Jährliche 'Edge'-Frage

Re: Jährliche 'Edge'-Frage

Beitragvon Nanna » Di 9. Apr 2013, 21:33

Gerade aus der Konfrontation mit todkranken Menschen weiß man, dass die meisten Menschen nicht den Tod oder das Sterben an sich fürchten, sondern zum einen die damit verbundenen Schmerzen und das Gefühl der Ohnmacht, zum anderen aber noch mehr, aus der Welt zu verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen. Deshalb ist es für Menschen, die mit dem eigenen Tod in naher Zukunft rechnen müssen, auch so wichtig, dass ihnen versichert wird, dass man sie nicht vergessen wird. Todkanke Kinder fangen in der Phase häufig an Dinge zu basteln und zu verschenken, um Spuren zu hinterlassen. Ich kann mich damit identifizieren. Klar habe ich Angst vor dem Tod, aber noch mehr macht es mir Angst, nichts von Dauer zu hinterlassen, keine Nachkommen, keine gelungenen Projekte, keine gelösten Probleme. Ich kann damit leben, dass mein Aufenthalt hier von begrenzter Dauer sein wird (und ich bin mit der Gefahr des unmittelbaren bzw. meines gerade so vermiedenen Todes schon mehrfach konfrontiert worden, das rückt Sachen in Perspektive), aber ich möchte etwas zum großen Projekt Menschheit begetragen haben, wenn ich gehe. Vielleicht ist das mein persönlicher Versuch, dem Tod etwas abzutrotzen.
Wovor sollten wir also Angst haben? Ich denke, vor der Angst an sich, vor der Feigheit angesichts existenzieller Fragen. Wir sollten Angst davor haben, uns unseren Grenzen nicht zu stellen. Wir sollten Angst davor haben, dass wir eines Tages nicht mehr mehr sein wollen, dass wir uns zufriedengeben, dass wir uns nicht darum bemühen uns zu emanzipieren, was, wenn ich daran erinnern darf, das eigentliche Kernanliegen der Aufklärung war und ist.

Ich finde es richtig, dem Tod zu trotzen, auch ganz praktisch in der Art, wie Darth Nefarius es macht. Aber es sollte nicht aus Furcht geschehen, weil das Unterwerfung unter das Diktat des Todes wäre, es kommt einem Versuch gleich, zu gewinnen, in dem man weg läuft. Ich denke, es gibt zwei Fronten, an denen der Tod überwindbar ist, an der praktischen, wo es um medizinische und technische Unsterblichkeit geht, aber auch an der mentalen, wo es darum geht, die eigene Endlichkeit und die Vergänglichkeit von Dingen als solche zu akzeptieren, ohne sich von ihr unterwerfen und bestimmen zu lassen. Solange man den Tod der Todesangst wegen bekämpft, lässt man sich vom Tod leiten. Ich glaube aber, man kann die Motivation, den Tod praktisch (medizinisch, technisch) zu überwinden, auch haben, ohne sich durch das Diktat der Todesangst leiten zu lassen, einfach aus dem Ansporn heraus, die Grenzen der Selbstbestimmtheit zu erweitern. Damit sage ich nicht, dass man keine Angst vor dem Tod haben soll, es wäre unglaubwürdig, zu behaupten, dass einem der eigene Tod gleichgültig wäre und trifft selbst auf Suizidale im Prinzip nie zu, aber die Frage ist doch, ob man diese Angst reflektiert und sich klar darüber wird, wer die Zügel in der Hand hält, die Angst oder man selbst.
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Re: Jährliche 'Edge'-Frage

Beitragvon stine » Mi 10. Apr 2013, 08:00

Nanna hat geschrieben:...aber noch mehr macht es mir Angst, nichts von Dauer zu hinterlassen, keine Nachkommen, keine gelungenen Projekte, keine gelösten Probleme.
Die Computergeneration ist da fein raus, solange es die Server gibt, vergisst das Internet nichts, heißt es immer. Ein Account in Facebook wäre schon mal ein guter Anfang. Und dieses @Nanna-Forum bleibt sowieso :mg:

Das Thema Tod kann der Mensch nur im Zustand der Transzendenz erfahren. Sich eins fühlen mit der Natur ist eine spirituelle Erfahrung, die in verschiedenen Religionen angestrebt wird. Die Angst vor dem Tod ist für junge Menschen natürlich und nichts Ungewöhnliches. Wenn Kinder das erste Mal begreifen, dass auch ihr Leben begrenzt ist, reagieren sie häufig trotzig mit den Worten: "Ich will aber nicht sterben!"
Ich denke, dass das Altwerden die Angst vor dem Tod nimmt. Was man sich als junger Mensch nicht vorstellen kann ist, dass der Geist den eigenen Körper altern sieht und dass das eine unangenehme Erfahrung sein kann. Wir werden uns unserer Vergänglichkeit von Jahr zu Jahr bewusster und wir können gar nichts dagegen tun. Das krampfhafte Aufschieben äußerlich sichtbarer Alterungszeichen ist ein sinnloser Versuch nach dem Erhalt der jugendlichen Fitness. Gerade Personen des öffentlichen Lebens, die wegen ihrer Äußerlichkeiten berühmt geworden sind, kämpfen krampfhaft gegen das Altern an. Sie lassen Gesicht und Oberarme straffen, beschmieren sich mit teuren Cremes und strapazieren ihre alten Knochen mit Fitness-Übungen. Dass ein trainierter 70er nicht so leicht aus der Puste kommt, wie ein untrainierter 30er macht sie stolz und froh. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit spätestens 110 auch dieses Leben zu Ende geht. Wir setzen auf Äußerlichkeiten, aber genau die sind es doch, die mit dem Tod verschwinden. Was bleibt ist die Erinnerung im Herzen unserer Lieben und das, was wir an der Welt verändert haben.

