Die Konsenstheorie der Wahrheit

Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » So 9. Dez 2012, 14:26

Vollbreit hat geschrieben: Insofern sehe ich Wahrheit selbst als dynamisch, beweglich, veränderbar an und der Weg entsteht immer wieder neu, beim Gehen.

Das Wort "Wahrheit" wäre mir dafür zu schade, das sind lieber "Vorstellungen". Wenn wir eine von unsern Vorstellungen unanbhängige Wirklichkeit annehmen, ist die Beziehung zwischen Vorstellung und Wirklichkeit ebenfalls von unseren Vorstellungen unabhängig. Insofern sich diese Vorstellungen auf die Wirklichkeit beziehen, korrespondieren sie mehr oder weniger oder gar nicht mit dieser. Den Grad dieser Korrespondenz - den sollte man "Wahrheit" nennen. Auf dieser Vorstellung beruht m.E. jedenfalls die Korrespondenztheorie der Wahrheit.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Mo 10. Dez 2012, 10:10

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber wenn ich das recht verstehe, redest Du jetzt nicht von Wahrheit, sondern von Realismus (es gibt "da draußen" eine Realität, die von unseren Gedanken unabhängig ist, die Eigenschaften hat, die nicht durch unsere Gedanken hervorgerufen werden).

Ich bin nun auch ein solcher Realist.


Wahrheit ist ja in direkter Weise von diesem Realismus abhängig, nämlich von den Aussagen über Tatsachen.

Und wer kann schon in einem banalen Sinne gegen den Realismus oder sogar den Naturalismus sein?
Wenn Naturalist sein u.a. heißt, dass alles mit rechten Dingen zugeht und die Naturgesetze gelten, wer wollte dagegen etwas einwenden? Und als naive Realisten starten wir alle ins Leben.
Später wird es dann interessant, wenn genauer beschrieben wird, was Realismus und Naturalismus sein sollen.

AgentProvocateur hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Hier ging es dann darum, sich durch falsifizierbare Theorien und deren empirische Überprüfung der Wahrheit schrittweise immer weiter anzunähern.

Folglich müsste es auch hier anstatt "Wahrheit" "Realität" heißen, also in etwa so: "unsere Theorien und Aufassungen passen immer besser zur Realität, z.B. insofern als sie bessere Voraussagen ermöglichen". In dem Sinne würde ich dem Satz zustimmen.


Und das wären ja dann ebenfalls wahre Sätze, weil sie den Tatsachen entsprechen.
Dagegen habe ich ja nichts, auch wenn ich nicht glaube, dass wir der Realität immer näher kommen (und unsere Aussagen immer wahrer werden, oder wir von einer Gesamtmenge wahrer Aussagen einen immer größeren Teil erkennen), sondern ich möchte Wissen, was Tatsachen sind.

Allen scheint das unmittelbar klar zu sein, mir nicht.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und Deinen letzten Satz verstehe ich mal wieder nicht. Ich bin davon überzeugt, dass es sehr hilfreich wäre, wenn Du nicht immer so unbestimmt von "Wahrheit", sondern von "wahren Aussagen" reden würdest. Wie würde dann Dein letzter Satz aussehen?


Das steckt doch schon mit drin. Was Aussagen zu wahren macht, ist die Übereinstimmung mit den Fakten, den Tatsachen, der Realität.

Was ich nun glaube ist, dass wir keineswegs der Wahrheit immer näher kommen (= dass unsere Aussagen sich nicht der Welt, wie sie wirklich ist, immer mehr annähernd).
In einem aller banalsten Sinne kann man das natürlich immer behaupten.
Selbst das bescheidenste Vorgehen nach dem Trial and Error Prinzip, führt ja unweigerlich dazu, dass ich mindestens weiß, wie es nicht geht. Aber das ist natürlich kein systematisches Vorgehen, was die Bezeichnung wissenschaftlich oder philosophisch rechtfertigen würde.

Was ich nun glaube ist eher, dass wir in (Emergenz-)Sprüngen immer neue Perspektiven auf die Welt gewinnen durch die sich erstens unser bisheriges Unwissen offenbart.
Die Erkenntnis, dass Sprache nicht das nachträgliche Etikettieren von Gegenständen ist, sondern einen wirklichkeitskonstituierenden Charakter hat, wäre eine solche.
Da kommen Perspektiven (z.B. Vergangenheit und Zukunft) in die Welt, die es so vorher nicht gegeben hat.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Mo 10. Dez 2012, 11:58

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben: Insofern sehe ich Wahrheit selbst als dynamisch, beweglich, veränderbar an und der Weg entsteht immer wieder neu, beim Gehen.

Das Wort "Wahrheit" wäre mir dafür zu schade, das sind lieber "Vorstellungen".


Aber was sind den Vorstellungen anderes als Behauptungen?
Wahrheit ist doch nicht nur, wie gerade Du doch immer wieder betonst, die Übereinstimmung eine Aussage mit der Realität, sondern auch, wenn unsere stillen Aussagen (die Vorstellungen eben) mit der Realität übereinstimmen.

ujmp hat geschrieben:Wenn wir eine von unsern Vorstellungen unanbhängige Wirklichkeit annehmen, ist die Beziehung zwischen Vorstellung und Wirklichkeit ebenfalls von unseren Vorstellungen unabhängig.


Wieder ist es natürlich so, dass man groben Verzerrungen da nicht zustimmen kann.
Wer LSD genommen hat und dann die Bäume auf der Straße tanzen sieht, darüber brauchen wir nicht zu reden.
Aber wie ist denn bspw. die von unseren Vorstellungen unabhängige Wirklichkeit über die Fete gestern Abend. Hat Ulrike sich nun albern benommen oder nicht?

ujmp hat geschrieben:Insofern sich diese Vorstellungen auf die Wirklichkeit beziehen, korrespondieren sie mehr oder weniger oder gar nicht mit dieser. Den Grad dieser Korrespondenz - den sollte man "Wahrheit" nennen. Auf dieser Vorstellung beruht m.E. jedenfalls die Korrespondenztheorie der Wahrheit.


