Vollbreit hat geschrieben:So wie ich mich verstanden habe, wollte ich laie zustimmen, dass Baumann die Passage so gemeint hat.
Inhaltlich stimmten weder laie noch ich ihm euphorisch zu.
In Ordnung, ein Missverständnis.
Vollbreit hat geschrieben:Darth Nefarius hat geschrieben:Warum bedeutet Endlichkeit mehr Kostbarkeit? Ich kann wahrscheinlich die mir wertvollsten Sachen kaum genießen, da ich sie umso mehr fürchten würde zu verlieren.
Weil Du jede Erfahrung in ähnlicher Weise noch zig mal machen könntest.
Keine Erfahrung ist wie die andere. Das Universum würde ewig brauchen, um mich irgendwann zu langweilen. Mit bestenfalls 120 Jahren komme ich mir sehr gehetzt vor, ich werde so kaum die Länder besuchen können, die ich noch sehen will, kaum die Sprachen gelernt haben, kaum das Wissen angehäuft haben, das ich anstrebe. Endlichkeit gut zu heißen, bedeutet, man denkt, es würde einem schnell langweilig werden. Aber in meinem Masterplan steht nach der biologischen Optimierung (die ihre Grenzen hat) die Überwindung des organischen zweitklassigen Materials zugunsten höherer Robustheit (womit ich dann die paar jahrzehnte, die man maximal rausschlagen kann mit Manipulationen am biologischen Organismus, verbrauchen würde). Anschließend gibt es diverse optionale Angelegenheiten, irgendwann müsste ich mich mit der Sonne beschäftigen, deren Wasserstoffreserven aufgebraucht werden, anschließend vielleicht noch mit dem Kältetod des ganzen Universums. Um diese Probleme zu lösen oder zu überleben braucht es auch die Ewigkeit. Ich halte es zwar nicht für realistisch, überhaupt den ersten Schritt zu schaffen, aber zumindest habe ich eine klare Vorstellung, wie ich die Ewigkeit verbringen würde und langweilig könnte es gewiss nicht werden.
Vollbreit hat geschrieben:Ich sage ja auch gar nicht, dass es darum geht in Vergangenem zu schwelgen, sondern im Jetzt zu sein.
Das ist unmöglich für ein Wesen, welches intelligenter ist als ein Goldfisch. Bei den wertvollsten Dingen wirst du dich immer fragen, wie lange du sie noch genießen kannst, und dann bekommst auch du ein unangenehmes Gefühl. Die Zukunft ist uns meist sogar wichtiger als die Gegenwart. Wir gingen nicht zur Schule, weil es uns jedesmal Spaß gemacht hat (oder die meiste Zeit oder ab und zu ), sondern weil wir gut verdienen wollten und/oder einen Beruf ergreifen wollten, der uns gefällt. Wir versichern nicht diverse Dinge in unserem Leben, weil es Spaß macht, die Beiträge zu zahlen, sondern weil wir nicht bei einem Unglück dumm dastehen wollen. Wir haben kein Bankkonto, weil wir den Banken etwas gutes tun wollen und unser Geld nicht brauchen, sondern weil wir (mittlerweile wohl etwas naiv) sparen wollen, eventuell Zinsen erwarten, um später etwas schönes zu kaufen. Nur ein Obdachloser lebt im "Hier und Jetzt". Er hat weder Vergangenheit noch Zukunft.
Vollbreit hat geschrieben:Tust Du aber, das ist das Problem. Die Analyse von Dir stimmt durchaus, der Buddha kam zum gleichen Ergebnis. Dein Ansatz ist die Lebensspanne unendlich auszudehnen – warum nicht, ist sicher einen Versucht wert, auch wenn wir uns über die Risiken und Nebenwirkungen schon mal ausgetauscht haben – der Ansatz des Buddha ist, die Anhaftungen zu überwinden. Das heißt einerseits, mitnehmen was kommt und andererseits, es wieder loszulassen.