Ich sag immer: Die Welt verliert nichts! Wo ich bin, wenn ich tot bin, weiß ich nicht. Aber es muss schön sein, weil noch keiner zurückgekommen ist. :mg:

LG stine
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Re: Jährliche 'Edge'-Frage

Beitragvon Vollbreit » Mi 10. Apr 2013, 09:17

Da ich hier altersmäßig wohl die mittlere Fraktion abdecke, auch mein Statement zum Tod.
Ich kann noch die Angst vorm Tod nachvollziehen, aber auch schon die Gelassenheit.
Die Angst vor dem Tod manifestierte sich bei mir in einer hypochondrischen Angst vor allen tödlichen Krankheiten.
Regelmäßig gekoppelt mit Verzweiflung, denn zu früh wollte ich auch nicht sterben. Irgendwann kam dann der Punkt, an dem ich das Gefühl hatte, dass es zwar schade sei, wenn ich jetzt sterben müsste, aber auch okay, das Leben hatte sich gelohnt, bisher, die Angst vor Krankheiten verschwandt.
Einen nächsten Impuls hat mir die Konfrontation mit Sterbenden gegeben. Ich habe relativ viele Menschen gesehen, die todkrank waren, starben oder gestorben sind, alte aber auch sehr junge. Das hat mich ein bisschen der Illusion beraubt, es gäbe die kluge Prophylaxe, zwar nicht gegen die Straßenbahn, die einen ummangelt, aber doch gegen tödliche Krankheiten. Diese Beraubung könnte zwar einerseits enttäuschend sein, hatte bei mir (und ich glaube nicht nur bei mir) aber einen anderen Effekt. Den der Dankbarkeit, dafür, dass ich ganz einfach heute leben darf. Das Allerselbstverständlichste, über was man nie nachdenkt, weil es so selbstverständlich ist. D.h. als Mensch mit einem auch spirituellen Hintergrund habe ich natürlich drüber nachgedacht und meditiert und es auch versucht zu üben: im Moment anzukommen, dankbar und achtsam zu sein, bin aber aus der Krampfhaftigkeit und Verkopftheit meiner Bemühungen nie rausgekommen.
Es war nicht so, dass das alles keinen Erfolg hatte, beileibe nicht, ich habe sehr viel gelernt, gesehen und so weiter, aber … es war so bemüht, so aufgesetzt.
Die Dankbarkeit auf die ich hinaus will, hat mich der Tod gelehrt, ein Grund, weshalb ich glaube, dass der Tod gut ist.

Dennoch man kann versuchen, ihn zu überwinden, ganz praktisch und durch das was mystischer Tod genannt wird und einfach bedeuten soll, als Lebender zu sterben. Es entspricht vermutlich weitreichend dem, was Nanna mental nennt. Es ist die Konfrontation mit dem Tod, vor allem mit der eigenen Sterblichkeit, mehr aber noch – und darum mystischer Tod – mit der Erkenntnis, dass man bereits tot ist, d.h. aus einer bestimmten Perspektive heraus das Ich ohnehin nur eine Illusion ist. Heißt konkret aber auch kaum etwas anderes als im Moment anzukommen. Da die Ansätze von Epikur, der Mystik und auch der Psychotherapien hier konvergieren, kann das m.E. nicht ganz falsch sein.

Wo ich bin, wenn ich tot bin, die Frage hat stine aufgeworfen. M.E. eine superspannende Frage, die durch die Antwort: Wenn Hirn gammelt, dann Ende Bewusstsein, zwar dem aktuellen Mythos entspricht, mich aber keineswegs überzeugt. Eine Art „Weiterleben“ muss nicht notwendigerweise mit einer personalen Weiterexistenz identisch sein, alle Konzepte die da in meinen Augen die sinnvolleren sind würden das auch eher negieren. Ich klammere mich auch nicht an eine personale Weiterexistenz und habe schon heute das Gefühl, dass, auch wenn gesichert wäre, dass der Tod das Ende im Sinne unseres heutigen Mythos bedeutet, irgendwann mal gut ist.
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Re: Jährliche 'Edge'-Frage

Beitragvon laie » Mi 10. Apr 2013, 12:39

Wenn wir da sind , ist er nicht da, und wenn er da ist, sind wir nicht mehr! :ja:

Aber im Ernst: Ich erschaudere vor dem Tod. Nicht, weil ich dann nicht mehr bin. Sondern weil es dann keinen Unterschied macht, ob ich jemals auf der Welt war. Vor mir war, nach mir wird nichts sein. Und die Zeit dazwischen ist so kurz, dass sie eigentlich auch vernachlässigbar erscheint. In der Sprache des AT: wie Wasser sind wir, das auf dem Boden verrinnt.
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Re: Jährliche 'Edge'-Frage

Beitragvon Vollbreit » Mi 10. Apr 2013, 13:00

laie hat geschrieben:Wenn wir da sind , ist er nicht da, und wenn er da ist, sind wir nicht mehr! :ja:

Aber im Ernst: Ich erschaudere vor dem Tod. Nicht, weil ich dann nicht mehr bin. Sondern weil es dann keinen Unterschied macht, ob ich jemals auf der Welt war. Vor mir war, nach mir wird nichts sein. Und die Zeit dazwischen ist so kurz, dass sie eigentlich auch vernachlässigbar erscheint. In der Sprache des AT: wie Wasser sind wir, das auf dem Boden verrinnt.


(Da muss Dein Nachsatz dann auch noch rein, ich ahnte, dass Epikurs Zitat eher ironisch gesetzt war.)
Epikur hat mich hier, offen gestanden, nie überzeugen können.
Ihn hier übrigens auch nicht:
Zygmunt Bauman hat geschrieben:„Ich Lichte des oben Gesagten ist es durchaus merkwürdig, dass unser eigener Tod uns mit Schrecken erfüllen sollte. Ich werde nicht da sein, wenn er gekommen sein wird, ich werde ihn nicht erleben, wenn er kommt, und gewiss erlebe ich ihn nicht jetzt, bevor er gekommen ist, - warum sollte ich also beunruhigt sein, warum sollte ich jetzt unruhig sein? Dieser – logisch korrekte – Epikur zugeschriebene Schluss ist heute nicht weniger logisch als in der Antike. Und dennoch vermochte er, seiner unbestreitbaren Einsicht, seiner logischen Eleganz und angeblichen Überzeugungskraft zum Trotz, keine Generation zu trösten. Obwohl der Schluss offensichtlich korrekt ist, klingt und wirkt er wie ein Taschenspielerstück. Mit unserer wirkliche Unruhe scheint er nichts zu tun zu haben. Er ist auf seltsame Weise abgeklärt, ja scheint mit all unseren Meinungen und Empfindungen über den Tod und dem, was ihn für uns so furchtbar macht, in keinem Zusammenhang zu stehen. Welche Erklärung können wir für die verwirrende Unfähigkeit unserer Vernunft, die qualvolle Angst zu mildern, anbieten? Weshalb versagt die Philosophie so eklatant, wenn sie Trost spenden soll? Das Folgende ist nur eine tastende Antwort auf diese Frage, die sich wohl kaum endgültig beantworten lassen wird.
Menschen sind die einzigen Wesen, die nicht wissen, sondern auch wissen, dass sie wissen – und ihr Wissen nicht „ungewusst“ machen können. Vor allem können sie das Wissen über ihre Sterblichkeit nicht „ungewusst“ machen."


Was uns bleibt sei die Möglichkeit zu Verdrängen, führt Bauman aus, und von Anfang an, sei es eine Eigenschaft der Kultur gewesen, diesen „Geruch zu unterdrücken“. Kultur strebt nach „Dauer und Beständigkeit“ und so wird der Tod, „das Gewahrsein der Sterblichkeit“ zur Quelle derselben, erzeugt eine „emsige Fabrik auf Dauer“.

Zygmunt Bauman hat geschrieben:„Die merkwürdigen Wirkungslosigkeit der epikureischen Logik resultiert unmittelbar aus dem Erfolg der Kultur. Man könnte meinen, Kultur habe den „Plan übererfüllt“, sei „über ihn hinausgeschossen“. (Fairerweise wird man wohl sagen müssen, die Kultur hätte den Plan nicht erfüllen können, ohne zuviel des Guten zu tun.) Epikurs Diktum würde vielleicht überzeugender klingen, hätten wir den Tod in seinem „Rohzustand“ vor uns – erschiene er uns nur als Aufhören des biologischen Lebens: des Essens, Verdauens, Zeugens. Der Kultur verdanken wir, dass dies auf so verwirrende Weise nicht der Fall ist. Wir sind weit über das hinausgelangt, was wir nun, mit mehr als einem leichten Anflug von Verachtung, „animalisches Leben“ nennen. Ohne Zweifel werden wir aufhören, zu essen, zu verdauen, zu zeugen, wenn unser Leben zu Ende ist. Aber das alles ist nicht der wirkliche „Lebensinhalt“. Was uns die längste Zeit beschäftigt (d.h. wenn uns nach der Befriedigung unserer „animalischen“ Bedürfnisse noch Zeit bleibt) und was, wie man uns lehrte, das Wichtigste und Wertvollste im Leben ist, braucht nicht mit unserem Stoffwechsel aufzuhören, nicht am Tag danach und niemals. Dem Wertvollsten Dauer zu verleihen, es nicht enden, nicht „mit uns ins Grab sinken“ zu lassen, ist jene Mission, die Kultur uns aufgetragen hat. Das „Hinausschießen“ der Kultur findet täglich seinen Widerhall in unserem persönlichen Ungenügen. Gleichgültig was wir tun, um unserer geglaubten Verantwortung nachzukommen, es wird wahrscheinlich immer zu wenig sein. Das Nahen des Todes wird unser Werk grausam unterbrechen, noch bevor wir die Aufgabe erledigt und unsere Mission erfüllt haben. Deshalb haben wir allen Grund, den Tod jetzt zu fürchten, wo wir noch voller Leben sind und der Tod nichts als eine entrückte abstrakte Aussicht ist.“
(Zygmunt Bauman, Tod, Unsterblichkeit und andere Lebensstrategien, Fischer TB, 1994, S.10 - 13)
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Re: Jährliche 'Edge'-Frage

