fopa hat geschrieben:Ich bin - aufgrund meiner Erfahrung in Diskussionen über dieses Thema - aber immer noch der Ansicht, dass die meisten Menschen einen solchen Willen nicht mehr als frei bezeichnen, weil er eben determiniert ist. [...] Ich versuche es einmal: es ist die Intuition, die uns Glauben macht, wir könnten uns tatsächlich unter denselben Umständen so oder anders entscheiden. Wir haben das Gefühl, uns zu einem gewissen Grad über die Umstände hinwegzusetzen und uns unabhängig von ihnen entscheiden. [...] Dennoch ist das Gefühl bei jedem vorhanden, der sich nicht selbst wie eine Marionette fühlt, was wohl auf die allerwenigsten Menschen zutreffen dürfte. [...] Entsprechend nehmen wohl die meisten Menschen ihre Entscheidungen und ihren Willen als "frei" im Sinne von "frei" gegenüber den inneren und äußeren (physikalischen) Umständen wahr, also als "wirklich frei" im indeterministischen Sinne.
Wie gesagt, das ist meine Einschätzung. Ich habe mir die von dir verlinkten Studien nicht durchgelesen.
Sorry, aber Deine persönlichen Einschätzungen, die nur von Deinen Erfahrungen ausgehen, und Deine darauf aufbauenden Behauptungen, ist und sind hier völlig irrelevant. Was Du glaubst, was die meisten Leute glauben, muss nicht das sein, was die meisten Leute tatsächlich glauben. Und entscheidend kann hier nicht sein, was Du glaubst, was die meisten Leute glauben, sondern das, was sie tatsächlich glauben. Jedenfalls dann, wenn Du Deine Argumentation genau darauf aufbaust. Und das eben tust Du hier, ("wir haben das Gefühl" etc.). Ist mir wirklich absolut unverständlich, wie Du dann die empirischen Studien dazu ignorieren kannst. Deine ganze Argumentation steht und fällt doch damit, ob Deine Annahmen darüber, was die anderen Leute mehrheitlich glauben, richtig sind oder nicht. Und da die empirischen Studien Deine Annahmen nicht stützen, fällt sie nun mal in sich zusammen.
fopa hat geschrieben:AgentProvocateur hat geschrieben:Man kann fälschlich meinen, eine hinreichende Kontrolle über seine Entscheidungen zu haben, (= gefühlte Kontrolle), tatsächlich aber kann es objektiv sein, dass man gehirngewaschen/manipuliert wurde.
Demzufolge unterscheidest du zwischen
natürlichen äußeren Einflüssen und
anthropogenen äußeren Einflüssen? Wo ist der qualitative Unterschied? Beides beeinflusst unsere Entscheidungen. Sind sie freier, wenn sie von natürlichen Einflüssen gelenkt werden?
Nein, das mit der bewussten/ absichtlichen Beeinflussung durch andere war nur als Beispiel gedacht. Ebenso kann es mE mangelnde Kontrolle (und somit weniger Willensfreiheit) bedeuten, wenn das Einflüsse sind, die nicht bewusst erkannt werden können, die aber dennoch einen entscheidenden Einfluss auf die jeweilige Entscheidung haben.
fopa hat geschrieben:Ich sehe da lediglich einen subjektiven Unterschied: wenn wir bemerken, dass unsere oder jemand anderes' Entscheidungen manipuliert, also von anderen Menschen beeinflusst, wurden, empfinden wir sie nicht mehr als frei. Wenn sie aber durch "natürliche" Umstände beeinflusst wurden, derer wir uns nicht bewusst sind, empfinden wir sie als frei. Objektiv gesehen spielt es aber keine Rolle: unsere Entscheidungen sind so oder so determiniert - durch welche Art Einflüsse auch immer, ob wir uns derer bewusst werden oder nicht.
Das sehe ich grundsätzlich anders. Ich mache keine grundsätzlichen Unterschiede zwischen "natürlichen" Umständen und solchen, die auf Absichten anderer Menschen zurückzuführen sind, aber ich sehe einen grundsätzlichen Unterschied zwischen solchen Faktoren, die bewusst werden und somit in die Entscheidung einbezogen werden können und solchen, die unbewusst bleiben. Ob unsere Entscheidungen determiniert sind oder nicht, spielt hier aber keine Rolle für mich, (inwiefern und in welchem Maße auch immer Indeterminismus hier etwas Wesentliches zum Entscheidungsprozess hinzufügen könnte, ist mir immer noch völlig unklar). Entscheidend ist nur: durch wen oder was werden meine Entscheidungen determiniert? Sind das Faktoren außerhalb von mir? Dann: Heteronomie, Fremdbestimmung, Unfreiheit. Sind das Faktoren, die Teil von mir sind, also meine Absichten, Einstellungen, Überlegungen, Wertungen, Abwägungen, Zieleübereinstimmend? Dann: Autonomie, Selbstbestimmung, Freiheit.
