil wir es so nennen. Das ist natürlich nicht verborgen geblieben:
http://de.wikipedia.org/wiki/Wahrheitst ... enztheorie
Doch genau das gibt die Konsenstheorie auch her.

Sie sagt, es gäbe eine sprachliche Einigung darüber, wie wir (im Konsens) bestimmte Dinge bezeichnen. Schnee nennen wir „weiß“. Das scheinbare Faktum, dass Schnee tatsächlich weiß ist, hat sich als definitorischer Zirkel erwiesen, es ist genausogut eine Konvention oder ein Konsens Dinge, die alle Wellenlängen des sichtbaren Teils des elektromagnetischen Spektrums gleichermaßen reflektieren, „weiß“ zu nennen.



ujmp hat geschrieben:Der Satz "Schnee ist rot, das ist wahr" besteht aus zwei Aussagen, der Aussage 1 "Schnee ist rot" und der Aussage 2, die eine Aussage über Aussage 1 ist, nämlich, dass Aussage 1 wahr sei.


Richtig, mit „Schnee ist rot“ wäre bereits alles gesagt, siehe oben.

ujmp hat geschrieben:Die Aussage 1 ist eine Tatsachenbehauptung und die Aussage 2 ist eine Behauptung über den Wahrheitsgehalt der Aussage 1, deren Informationsgehalt 1 Bit beträgt, nämlich "richtig" oder "falsch". Da Aussage 1 auch falsch sein kann, ist die Behauptung, dass sie wahr sei keineswegs redundant.


Ja. Aber die Wahrheitsbehauptung, die mit dem „ist wahr“ hinzukommt, hast Du auch schon im „Schnee ist weiß“. In der Situation geht es nicht um einen Dialog, in der jemand eimem anderen seine Ansicht bestätig. Es geht um den Unterschied, zwischen den Behauptungen von Sprecher A, die einmal lautet: „Schnee ist weiß“ und zum anderen, „Schnee ist weiß, ist wahr.“ Und der Unterschied ist, dass es keinen gibt. Wenn Du etwas behauptest, verbindest Du damit immer schon einen Wahrheitsanspruch.
Es ist wie der Unterschied zwischen „Es regnet“ und „Ich behaupte, dass es regnet“.

Aber bohr mal ruhig weiter, denn an der Stelle ergeben sich sehr interessante Phänomene, die, wenn man sie so liest, sehr verschlossen wirken, so dass man zumeist keine Lust hat, sich damit auseinaderzusetzen, ist man allerdings in einen Dialog eingebunden, ergibt sich das viel näher an einem Beispiel.

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:man dann gleich in die nächste unschöne Situation, sich auf etwas beziehen zu müssen, von dem man weiß, dass man es prinzipiell nie wird erreichen können (nämlich die Gesamtheit aller Fakten zu kennen).

Das ist ein typischer Einwurf von religiös geprägten Menschen, die einem göttliches Allwissenheitskonzept anhängen, das es nur im Märchen gibt.


Diese Unterstellung ist mir in dem Zusammenhang einfach zu dumm.
Ich habe meine Einstellung zum Thema Religion mehrfach skizziert, wenn Du sie eiskalt ignorierst, dann tu das, aber erwarte bitte von mir nicht, dass ich jedes mal wieder dazu Stellung nehme.

ujmp hat geschrieben:Mann muss doch nicht die "Gesamtheit aller Fakten" kennen, um den Satz des Pytagoras erfolgreich anzuwenden, man muss dazu nur den Satz des Pytagoras kennen.


Du kannst gar nicht nur den Satz desm Pythagoras kennen, weil Du, um ihn überhaupt verstehen zu können, jede Menge Vorwissen brauchst. Jemanden, der nicht mindestens Grundkenntnisse in der Mathematik hat und eine recht differenzierte Sprache beherrscht, wird das gar nichts sagen. Und schon einen einfachen Satz wie: „Das ist ein Kirschbaum“ kannst Du nicht ohne Kontext verstehen.

ujmp hat geschrieben:Außerdem können wir aus dem selben Grund, aus dem wir nicht sicher sein können, dass wir eine Wahrheit haben auch nicht sicher sein, dass wir sie nicht haben.