Beitragvon laie » Mi 10. Apr 2013, 13:05

"Was uns bleibt sei die Möglichkeit zu Verdrängen"

Was ist mit der Idee, dass der Tod das eigene Leben sinnvoller macht, jedenfalls solange man lebt? Das wäre eine positive Bewertung der individuellen Sterblichkeit.

"jene Mission, die Kultur uns aufgetragen hat"
Welche Mission ist das?
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Re: Jährliche 'Edge'-Frage

Beitragvon Vollbreit » Mi 10. Apr 2013, 13:10

Ja, so habe ich es ja erfahren.
Das mit der "Dankbarkeit", vielleicht ein wenig hochgegriffen, stimmt aber im Prinzip, war von mir so gemeint.
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Re: Jährliche 'Edge'-Frage

Beitragvon laie » Mi 10. Apr 2013, 13:13

Du warst schneller
also nochmal

"jene Mission, die Kultur uns aufgetragen hat"
Welche Mission ist das?

wie mir scheint, ist diese Mission die Kultur selbst oder? Individuell auch wenig tröstlich. Da ermöglicht die Einsicht, dass das Leben eben deshalb kostbar ist, weil es endet, schon einen anderen Blick.
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Re: Jährliche 'Edge'-Frage

Beitragvon Vollbreit » Mi 10. Apr 2013, 13:54

Ja, sehe ich auch so, dass die MIssion die Kultur selbst ist, bzw. hier sein soll.
Widerspricht Deinem Ansatz ja nicht. Das Leben ist kostbar, weil es endlich ist und die Aufgabe (kultureller Entwicklung) noch nicht beendet ist.
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Re: Jährliche 'Edge'-Frage

Beitragvon laie » Mi 10. Apr 2013, 14:15

Nein, widerspricht nicht. Stimmt. Aber: reicht die Einsicht, dass das Leben kostbar ist, weil es endlich ist, um die Angst vor dem Tod zu überwinden?
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Re: Jährliche 'Edge'-Frage

Beitragvon Vollbreit » Mi 10. Apr 2013, 14:27

Nö, das Argument von Bauman ist ja auch, dass Epikurs Sätze saft- und kraftlos sind.
Wir sollten Angst haben, ist seine Botschaft. Zumindest können wir sie durch ein par logsiche Sprüchlein nicht überwinden.
Der Mensch ist ja eine (mindestens) logisch-emotionales Mischwesen, wer das nicht ernst nimmt ist a priori auf dem falschen Dampfer. Ob man Spiritualität auf das eine und/oder andere reduzieren kann, ist eine andere Frage, die ich mit "nein" beantworten würde.

Was gegen die Angst vor dem Tod hilft, ist m.E. an erster Stelle der mystische Tod.
Dann, dass das Leben einen abschmirgelt, entweder man ist verzweifelt oder hat Schmerzen und darum keine Lust mehr, oder das Leben ist gelungen und erfüllt und man sagt in Frieden: "Nun ist's gut."
Lindernd ist die direkte Konfrontation mit dem Tod, als der Tod noch in den normalen Alltag eingebunden war, also Kinder noch sahen, wie Opa die Lampe ausging, war die Todesangst längst nicht so verbreitet, glaubt man Ariès. Im Tod der anderen stirbt man ja immer auch ein Stück selbst, es geht nicht anders. Heute muss man ja immer "Spiegelneuronen" in Klammern dazu sagen. :^^:
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Re: Jährliche 'Edge'-Frage

Beitragvon laie » Mi 10. Apr 2013, 14:28

Ich frage mich seit geraumer Zeit, wie die christliche Antwort auf die Frage nach dem Tod aussieht. Mir nun scheint, lautet diese Antwort: In der Annahme des gesamten Lebens überhaupt (also nicht nur in einer partiellen Annahme, also in dem, was mir gerade gefällt) leben wir in "der Fülle der Zeit", in Ewigkeit. Das ewige Leben ist nicht ein dem physischen Tod nachgeordnetes Leben, sondern es ist das Leben jetzt und nichts anderes. Zu der Annahme des Lebens gehört auch die Annahme seines Endes. Der Tod ist damit ein Teil des Lebens, nicht das Leben ein Teil des Todes.
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Re: Jährliche 'Edge'-Frage

Beitragvon Vollbreit » Mi 10. Apr 2013, 14:32

Die Buddhisten und Existentialisten sagen nichts anderes, und m.E. stimmt diese Antwort.
Im Jetzt liegt das Heil, das mag nach Eckhart Tolle klingen, stimmt aber.
(By the way: Das Buch von Angenendt ist tatsächlich ausgezeichnet, jedenfalls, soweit ich es bisher gelesen habe.)
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Re: Jährliche 'Edge'-Frage

Beitragvon laie » Mi 10. Apr 2013, 14:36

"Zu der Annahme des Lebens gehört auch die Annahme seines Endes." ist ein Satz, den Darth nefarius vermutlich nicht unterschreiben würde. Kann man das Leben vollständig annehmen, sein Ende aber nicht?

