laie hat geschrieben:Warum sollte ich in einem totalen utilitaristischen System nicht das Recht haben, andere zum Gegenstand meiner Nutzenkalküle zu machen.
Die Frage nach dem Recht ist überflüssig, da du es ohnehin tust, jedes Tier tut das. Und ein Utilitarist wird dir das gewiss nicht verbieten, er liefert dir sogar die Begründung, warum das in Ordnung ist und du dich nicht wie ein irrer Katholik kastelen musst, weil schon der Gedanke daran eine Sünde sein könnte.
laie hat geschrieben: Darum ist es eigentlich kein Recht, sondern folgt unmittelbar aus dem Gedankenexperiment. Denn zugrundegelegt ist ja ein totales utilitaristisches System. Total bedeutet, dass ich stets etwas nach seinem Nutzen für mich bewerte. Dieser Nutzen kann sehr hoch sein, niedrig oder für mich gar nicht vorhanden sein. Und ich selbst bin für andere eben auch nur ein Nutzenkalkül.
Schön, dass du langsam begreifst, was ich schreibe. Jedoch habe ich als erster den Utilitarismus eingeworfen und nie von einem "totalen" geschrieben. Ich bin für deine falschen Interpretationen nicht verantwortlich.
laie hat geschrieben:Jetzt war meine Kritik, die ich schon vorher formuliert hatte: ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der mein "Wert" möglicherweise irgendwann nicht mehr gegeben ist.
Wer will das nicht? Aber das Leben ist kein Wunschkonzert. Einer der wesentlichen Unterschiede zwischen deiner und meiner Philosophie ist, dass ich die Realität und nicht das gewollte Märchen beschreibe und versuche das Beste daraus zu machen. Deine Einstellung verursacht gerade die Probleme, die das Rentensystem irgendwann kollabieren lassen kann, wenn sich nicht etwas verändert. Immer weniger Nachwuchs, der die Renten der immer Älteren zahlen muss. Das reibt den Nachwuchs auf, sie sind noch weniger bereit auch noch Kosten für ihren Nachwuchs zu zahlen und ein Teufelskreis entickelt sich, weil die Alten aufhören wollen, nützlich zu sein und trotzdem schick und gesund leben wollen.
laie hat geschrieben:Natürlich kann man sich bemühen, immer von Nutzen für irgendjemand zu sein, aber es gibt eben auch Situationen, da hat man es nicht in der Hand. Davon können die Juden in Deutschland und Europa während des Holocausts ein Lied singen.
Da kommen mir die Tränen. Was für ein Unsinn! Die Juden waren nicht nutzlos, sie wurden entrechtet, enteignet, ermordet. Dadurch entfällt jede Möglichkeit und jeder Wille, dem Rest der Gesellschaft zu nützen. Du willst offensichtlich darauf hinaus, dass ich die Juden als nutzlos bewerten würde, weil sie ja verfolgt wurden. Aber kausales Denken ist wohl nicht deine Stärke: Nach den philosphischen Denkrichtungen, die ich teile, wäre es zur Verfolgung gar nicht gekommen. Du argumentierst zirkelschlüssig.
laie hat geschrieben: Weil ein totales utilitaristisches System prinzipiell dazu führen muss, dass Menschen ausgegrenzt oder als nutzlos bewertet werden, habe ich es abgelehnt.