Es geht nicht darum, dass wir nicht sicher sein können, dass wir eine Wahrheit haben.
Wahrheitstheorien versuchen zu klären, was Wahrheit ist, oder sein könnte. Was gegeben sein muss und berechtigt von Wahrheit sprechen zu dürfen. Das erweist sich – wie so oft – auf den zweiten Blick als schwieriger, als es scheint. Denn, was Wahrheit ist, wissen wir doch alle, davon ist man überzeugt (genau wie : Erkenntnis, Sein, Ich, Liebe, Tugend, Gerechtigkeit…) nur, wenn man den Begriff dann mal bestimmen soll, ergeben sich die Schwierigkeiten.
Konsenstheorie und Korrespondenztheorie sind Angebote das alltägliche Ungefähr, mit dem wir alle agieren und was im und für den Alltag auch wunderbar klappt, zu präzisieren oder auch das unausgesprochene (implizite) Regelwerk, dem wir dabei folgen , offen zu legen, auszusprechen (zu explizieren).

Die Konsenstheorie macht das Angebot, Wahrheit als das zu sehen, was die Gemeinschaft der Wissenden als wahr erachtet. Da gibt es Einwände, Agent formuliert sie, ich versuche in der Antwort an ihn darauf einzugehen.
Die Korrespondenztheorie macht das Angebot, Wahrheit als Übereinstimmung einer behauptenden Aussage mit den Fakten oder Tatsachen zu definieren. Das Problem bei dem man in den deifnitorischen Zirkel gerät ist, dass die Zuschreibung was denn Tatsachen und Fakten sind, eben immer schon Interpretationen und Absprachen sind. Es gibt kein Sosein der Dinge, das uns zugänglich wäre. Es gibt nichts, was Du ohne Vorwissen intensiv betrachtest und dann – sozusagen, aus dem Betrachteten selbst heraus – erscheint durch ein Wunder in Deinem Bewusstsein: „Das ist ein Kirschbaum“. Du hast vielmehr gelernt, was ein Baum ist, was eine Farbe ist, was ein Stamm ist, was Blätter und Blüten sind und wenn der Gesamteindruck etwas hervorruft, was Dir schon mal beigebracht wurde, wirst Du überhaupt erst auf die Idee kommen können: „Das ist ein Kirschbaum.“
Das heißt das Faktum des Baumes, der diese und jene Blüten und Blätter und Früchte trägt, ist immer schon Zuschreibung. Dann heißt es aber nicht, dass die Wahrheiten eine Korrespondenz der Behauptung mit den Fakten ist, sondern der Behauptung mit den Zuschreibungen der Sprachgemeinschaft (über das, was man Baum nennt). Das was als „Faktum“ oder „Tatsache“ erscheint, ist damit aber nicht primär, sondern abgeleitet.
(Um keine Missverständnisse hervorzurufen: Es gibt Grund zu der Annahme, dass es Bäume wirklich gibt, aber es ist nicht so, dass man voraussetzunglos auf etwas blickt und dann auf einmal die Lösung erscheint: „Ah ja, Kirschbaum.“)

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Die gefühlte Annäherung oder die Gewissheit der Wahrheit immerhin näher gekommen zu sein, ist m.E. eine Illusion,

Die Mondlandung war keine Illussion, sondern das erwartete Ergebnis von Wissenschaft und Forschung. Dieses Unternehmen hat gezeigt, dass die angenommen Gesetzmäßigkeiten offensichtlich bestehen.


Ja, aber das von Brandom erwähnte Argument gegen den Funktionalismus als Kritierium für Wahrheit (ich könnte mich auch irren und dennoch klappt ein Vorhaben) ist ein gutes Gegenargument. Das muss, wenn es als Kriterium für Wahrheit taugen soll, prinzipiell entkräftet werden. Ein „Wenn es meistens klappt, wird es wohl wahr gewesen sein“ ist keine gute Aussage für die Suche danach, was Wahrheit ist.

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:weil das Wissen oder die Ahnung um eine bessere Annäherung, ja bereits ein Wissen um die Wahrheit, als Gesamtheit aller Fakten, voraussetzt.Um zu wissen, wie nahe ich Rom bin, muss ich wissen, wo Rom liegt.

Ach was! Wenn du in Rom angekommen bist, weißt du, wie weit du vor einer Stunde davon entfernt warst.