(Wobei das jeweils immer graduell zu sehen ist, also: mehr oder weniger Freiheit, nicht binär.)
fopa hat geschrieben:Wir haben im Grunde dasselbe Verständnis von der Freiheit unseres Willens und streiten uns bloß um die Worte und darum, welches Verständnis wohl die meisten anderen Menschen haben könnten.
Ja, und das ist doch wohl eine empirische Frage. Um die zu eruieren, sind die von mir verlinkten Studien nützlich.
fopa hat geschrieben:Damit wir uns wenigstens nicht mehr um die Worte streiten müssen, könntest du doch einfach einen anderen Begriff für einen "freien, indeterminierten" ("realen freien") Willen vorschlagen, den meiner Ansicht nach die meisten Menschen für sich annehmen.
Verstehe ich nun echt nicht. Ich habe doch eine Menge empirischer Studien verlinkt, aus denen abzulesen ist, was die meisten Menschen unter einem "freien Willen" verstehen. Das ist nun nicht das, was Du meinst, was sie darunter verstehen. Wieso, bitteschön, sollte ich nun einen Begriff dafür vorschlagen, was
Du darunter verstehst?
fopa hat geschrieben:Wenn man Schuld als Verstoß gegen ein allgemein anerkanntes, weltliches Regelwerk versteht, ja. Ich bezog Schuld jedoch auf eine supernaturalistische bzw. überweltliche Moralvorstellung, wie sie in fast allen Religionen vorherrscht.
Warum? Wie kommst Du zu dieser Auffassung? Meinst Du, dass so eine Auffassung in Deutschland unter Religiösen vorherrscht? Falls ja: worauf stützt sich diese Annahme?
fopa hat geschrieben:Geht man aber von einem deterministischen Weltbild und einer relativistischen Moral/Ethik aus, kann man den Satz "Du bist schuld!" nicht mehr als Schuld gegenüber einer Moral auffassen, sondern nur noch als Schuld gegenüber den Mitmenschen.
Schätze, das wird gemeinhin wenig strittig sein. "Schuld gegenüber einer Moral" hört sich auch ziemlich strange an.
fopa hat geschrieben:AgentProvocateur hat geschrieben:Und zum Ersteren: man kann unterscheiden zwischen "kausaler" und "moralischer" Verantwortung. Beispiel: X hasst Z und X schubst daher im U-Bahnhof den unbeteiligten Y auf Z, so dass Z unter die hereinfahrende U-Bahn gerät und stirbt. In dem Falle wäre Y (zumindest: direkter) kausal verantwortlich für den Tod von Z, X jedoch moralisch verantwortlich, (Y jedoch in keinster Weise moralisch verantwortlich).
Oder siehst Du das anderes und wenn ja: inwiefern?
Diese Unterscheidung beruht meiner Ansicht nach auf dem Irrglaube, unsere Entscheidungen könnten ohne Ursache selbst ursächlich wirken - sie wären bis zu einem gewissen Grade frei von Determination.
Nein. Wieso sollte man auch (implizit oder explizit) sowas annehmen?
Diese Unterscheidung beruht mE (implizit) auf Folgendem: wenn jemand eine (als schlecht/unmoralisch bewertete) Handlung absichtlich durchgeführt hat, dann ist davon auszugehen, dass diese Handlung an ihm lag, d.h. an seinen Überlegungen, Einstellungen etc. Und wenn so, dann ist davon auszugehen, dass er künftiges Vergleichbares evtl. wieder tun wird. Und damit er das nicht wieder tut, ist ihm zu vermitteln, dass seine Handlung schlecht/unmoralisch war. Dann unterlässt er das evtl. zukünftig. Wenn man aber davon ausgeht, dass jemand keine Kontrolle über sein Verhalten hatte, (so wie Y oben), dann nutzte es nichts, ihm sein Verhalten vorzuhalten. Denn er hatte ja keinen Einfluss darauf, es war nicht seine Absicht, es geschah ohne sein Zutun. Ein Zureden, so etwas zukünftig zu unterlassen, wäre daher völlig sinnlos, kann keine Auswirkung haben.
fopa hat geschrieben:Wollte man diese Unterscheidung dennoch mit einem kausal-deterministischen Weltbild verbinden, müsste man irgendwo eine willkürliche Grenze ziehen, ab der eine Entscheidung als verantwortlich im Sinne einer Ursache angesehen wird. Du hast es schon mit dem Wort "direkt" angedeutet: Diese Grenze kann man nicht sinnvoll ziehen.