Wahrheit ist die Übereinstimmung der Aussagen oder Gedanken mit der Wirklichkeit, Realität, den Fakten oder Tatsachen. Ziemlich viel Übereinstimmung ist dabei eben nicht wahr. Eine graduelle Annäherung ist eben keine Wahrheit.

2+3=4 ist ja nicht etwas wahrer, da immerhin näher dran, als 2+3=11. Beides ist falsch.
Einen Bullmastiff Boxer zu nennen, ist falsch, wenn auch irgendwie verständlicher als ihn Pekinese zu nennen.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » Mo 10. Dez 2012, 12:04

Vollbreit hat geschrieben:
Und das wären ja dann ebenfalls wahre Sätze, weil sie den Tatsachen entsprechen.
[...] sondern ich möchte Wissen, was Tatsachen sind.

Du kannst nur den ersten Satz oder den zweiten Satz, aber nicht beide zugleich vertreten.


Vollbreit hat geschrieben:Was ich nun glaube ist, dass wir keineswegs der Wahrheit immer näher kommen .

Du hast keinen vernünftigen Anlass der zu der Annahme berechtigt, dass wir ihr nicht nahe kommen.

Vollbreit hat geschrieben:Selbst das bescheidenste Vorgehen nach dem Trial and Error Prinzip, führt ja unweigerlich dazu, dass ich mindestens weiß, wie es nicht geht. Aber das ist natürlich kein systematisches Vorgehen, was die Bezeichnung wissenschaftlich oder philosophisch rechtfertigen würde.

Es ist nur Trial and Error, aber dennoch systematisch, insofern den Trials begründete Vermutungen zugrunde liegen.

Vollbreit hat geschrieben:Was ich nun glaube ist eher, dass wir in (Emergenz-)Sprüngen immer neue Perspektiven auf die Welt gewinnen durch die sich erstens unser bisheriges Unwissen offenbart.

Ja, aber das ändert die Welt nicht.

Vollbreit hat geschrieben:Die Erkenntnis, dass Sprache nicht das nachträgliche Etikettieren von Gegenständen ist, sondern einen wirklichkeitskonstituierenden Charakter hat, wäre eine solche.

Das ist recht unscharf: "wirklichkeitskonstituierender Charakter". Sprache kann zunächst Vorstellungen von der Wirklichkeit konstituieren. Wenn aus diesen Vorstellungen heraus die Wirklichkeit verändert wird (z.B. Airbus am Himmel) dann können diese Vorstellungen auch die Wirklichkeit konstituieren. Letzteres funktioniert aber nicht beliebig, die zugrundeliegenden Vorstellungen müssen mit den Möglichkeiten der Wirklichkeit korrespondieren. Der Mensch kann fliegen - ja -, aber nicht, in dem er einfach mit den Armen schwingt. Die von uns unabhängige Wirklichkeit bestimmt also die Freiheitsgrade, innerhalb derer wir bewusst auf sie einwirken können.

Vollbreit hat geschrieben:Da kommen Perspektiven (z.B. Vergangenheit und Zukunft) in die Welt, die es so vorher nicht gegeben hat.

Was meinst du damit?
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Mo 10. Dez 2012, 13:01

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:
Und das wären ja dann ebenfalls wahre Sätze, weil sie den Tatsachen entsprechen.
[...] sondern ich möchte Wissen, was Tatsachen sind.

Du kannst nur den ersten Satz oder den zweiten Satz, aber nicht beide zugleich vertreten.


Ja, ich vertrete den zweiten und hätte das gerne geklärt:
http://www.textlog.de/5224.html


ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Was ich nun glaube ist, dass wir keineswegs der Wahrheit immer näher kommen .

Du hast keinen vernünftigen Anlass der zu der Annahme berechtigt, dass wir ihr nicht nahe kommen.


Doch, einer der Konstituenten ist unzureichend geklärt.

ujmp hat geschrieben:Es ist nur Trial and Error, aber dennoch systematisch, insofern den Trials begründete Vermutungen zugrunde liegen.


Ja, aber das muss nicht der Fall sein.
Wenn ich Mastermind spiele und erst mal wild alle Farben durchprobiere, dann ist das systematisch, wenn man irgendwo drauf herum trommelt und merkt, dass es Töne erzeugt, nicht.
Kann auch ne Erkenntnis sein, sofern ich es mir merken kann.

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Was ich nun glaube ist eher, dass wir in (Emergenz-)Sprüngen immer neue Perspektiven auf die Welt gewinnen durch die sich erstens unser bisheriges Unwissen offenbart.

Ja, aber das ändert die Welt nicht.


Aha, dann sind Menschen also kein Teil der Welt?
Dann sind Perspektiven, Gedanken, Aussagen also kein Teil der Welt?

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Die Erkenntnis, dass Sprache nicht das nachträgliche Etikettieren von Gegenständen ist, sondern einen wirklichkeitskonstituierenden Charakter hat, wäre eine solche.

Das ist recht unscharf: "wirklichkeitskonstituierender Charakter". Sprache kann zunächst Vorstellungen von der Wirklichkeit konstituieren. Wenn aus diesen Vorstellungen heraus die Wirklichkeit verändert wird (z.B. Airbus am Himmel) dann können diese Vorstellungen auch die Wirklichkeit konstituieren.


Du bist schon wieder bei den Gegenständen.

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Da kommen Perspektiven (z.B. Vergangenheit und Zukunft) in die Welt, die es so vorher nicht gegeben hat.

Was meinst du damit?