Schon, wenn ich dann weiß, woran ich erkenne, dass es Rom und nicht Prag ist.
Aber schlimmer: Ich werde Rom (in diesem Beispiel, die Gesamtheit aller Fakten, Tatsachen der Welt) nie erreichen und ich weiß, dass ich es nie erreichen kann.

ujmp hat geschrieben:Die Newtonsche Mechanik kann dir sehr präzise beschreiben, wie weit es noch zum Mond ist, obwohl sie "nur" eine Nährung ist. Es ist die Frage, ob dich deine "Wahrheit" dort hin bringt, wo du hin willst, oder ob das Ergebnis deinen Erwartungen widerspricht. Das ist eben nicht vom Konsens abhängig.


Okay, machen wir mal die Probe.
Ich habe Rückenschmerzen, wovon weiß ich nicht, ich weiß nur, tut weh und zwar sehr.
Ich gehe zum Orthopäden, werde untersucht, bekomme eine Spritze, die hilft abe nicht, warum weiß ich nicht, aber dass sie nicht hilft, merke ich. Ich bin nicht am Ziel angekommen, denn mein Ziel war Schmerzfreiheit.
Ich habe also immer noch Rückenschmerzen. Jemand sagt mir, ich sollte zum Schamanen gehen, aber das finde ich bekloppt. Der Arzt konnte mich aber meinem Ziel nicht näher bringen und es tut noch immer saumäßig weh, also gehe ich in meiner Verzweiflung zum Schamanen. Der macht mit mir eine schamanische Reise und der Schmerz wird besser. Warum, weiß ich nicht. Ich gehe noch drei mal hin und bin am Ziel angekommen.
Es gibt solche Fälle. Ich will nun keine Diskussion über Schamanismus, Medizin oder Placebo entfachen, sondern bei der Wahrheitsdisskussion beiben. Gemäß Deiner Darstellung, dass nicht der Konsens, sondern einzig mein Ziel und sein Erreichen/Verfehlen leitend ist, müsstest Du sagen, dass die Medizin falschen Theorien folgt und der Schamanismus wahren. Würdest Du das unterschreiben?
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » So 25. Nov 2012, 10:37

ujmp hat geschrieben:Der Korrenspondenztheorie kommt es zunächst nicht darauf an, wie man Wahrheit herausfindet.


Das ist wohl wahr, denn sie versucht ja gar nicht Aussagen darüber zu machen, was wahr ist, sondern was Wahrheit ist, was also, aus welchem Grund, als wahr bezeichnet werden kann oder darf.

ujmp hat geschrieben:Es geht ihr erstmal darum festzustellen, dass es von unseren Meinungen unabhängige Fakten gibt.


Ja, das sehe ich eigentlich auch so, dass das die impliziete Behauptung der Korrespondenztheorie ist.
Das Problem ist auch gar nicht, dass ich das nicht glaube, sondern, dass es schwer bis unmöglich ist, beoachterunabhängige Fakten oder Tatsachen überhaupt zu formulieren.

Sie sind in meinen Augen eine Filtrat wenn man das so sagen kann, aus der Beobachtung vieler.
Warum ist meine Aussage: „Da steht ein Baum“ so langweilig, dass man kaum drauf reagiert, während ich für meine Behauptung „Da steht ein Engel“ in ernste Schwierigkeit geraten würde.
Den Baum sieht jeder, den Engel nicht.

ujmp hat geschrieben:Was du hier abschätzig wertend als "Gewusel" bezeichnest ist in Wirklichkeit ein sehr erfolgreiches bewehrtes Verfahren, das dem Menschen seit Jahrtausenden Fortschritt gebracht hat.
Du würdest doch nicht auf deinen Zahnarzt verzichten, bloß weil er sich nicht absolut sicher sein kann und nicht alle Fakten kennen kann!


Nein, aber erstens habe ich Gewusel nicht abwertend gemeint und zweitens gelten emprisiche Verifikationen stets als unzureichend, wie Popper deutlich machte.
Dass alle Möglichen Alltagspraktiken prima klappen, würde ich nie bestreiten.

ujmp hat geschrieben:Kleiner Einschub:
Warum Wahrheit unabhängig von Expertenmeinungen und Meinungen überhaupt ist

Addiere dein Geburtsdatum und deine Telefonnummer. Die Aussage "Das Ergebnis lautet 017223142451" ist entweder wahr oder falsch und zwar selbstverständlich unabhängig davon, ob das Ergebnis außer dir noch jemandem anderes bekannt wird und sogar unabängig davon, ob es überhaupt jemals wirklich ausgerechnet wird!