Welches Buch von Angenendt?
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Re: Jährliche 'Edge'-Frage

Beitragvon Vollbreit » Mi 10. Apr 2013, 14:43

"Toleranz und Gewalt", ich hatte mal die Kritik (aus der Zeit glaube ich) dazu verlinkt.

Du hast Recht, aber die Angst vorm Tod ist ja auch die Angst vorm Leben.
Die Todesangst hat Kollateralschäden oder Weggefährten: Alter, Krankheit, Ausgeliefertsein, Ohnmacht.
Intuituiv weiß das jeder, der von stine so oft kritisierte Jugendwahn lebt davon.
(Muss einkaufen, schön, Dich mal wieder zu lesen!)
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Re: Jährliche 'Edge'-Frage

Beitragvon laie » Mi 10. Apr 2013, 14:44

Bis dahin. Mach's gut.
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Re: Jährliche 'Edge'-Frage

Beitragvon Darth Nefarius » Mi 10. Apr 2013, 18:06

Nanna hat geschrieben:Gerade aus der Konfrontation mit todkranken Menschen weiß man, dass die meisten Menschen nicht den Tod oder das Sterben an sich fürchten, sondern zum einen die damit verbundenen Schmerzen und das Gefühl der Ohnmacht, zum anderen aber noch mehr, aus der Welt zu verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen. Deshalb ist es für Menschen, die mit dem eigenen Tod in naher Zukunft rechnen müssen, auch so wichtig, dass ihnen versichert wird, dass man sie nicht vergessen wird.

Das meine ich nicht. Wenn man sich an mich erinnert, habe ich auch nichts mehr davon. Es ist mir nicht wichtig, Spuren zu hinterlassen, sondern nicht das Leben zu verlieren. Was totkranke Menschen meist machen, ist mir gleich, da oft diese Haltungen aus Resignation erwachsen.
Nanna hat geschrieben:Todkanke Kinder fangen in der Phase häufig an Dinge zu basteln und zu verschenken, um Spuren zu hinterlassen. Ich kann mich damit identifizieren. Klar habe ich Angst vor dem Tod, aber noch mehr macht es mir Angst, nichts von Dauer zu hinterlassen, keine Nachkommen, keine gelungenen Projekte, keine gelösten Probleme.

Warum ist das relevant für dich? Dein Fußabruck ist kein Teil von deinem Bewusstsein, du nimmst Veränderungen an ihm nicht wahr. Was du zu fürchten hast, ist deinen Fuß zu verlieren, und genaugenommen ist auch der entbehrlich. Die Wahrnehmung der Umgebung, die Erinnerungen, die Interaktion mit der Umgebung ist relevant und als Verlust zu bedauern, nicht irgendwelche Spuren.
Ich halte das für einen (wenn auch weitverbreiteten) Irrtum. Die Pharaonen mussten sich eine Pyramide bauen, heute muss man ein Facebookprofil haben. Ich sehe beides nicht ein.
Nanna hat geschrieben: Ich kann damit leben, dass mein Aufenthalt hier von begrenzter Dauer sein wird (und ich bin mit der Gefahr des unmittelbaren bzw. meines gerade so vermiedenen Todes schon mehrfach konfrontiert worden, das rückt Sachen in Perspektive), aber ich möchte etwas zum großen Projekt Menschheit begetragen haben, wenn ich gehe. Vielleicht ist das mein persönlicher Versuch, dem Tod etwas abzutrotzen.

Die Menschheit an sich ist ebenso vergänglich. Wozu die Mühe? Im Zweifelsfall würde ich auch die Menschheit überleben wollen.
Nanna hat geschrieben:Ich finde es richtig, dem Tod zu trotzen, auch ganz praktisch in der Art, wie Darth Nefarius es macht. Aber es sollte nicht aus Furcht geschehen, weil das Unterwerfung unter das Diktat des Todes wäre, es kommt einem Versuch gleich, zu gewinnen, in dem man weg läuft.