Damit meine ich, dass Du ohne sprachliches Instrumentarium, also Konditionale Zukunft und Vergangenheit nicht denken kannst. Das ist zwar letztlich eine Ei/Henne-Diskussion, weil der Drang Konditionalsätze zu erzeugen ja auch seinen Grund haben muss und ich nehme stark an, dass es rudimentäre nicht- oder protosprachliche Empfindungen der Zeiten und in die Zeit projizierter Möglichkeiten gewesen sein müssen.
Erinnerst Du Dich daran, als Kind mal einen Begriff gehört zu haben, dem Du noch keine Empfindung zuordnen konntest? Bei mir war „schwül“ so ein Begriff. Irgendwie hatte er was mir warm zu tun, aber so warm fand ich es nicht, als ich den Begriff zuerst hörte und er meint ja auch nicht warm.
Was ist mit einer 23 Erfahrung, die für dieses Amazonasvolk, das nur bis 3 zählen kann nicht von einer 17 Erfahrung zu unterscheiden ist, weil beides eine „Viele“-Erfahrung ist. Gibt es für dieses Volk nun 17 und 23 oder nicht? Real sind 17 und 23 ja da, oder nicht?
Man könnte sagen, für uns ja, weil wir eine differenzierte Wahrnehmung haben.
Aber was ist mit einer Erfahrung die eben nicht Teil des kollektiven Sprachspiels von uns ist, aber es in 500 Jahren vielleicht sein wird. Eine differenzierte Empfindung die sich vielleicht nur mehr herausschält vielleicht auch emergiert, gibt es die heute schon? Ändert sich rein gar nichts an den Tatsachen?

Ich frage mich manchmal was der Unterschied zwischen den verschiedenen Stufen mystischer Erfahrungen sind, die beschrieben werden. Man kann es sich leicht machen und sagen, die gäbe es gar nicht, aber warum? Sind doch nur Begriffe für innere Erfahrungen die eben nicht kollektiv geteilt werden. Korrespondieren sie nun mit realen Erfahrungen, oder nicht? Aber ist eine negative Zahl eine reale Erfahrung und in welchem Sinne?
Ist Hans Castorp der Bruder von Pipi Langstrumpf (wahre oder falsche Aussage?) oder ist das sowieso egal, weil es beide in Wirklichkeit nicht gibt und jede Aussage darüber ohnehin nur Spinnerei wäre? Weil die Wirklichkeit nur aus Häusern, Bäumen und eben Atomen, Quarks und Energie besteht...
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » Mo 10. Dez 2012, 13:06

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben: Insofern sehe ich Wahrheit selbst als dynamisch, beweglich, veränderbar an und der Weg entsteht immer wieder neu, beim Gehen.

Das Wort "Wahrheit" wäre mir dafür zu schade, das sind lieber "Vorstellungen".


Aber was sind den Vorstellungen anderes als Behauptungen?
Wahrheit ist doch nicht nur, wie gerade Du doch immer wieder betonst, die Übereinstimmung eine Aussage mit der Realität, sondern auch, wenn unsere stillen Aussagen (die Vorstellungen eben) mit der Realität übereinstimmen.

Wahrsein ist eine Beziehung zwischen Vorstellung und Wirklichkeit. Was sich primär ändern kann ist entweder die Vorstellung oder die Wirklichkeit, solange diese aber unveränderlich sind, bleibt der Wahrheitswert auch unveränderlich. Was ich ändert ist evtl. unser Urteil über einen Wahrheitswert, wir können ihn z.B. falsch beurteilt haben. Das ist eben die Definition von "Wahrheit" innerhalb der Korrespondenztheorie.

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Wenn wir eine von unsern Vorstellungen unanbhängige Wirklichkeit annehmen, ist die Beziehung zwischen Vorstellung und Wirklichkeit ebenfalls von unseren Vorstellungen unabhängig.


Wieder ist es natürlich so, dass man groben Verzerrungen da nicht zustimmen kann.
Wer LSD genommen hat und dann die Bäume auf der Straße tanzen sieht, darüber brauchen wir nicht zu reden.
Aber wie ist denn bspw. die von unseren Vorstellungen unabhängige Wirklichkeit über die Fete gestern Abend. Hat Ulrike sich nun albern benommen oder nicht?

Das ist zwar schwerer zu beurteilen als Ulrikes bloße Anwesenheit, aber das korrekte Urteil hängt nur von den Tatsachen ab. Das Urteil hängt davon ab, was der Behauptende darunter versteht- das muss er aber selbst wissen. Evtl. hat er dann noch ein Verständigungsproblem, wenn er seine persönliche Sicht mitteilt, was aber das Wahrheitsproblem nicht berührt. Es ist nur entscheidend, ob seine Vorstellung von "albern benehmen" mit den Tatsachen korrespondiert.

Vollbreit hat geschrieben:2+3=4 ist ja nicht etwas wahrer, da immerhin näher dran, als 2+3=11. Beides ist falsch.

In der Mathematik ja, in dem,was wir über ide Wlet wissen unbedingt. "Alle Schwäne sind weiß" korrespondiert mit der Wirklichkeit eher, als "Schwäne sind schwarz oder weiß", wenn man nur einen schwarzen aber Tausend weiße gesehen hat. "Alle Schwäne sind weiß" ruft eine Vorstellung hervor, die fast immer stimmt, während die Vorstellung "Schwäne sind schwarz oder weiß" in nahezu der Hälfte der Fälle falsch wäre.

Vollbreit hat geschrieben:Einen Bullmastiff Boxer zu nennen, ist falsch, wenn auch irgendwie verständlicher als ihn Pekinese zu nennen.

Wie schon mehrmals besprochen, sind Benennungfragen für dei Korrespondenztheorie irrelavant.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Myron » Mo 10. Dez 2012, 14:16

Vollbreit hat geschrieben:Ja, ich vertrete den zweiten und hätte das gerne geklärt:
http://www.textlog.de/5224.html


"Tatsache (res facti, factum, fait, matter of fact: »Tatsache« zuerst bei HERDER) ist das, was durch das Denken sicher als Erfahrungsinhalt, als Bestandteil der gesetzlichen Ordnung der Dinge und Ereignisse feststeht. Die »Tatsachen« als solche sind nicht einfach »gegeben«, sondern müssen erst auf Grund der Erfahrung methodisch-denkend gesetzt, konstatiert werden. daher der häufige Streit, was als Tatsache zu betrachten sei, was nicht."

