Vegan33 hat geschrieben:Du meinst wir müssten besser werden, also warum nicht via Bildungswahn?
Gegen Bildung ist überhaupt nichts einzuwenden, im Gegenteil, wir alle brauchen sie, sehr dringend.
Nur sind die Bildungskonzepte mitunter ungeheuer verkopft, verkrampft und auf Angst gebaut. Man will, das kritisiert stine, und ich gleich mit, den Anschluss nicht verlieren. Das ist nicht Bildung, sondern Dummheit. Man hechtet einer beschissenen Ideologie, die uns mehr Schaden als Nutzen bringt, völlig unreflektiert hinterher und schickt seine eigenen Kinder, bzw. das einzige Kind „an die Front“.
Die wirklichen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Kinder zu beachten fällt dabei oft aus, da die angstgetriebenen Eltern von der verständlichen Idee „mein Kind soll's mal besser haben“ nicht lassen können. Aber so linear aufwärts wie im Wirtschaftswunder geht es nun mal nicht und wird es erst mal auch nicht mehr gehen. An vielen Punkte ist die Stagnation oder Regression erreicht.
Das muss man reflektieren und die Strategie ändern. Hier teile ich stines Kritik in vollem Umfang. Es bringt nichts, mit Panik im Blick, jedes Kind durch das Nadelöhr von Nachhilfe und „du musst jetzt aber lernen, denk an deine Zukunft, die Konkurrenz schläft nicht“ zu prügeln, weil damit die Grundintention, dass das Kind es tatsächlich mal besser haben könnte völlig auf den Kopf gestellt wird.
Nix gegen Bildung, Studium oder akademische Laufbahn, in entsprechenden Familien wird das aber auch stressfreier und organischer ablaufen.
Tatsächlich macht es eine großen Unterschied aus ob Angst oder Zuversicht der emotionale Hintergrund ist. Ich kenne eine Untersuchung, die schon einige Jahre alt ist, in der die Reaktion der Eltern auf Leistungstiefs in verschiedenen Schichten untersucht wurde. Ergebnis: In den unteren Schichten waren die Eltern grundsätzlich misserfolgsorientiert und eine kleine Krise in der schulischen Leistung war für sie Anlass die Kinder sofort von der höheren Schule zu nehmen, „bringt ja doch alles nichts“. Die Kinder sozial höherer Schichten hat ebenso ihre Krisen, aber die Eltern waren in dem festen Glauben, dies sein nur so eine Phase, er/sie bekrabbelt sich schon wieder. Heute – meine Vermutung – werden die Kinder aus bildungsferneren Kreisen durch die Nachhilfemühlen gedreht und auch die anderen rüsten auf.
Nachhilfe nahm man früher, wenn es nach unten eng wurde, heute, wenn statt der 2 doch auch eine 1 drin wäre.
Und ein Akademiker in einer guten Anstellung, der das tun kann, war er immer schon tun wollte, ist in jeder Hinsicht an der Sonne. Nur ist das längst nicht mehr Alltag. Entweder man wählt sich sein Studium im Bezug auf Arbeitsplatzsicherheit und Kohle aus, dann kann man Arzt oder Ingenieur werden oder man geht seinen Neigungen nach (die ja nicht zwingend in diesem Bereichen liegen müssen) und bekommt vielleicht eine Anstellung, aber wie gesagt, den Vogel abgeschossen hat ein Philosoph, der einen Direktvertrag mit der Uni abschließen musste (wie es fast alle müssen) der bekam 600 Euro, pro Semester! Dafür würde eine Putzfrau nicht mal den Besen angucken.
Wenn es also bei dem Projekt Lebenszufriedenheit in Fremdregie um den Baustein finanzielle Absicherung geht (was ja nicht blöd ist), ist für diejenigen, die keine Neigung haben, die vehement ausgeprägt ist, eine Facharbeiterausbildung das beste, was einem passieren kann.
Ferner ist Bildung noch immer großenteils verkopfte Kacke (10 Millionen Diskussionen über Lehrkonzepte haben das nicht ändern können) und es ist ein Jammer, dass quer zu allen Erkenntnissen die Schule (nicht das Lernen!) als Strafe empfunden wird, weil es oft eine ist, ich kann provinzler hier gut verstehen. Hier stinkt der Fisch vom Kopf, warum jeder Trottel Lehrer werden darf, habe ich nie verstanden und werde ich nie verstehen. Stromlinienförmig, ohne Rücksicht auf Neigungen wird man durch die Maschine gedreht, Interesse und Kreativität wird eingebremst, statt gefördert. Gestrichen wird all das, was man nicht braucht (für den Markt), im Land der Dichter und Denker gilt inzwischen der als Spinner, der ernsthaft dichten oder denken will.
Also lässt man sich auf perfektes Funktionieren reduzieren, mit den üblichen Ausreden. Wenn beruflich alles gut läuft und ich erst mal Kohle habe, dann kann ich mir den Rest ja auch leisten und meinen eigentlichen Neigungen nachgehen. Manche kommen damit wohl klar, doch sehr viele nicht. Dass man tatsächlich noch für etwas brennen kann, ist in der Burnout Gesellschaft kaum noch vorgesehen, da ist das Funktionieren ohne Nachzufragen inzwischen zum Selbstzweck mutiert. Nicht weil man ums Verrecken etwas rauskriegen will, haut man sich die Stunden um die Ohren, sondern weil erschöpft und kaputt zu sein, das Ziel ist. Grotesk, idiotisch, maximal weit vom Glück entfernt, aber jeder in der Suggestion er habe genau das schon immer gewollt:
http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft ... 33009.htmlDas ist wirklich pervers, aber wer das mit sich machen lässt kommt immerhin schnell an den Punkt wo er zum Aufwachen gezwungen ist. Die Depression hat man sich redlich verdient.