Tja, auch in einem total utilitaristischen System gibt es das System der Investition und abstraktere Betrachtungen von Kosten/Nutzen. Wenn jemand krank ist, kann er wieder gesund werden und dann eine Arbeitskraft wieder darstellen. In seine Gesundheit zu investieren lohnt sich in den meisten Fällen also. Dann gibt es noch Kosten, die durch die Akzeptanz der Gesellschaft verursacht werden können. Wenn keine Rente gezahlt wird, sobald man arbeitsunfähig wird, unterstützt das die Masse nicht, da sie nicht in so eine Situation kommen will. Die Masse selbst betrachtet schließlich den Staat als eigene Investition, dessen Früchte sie bei Zeiten ernten will (durch Rente, durch Sozialleistungen). Somit wird durch das Zahlen einer Rente die Kosten eines unruhigen, meuternden Volkes gegen die Kosten einer Rente abgewogen. Man hat sich in den bekannten Fällen für die geringeren Kosten der Rente entschieden, um den sozialen Frieden zu wahren und das Prinzip des Handels, welcher aus utilitaristischem Denken beiderseits erfolgte, aufrechtzuerhalten. Auch aus einem total utilitaristischen System (wie du es nennst) erfolgt eine klare Aussprache für Rente, für Dienstleistungen. Keine oder geringere Kosten haben (was du nicht berücksichtigt hast) bedeutet auch manchmal einen Nutzen zu haben. Ein Beispiel: Du siehst einen Cent auf der Straße, allerdings würde dich ein Auto erfassen, würdest du ihn aufheben wollen. Wärst du nun ein Utilitarist nach deiner Logik, welcher nur kurzsichtig nach dem Nutzen entscheidet und nicht auch noch die Kosten abwägt (was aber jeder Utilitarist, welcher logisch denkt, tut), würdest du dich überfahren lassen, um den Cent zu holen. Ein Utilitarist nach allgemeinem Verständnis ist nicht so dämlich und lässt den Cent liegen, da der Preis seine Gesundheit wäre. Es empfiehlt sich manchmal auch die Begriffe genauer zu analysieren. Manchmal reicht die ethymologische Betrachtung (Utilitarist = hat irgendetwas mit Nützlichkeitsdenken zu tun) nicht aus.
laie hat geschrieben:Wenn du die Broschüre einmal durchsuchst nach dem Wort "nutz", dann bekommst du schnell einen Eindruck davon, wie utilitaristisch diese Broschüre geprägt ist. So schreiben Binding und Hoche:
Binding/Hoche hat geschrieben:... wir werden vielleicht eines Tages zu der Auffassung heranreifen, daß die Beseitigung der Geistig völlig Toten kein Verbrechen, keine unmoralische Handlung, keine gefühlsmäßige Rohheit, sondern einen erlaubten nützlichen Akt darstellt.(Hervorhebung im Original)
Diese Broschüre bereitet ideologisch die Aktion T4 vor, die Euthanasie von Todkranken und Behinderten im Dritten Reich, ebenso wie den Massenmord an Juden und anderen ("Volkschädlinge").
Tut mir ja leid für dich, aber das sind keine Utilitaristen. Die Wesentlichen Sätze aus Wikipedia sind:
Grundlage für die ethische Bewertung einer Handlung ist das Nützlichkeitsprinzip, die utilitaristische Grundformel und Maxime: „Diejenige Handlung bzw. Handlungsregel (Norm) ist im sittlichen bzw. moralischen Sinne gut bzw. richtig, deren Folgen für das Wohlergehen aller von der Handlung Betroffenen optimal sind.“ Den Kern des Utilitarismus kann man auch in der Forderung zusammenfassen: „Handle so, dass das größtmögliche Maß an Glück entsteht!“
Hier wird klar nach Glück definiert, welches letztlich den Nutzen darstellt. Die Handlungen der beiden, die du damit in Verbindung bringst, folgen nicht ideser Philosohie. Falls du mal irgendwo gelesen haben solltest, dass die beiden als Utilitaristen gelten, kannst du mir die Info ja schicken, aber mir ist nicht bekannt, dass sie im allgemeinen als Utilitaristen betrachtet werden.
laie hat geschrieben:Also für mich ist da gar kein Zweifel: der Fachismus und Nationalsozialismus wurzelt im Nützlichkeitsgedanken.
Deine Zweifellosigkeit ist unbegründet, aber bei einem Religiösen vielleicht auch schnell zu erreichen. Dir reicht offensichtlich aus, dass dir jemand sagt, dass etwas nützlich wäre, damit du auch denkst, dass er danach handelt. Ich betrachte jedoch die Argumentationsweise (die übrigens keinen einzigen Beweis oder Hinweis für die Nutzlosigkeit der Juden oder anderer bietet) von Hoche und Binding als Vorwand für irrationale, nicht nach Nützlichkeit und Logik gerichtete Fremdenfeindlichkeit. Auf ihrer emotionalen Grundlage, ihrem Glauben an Wertlosigkeit haben sie versucht den Mantel des Utilitarismus zu stülpen. Mir ist nicht bekannt, dass sie jedoch die Allgemeinheit als Utilitaristen heute anerkennt (außer vielleicht irgendwelchen anarchistischen Randgruppen und moralistischen Spinnern, die wie du grundsätzlich den Utilitarismus verteufeln).
laie hat geschrieben:Und für meinen Geschmack distanzierst du dich zu wenig davon.