Hier wird "Tatsache" mit "erkannter/festgestellter Tatsache" gleichgesetzt. Es besteht aber ein Unterschied zwischen Tatsachen und Tatsachenwissen, zwischen dem Bestehen und dem Erkennen von Tatsachen. Tatsachen können auch unerkannt bestehen.

Es gibt zwei Grundauffassungen von Tatsachen:
1. wahre Aussagen/Gedanken
2. bestehende/wirkliche Sachverhalte

Vollbreit hat geschrieben:Ist Hans Castorp der Bruder von Pipi Langstrumpf (wahre oder falsche Aussage?) oder ist das sowieso egal, weil es beide in Wirklichkeit nicht gibt und jede Aussage darüber ohnehin nur Spinnerei wäre?


Für Frege sind Aussagesätze, die leere Eigennamen enthalten, bedeutungslos, aber nicht sinnlos, d.h. (nichtfregeanisch ausgedrückt) bezugsgegenstandslos, aber nicht bedeutungslos. Da für Frege die "Bedeutung", d.i. der Bezugsgegenstand eines Aussagesatzes ein Wahrheitswert ist—Aussagesätze sind für Frege Eigennamen von Wahrheitswerten, d.i. entweder des Wahren oder des Falschen—, sind für ihn bedeutungslose/bezugsgegenstandslose Aussagesätze wahrheitswertlos, d.h. sie sind weder wahr noch falsch:

"Der Satz 'Die Skylla hat sechs Rachen' ist nicht wahr; aber auch der Satz 'Die Skylla hat nicht sechs Rachen' ist nicht wahr; denn dazu wäre nötig, dass der Eigenname 'Skylla' etwas bezeichnete."

(Frege, Gottlob. "Logik." 1897. In Gottlob Frege: Schriften zur Logik und Sprachphilosophie; Aus dem Nachlass, hrsg. v. Gottfried Gabriel, 4. Aufl., 35-73. Hamburg: Meiner, 2001. S. 40)

Ich teile Freges Auffassung nicht: Ich betrachte (positive) Aussagen über fiktive/inexistente Objekte oder Personen nicht als wahrheitswertlos, sondern als falsch.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Mo 10. Dez 2012, 14:18

ujmp hat geschrieben:Wahrsein ist eine Beziehung zwischen Vorstellung und Wirklichkeit.


Ja, so ist es definiert, ihre Korrespondenz, also Entsprechung (in unserem Kontext).

ujmp hat geschrieben:Was sich primär ändern kann ist entweder die Vorstellung oder die Wirklichkeit, solange diese aber unveränderlich sind, bleibt der Wahrheitswert auch unveränderlich. Was ich ändert ist evtl. unser Urteil über einen Wahrheitswert, wir können ihn z.B. falsch beurteilt haben. Das ist eben die Definition von "Wahrheit" innerhalb der Korrespondenztheorie.


Was gemäß der Korrespondenztheorie die Definition für Wahrheit ist, wer meinst Du bezweifelt das von uns, wem ist das unklar? Es ist die Entsprechung (Korrespondenz) von behauptenden Aussage(sätze)n (ob gedacht oder gesprochen oder geschrieben) mit der Realität, den Fakten, den Tatsachen, der Wirklichkeit, dem, wie die Dinge sind oder sich verhalten.

Vermutlich wird es das (Wahrheits-)Kriterium sein, bei dem ich Probleme sehe.
Man kann sich eben irren, wir können nicht sicher sein.
Wenn wir aber die bezüglich der Definition sicher sind – eine Definition kann ja nicht falsch sein, höchstens unglücklich, schlecht, unpassend, zu eng, zu breit – dann beschränkt sich die Irrtumsmöglichkeit auf unsere Vorstellung oder eben die Fakten (oder beides).

Nun kann man mit Recht sagen, dass die Fakten sind, wie sie eben sind.
Der Planet am anderen Ende des Universums, den wir nie gesehen haben, hat entweder genau einen Mond oder er hat nicht genau einen Mond (sondern keinen oder mehr). So sind die Fakten.
Das ist aber genau so relevant für uns, wie die Frage, ob Gott Pfeife raucht oder wie viele Engel auf eine Nadelspitze passen oder ob es Subsubquarks gibt.

Nämlich in dem Fall, in dem wir an die Lösung nicht heranreichen.
Es mag zwar sein, dass es jenseits unserer Erkenntnismöglichkeiten noch etwas gibt und es mag sein, dass man darüber richtige und falsche Aussagen machen kann, aber was hat man davon, wenn man es nicht überprüfen kann?
Es ist zutiefst banal, dass man nur bis zur Grenze unserer Erkenntnis gucken kann und nicht weiter und man kann behaupten, dass es jenseits dieser Fakten gibt, mit denen Aussagesätze übereinstimmen können, die als wahr wären. Nur prüfen können wir es halt nicht.
Das was wir schon kennen, an Wahrheit, darüber herrscht ja bereits Gewissheit.

Was aber – und das war meine Frage – gibt uns die Gewissheit, auf dem richtigen Weg zu sein?
Wer setzt fest, dass die Realität eine Realität der Gegenstände ist?

ujmp hat geschrieben:Das ist zwar schwerer zu beurteilen als Ulrikes bloße Anwesenheit, aber das korrekte Urteil hängt nur von den Tatsachen ab. Das Urteil hängt davon ab, was der Behauptende darunter versteht- das muss er aber selbst wissen.


Und nun kommt einer zu dem Schluss gemäß seiner Vorstellung sei Ulrike albern gewesen, ein anderen meint, das sei keinesfalls so gewesen. Anhand welcher Tatsachen klärt man das denn nun?

ujmp hat geschrieben:Evtl. hat er dann noch ein Verständigungsproblem, wenn er seine persönliche Sicht mitteilt, was aber das Wahrheitsproblem nicht berührt. Es ist nur entscheidend, ob seine Vorstellung von "albern benehmen" mit den Tatsachen korrespondiert.


Wann genau gilt denn jemand als albern?

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:2+3=4 ist ja nicht etwas wahrer, da immerhin näher dran, als 2+3=11. Beides ist falsch.

