ujmp hat geschrieben:(Mal nebenbei: du verwunderst mich gelegentlich, z.B. wenn nicht weißt, dass nur Aussagen wahr oder flasch sein können, was in wirklich jedem Logik-Lehrbuch steht und dann aber mit Wittgenstein ankommst.)
Wo habe ich denn je bestritten, dass etwas anderes als Aussagen Wahrheit beanspruchen kann?
Meines Wissens nirgends.
Mir war nicht klar, dass Behauptungen und Aussagen synonyme Begriffe sind, weil ich wohl zu Unrecht davon ausgegangen bin, dass das was Myron unter Ausrufesätze klassifiziert, keine Aussagesätze sind. Nachvollziehbar?
Generell ist Deine Aussage aber nicht unberechtigt, was ich meinem eher unsystematischen Lernstil zuschreibe und ich bin immer dankbar, wenn man Lücken gefüllt werden, will das dann aber auch verstehen, darum bin ich da manchmal etwas penetrant.
ujmp hat geschrieben:Es ist aber nicht die Frage, wie sich eine bestimmte Wellenlänge für jemand anderes anfühlt, es ist nur die Frage, ob wir diese Wellenlänge als gleich identifizieren können.
Ja, kann man, mit Tests für Farbenblinde.
ujmp hat geschrieben:Ein Problem wäre es, wenn der Andere diese Wellenlänge nicht konstant wahrnehmen würde. Während ich also wiederholt den selben Farbeindruck hätte, den ich "rot" nenne, würde er mal Rot, mal Gelb, mal Grün sehen. Dieses konstruierte Problem lässt sich aber nicht beobachten. Wenn ich dir empfehle, nur bei "Grün" über die Straße zu gehen, wirst du nicht bei "Rot" loslaufen - sonst würde dich das Prinzip der natürlichen Auslese in Schwierigkeiten bringen.
Das Problem was Du skizziert hast, ist tatsächlich eines, aber Wittgenstein verfehlst Du hier, der will nämlich auf den Umstand hinaus – man kann ihn zumindest so interpretieren und das lässt sich schwer entkräften –, dass unsere Welt wesentlich sprachlich konstituiert ist.
Heißt hier konkret: Wenn Du regulär rot siehst und Dein gedachter mit Dir identischer Zwillingsbruder alles so wahrnimmt wie Du, nur statt rot meinetwegen grün sieht und bei der Abrichtung auf den Begriff „rot“ anhand einer Tomate (die Du rot siehst, er grün) beide lernt dass die Farbe dieser Tomate „rot“ genannt wird, ist es die simple Folge, dass Du Deine Rotwahrnehmung (der Tomate)„rot“ nennen wirst und er seine Grünwahrnehmung (derselben Tomate) auch „rot“ nennen wird.
In der Folge werdet ihr euch problemlos drüber einig werden, dass Tomaten rot sind, aber dennoch etwas anderes sehen.
Meines Erachtens liegt Wittgenstein – falls das seine Vorstellung ist, das ist bei ihm nicht immer leicht rauszufinden – hier dennoch falsch. Nur kann man das erst im großen Stile erkennen und ich bin zu der gleichen Überzeugung gelangt wie Du, wir könnten uns gar nicht unterhalten, wenn unsere Sinneswahrnehmungen nicht sehr ähnlich – aber nicht identisch – wären.
Denn wie würde denn Dein Zwillingsbruder den grünen Stil und das Blattwerk der Tomaten sehen? Gleichfarbig? Oder sieht er stattdessen vielleicht gelb (und würde es, da korrekt abgerichtet, nur richtigerweise „grün“ nennen)?
Aber gerade das Ineinandergreifen von Sprachspielen und Festlegungen lässt Wittgensteins Idee hier nicht aufgehen. Sinnliche Abweichungen fallen früher oder später sehr wohl auf und wenn – Dein Gedanke – buchstäblich alle unterschiedliche Wahrnehmungen hätte, könnte der Rot/Grün-Blinde nicht über Jahre durchkommen, indem er getreu Wittgensteins Idee lernt, was „rot“ genannt wird und anhand anderer Kriterien wie Form, Größe, Gewicht, Textur, Geruch zuordnet, dass das wohl eine Tomate ist und darum rot sein muss oder oben in der Ampel leuchtet und darum rot sein muss und so weiter.
Geringfügige Abweichungen in der Wahrnehmung können genau deshalb toleriert werden, weil man sich durch begriffliche Erschließungen (z.B. weitere Prädikationen) Umwege erlauben kann, die es einem dennoch ermöglichen, eine Farbe richtig zu benennen, die man so nicht sieht.
Würde einer alle paar Stunden etwas anders sehen oder mehr noch, jeder anders wahrnehmen, fiele eine begriffliche Präzisierung flach, da jeder Versuch einer Klärung nur neue, größere Verwirrung stiften müsste.
So kann man zweierlei schließen:
Erstens, es muss ein Reservoir (wie eine Kollegin es mal treffend nannte) an sinnlichen Wahrnehmungen geben, die wir alle teilen und die sehr ähnlich sein müssen (aber nicht identisch).
Zweitens, die Kiste mit dem Käfer die jeder gedacht vor sich hat, kann nicht leer sein und die Käfer müssen sogar sehr ähnlich sein.
(Drittens, sieht es anders aus, wenn man unterstellt, dass in der Verwendung von Begriffen praktische Festlegungen und Fähigkeiten schon implizit enthalten sind.)
ujmp hat geschrieben:Wir können uns offensichtlich prima über Farben verständigen. (Wilhelm Ostwald hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Differenzierbarkeit von Farbunterschieden praktischerweise irgendwo begrenzt ist, wir könnten sonst Farben nicht als gleich ansehen). Der Fehler in deiner Fragestellung besteht m.e. darin, dass man den Farbreiz (die Anregung der Nervenzellen im Auge) trennt von dem Farbempfinden (der Vorstellung "rot"). Die Vorstelllung "rot" ist ja die Vorstellung des Reizes.
Die Vorstellung rot ist die Konditionierung eines Reizes (mein Roterleben) zusammen mit einem Begriff („rot“). Üblicherweise gibt es da keine größeren Abweichungen, aus o.g. Gründen.
ujmp hat geschrieben:Insofern wir nämlich Farbwörter durch Vergleich von gleichwahrgenommenen Farbreizen lernen, ist ein Farbwort auch an etwas äußeres - speziell an bestimmte Lichtspektren - gebunden. Und gerade weil wir uns über Lichtspektren verständigen können, haben sie eine von uns unabhängige Realität.
Nö.
Bzw., was soll unabhängige Realität heißen?