Furcht und Hoffnung sind zwei Seiten der selben Medallie. Manche Menschen sagen, sie sind glücklich, andere nur, dass sie nicht unglücklich sind. Ich gehöre zu letzteren. Und es ist gewiss keine Unterwerfung, seinen Feind zu fürchten. Wenn Wellington Napoleon gefürchtet hat, dann aus gutem Grund; er hat sich damit jedoch nicht unterwerfen lassen. Der Vorteil an Furcht ist die natürliche Aktivierung der Körperreserven. Ich muss mich nur an mein Ziel erinnern, und schon reicht ein leichter Schweissausbruch aus, um bei der Arbeit zu bleiben. Positive Gefühle können soetwas nicht bewirken, sie betäuben eher und manchen lethargisch.
Nanna hat geschrieben: Ich denke, es gibt zwei Fronten, an denen der Tod überwindbar ist, an der praktischen, wo es um medizinische und technische Unsterblichkeit geht, aber auch an der mentalen, wo es darum geht, die eigene Endlichkeit und die Vergänglichkeit von Dingen als solche zu akzeptieren, ohne sich von ihr unterwerfen und bestimmen zu lassen.

Es ist vielmehr eine Unterwerfung, diese Grenzen zu akzeptieren und nichtmal zu versuchen, sie zu überwinden. Den Verlust zu akzeptieren bedeutet, dass man die Notwendigkeit des Besitzes nicht mehr fühlt. Viele Esotheriker und Idealisten streben soetwas an, ich nicht. Wenn das Gefühl des Verlustes überwunden werden kann, war das Gefühl die Abhängigkeit nicht wert und nur ein Klotz am Bein. Aber ich denke, dass es Dinge gibt, die essentiell sind, sowohl materieller Natur (also z.Bsp. einige Organe) als auch ideeller (wie bestimmte Gefühle).
Nanna hat geschrieben: Solange man den Tod der Todesangst wegen bekämpft, lässt man sich vom Tod leiten.

Der Tod ist kein Wesen. Ich lasse mich vom Tod ebenso leiten wie von der Schwerkraft, da ich immer stehe, sitze, liege und nicht schwebe. Ein Phänomen zu personalisieren ist nicht zielführend oder als Argument, man ließe sich von ihm leiten, überzeugend.
Nanna hat geschrieben: Ich glaube aber, man kann die Motivation, den Tod praktisch (medizinisch, technisch) zu überwinden, auch haben, ohne sich durch das Diktat der Todesangst leiten zu lassen, einfach aus dem Ansporn heraus, die Grenzen der Selbstbestimmtheit zu erweitern.

Das reicht bis zu einer bestimmten Grenze nicht. Dein Körper hat Grenzen, die sich bei Angst erweitern. Es geht mir um praktische Aktivierung der Reserven. Ein theoretischer Gedanke ist nicht so dauerhaft präsent, natürlich und grundlegend wie eine Emotion.
Nanna hat geschrieben: Damit sage ich nicht, dass man keine Angst vor dem Tod haben soll, es wäre unglaubwürdig, zu behaupten, dass einem der eigene Tod gleichgültig wäre und trifft selbst auf Suizidale im Prinzip nie zu, aber die Frage ist doch, ob man diese Angst reflektiert und sich klar darüber wird, wer die Zügel in der Hand hält, die Angst oder man selbst.

Die Angst wird zugelassen, sie erwächst aus den eigenen Gedanken, wird initiiert. Was darauf folgt sind physiologische Reaktionen, die kontrolliert nützlich sein können.
stine hat geschrieben:Das Thema Tod kann der Mensch nur im Zustand der Transzendenz erfahren. Sich eins fühlen mit der Natur ist eine spirituelle Erfahrung, die in verschiedenen Religionen angestrebt wird.

So ein Unsinn, der Tod ist ganz reell und allgegenwärtig, kein transzendenter Firlefanz. Gerade durch seine absolute Leere und nicht irgendwelche Licher, Geister und Himmel wird er furchterregend. Die Gläubigen begehen diesen Selbstbetrug aus Schutz vor dieser Angst, weil sie sie nicht kontrollieren und kanalysieren können.
stine hat geschrieben:Die Angst vor dem Tod ist für junge Menschen natürlich und nichts Ungewöhnliches. Wenn Kinder das erste Mal begreifen, dass auch ihr Leben begrenzt ist, reagieren sie häufig trotzig mit den Worten: "Ich will aber nicht sterben!"

Mir ist das Gegenteil aufgefallen. Gerade Gleichaltrige haben sich immer verhalten, als seien sie unsterblich. Es wird gegessen, getrunken was geht, Gefahren werden nicht gescheut. Und auf "Ich will aber nicht sterben!", was ein guter und zu fördernder Impuls ist, folgt immer die Lüge des Himmels. Ich werde meinem Nachwuchs nie so antworten und sagen, dass der Wille berechtigt ist, dass diese Frucht die einzig sinnvolle ist.
stine hat geschrieben:Ich denke, dass das Altwerden die Angst vor dem Tod nimmt. Was man sich als junger Mensch nicht vorstellen kann ist, dass der Geist den eigenen Körper altern sieht und dass das eine unangenehme Erfahrung sein kann. Wir werden uns unserer Vergänglichkeit von Jahr zu Jahr bewusster und wir können gar nichts dagegen tun.