In der Mathematik ja, in dem,was wir über ide Wlet wissen unbedingt.


Unbedingt?

ujmp hat geschrieben: "Alle Schwäne sind weiß" korrespondiert mit der Wirklichkeit eher, als "Schwäne sind schwarz oder weiß", wenn man nur einen schwarzen aber Tausend weiße gesehen hat.


Eine Allaussage ist eine Allaussage und ein „eher“ ist in ihr nicht gültig.
http://de.wikipedia.org/wiki/Allaussage

ujmp hat geschrieben:"Alle Schwäne sind weiß" ruft eine Vorstellung hervor, die fast immer stimmt, während die Vorstellung "Schwäne sind schwarz oder weiß" in nahezu der Hälfte der Fälle falsch wäre.


Das ist ja schön, aber dass in der Logik Abzählen eine Rolle spielte korrespondiert nicht mit den Tatsachen.

Vollbreit hat geschrieben:Einen Bullmastiff Boxer zu nennen, ist falsch, wenn auch irgendwie verständlicher als ihn Pekinese zu nennen.

Wie schon mehrmals besprochen, sind Benennungfragen für dei Korrespondenztheorie irrelavant.[/quote]

Und Du meinst an Bullmastiff hat sich selbst so genannt, oder gibt es eine platonische Bullmastiffheit, die man erkennen kann?
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Myron » Mo 10. Dez 2012, 14:30

ujmp hat geschrieben:Wahrsein ist eine Beziehung zwischen Vorstellung und Wirklichkeit. Was sich primär ändern kann ist entweder die Vorstellung oder die Wirklichkeit, solange diese aber unveränderlich sind, bleibt der Wahrheitswert auch unveränderlich. Was ich ändert ist evtl. unser Urteil über einen Wahrheitswert, wir können ihn z.B. falsch beurteilt haben. Das ist eben die Definition von "Wahrheit" innerhalb der Korrespondenztheorie.


Die Grundidee ist, dass das Sein das Wahrsein bestimmt, oder, um es im zeitgenössischen Philosophenjargon auszudrücken, dass das Wahrsein auf dem Sein superveniert ("Truth supervenes on being").
Wenn Wahrheit eine Beziehung zwischen Vorstellung und Wirklichkeit ist, dann stellt sich die Frage, um welche Beziehung es sich dabei handelt. Die traditionell genannten Beziehungsbegriffe "Übereinstimmung" und "Entsprechung" sind ja ziemlich vage. Ich denke, der Beziehungsbegriff der zutreffenden Darstellung ist besser, obgleich man dagegen einwenden könnte, dass "zutreffend" ein Synonym von "wahr" sei und diese Erläuterung somit zu keinem besseren Verständnis führe.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Myron » Mo 10. Dez 2012, 14:37

Vollbreit hat geschrieben:Dass es nur eine einzige Wahrheit gibt ist eine metaphysische Behauptung.
Wenn Hans und Franz ins Kino gehen und Hans den Film platt und öde, franz aber spannend und tiefgründig fand, wo liegt dann die einzige Wahrheit? Darin, dass ein Film gelaufen ist und der Rest ist nur „Meinung über“? Kann man so sehen, ist aber die Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Simpler Sensualismus, der dann als übergeordnete Wahrheit herhalten muss, das ist schon ein Spagat der weh tut.


Wahrheiten gibt es nur dort, wo es entsprechende Wirklichkeiten oder Tatsachen gibt, die sie wahr machen. Wenn es keine ästhetischen oder ethischen Tatsachen gibt, dann gibt es auch keine ästhetischen oder ethischen Wahrheiten, sondern nur in persönlichen Präferenzen oder Interessen gründende ästhetische oder ethische Meinungen oder Urteile. John Searle unterscheidet zwischen epistemisch objektiven Urteilen und epistemisch subjektiven Urteilen. Erstere sind objektiv wahr oder falsch, weil es objektive Tatsachen gibt, die darüber entscheiden. Bei Letzteren ist dies nicht der Fall.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Mo 10. Dez 2012, 14:41

Gottlob Frege hat geschrieben:"Tatsache (res facti, factum, fait, matter of fact: »Tatsache« zuerst bei HERDER) ist das, was durch das Denken sicher als Erfahrungsinhalt, als Bestandteil der gesetzlichen Ordnung der Dinge und Ereignisse feststeht. Die »Tatsachen« als solche sind nicht einfach »gegeben«, sondern müssen erst auf Grund der Erfahrung methodisch-denkend gesetzt, konstatiert werden. daher der häufige Streit, was als Tatsache zu betrachten sei, was nicht."


Rückt dieser Gebrauch nicht die Tatsache stark in die Nähe der Evidenzen?
Denn nun spielt auf einmal das Denken, das Erkennen eine starke Rolle. Und Evidenzen sind ja das, was jedem normaldenken Wesen, ohne weitere Erläuterung einsichtig sein muss.
Das wiederum wäre doch dann nahe am Konsens.
Denn eine unmittelbare Einsicht, dass Schnee weiß zu nennen sei, gibt es m.E. nicht.
Ich kann zur Kenntnis nehmen (ohne dass ich dem wiedersprechen müsste) dass wir die Farbe des Schnees so nennen, aber das ist doch nichts, was mir über die Konvention hinaus gegeben ist.

Myron hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ist Hans Castorp der Bruder von Pipi Langstrumpf (wahre oder falsche Aussage?) oder ist das sowieso egal, weil es beide in Wirklichkeit nicht gibt und jede Aussage darüber ohnehin nur Spinnerei wäre?


Für Frege sind Aussagesätze, die leere Eigennamen enthalten, bedeutungslos, aber nicht sinnlos, d.h. (nichtfregeanisch ausgedrückt) bezugsgegenstandslos, aber nicht bedeutungslos. Da für Frege die "Bedeutung", d.i. der Bezugsgegenstand eines Aussagesatzes ein Wahrheitswert ist—Aussagesätze sind für Frege Eigennamen von Wahrheitswerten, d.i. entweder des Wahren oder des Falschen—, sind für ihn bedeutungslose/bezugsgegenstandslose Aussagesätze wahrheitswertlos, d.h. sie sind weder wahr noch falsch.