Leichter gesagt als getan. Könntest du dich von allem was du kennst und liebst sofort trennen? Wäre ich dazu in der Lage, wäre ich eine emotionslose Hülle ohne Wünsche, Hoffnungen, Ziele und Ansprüche. Ja, dann ist das Leben zwar ohnehin wertlos und man kann getrost ohne Angst abkratzen, aber es widerspricht völlig meinem Wesen als Mensch, der das Leben liebt. Würde ich so eine Haltung anstreben, würde ich das Leben geringschätzen, könnte gleich nach diesem Zustand abtreten, weil ich nichts mehr will. Aber was ich genieße, will ich auch genießen können. Wenn ich es anstrebe, das Leben zu genießen, kann ich nur durch den grundlegenden Verlust dieses Antriebs den Zustand der Wunschlosigkeit und Bindungslosigkeit erreichen. Nein, bevor ich nichts mehr anstrebe, will ich wenigstens noch Angst fühlen oder mir zumindest beim Scheitern sicher zu sein, dass ich es wenigstens versucht habe.
Vollbreit hat geschrieben:Darth Nefarius hat geschrieben:Je erfüllter ein Leben ist, desto schmerzhafter ist der Verlust!
Ja, womit aber die blöde Paradoxie auftaucht, dass man immer unglücklich wird, wenn man ein erfülltes Leben lebt. Und das ist ja dann kein erfülltes Leben.
Vielleicht stimmt das. Momentan habe ich ohnehin nur meinen Willen und mein Studium, habe keinen nennenswerten Verlust zu betrauern, werde gemeinhin als kalt und abweisend betrachtet. Aber umsomehr fürchte ich den Moment, an dem mir etwas wichtiges genommen wird. Deswegen frage ich mich, ob es nicht manchmal besser ist, keine relevanten Bindungen einzugehen. Aber das ist nur hypothetisch, das Problem stellt sich mir nicht, da meine Ansprüche wohl ohnehin zu hoch sind, um eine Gefährdung meiner Ziele und Unangreifbarkeit zuzulassen. Das führt aber wieder zum Problem, dass ich eine solche Bindung wider besseren Wissens wohl anstrebe, weswegen ich nie ein Buddist sein könnte.
Vollbreit hat geschrieben:Auch Beziehungen wandeln sich. Da ist ein wenig Tod schon drin und wer den nicht erträgt, bekommt auch oft den Wandel von der Verliebtheit in Liebe nicht hin. (Ist aber in Deinem Alter noch kein belastendes Thema.) Hier gehen Beziehungen dann häufig in die Brüche und der Wunsch nach anhaltender Verliebtheit tritt an die Stelle.
Ich kenne Beziehungen und Gefühle, die länger als ein paar Monate reichen. Besonders gut kenne ich den Schmerz, der mich jahrelang gequält hat. Mittlerweile ist es zwar überwunden, aber ich habe vieles daraus gelernt und vermute aufgrund dessen, dass Liebe länger halten kann als ein paar Jahre, wenn sie auf Gegenseitigkeit beruht und nicht nur Schmerz bedeutet.
stine hat geschrieben:Ich meinte nicht Gleichaltrige in deinem Alter. Die Rede war von Kindern im Kindergarten oder Grundschulalter die zum ersten Mal mit dem Tod in der Familie, meist Oma, Opa oder Urgroßeltern, konfrontiert werden. Sie erleben zum ersten Mal, dass das Leben irgendwann aus ist und erleben eine erste Ahnung vom eigenen Tod.
Ich kann mich erinnern, wann das bei mir der Fall war. Ehrlich gasagt habe ich das ziemlich emotionslos festgestellt, als meine Stirn zusammengenäht wurde und ich das Bewusstsein erlangte (Ja, das war im Kindergartenalter). Mich hat gestört, dass mein Körper so schwach ist und habe auch schnell verstanden, dass sich das mit dem Alter kaum verbessern würde. Zu dieser Erkenntnis bin ich erst gekommen, als ich meine körperlichen Grenzen austestete, allerdings war das Ergebnis und das Ereignis eher unbeabsichtigt.
