Libertaer hat geschrieben: Und was den 'naturalistischen Fehlschluss' angeht: Soll er mehr als ein Totschlagargument sein, muss man schon erwähnen, dass es inzwischen auch den Vorwurf der 'natural fallacy fallacy' gibt.
AgentProvocateur hat geschrieben:Es gibt mE noch nicht mal eine Ethik, die Harris vertreten würde.
AgentProvocateur hat geschrieben:Aber das steht doch da gar nicht. Was da steht, ist: nur das sei Moral, was bewusste Wesen und deren 'well-being' (mE hier im Sinne von: 'gutes Leben' gemeint) beträfe.
fopa hat geschrieben:Wo ist denn dann dein Problem mit Dawkins Äußerungen? Dadurch, dass wir zwar vollständig determiniert, aber eben nicht nur Gen-determiniert sind, haben wir die Fähigkeit, uns mit unserem Verhalten in einem gewissen Rahmen zu bewegen.
fopa hat geschrieben:Der Begriff der inneren und äußeren Handlungsfreiheit beschreibt wohl das, was Dawkins meint: Wir können mit unserem Bewusstsein unser Verhalten beeinflussen und so auch gegen die Tendenzen unser angeborenen Verhaltensweisen anarbeiten. Das widerspricht einer streng (physikalisch-)deterministischen (inkompatiblistischen) Sichtweise keineswegs.
fopa hat geschrieben:Michael Schmidt-Salomon beschreibt in seinem Buch "Jenseits von Gut und Böse", wie Ethik und Moral sich unter der Annahme der Nicht-Existenz eines freien Willens auffassen und gestalten lassen.
fopa hat geschrieben:Meine Ansicht ist ähnlich: Die Herkunft bzw. der Ursprung von Wert- oder Moralvorstellungen muss nicht ergründet oder begründet werden. Es reicht, wenn ein Individuum diese Vorstellungen hat.
fopa hat geschrieben:Eine Ethik für eine Gesellschaft ergibt sich dann als Schnittmenge/Übereinstimmung der Vorstellungen der beteiligten Individuen. Dabei mag der Eine seine Vorstellungen aus seiner Religion beziehen, der Andere aus einem ethisch-realistischen Naturalismus, der dritte wiederum sieht seine Werte einfach als Konstrukt seiner sozialen Umgebung. Entscheidend ist m.A.n. lediglich, dass von keiner Seite ein Absolutheitsanspruch für die eigenen Moralvorstellungen aufgestellt wird, sondern dass eine Ethik sich aus einem demokratischen Prozess mit gegenseitigem Respekt ergibt - was natürlich ein Problem für die meisten Vertreter eines ethischen Realismus darstellen dürfte.
Libertaer hat geschrieben:Die Spiegelneuronen wollte ich selber schon erwähnen. Aber warum 'berühmtberüchtigt'? Mich nerven diese rhetorischen Tricks: Auch, wenn die Forschung zu den Spiegelneuronen noch am Anfang steht und ihre Bedeutung (vielleicht) von Manchen überschätzt wird - mit 'berühmtberüchtigt' wird gleich insinuiert, dass sie 'eigentlich' nicht sonderlich relevant für das Thema sind. Ich denke, sie sind es.
Libertaer hat geschrieben:Und natürlich kenne ich kaum jemanden, der behauptet, 'alles Wesentliche was man zur Moral braucht, sei angeboren'. Aber nehmen wir mal an, 'alles Wesentliche was man zur Moral braucht, sei angeboren': Was wäre so schlimm daran? Ist das die ultimative narzisstische Kränkung?
Der Punkt ist das eigene Selbstverständnis und das Verständnis gegenüber den Mitmenschen, das sich mit der Annahme der Nicht-Existenz eines freien Willens ändert. Widersprüchlich finde ich MSS in diesen Abschnitten seines Buches nicht. Natürlich sind Strafen manchmal nötig, aber eben nicht Strafe als Rache oder Sühne, sondern als erzieherische Maßnahme oder Schutz der Allgemeinheit (Freiheitsstrafe). Wenn du den Teil des Buches verstanden hast, in dem MSS erläutert, warum es seiner Ansicht nach 'Schuld' und demzufolge auch 'Sühne' gar nicht gibt, sollte sich an den von ihm vorgeschlagenen Konsequenzen auch nichts Widersprüchliches finden.Vollbreit hat geschrieben:Ich finde all diese Positionen banal oder selbstwidersprüchlich.fopa hat geschrieben:Michael Schmidt-Salomon beschreibt in seinem Buch "Jenseits von Gut und Böse", wie Ethik und Moral sich unter der Annahme der Nicht-Existenz eines freien Willens auffassen und gestalten lassen.
Banal deshalb, weil sie oft sehr bilderstürmerisch daherkommen, das Strafrecht muss geändert, die Philosophie korrirgiert und überhaupt muss unser ganzes Bild des Menschen revidiert werden, am Ende sind dann allerdings Strafen (wundersamerweise und sehr widersprüchlich) doch nötig und kurz und knapp hat es Zappa auf den Punkt gebracht: Der Angeklagte sagt, er hätte nicht anders gekonnt, als die Handtasche zu klauen, worauf der Richter entgegnet, er könne darum nicht anders, als ihn dafür zu verurteilen. Wo war noch mal der ganz neue Ansatz?
fopa hat geschrieben:Der Punkt ist das eigene Selbstverständnis und das Verständnis gegenüber den Mitmenschen, das sich mit der Annahme der Nicht-Existenz eines freien Willens ändert.