Dem würde ich widersprechen, mit Verweis auf die Tatsachen.

Gottlob Frege hat geschrieben: "Der Satz 'Die Skylla hat sechs Rachen' ist nicht wahr; aber auch der Satz 'Die Skylla hat nicht sechs Rachen' ist nicht wahr; denn dazu wäre nötig, dass der Eigenname 'Skylla' etwas bezeichnete."


Das mag insofern stimmen, als Skylla keine Wesen der empirischen Welt ist, aber was besagt das schon. Es mag in Dietersburg, im Kreis Rottal-Inn, ein Joseph Huber gelebt haben, der eine Person in der empirischen Welt gewesen sein mag, vielleicht 62 Jahre alt wurde und den die Welt heute nicht mehr kennt.
Ich behaupte, ohne Herrn Huber zu nahe treten zu wollen, dass sowohl die (logisch) bedeutungslosen Personen (aus der fiktionalen Welt) Pipi Langstrumpf und Hans Carstorp bekannter sind und mehr Menschen geprägt haben.
Ich glaube auch, dass es gerechtfertigt ist zu sagen, dass es falsch ist, zu behaupten, dass Pipi der Bruder von Hans ist.

Myron hat geschrieben:Ich teile Freges Auffassung nicht: Ich betrachte (positive) Aussagen über fiktive/inexistente Objekte oder Personen nicht als wahrheitswertlos, sondern als falsch.


Warum falsch?
Weil es nicht in die empirische Welt hineinragt?
Ein Mensch könnte doch an ein Märchen oder Lied seiner Kinderzeit ganz bestimmte Erinnerungen haben. Es kann sich geborgen fühlen oder ängstigen. Die Grenze zwischen fiktiver oder fiktionaler Welt und empirischer (und numerischer) ist doch nicht unüberwindbar.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Mo 10. Dez 2012, 14:51

Myron hat geschrieben:Wahrheiten gibt es nur dort, wo es entsprechende Wirklichkeiten oder Tatsachen gibt, die sie wahr machen. Wenn es keine ästhetischen oder ethischen Tatsachen gibt, dann gibt es auch keine ästhetischen oder ethischen Wahrheiten, sondern nur in persönlichen Präferenzen oder Interessen gründende ästhetische oder ethische Meinungen oder Urteile. John Searle unterscheidet zwischen epistemisch objektiven Urteilen und epistemisch subjektiven Urteilen. Erstere sind objektiv wahr oder falsch, weil es objektive Tatsachen gibt, die darüber entscheiden. Bei Letzteren ist dies nicht der Fall.


Ich glaube nicht, dass ethische und ästhetische Dimensionen nur der Willkür unterworfen sind.
Es ist bspw. ein Unterschied ob ich die ethische oder ästhetische Position eines anderen nachvollziehen kann, oder ob ich das nicht kann.

Ich glaube man kann durchaus rechtfertigen, warum man bestimmte Einstellungen aus diesen Bereichen als höher oder niederer einstufen kann. Dann wäre es immerhin eine formulierbare Wahrheit, dass der eine die ethische Position des anderen erkennen und erläutern kann, während ein anderer das nicht kann.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Myron » Mo 10. Dez 2012, 14:59

Vollbreit hat geschrieben:"Tatsache (res facti, factum, fait, matter of fact: »Tatsache« zuerst bei HERDER) ist das, was durch das Denken sicher als Erfahrungsinhalt, als Bestandteil der gesetzlichen Ordnung der Dinge und Ereignisse feststeht. Die »Tatsachen« als solche sind nicht einfach »gegeben«, sondern müssen erst auf Grund der Erfahrung methodisch-denkend gesetzt, konstatiert werden. daher der häufige Streit, was als Tatsache zu betrachten sei, was nicht."
Rückt dieser Gebrauch nicht die Tatsache stark in die Nähe der Evidenzen?


Ja, man kann sagen, dass erkannte Tatsachen Beweise sind.

Vollbreit hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Ich teile Freges Auffassung nicht: Ich betrachte (positive) Aussagen über fiktive/inexistente Objekte oder Personen nicht als wahrheitswertlos, sondern als falsch.

Warum falsch?
Weil es nicht in die empirische Welt hineinragt?


Weil nichtexistente Objekte oder Personen keine Eigenschaften haben. Der Satz "Pumuckl ist ein Kobold" ist doppelt falsch: zum einen, weil Pumuckl nicht existiert und nichtexistente Wesen keine Eigenschaften haben; und zum anderen, weil Kobolde eine fiktive Spezies sind, die überhaupt keine existenten Angehörigen hat.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Mo 10. Dez 2012, 15:23

Hans Castorp hat aber Eigenschaften.
Wir kennen seinen Charakter. Je unschärfer eine Figur, desto blödsinniger werden natürlich Fragen.
Kriegt Pegasus eigentlich Koliken bei falschem Futter und wie ist sein Kalorienverbrauch beim Fliegen?
Aber bestimmte Figuren haben ja einen prägenden archetypischen Charakter, der uns nicht ganz fremd ist und eben in unser Leben hineinragt.

Und so gibt es natürlich auf wahre und falsche Aussagen über Herkules, Hänsel und Gretel oder Darth Vader.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Myron » Mo 10. Dez 2012, 15:24

Myron hat geschrieben:Weil nichtexistente Objekte oder Personen keine Eigenschaften haben. Der Satz "Pumuckl ist ein Kobold" ist doppelt falsch: zum einen, weil Pumuckl nicht existiert und nichtexistente Wesen keine Eigenschaften haben; und zum anderen, weil Kobolde eine fiktive Spezies sind, die überhaupt keine existenten Angehörigen hat.