Jedenfalls kann ich mich an diese Zeit noch gut erinnern und kann sagen, dass ich niemanden mit der Feststellung belastet habe oder echte Angst und Panik verspürte. Erstmal habe ich mir die Ideen der Religionen angeguckt, besonders haben mich aber die größenwahnsinnigen Ägypter fasziniert, da ihnen die Konsevierung des Körpers wichtig war. Schnell wird bei all den Defiziten der Religionen und der Menschen, die an sie glauben klar, dass es nur um Selbstbetrug geht. Was bleibt? Die Naturwissenschaften in Form angewandter Medizin, die handfeste Zahlen anzubieten haben, was den Rückgang an Sterblichkeiten wegen vieler der grausamsten Krankheiten betrifft. Es ist ein riesen Erfolg der Menschheit, diverse tödliche Krankheiten ausgerottet zu haben. Zu den damaligen Zeiten wäre soetwas wohl kaum denkbar gewesen und mit Pokken, Pest und co. musste man sich arrangieren.
stine hat geschrieben:Dass junge Leute nicht an ihr Ende denken ist normal und gesund. Wäre es nicht so, wären sie depressiv und suizid gefährdet, was ja immerhin schon auch mal vorkommt.
Nur ein Teil der Schwachen, der andere wird religiös. Der Rest kämpft dagegen an (auf die bezogen, die überhaupt daran denken). Für mich ist es völlig paradox den eigenen Tod anzustreben, oder das Leben gering zu schätzen. Das sind Symptome der Resignation, der man nur mit dem wohl stärksten Trieb entgegentreten kann: der Angst.
stine hat geschrieben:Die Flucht (ich halte das übrigens nicht für eine solche) in den Glauben, egal welchen immer, ist eine gesunde Hoffnung.
Hoffnung kann man es nur nennen, wenn es zumindest theoretisch möglich ist. Alles andere ist eine Illusion, Selbstbetrug. Es ist keine Hoffnung, wenn man will, dass eines Tages Aliens landen, die aus Scheiße Plutonium machen können und den Klimawandel damit stoppen, sondern Blödsinn. Gesund ist dieser Selbstbetrug gewiss nicht, er ist jedoch so pandemisch verbreitet, dass er nichtmal mehr als Geisteskrankheit verstanden wird. Wenn dir ein Erwachsener Mensch sagt, dass er einen (imaginären) Freund hat, den du nicht sehen kannst, aber 2 Köpfe hat, lila mit grünen Flecken ist und nebenbei das Universum erschaffen hat, und dir Unsterblichkeit verspricht, halten ihn Psychologen für geisteskrank. Wenn er das mit den Köpfen und den Punkten weglässt und ihn Jesus nennt, heißt es, es sei eine gesunde Hoffnung. Das ist bescheuert.
stine hat geschrieben:Sie befreit vor Manchem und gerade Kinder lassen sich damit gerne trösten, dass Oma immer in unserer Mitte ist, wenn wir an sie denken.
Wie würdest du ein Kind trösten, das gerade seine eigene Endlichkeitserfahrung macht?
Damit, dass es noch lebt und alles daran setzen kann und sollte, dass es auch so bleibt. Mir hat Religion jedenfalls nie gereicht. Dazu war ich einfach nicht (leicht-)gläubig genug. Vielleicht hat mich auch der Gedanke, dass Tote irgendwie noch unter uns sind, zu sehr gegruselt, um ihn tröstend zu finden. Aber das kann an der Kultur liegen und dem kulturellen Aberglauben, der einem vorgetragen wird. Jedenfalls ist der osteuropäische Aberglaube selten tröstend, sondern eher verstörend. Andererseits ist die ganze blutige Kreuzigungs-Auferstehungsgeschichte kaum besser.