Stimmt.
Und es stimmt auch weiterhin, dass man nicht für jede Aussage Experten braucht, bzw. und genauer gesagt: Wer in der zuständigen Frage kompetent ist (also Experte) ist keinesfalls immer nur ein speziell legitimierter Spezialist. Die Behauptung „Es regnet“ kann durch einen kurzen Blick aus dem Fenster bestätigt oder widerlegt werden. Kompetent ist jeder der gucken kann (und den Sinn von „Es regnet“ versteht und in der Region wohnt, in der jetzt gerade die Behauptung aufgestellt wird). Bei der Frage, was genau die Existenz der Higgs-Bosonen nun besagt, sind weitaus weniger kompetent und wir verlassen uns auf die Meinung der Zuständigen.
Und wenn die falsch ist, ist es hoch wahrscheinlich, dass das überhaupt nur Experten bemerken würden, es sei denn es folgt eine Alltagspraxis daraus.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » So 25. Nov 2012, 10:56

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Die Aussage 1 ist eine Tatsachenbehauptung und die Aussage 2 ist eine Behauptung über den Wahrheitsgehalt der Aussage 1, deren Informationsgehalt 1 Bit beträgt, nämlich "richtig" oder "falsch". Da Aussage 1 auch falsch sein kann, ist die Behauptung, dass sie wahr sei keineswegs redundant.


Ja. Aber die Wahrheitsbehauptung, die mit dem „ist wahr“ hinzukommt, hast Du auch schon im „Schnee ist weiß“. In der Situation geht es nicht um einen Dialog, in der jemand eimem anderen seine Ansicht bestätig. Es geht um den Unterschied, zwischen den Behauptungen von Sprecher A, die einmal lautet: „Schnee ist weiß“ und zum anderen, „Schnee ist weiß, ist wahr.“ Und der Unterschied ist, dass es keinen gibt. Wenn Du etwas behauptest, verbindest Du damit immer schon einen Wahrheitsanspruch.
Es ist wie der Unterschied zwischen „Es regnet“ und „Ich behaupte, dass es regnet“.


Das ist trivial, aber für eine Definition von "Wahrheit" irrelevant. Versteh es mal so: Es geht um zwei voneinander unabhängige Behauptungen: 1) "Schee ist rot, das ist wahr" und 2) "Die Aussage 'Schnee ist rot, das ist wahr" ist falsch". Es mag ja sein, dass "Schee ist rot, das ist wahr" und "Schnee ist rot" dasselbe meinen. Das ist aber nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass sich Aussagen in zwei Klassen teilen lassen, nämlich in die Klasse der wahren und die der falschen Aussagen. Oder anders gesagt, in falsche und nicht falsche Aussagen. Der Wahrheitswert ist ein binäres Atrribut, welches ich jeder Aussage zuweisen kann. Auch Aussagen über Aussagen. z.B. "Der Satz 'Der Satz {Schnee ist rot, das ist falsch} ist wahr' ist falsch" usw. - ohne das irgendwo Redundanz entsteht. Es geht hier nicht darum, dass Aussagen nicht implizit Wahrheitsbehauptungen sind, da hast du natürlich recht, sondern darum, dass diese Behauptungen falsch sein können.

Dass Aussagen wahr sein können stellt ja kein Problem dar. Das Problem ist, dass sie nicht wahr sein müssen. Dass Aussagen falsch sein, können - das ist das Problem, wofür eine Lösung gesucht wird. Es ist ein Anpassungsproblem.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » So 25. Nov 2012, 11:21

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Der Korrenspondenztheorie kommt es zunächst nicht darauf an, wie man Wahrheit herausfindet.


Das ist wohl wahr, denn sie versucht ja gar nicht Aussagen darüber zu machen, was wahr ist, sondern was Wahrheit ist, was also, aus welchem Grund, als wahr bezeichnet werden kann oder darf.


ujmp hat geschrieben:Es geht ihr erstmal darum festzustellen, dass es von unseren Meinungen unabhängige Fakten gibt.


Ja, das sehe ich eigentlich auch so, dass das die impliziete Behauptung der Korrespondenztheorie ist.
Das Problem ist auch gar nicht, dass ich das nicht glaube, sondern, dass es schwer bis unmöglich ist, beoachterunabhängige Fakten oder Tatsachen überhaupt zu formulieren.