Man kann allerdings die Kopula "ist" als doppeldeutig ansehen.
Dem österreichischen Philosophen Ernst Mally folgend, kann man zwischen dem Bestimmtsein eines Gegenstandes durch einen Begriff und dem Erfülltsein eines Begriffs durch einen Gegenstand unterscheiden:

1. "Pumuckl ist ein Kobold" = "Pumuckl ist durch den Begriff Kobold bestimmt"
2. "Pumuckl ist ein Kobold" = "Pumuckl erfüllt den Begriff Kobold" ("Pumuckl fällt unter den Begriff Kobold")

1 ist wahr und 2 ist falsch. Wenn Pumuckl den Begriff Kobold erfüllte, dann hätte er die Eigenschaft, zu den Kobolden zu gehören. Das ist aber nicht der Fall, da nichtexistente Wesen nicht wirklich zu irgendeiner Art gehören oder sonst irgendwelche Eigenschaften haben. Von daher ist Pumuckl durch den Begriff Kobold bloß gedanklich, aber nicht tatsächlich bestimmt. Wir stellen ihn uns als Kobold vor, woraus aber nicht folgt, dass er wirklich ein Kobold ist.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Mo 10. Dez 2012, 15:30

Das kann ich annehmen und auch, dass das vielleicht im streng logischen Sinne (oder doch nur bei Frege?) bedeutungslos ist, aber nicht im landläufigen Sinne des Wortes.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Myron » Mo 10. Dez 2012, 15:36

Vollbreit hat geschrieben:Hans Castorp hat aber Eigenschaften. Wir kennen seinen Charakter.


Wir kennen seine literarische Darstellung durch Thomas Mann; das heißt, wir kennen die Begriffe (Prädikate), die er dieser fiktiven Person zugeschrieben hat. Durch jene ist sie gedanklich bestimmt, aber sie erfüllt diejenigen Begriffe nicht, die sie in unserer Vorstellung bestimmen. Das bedeutet, dass Hans Castorp nicht wirklich diejenigen Eigenschaften besitzt, die die ihm von Thomas Mann zugeschriebenen Begriffe repräsentieren. Wir kennen also nicht die Eigenschaften von Hans Castorp, weil es diese gar nicht gibt, sondern lediglich seine Bestimmungsbegriffe.

Vollbreit hat geschrieben:Und so gibt es natürlich auf wahre und falsche Aussagen über Herkules, Hänsel und Gretel oder Darth Vader.


Ja, aber nur solche wahren Aussagen wie "Darth Vader ist eine fiktive Person" oder "Darth Vader ist eine sehr bekannte Figur aus Star Wars", die nicht Darth Vaders Existenz voraussetzen.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Myron » Mo 10. Dez 2012, 19:24

Myron hat geschrieben:Die Grundidee ist, dass das Sein das Wahrsein bestimmt, oder, um es im zeitgenössischen Philosophenjargon auszudrücken, dass das Wahrsein auf dem Sein superveniert ("Truth supervenes on being").
Wenn Wahrheit eine Beziehung zwischen Vorstellung und Wirklichkeit ist, dann stellt sich die Frage, um welche Beziehung es sich dabei handelt. Die traditionell genannten Beziehungsbegriffe "Übereinstimmung" und "Entsprechung" sind ja ziemlich vage. Ich denke, der Beziehungsbegriff der zutreffenden Darstellung ist besser, obgleich man dagegen einwenden könnte, dass "zutreffend" ein Synonym von "wahr" sei und diese Erläuterung somit zu keinem besseren Verständnis führe.


Nicholas Rescher wendet gegen die "naive" korrespondenztheoretische Annahme einer abbildhaften Übereinstimmung oder Entsprechung von Wahrheit und Wirklichkeit ein, dass Wahrheiten (wahre Aussagen/Gedanken) un- oder unterbestimmt (vage, ungenau, annähernd wahr) sein können, wohingegen Wirklichkeiten/Tatsächlichkeiten stets in sich genau bestimmt sind. Er erwähnt auch negative Wahrheiten, denen keine negativen Tatsachen entsprechen, weil alle Tatsachen positiv sind. Negative Tatsachen sind zwar von einigen Philosophen wie Bertrand Russell postuliert worden, aber ich teile Reschers Meinung, dass es keine negativen Tatsachen (als wirkliche Sachverhalte) gibt.

Welche Beziehung zur Wirklichkeit kennzeichnet nun wahre Aussagen und unterscheidet sie von falschen Aussagen, wenn es sich dabei in der Regel nicht um Übereinstimmung oder Entsprechung im wörtlichen Sinn handelt? Ich denke, es ist angemessener, stattdessen von Verankerung oder Verwurzelung zu sprechen: Wahre Aussagen sind in der Wirklichkeit, in Tatsachen, im Boden der Tatsachen verankert/verwurzelt. Eine Wahrheit steht im Gegensatz zu einer Falschheit auf dem Boden der Tatsachen, der Wirklichkeit.
Die Bezeichnung "Fundierungstheorie" wäre also passender als "Korrespondenztheorie".

Welche grundlegenden Tatsachen es sind, die eine wahre Aussage über die (konkrete) Wirklichkeit wahr machen, kann nicht einfach a priori erkannt werden. Aus physikalistischer/materialisticher Sicht sind die Grundtatsachen, welche alle anderen Tatsachen festlegen, physikalische Tatsachen. So ist beispielsweise erfahrungswissenschaftliche Forschung vonnöten, um herauszufinden, welche physikalischen Eigenschaften dafür verantwortlich sind, dass uns reife Tomaten rot erscheinen.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon ujmp » Mo 10. Dez 2012, 20:10

Ich find schon, das "Korrespondenz" das passende Wort ist, aber über Wörter muss man nicht streiten.

Eine Tatsache habe die realen Eigenschaften {A,B,C,D}. Diese Eigenschaften bewirken in mir eine Vorstellung {u,v,w}, z.B. durch den Anblick. Jedesmal, wenn diese Tatsache auf mich einwirkt, bewirkt sie in mir dieselbe Vorstellung {u,v,w} (nennen wir sie "X"). Es könnten auch Tatsachen mit anderen realen Eigenschaften, z.B. {K,L} die Vorstellung {u,v,w} hervorrufen. In jedem Fall aber ist dabei meine Vorstellung eine Funktion der Tatsache. "Fundiertheit" ist da auch passend. Aber ich hätte auch nichts gegen "Abbildung", so wie das Wort Mathematiker verstehen.