Gerade weil ich es mir vorstellen kann, fürchte ich den Verfall. Und was du beschreibst ist Resignation, keine Weisheit oder Reife. Die Angst bleibt gewiss, ich kann mir gut vorstellen, dass diese Menschen ihre Umgebung lediglich damit nicht belästigen wollen, da es vielleicht schwach wirkt und diese Angst bei fortgeschrittenem Alter vielleicht sogar unangebracht gegenüber jüngeren wirkt, die ebenso Angst bekommen könnten. Wenn das nicht der Fall ist, belügen sie sich mit einem Weiterleben nach dem Tode; sie würden ihre Freunde, ihre geliebten Menschen wiedersehen. Die Angst des ultimativen Verlustes wird durch die Lüge gedämpft, dass es keinen ultimativen Verlust gibt und verlorenes wieder zurückkehrt.
stine hat geschrieben:Das krampfhafte Aufschieben äußerlich sichtbarer Alterungszeichen ist ein sinnloser Versuch nach dem Erhalt der jugendlichen Fitness.

Natürlich bringt es nichts, seine Haut jung zu halten, wenn die Leber oder das Herz nicht mehr lange mitspielt. Es ist Teil einer Bekämpfungsstrategie wie sie der metaphysische Weg vornimmt: Es geht darum, sich selbst zu belügen. Nach dem Motto:" Ich sehe doch aus wie 20, da werde ich bestimmt auch noch lange leben, auch wenn ich vor 50 Jahren geboren wurde." Menschen wie Madonna haben die zentrale Angst erkannt, gehen aber mental schwach mit ihr um.
stine hat geschrieben:Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit spätestens 110 auch dieses Leben zu Ende geht. Wir setzen auf Äußerlichkeiten, aber genau die sind es doch, die mit dem Tod verschwinden. Was bleibt ist die Erinnerung im Herzen unserer Lieben und das, was wir an der Welt verändert haben.

Auf die Funktionsfähigkeit der Organe kommt es an, die kann mit Medizin dauerhafter gestaltet werden. Die Erinnerung bleibt vielleicht den anderen, aber du wirst es nicht wahrnehmen können, du hast nichts davon, dass andere sich an dich erinnern.
stine hat geschrieben:Ich sag immer: Die Welt verliert nichts! Wo ich bin, wenn ich tot bin, weiß ich nicht. Aber es muss schön sein, weil noch keiner zurückgekommen ist. :mg:

Oder es ist endgültig, und deswegen ist niemand "zurück" (was wahrscheinlicher und logischer ist). Die Welt verliert vieles, das Maß an Unordnung nimmt im Universum zu, der Raum dehnt sich aus, die Heliumreserven der Sonne neigen sich dem Ende.
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Re: Jährliche 'Edge'-Frage

Beitragvon Darth Nefarius » Mi 10. Apr 2013, 18:21

Vollbreit hat geschrieben:Ja, sehe ich auch so, dass die MIssion die Kultur selbst ist, bzw. hier sein soll.
Widerspricht Deinem Ansatz ja nicht. Das Leben ist kostbar, weil es endlich ist und die Aufgabe (kultureller Entwicklung) noch nicht beendet ist.

Was bringt es euch, wenn die Menschen in 200 Jahren euretwegen bestimmte Hüte in einem bestimmten Teil der Welt tragen? Warum bedeutet Endlichkeit mehr Kostbarkeit? Ich kann wahrscheinlich die mir wertvollsten Sachen kaum genießen, da ich sie umso mehr fürchten würde zu verlieren. Mir ist klar, dass die Erinnerung an Besitz nicht ausreichen würde. Reicht euch die Erinnerung an einen geliebten Menschen? Theoretisch würde bei der Antwort "ja" ebenso eine beliebtige Illusion, die dem Verstand entspringt, ausreichen, da nur ein diffuses, verblassendes Bild, ein Eindruck vorhanden ist. Eine Erinnerung an Verlorenes ist mit einer Illusion gleichwertig, wenn letztere wirklich überzeugend ist. Das könnt ihr doch nicht erstreben?! Im Tod ist noch nichtmal Erinnerung oder Illusion vorhanden. Erinnerungen an Glück scheinen mir nebenbei immer schmerzhaft und nie erfüllend zu sein.
Gerade wenn ich wertvolles im Leben erreicht habe, will ich das doch nicht verlieren! Je erfüllter ein Leben ist, desto schmerzhafter ist der Verlust! Wenn man jemanden liebt, will man mit dem-/derjenigen zusammen leben, nicht gerade dann wenn das Gefühl kommt, schon gehen. Der Mensch erachtet den Besitz als wertvoll und erfüllend, den Verlust als schlecht. Erinnerung an Verlorenes ist damit nicht positiv.
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Re: Jährliche 'Edge'-Frage

Beitragvon Vollbreit » Mi 10. Apr 2013, 19:09

Darth Nefarius hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ja, sehe ich auch so, dass die MIssion die Kultur selbst ist, bzw. hier sein soll.
Widerspricht Deinem Ansatz ja nicht. Das Leben ist kostbar, weil es endlich ist und die Aufgabe (kultureller Entwicklung) noch nicht beendet ist.

Was bringt es euch, wenn die Menschen in 200 Jahren euretwegen bestimmte Hüte in einem bestimmten Teil der Welt tragen?


So wie ich mich verstanden habe, wollte ich laie zustimmen, dass Baumann die Passage so gemeint hat.
Inhaltlich stimmten weder laie noch ich ihm euphorisch zu.