Dass dies nicht so einfach ist, ist klar. Deborah Mayo hat die Ansätze von Popper und Kuhn einem Review unterzogen. Wenn ich sie richtig verstehe, sind beide Ansätze zwei Seiten der selben Medaille. Übrig bleibt, dass wir aus Fehlern lernen (in der popperschen Terminologie "Falsifizierungen"). Sprich, wir verbessern unsere Meinung über die Fakten, in dem wir auf Fehler stoßen, d.h. auf Daten, die unseren Meinungen (Theorien) widersprechen oder durch sie nicht erklärt werden können.

Es ist m.E. gar nicht das Problem "Fakten oder Tatsachen überhaupt zu formulieren". Es ist das - lösbare - Problem, a) Erwartungen (Predictions) zu formulieren und b) zu formulieren, welche Daten diesen Erwartungen entsprechen würden. Die "Tatsache" kann dabei als Black Box betrachtet werden. Die Wissenschaft geht einfach davon aus, dass diese als Tatsache konstant bleibt.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » So 25. Nov 2012, 11:30

AgentProvocateur hat geschrieben:Oder anders gesagt: die Aussage "Pluto ist ein Planet" hatte 1980 eine andere Bedeutung als heute, die damalige Aussage ist also nicht mit der heutigen Aussage identisch, daher entsteht kein Widerspruch, wenn man beide Aussagen für wahr hält.


Stimmt, aber dann sind Fakten bereits Sprachspiele und Konventionen und nicht mehr Bäume, Atome und historische Ereignisse. Wenn man den Begriff des Faktums oder der Tatsache dahingehend erweitert, hätte ich vermutliche keine Einwände mehr, die Frage ist, ob dies den Korrespondenztheoretikern dann noch gefällt.
Meine Intuition ist, dass es ihnen besser gefallen würde, sich von Konventionen frei zu machen und sich auf die Tatsachen an sich zu beziehen.
(Ich glaube, dass man mit einiger Berechtigung von Tatsachen an sich sprechen kann, dass diese allerdings nachgeordnet sind, und sich aus glaubwürdigen und unglaubwürdigen Berichten herausdestillieren lässt. Damit wäre aber eine Formulierung im Sinne der Korrespondeztheorie eine durchaus mögliche Folge der Aussagen vieler und Tatsachen und Fakten wären keinesweg grundlegend. Das ist eigentlich das wirkliche Problem, was ich dabei sehe.)

AgentProvocateur hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Aus Gottes Sicht könnte der Forscher richtig liegen, doch wenn alle der Meinung sind, es sei nicht nachvollziehbar, würde er vermutlich als Spinner enden.

Das ist ein gutes Beispiel, um meinen Punkt zu verdeutlichen. Ich möchte gerne folgendes ausdrücken können: "die Aussagen des Forschers sind wahr, obgleich sie jeder (außer ihm und mir) für falsch hält".


Ja, so ist das Szenario gestrickt.

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber das könnte ich ja unter Zugrundelegung der Konsenstheorie nicht mehr ausdrücken, nach der Konsenstheorie wäre der Satz automatisch falsch, weil "wahr" ja dort dasselbe wie "heute mit guten Gründen allgemein anerkannt" bedeutet.


Richtig, das wäre eine Grenze der Konsenstheorie.

AgentProvocateur hat geschrieben:Stellen wir uns nun vor, einige Zeit geht ins Lande, die Ansichten ändern sich und irgendwann meint man, dass der Forscher recht hatte - wobei "recht hatte" dasselbe ist wie "seine Aussagen waren wahr" - aber das könnte man dann auch nicht so ausdrücken. Denn sie waren zu dem vorherigen Zeitpunkt ja nicht wahr - wenn "wahr" "der aktuelle Konsens" bedeutet.


Ja, das ist denkbar und ich hatte es mir auch gedacht.
Nachher ist man oft klüger, auch über das, was vorher schon richtig war.
Aber: Inwiefern hätte uns die Korrespondenztheorie denn bei der Entscheidung weitergeholfen, dass der Forscher, nicht im Rückblick, sondern in dem Moment, in dem er seine Theorie aufstellte, bereits richtig lag?

AgentProvocateur hat geschrieben:Diesen Problemen könnte die Konsenstheorie nur entgehen, wenn sie einen hypothetischen Konsens von hypothetischen allwissenden Wesen postulierte. Aber dann wäre sie nicht mehr unterscheidbar von der Korrespondenztheorie.