Vollbreit hat geschrieben:Der Angeklagte sagt, er hätte nicht anders gekonnt, als die Handtasche zu klauen, worauf der Richter entgegnet, er könne darum nicht anders, als ihn dafür zu verurteilen. Wo war noch mal der ganz neue Ansatz?
Lumen hat geschrieben:Woraus folgt, dass wir uns gesund ernähren sollen? Woraus folgt, dass wir nicht Spülmittel trinken sollen? Warum kümmert sich die Medizin, Zahnmedizin und so fort dann darum? Auf welcher Grundlage gibt es überhaupt Medizin, wenn es quasi egal ist, wie der Zustand der Organe oder Gesundheit ist? Ist Medizin unwissenschaftlich, weil Mediziner von einem "gesunden" Zustand ausgehen, den sie (wieder)herstellen wollen? Wenn es da einen anderen Trick gibt, dann bin ich gespannt, wie der geht.
Lumen hat geschrieben:Die Frage danach ist, warum das dann nicht auch auf anderen Arten des Wohlbefindens anwendbar sein sollte.
AgentProvocateur hat geschrieben:[...] Bloß fragt sich eben immer, wie man auf Sollenssätze kommt, also auf Moral/Ethik.
Lumen hat geschrieben:AgentProvocateur hat geschrieben:[...] Bloß fragt sich eben immer, wie man auf Sollenssätze kommt, also auf Moral/Ethik.
Aus meiner Sicht ergibt sich ein Sollen aus einer normalisierten Gesamtschau dessen, was Menschen wollen.
Lumen hat geschrieben:Ich sehe auch, dass bei entsprechender Vergrößerung aus dem Einem (Wollen) nicht das Andere (Sollen) folgt, allerdings sieht dieses Problem hausgemacht aus.
Lumen hat geschrieben:Wenn wir davon ausgingen, dass Menschen im konventionellen Sinne tun, was sie wollen (wenn sie können), löst sich der Knoten näherungsweise auf.
Lumen hat geschrieben:Ein sprachliches Paradoxon lässt sich ebenfalls nicht lösen, insofern das Sollen-Problem ein Scheinproblem sein könnte, dass nur in bestimmten Sachverhalten brauchbar ist, hier insbesondere beim naturalistische Fehlschluss.
Es geht nicht darum, dass der Prozess des Entscheidens geändert werden sollte. Es geht um die Reflexion der Entscheidungsfähigkeit: Wenn ich mich bei einer früheren Entscheidung derart entschieden habe, dass ich ihre Folgen im Nachhinein als negativ ansehe, könnte ich 1) die 'freie' Entscheidung bereuen und mich selbst rügen, ich hätte mich doch anders entscheiden können und sollen oder 2) feststellen, dass ich mich zu jenem Zeitpunkt aufgrund meiner Konstitution und aller gegebenen Umstände nur genau so hatte entscheiden können und die Folgen als Lehre für spätere, ähnliche Entscheidungen auffassen. Schließlich habe (bin) ich ein Gehirn, das Erfahrungen und Erinnerungen als Entscheidungshilfe benutzt.Nanna hat geschrieben:Was ändert sich denn? Niemand wird auf magische Weise den Prozess des Sich-Entscheidens überspringen und einfach nur noch handeln. Er wird Pro- und Contra-Argumente abwägen, sich dann entscheiden (und zwar sowohl deterministisch als auch frei im Sinne des Kompatiblismus, dass er frei ist, seinen eigenen Gründen zu folgen) und dann für die Folgen seiner Handlungen von anderen verantwortlich gemacht werden. Was ändert sich?fopa hat geschrieben:Der Punkt ist das eigene Selbstverständnis und das Verständnis gegenüber den Mitmenschen, das sich mit der Annahme der Nicht-Existenz eines freien Willens ändert.
fopa hat geschrieben:Es geht nicht darum, dass der Prozess des Entscheidens geändert werden sollte. Es geht um die Reflexion der Entscheidungsfähigkeit: Wenn ich mich bei einer früheren Entscheidung derart entschieden habe, dass ich ihre Folgen im Nachhinein als negativ ansehe, könnte ich 1) die 'freie' Entscheidung bereuen und mich selbst rügen, ich hätte mich doch anders entscheiden können und sollen oder 2) feststellen, dass ich mich zu jenem Zeitpunkt aufgrund meiner Konstitution und aller gegebenen Umstände nur genau so hatte entscheiden können und die Folgen als Lehre für spätere, ähnliche Entscheidungen auffassen.
fopa hat geschrieben:Ich kann nicht behaupten, dass ich mit allen Positionen MSSs einverstanden wäre, aber in diesem Punkt bin ich mit ihm einer Meinung: Die Verabschiedung von der Willensfreiheit macht frei. Frei von Schuld, aber nicht frei von Verantwortung.
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