Darth Nefarius hat geschrieben:Warum bedeutet Endlichkeit mehr Kostbarkeit? Ich kann wahrscheinlich die mir wertvollsten Sachen kaum genießen, da ich sie umso mehr fürchten würde zu verlieren.


Weil Du jede Erfahrung in ähnlicher Weise noch zig mal machen könntest.

Darth Nefarius hat geschrieben:Mir ist klar, dass die Erinnerung an Besitz nicht ausreichen würde. Reicht euch die Erinnerung an einen geliebten Menschen? Theoretisch würde bei der Antwort "ja" ebenso eine beliebtige Illusion, die dem Verstand entspringt, ausreichen, da nur ein diffuses, verblassendes Bild, ein Eindruck vorhanden ist. Eine Erinnerung an Verlorenes ist mit einer Illusion gleichwertig, wenn letztere wirklich überzeugend ist. Das könnt ihr doch nicht erstreben?! Im Tod ist noch nichtmal Erinnerung oder Illusion vorhanden. Erinnerungen an Glück scheinen mir nebenbei immer schmerzhaft und nie erfüllend zu sein.


Ich sage ja auch gar nicht, dass es darum geht in Vergangenem zu schwelgen, sondern im Jetzt zu sein.

Darth Nefarius hat geschrieben:Gerade wenn ich wertvolles im Leben erreicht habe, will ich das doch nicht verlieren!


Tust Du aber, das ist das Problem. Die Analyse von Dir stimmt durchaus, der Buddha kam zum gleichen Ergebnis. Dein Ansatz ist die Lebensspanne unendlich auszudehnen – warum nicht, ist sicher einen Versucht wert, auch wenn wir uns über die Risiken und Nebenwirkungen schon mal ausgetauscht haben – der Ansatz des Buddha ist, die Anhaftungen zu überwinden. Das heißt einerseits, mitnehmen was kommt und andererseits, es wieder loszulassen.

Darth Nefarius hat geschrieben:Je erfüllter ein Leben ist, desto schmerzhafter ist der Verlust!


Ja, womit aber die blöde Paradoxie auftaucht, dass man immer unglücklich wird, wenn man ein erfülltes Leben lebt. Und das ist ja dann kein erfülltes Leben.

Darth Nefarius hat geschrieben:Wenn man jemanden liebt, will man mit dem-/derjenigen zusammen leben, nicht gerade dann wenn das Gefühl kommt, schon gehen. Der Mensch erachtet den Besitz als wertvoll und erfüllend, den Verlust als schlecht. Erinnerung an Verlorenes ist damit nicht positiv.


Auch Beziehungen wandeln sich. Da ist ein wenig Tod schon drin und wer den nicht erträgt, bekommt auch oft den Wandel von der Verliebtheit in Liebe nicht hin. (Ist aber in Deinem Alter noch kein belastendes Thema.) Hier gehen Beziehungen dann häufig in die Brüche und der Wunsch nach anhaltender Verliebtheit tritt an die Stelle.
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Re: Jährliche 'Edge'-Frage

Beitragvon stine » Do 11. Apr 2013, 07:00

Darth Nefarius hat geschrieben:Mir ist das Gegenteil aufgefallen. Gerade Gleichaltrige haben sich immer verhalten, als seien sie unsterblich. Es wird gegessen, getrunken was geht, Gefahren werden nicht gescheut. Und auf "Ich will aber nicht sterben!", was ein guter und zu fördernder Impuls ist, folgt immer die Lüge des Himmels. Ich werde meinem Nachwuchs nie so antworten und sagen, dass der Wille berechtigt ist, dass diese Frucht die einzig sinnvolle ist.
Ich meinte nicht Gleichaltrige in deinem Alter. Die Rede war von Kindern im Kindergarten oder Grundschulalter die zum ersten Mal mit dem Tod in der Familie, meist Oma, Opa oder Urgroßeltern, konfrontiert werden. Sie erleben zum ersten Mal, dass das Leben irgendwann aus ist und erleben eine erste Ahnung vom eigenen Tod.
Dass junge Leute nicht an ihr Ende denken ist normal und gesund. Wäre es nicht so, wären sie depressiv und suizid gefährdet, was ja immerhin schon auch mal vorkommt.
Ich kann es zwar nicht verstehen, wenn Jugend raucht und trinkt, als gäbe es kein Morgen, aber wenn Erwachsene das dann auch noch tun und sich dabei nicht eingestehen wollen, dass dies ihrem Organismus dauerhafte Schäden zufügt, dann ist das schon sehr ignorant dem eigenen Körper gegenüber und letztlich auch der Solidargesellschaft, die ja die Folgeschäden gemeinsam mitträgt.
Die Flucht (ich halte das übrigens nicht für eine solche) in den Glauben, egal welchen immer, ist eine gesunde Hoffnung. Sie befreit vor Manchem und gerade Kinder lassen sich damit gerne trösten, dass Oma immer in unserer Mitte ist, wenn wir an sie denken.

Wie würdest du ein Kind trösten, das gerade seine eigene Endlichkeitserfahrung macht?

LG stine
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