Und umgekerht.
Beide haben Grenzen, beide sind unvollkommen.
Das war’s was ich von Beginn an sagen wollte.
Wir sind m.E. nicht in der Lage die Konsenstheorie zu verwerfen, weil wir eben auch heute von dieser oder jener Tatsche ausgehen müssen (und ich brauche niemanden, der mir bezeugt, dass ich gerade an meinem Computer sitze und einen Beitrag für das Brights-Forum verfasse, auch wenn dieses: „Ich kann mir da sicher sein“, komplizierter ist, als es scheint) und da kommen wir umn den Konsens der Wissenden nicht herum. Es ist ja auch eine stinknormaler Vorgang, dass wir zu allem, was wir nicht wissen, Experten befragen und wenigstens hoffen, dass die es besser wissen, sonst würden wir nicht zum Arzt gehen oder zum Anwalt oder Automechaniker.

AgentProvocateur hat geschrieben:Die Konsenstheorie mag ja sinnvoll sein, wenn man betrachten will, welche Aussagen man unter welchen Bedingungen als "wahr" bezeichnen möchte, welche Kriterien man dafür anlegen will. Alllerdings wäre es mE besser, wenn man den Wahrheitsbegriff der Korrespondenztheorie beibehält und dann diese so geprüften Aussagen als "zeitkernig gültig" oder "gemeinhin anerkannt" oder so bezeichnet, aber nicht als "wahr".


Das hieße aber den Wahrheitsbegriff zu kippen, was letztlich auch in Schwierigkeiten führt.
Vermutlich schreibe ich gerade diesen Beitrag, aber wirklich sicher bin ich mir nicht, ich könnte auch eine Radtour machen? Bringt diese ungesunde Skepsis Erkenntnisfortschritte oder eher Verwirrung und alberne Diskussionen?

Ich habe aber im Verlauf der Diskusion den Einduck gewonnen, dass die Einstellung bestehen könnte, anzunehmen, die Konsenstheorie kenne keine Fakten oder würde negieren, dass es Tatsachen gibt und das erscheit mir falsch.
Jürgen Habermas hat geschrieben:„Demnach ist alles „real“, was in wahren Aussagen dargestellt werden kann, obgleich Tatsachen in einer Sprache interpretiert werden, die jeweils „unsere“ Sprache ist. Die Welt selbst drängt uns nicht „ihre“ Sprache auf; sie selbst spricht nicht und „antwortet“ nur im übertragenen Sinne. „Wirklich“ nennen wir das bestehen der ausgesagten Sachverhalte. Dieses „veritative Sein“ darf aber nicht – gemäß eine Repräsentationsmodell von Erkenntnis – als abgebildete Wirklichkeit vorgestellt und damit an die „Existenz“ von Gegenständen angeglichen werden.“
[…]
„Aber diese „Welt“, die wir als das Ganze von Gegenständen, nicht von Tatsachen unterstellen, darf nicht verwechselt werden mit der „Wirklichkeit“, die aus allem besteht, was in wahren Aussagen dargestellt werden kann.“
(J. Habermas, Zwischen Naturalismus und Religion, Suhrkamp 2006, S.35f)
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » So 25. Nov 2012, 11:52

Vollbreit hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Oder anders gesagt: die Aussage "Pluto ist ein Planet" hatte 1980 eine andere Bedeutung als heute, die damalige Aussage ist also nicht mit der heutigen Aussage identisch, daher entsteht kein Widerspruch, wenn man beide Aussagen für wahr hält.


Stimmt, aber dann sind Fakten bereits Sprachspiele und Konventionen und nicht mehr Bäume, Atome und historische Ereignisse.

Du missverstehst, was diese Aussagen meinen. "Pluto ist ein Planet" meint eigentlich "Pluto ist der Defintion nach ein Planet". Eine Defintion ist auch ein Fakt, aber, wie in diesem Fall ein veränderlicher. Der Satz "Heute ist Sonntag" ist morgen natürlich nicht mehr wahr.

Vollbreit hat geschrieben:dann sind Fakten bereits Sprachspiele und Konventionen

Diesen m.E. falschen Standpunkt solltest du -- wenigstens vorübergehend -- aufgeben, um die Korrespondenztheorie zu verstehen. Begriffe wie "Bäume, Atome" sind Meinungen über angenommene Fakten und nicht selbst Fakten.
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