Stellen wir uns ein automatisches Taxi vor, das Reisende vom Bahnhof zum Flughafen befördert. Die "Vorstellung" des Weges sei auf einer Lochkarte gespeichert: "100m, links, 500m, rechts,...". Die Lochkarte ist also eine Funktion des Weges. Ihre physikalische Struktur ist zwar etwas komplett anderes als die Asphaltstraßen und das Taxi selbst, aber sie bildet die Wirklichkeit in gewisser Weise ab, da das Taxi am Ziel ankommt.
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Re: Die Konsenstheorie der Wahrheit

Beitragvon Vollbreit » Mo 10. Dez 2012, 20:19

Zunächst meinen Dank, für den ernsthaften Versuch der Klärung.

Myron hat geschrieben:Wir kennen seine literarische Darstellung durch Thomas Mann; das heißt, wir kennen die Begriffe (Prädikate), die er dieser fiktiven Person zugeschrieben hat. Durch jene ist sie gedanklich bestimmt, aber sie erfüllt diejenigen Begriffe nicht, die sie in unserer Vorstellung bestimmen. Das bedeutet, dass Hans Castorp nicht wirklich diejenigen Eigenschaften besitzt, die die ihm von Thomas Mann zugeschriebenen Begriffe repräsentieren. Wir kennen als nicht die Eigenschaften von Hans Castorp, weil es diese gar nicht gibt, sondern lediglich seine Bestimmungsbegriffe.


So haben wir es also mit einer Trennung von Fakten und Fiktion zu tun, die unüberwindbar ist?
Evidenzen sind allgemein akzeptierte Wahrheiten, ererbte Berechtigungen.
Nur wie weit geht man, was ist wirklich evident?

Scherzhafte Zusammenstellung:
Wir tauschen uns gerade schriftlich aus und es ist kalt in Deutschland und Weihnachten steht vor der Tür. Und wenn die Straße nass ist, wird es wohl geregnet haben. Die Welt besteht aus Atomen. Die Flächensumme der Quadrate über den Ankatheten ist im rechtwinkligen Dreieck gleich der Fläche des Quadrats über der Hypotenuse. Es gibt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Gott, aber eine Einheitswissenschaft, die Physik. Karl May hat seine Abenteuer nur erfunden, Frank Schätzing aber recherchiert akribisch, wobei ja beides irgendwie unwahr, da fiktional ist.
Schimanski und Derrick haben Deutschland nicht geprägt, Gottschalk und Bundesliga schon, wobei letztere real sind, erstere fiktiv. Wir wissen, dass Volker Pispers und Andreas Rebers Kabarett machen, aber Gregor Gysi und Guido Westerwelle ernsthafte Politik. Wir wissen, dass Transplantationsmediziner um unsere Gesundheit besorgt sind und wahr ist auch, dass die Homöopathie nicht wirkt. Galilei wurde von der Inquisition gefoltert, sagte aber trotzig: „Und sie bewegt sich doch“ und bewies die Richtigkeit des kopernikanischen Systems. Es ist wichtig Griechenland und im Mittelalter dachten die Leute, die Erde sei eine Scheibe. Wahre Sätze sind ja irgendwie auch nur Physik, da Sätze ja Schallwellen oder Informationen sind und Information in physikalisch. Künstler und Literaten haben uns nichts Wahres über die Welt zu sagen.


Myron hat geschrieben:Welche grundlegenden Tatsachen es sind, die eine wahre Aussage über die (konkrete) Wirklichkeit wahr machen, kann nicht einfach a priori erkannt werden. Aus physikalistischer/materialisticher Sicht sind die Grundtatsachen, welche alle anderen Tatsachen festlegen, physikalische Tatsachen. So ist beispielsweise erfahrungswissenschaftliche Forschung vonnöten, um herauszufinden, welche physikalischen Eigenschaften dafür verantwortlich sind, dass uns reife Tomaten rot erscheinen.


Und dann ist da die andere nötige Seite:
Immanuel Kant hat geschrieben: „Die analytische Einheit des Bewusstseins hängt allen gemeinsamen Begriffen, als solchen, an, z.B. wenn ich mir r o t überhaupt denke, so stelle ich mir dadurch eine Beschaffenheit vor, die (als Merkmal) irgendworan angetroffen, oder mit anderen Vorstellungen verbunden sein kann; also nur vermöge einer vorausgedachten möglichen synthetischen Einheit kann ich mir die analytische vorstellen. Eine Vorstellung, die als v e r s c h i e d e n e n gemein gedacht werden soll, wird als zu solchen gehörig angesehen, die außer ihr noch etwas V e r s c h i e d e n e s an sich haben, folglich muß sie in synthetischer Einheit mit anderen (wenn gleich nur möglichen Vorstellungen) vorher gedacht werden, ehe ich die analytische Einheit des Bewusstseins, welche sie zum conceptus communis macht an ihr denken kann. Und so ist die synthetische Einheit der Apperzeption der höchste Punkt, an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und, nach ihr, die Transzendentalphilosophie heften muss, ja dieses Vermögen ist der Verstand selbst.“
(Kant, KdrV, Fußnote B 134)


Hier finden wir ja schön die Einheit Kants und seine Hierarchie.
Die Apperzeption, dann das Urteilen, dann die Transzendentalphilosophie.

Die Apperzeption ist die Einheit des Bewusstseins, des „Ich denke“.
Bei Eisler finden wir unter „Apperzeption“ noch den Kantsatz: "Apperzeption ist die Wahrnehmung seiner selbst als eines denkenden Subjekts überhaupt.", so wie ich das verstehe, handelt es sich dabei aber auch um eine reflexive Einheit von Denken (reine Apperzeption) und Fühlen, sowie Sinneswahrnehmungen (empirische Apperzeption).
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