Vollbreit hat geschrieben:Ich verstehe Deine Argumentation nicht ganz.
Einerseits behauptest Du – zurecht, wie ich meine – dass es unter gläubigen Katholiken die ganze Palette gibt. Von liberal bis extrem, vom Papierchristen zum Fundi und alles dazwischen.
Dann aber sagst Du, es sei eben doch unmöglich die Graustufen zu leben, weil man dann z.B. ein Ketzer in den Augen der Extremisten ist. Muss einen das denn stören? Warum sollte man sich an Spinnern orientieren? Wenn ich überzeugter Vegetarier bin, aber ein militanter Veganer meint, wer Ledergürtel trägt, sei nur ein noch perfiderer Mörder, der sich ein reines Gewissen verschaffen will aber zu lauwarm ist um alles zu geben… jo gut, es gibt solche Leute.
[...]
Wo sind denn nun Deine Graustufen hin?
Das ist doch ein einziger Selbstwiderspruch.
Nimm als Beispiel Sport. Du behauptest, es gibt Gelegenheitssportler, Wochenendsportler, Hobbysportler, regelmäßige Sportler und Extremsportler. Ja, gibt es.
Und dann sagst Du, dass derjenige der Mal beim Betriebsfest Fußball spielt stark dazu neigt von früh bis spät nur noch Sport zu machen?
Du nimmst weltliche Dinge als Gegenbeispiel. Das möchte ich nicht gelten lassen, weil diese nicht "von oben" kommen, sondern auf einem realen Fundament stehen und deswegen bezweifelbar und relativierbar sind. Man kann sozusagen
darüber debattieren, und das macht eben den qualitativen Unterschied aus.
Die Graustufen bestehen innerhalb des Glaubens. Mathematisch könnte man es so ausdrücken, dass der Glauben ein zum Nicht-Glauben orthogonaler Raum ist. Stell dir ein x-y-Achsensystem vor. Wenn du eine senkrechte Gerade ("
der Glauben") zeichnest, ist der x-Wert immer derselbe, während der y-Wert ("
die Glaubensintensität") von 0 bis sehr, sehr groß sein kann. OK, das ist etwas heruntergebrochen dargestellt, aber ein besseres Bild ist mir gerade nicht eingefallen.
Ich sage ja nicht, dass es unmöglich wäre, alle Graustufen der Glaubensfestigkeit zu leben ohne gleich zum Kreuzritter zu werden. Ich meine nur, dass die Gefahr dazu
überhaupt erst entsteht, wenn man
überhaupt glaubt. Und wenn man sich auf diesen
Pfad des Glaubens begeben hat, wird man leichter beeinflussbar. Mal ein dahingesponnener Dialog zwischen einem Priester und einem "schwach" gläubigem Christen:
Priester: "Du glaubst an Gott?"
Christ: "Ja, im Grunde schon."
Priester: "Glaubst du, dass Gott uns die 10 Gebote gegeben hat, und willst du dich nach ihnen richten?"
Christ: "Ja, das will ich."
Priester: "Ist es dann nicht Gottes Gebot, dass du dich nicht sollst vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir Feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation; bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld."
Christ: "Äh, ja."
Ist meine Argumentation damit klarer geworden? Wenn jemand
im Prinip schon gläubig ist, ist es nur noch eine Frage der Konsequenz (im Sinne von Folgerichtigkeit). Die allermeisten Christen in Deutschland stellen sich dieser Frage bloß leider gar nicht. Würden sie sie sich ihr stellen, kämen sie entweder dazu, ihrem Glauben ganz abzuschwören oder die Bibel als Wort Gottes anzuerkennen. Ganz oder gar nicht. Die Graustufen lassen sich sehr wohl ausleben - solange man seinen Glauben nicht konsequent durchdenkt.
laie hat geschrieben:Ich möchte es so sagen: nichts am Katholizismus zwingt mich, irgendeine wissenschaftliche Aussage, sei es aus der Physik, der Biologie oder auch der Geologie, nicht anzuerkennen oder mich mit ihr rein argumentativ auseinanderzusetzen. Umgekehrt hindert mich keine Wissenschaft daran, katholisch zu werden.
Das sehe ich, wie oben beschrieben, anders. Ein Gläubiger kann sich natürlich sehr wohl Argumenten bedienen - aber diese Argumente beziehen sich letztendlich auf Gott, womit sie jeder weltlichen Grundlage entbehren. Solange es nur um Naturwissenschaften geht, mag es harmlos erscheinen, aber Gott hat eben mehr getan als "
zu sehen, dass es gut war". Wie gesagt, da hängt immer der ganze restliche Rattenschwanz hinten dran, von dem die Moralvorgaben für das gesellschaftliche Zusammenleben eben die entscheidenden Punkte sind.