Verstehe das Argument nicht. Lautet es etwa so: "weil man eine Grenze willkürlich zieht, sie nicht letztbegründen kann, ist sie nicht gerechtfertigt"?
Dieses Argument wäre aber - falls so gemeint - falsch. Wir ziehen fortwährend in vielen Zusammenhängen solche Grenzen. Und sehen die als gerechtfertigt an.
Wenn aber anders gemeint: wie sonst?
fopa hat geschrieben:Tatsächlich hatte X sich (aus deterministischer Sicht) gar nicht anders verhalten können, als Y gegen Z zu schubsen. Dennoch ist X für den Tod von Z erst einmal verantwortlich, denn es war seine Entscheidung. Auch wenn diese determiniert war, war es das Gehirn von X, das aus allen inneren und äußeren Einflüssen diese Entscheidung produziert hat.
Genau. Bzw. genauer: wäre das Gehirn von X
nicht determiniert, hätte X nicht nach seinen Einstellungen, seiner Persönlichkeit, seinen Gründen und deren Wertungen entschieden, sondern auch für ihn selber unverständlich, weil grundlos, dann wäre X hier wohl kaum für verantwortlich und somit auch nicht für schuldig zu halten. Denn dann wäre es gar nicht seine Handlung gewesen, sondern ein ihm nicht zuzurechnendes zufälliges Verhalten.
fopa hat geschrieben:Die Verantwortung kann aber insofern relativiert werden, als die äußeren Einflüsse, die X zu seiner Entscheidung gebracht haben, wiederum erkennbar auf Entscheidungen anderer Individuen zurückzuführen sind - wenn X also unter äußerem Zwang gestanden hat. Ebenso könnten innere Zwänge X zu seiner Entscheidung getrieben haben.
Richtig. Wenn X unter äußerem Zwang gehandelt hätte, (z.B. jemand hätte ihm eine Pistole an die Schläfe gehalten), oder unter inneren Zwang, (Psychose oder dergleichen), dann wäre X hier nicht verantwortlich (bzw.: weniger verantwortlich) für seine Handlung zu machen.
fopa hat geschrieben:Beides hat aber lediglich Auswirkungen auf das (inter-)subjektive Empfinden aller anderen Individuen gegenüber X: sehen sie seine Entscheidung als Ergebnis von Zwängen an oder gehen sie von einer Entscheidung ohne Zwänge aus? Entsprechend wird die Konsequenz bzw. das Urteil ausfallen: Soll X in psychologische Behandlung? Soll X ins Gefängnis? Soll X ungestraft bleiben?
Letzteres: ja, aber das hat nicht nur etwas mit den Empfindungen der anderen zu tun, sondern mit (mehr oder wenger) feststellbaren objektiven Umständen. Hat X unter äußeren Zwang gehandelt? Hat er unter innerem Zwang gehandelt? Das ist jeweils (wenn auch nicht endgültig) feststellbar und das macht jeweils auch einen entscheidenden Unterschied. Keinen entscheidenden Unterschied aber sollte es machen, ob jemand (oder auch die meisten) X nicht leiden können, was sie also für Empfindungen gegenüber X haben.
fopa hat geschrieben:Verantwortung ist meiner Ansicht nach also immer Verantwortung gegenüber den Mitmenschen, also auch in dem Sinne, wie diese das "Verschulden" bewerten. Selbst vollständig determinierte Entscheidungen (kompatibilistisch oder inkompatibilistisch) müssen also in dem Maße verantwortet werden, wie es die Mitmenschen verlangen.
Ja, aber man muss dabei eben auch die oben genannten Sachverhalte prüfen, ein reines auf Empfindungen beruhendes Verlangen reicht hier nicht.
Hat X aus äußerem Zwang gehandelt? Hat X aus innerem Zwang gehandelt? Hat er ohne äußeren und inneren Zwang aus eigener Überzeugung gehandelt? Je nachdem, wie man diese (wenn auch nur ungefähr) feststellbaren Sachverhalte beurteilt, kann X mehr oder weniger verantwortlich gemacht werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob X determiniert oder indeterminiert gehandelt hat. (Bzw., insofern schon: wenn er indeterminiert gehandelt hätte, wie oben dargestellt, dann dürfte er mE nicht verantwortlich gemacht werden.)