Mir ist egal, was du für einen Geschmack hast. Du kannst dich auch bemühen, nach meinen zahlreichen Stellungnahmen zu suchen, um dir ein Bild zu machen. Aber du meinst, du könntest dir ein Bild aus wenigen Kommentaren machen, aus deiner primitiven Herleitung des philosophischen Gedankengebäudes durch das zentrale Wort "Nutzen". Die Welt ist höchstens in der Bibel so einfach.
laie hat geschrieben:Im letzten Absatz deiner Antwort windest du dich herum:
Darth Nefarius hat geschrieben:Nein, das mit einem kleineren Teil geht auch nicht, da es ebensowenig Nutzen bringt und eher Schaden bedeutet:
Es bringt also eher Schaden. OOOoooch! Schade aber auch. "Eher" bedeutet nämlich, dass du schon wieder entlang einer utilitaristischen Skala denkst.
Ja, ich habe nach der utilitaristischen Skala argumentiert, da du meintest, du könntest aus dem Utilitarismus den Genozid ableiten. Wie du siehst, ist das nicht richtig. Inwiefern kannst du mir jetzt vorwerfen, dass ich danach argumentiert habe, wenn ich das nie bestritt?
laie hat geschrieben:Du ziehst damit zumindest implizit den Nutzen einer solchen Aktion unter bestimmten Bedingungen in Erwägung. Genau das bedeutet dein "Es bringt eher Schaden". Vielleicht kennst du diese Bedingungen noch nicht. Wenn sie da wären, würdest du sie erkennen.
Von welchen Bedingungen redest du da? Nutzen und Schaden können abstrakt ausfallen. Einen Nutzen kann auch eine Empfindung darstellen (z.Bsp. andere Menschen nicht zu töten, weil man es nicht will, da man Empathie für sie empfindet. Ein natürlicher Schutzmechanismus, eine Hemmschwelle). Ein Schaden kann auch Mitleid darstellen, auch eine amoralische Kategorie, welche dem Menschen und seiner Natur aber meist innewohnt (der Schmerz durch Mit
leid wird durch das Vermeiden von Grausamkeit ebenso vermieden.). Deswegen sagt mir schon mein Gefühl, ob es mir schadet oder nützt: Ich empfinde keine Befriedigung, andere Menschen zu quälen und zu töten (was bei den meisten Menschen, wie gesagt, natürlich ist und nicht aus einer Moral erwächst. Dieses Empfinden kennen auch Tiere, von denen wir wissen, dass sie kein moralisches Empfinden (anders als Menschen) vortäuschen, sondern nach Instinkt vorgehen. Trotzdem zerfleischen sie sich nicht.). Also habe ich keinen Nutzen davon. Vielmehr erlebe ich einen Schaden durch Mitleid. Hier wurden nur subjektive, automatische Empfindungen berücksichtigt. Ein Mensch, welcher so ein Empfinden nicht kennt, kann noch die Reaktion der Umwelt in seinen Kosten/Nutzenrechnungen berücksichtigen. Die Reaktion der Umgebung würde sehr negativ bei so einem destruktivem Verhalten ausfallen, also lohnt es sich so oder so grundsätzlich nicht. Ich sehe also keine Lücke in der Argumentation. Zumindest ist es wesentlich schwieriger so einen Genozid zu begründen als durch religiösen Eifer, wo ein "Deus vult!" ausreicht. Von daher könnte ich dir mindestens mit gleichem Recht unterstellen, dass du soetwas zumindest in Erwägung ziehen würdest, würde dein Gott (oder dein Papst oder die Bibel oder sonstwelche Autorität, welcher du blind folgst) es dir befehlen und einen Nutzen wie das Paradies versprechen. Leugnen hilft nichts, da die Geschichte uns zeigt, dass so ein Verhalten nicht unüblich war, wenn man einen religiösen Codex hat.