Zappa hat geschrieben:Wenn ich aber Malise Ruthven (Der Islam, Reclam) richtig verstanden habe, ist die Besonderheit des Islam u.a. dass es keine wirkliche religiöse Autorität gibt. Das hat zur Folge, dass der Islam eine Tendenz zu einem viel individualistischerem Glauben hat.
Zappa hat geschrieben:Sicherlich wird der Koran explizit als das Wort Gottes verstanden* (so wie viele Christen die Bibel als Wort Gottes verstehen), aber natürlich hat auch der Koran eine Editionsgeschichte, wie die Bibel, und darüber wird unter Gelehrten auch offen diskutiert. Außerdem ist der Koran nach Meinung praktisch aller Theologen nicht aus sich heraus verständlich, sondern muss anhand anderer Texte (u.a. die sogenannten Hadithen) interpretiert werden.
Zappa hat geschrieben:Die Ayatollahs und Groß-Ayatollahs haben sogar explizit ein Recht auf eigen Interpretation.
Zappa hat geschrieben:Und mit dieser Interpretationswürdigkeit tritt auch eine gewisse Flexibilität im Glauben ein. Ich sag es mal platt: Ein wirklich theologisch interessierter und belesener Muslim ist in seiner Glaubensauslegung freier, als ein Christ. Und ich bin überzeugt davon, dass es hier Leute gibt, die ähnliche These vertreten wie die oben genannten. Wie gesagt kann ich zu den theologischen Spitzfindigkeiten der Begründung nichts sagen, dass interessiert mich zu wenig.
Nanna hat geschrieben:Ob das alles dazu führt, dass der Glaube "individualistischer" ist, sei mal dahingestellt. Der islamische Mainstream ist schon recht konservativ und es gibt recht eingefahrene Vorstellungen davon, was islamisch ist und was nicht.
Nanna hat geschrieben:Ich bin nicht sicher, ob dir klar ist, dass du hier nur über die Shia redest.
provinzler hat geschrieben:Oder bin ich da jetzt doch irgendwie verkehrt gewickelt?
Zappa hat geschrieben:Interessant in diesem Zusammenhang finde ich die Tatsache, dass das Argument einiger Christen (gelesen habe ich es bei Bischoff Marx), dass der persönliche Zugang zum Gott erst den modernen Individualismus ermöglicht habe, eigentlich viel stärker im Islam zu finden sein müsste, oder? Das ist doch ein gutes Argument dafür, dass der Individualismus viel mehr eine aufklärerisch-kulturelle Leistung ist.
provinzler hat geschrieben:Abu Bekr war als Schwiegervater Mohammeds der Nachfolger, der nach den traditionellen Regeln der Stammesgesellschaft "natürlicherweise" als solcher folgen musste. Es gab aber noch einen weiteren Anwärter auf die Nachfolge in einem Schwiegersohn Mohammeds, einem seiner glühendsten Anhänger namens Ali, den der Prophet der Überlieferung zufolge selbst als seinen Nachfolger ausersehen hatte. Im Streit um diese Nachfolge wurde Ali schließlich erstochen, seine Söhne Hassan und Hussein in der Folge ebenfalls getötet. Der entsprechende Tag der Tötungs Husseins am 10. Muharrem ist für Schiiten noch heute ein wichtiger Feiertag (Aschura). Die Schiiten erkennen also die Institution des Kalifats durchaus an, betrachten aber Abu Bekr und Nachfolger als unrechtmäßige Kalifen. Oder bin ich da jetzt doch irgendwie verkehrt gewickelt?
Zappa hat geschrieben:In der Geschichte des Islam gab es ja Perioden hervorragender kultureller Blüte und Meinungsfreiheit, die Renaissance ist z.B. sehr stark durch den Zusammenstoß der damals etwas hinterwäldlerischen Christen mit den philosophisch und kulturell deutlich weiter entwickelten Muslimen angestoßen worden. Nun kann ich mir vorstellen - aus den oben genannten Gründen - das im Umfeld einer Hochkultur diese größere Interpretationsfreiheit dann auch gelebt wird, weil halt viele genug gebildet sind um eine intelligente Exegese zu betreiben. Das ist im Übrigen auch mein Bild vom Judentum, wobei ich zugeben muss, dass ich davon noch weniger weiß.
Zappa hat geschrieben:Andererseits kann man natürlich von ungebildeten Leuten diese Interpretationsmöglichkeit nicht verlangen, die kleben dann in der Tat an den Suren, was ja auch Bildungsauftrag vieler Koranschulen in ärmeren Ländern ist.
Zappa hat geschrieben:Interessant in diesem Zusammenhang finde ich die Tatsache, dass das Argument einiger Christen (gelesen habe ich es bei Bischoff Marx), dass der persönliche Zugang zum Gott erst den modernen Individualismus ermöglicht habe, eigentlich viel stärker im Islam zu finden sein müsste, oder? Das ist doch ein gutes Argument dafür, dass der Individualismus viel mehr eine aufklärerisch-kulturelle Leistung ist.
BamBam hat geschrieben:Ich denke eher es sollten heissen: Lässt der muslimische Glauben überhaupt andere Werte zu?
Nanna hat geschrieben:BamBam hat geschrieben:Ich denke eher es sollten heissen: Lässt der muslimische Glauben überhaupt andere Werte zu?
Der muslimische Glaube ist kein Akteur, er tut folglich überhaupt nichts. Jegliche Fragestellungen in dieser Richtung führen sofort in essentialistische Scheindebatten, in der der eine dem anderen vorzuschreiben versucht, wie sein Weltbild zu sein habe. Wenn, dann muss die Frage heißen, ob Muslime andere Werte zulassen.
BamBam hat geschrieben:Du hast vollkommen Recht. Die Frage ist somit: Lässt der Muslime überhaupt andere Werte zu?
Nein, Religionen können sehr wandlungsfähig sein, kommt eben drauf an, wie man sie interpretiert.BamBam hat geschrieben:Der muslimische Glaube ist sehr altertümlich. Wobei eine Gesellschaft wächst wird Religion immer am selben Punkt bleiben.
Heute geht auch kein Christ mehr in die Wüste um einen Widder zu schlachten und von den Werten der Aufklärung haben sich manche „Aufgeklärte“ so weit entfernt, dass sie meinen, es sie nun besonders aufgeklärt, wenn man gar keine Werte mehr vertritt.BamBam hat geschrieben:Seine Ansichten nie ändern. Nie lernen. Wie schon gesagt wurde, der Koran zielt auf eine Gesellschaft die ganz andere Bedürfnisse und Probleme zu deren Zeit hatte als wie wir heutzutage.
BamBam hat geschrieben:Religion ist zudem was sehr spirituelles und ich finde auch nicht das sie was in der Politik zu suchen hat.
BamBam hat geschrieben:Fürs Glauben ist da kein Platz.
Das würde ja irgendwie bedeuten, dass sie quer zur Gesellschaft stehen, das kann ich nicht sehen. Die Frage ist naturgemäß hier im Forum stark umstritten, aber ich glaube, dass unsere doch sehr säkulare Gesellschaft durchsetzt ist, von religiösen Werten. Nun kann man darüber streiten, ob diese religiösen Werte originär christlich sind, das hängt nun wieder davon ab, inwieweit man „christlich“ als etwas vollkommen Neues definiert oder darin seinerseits ein Amalgam bereits bestehender Strömungen sieht. Im allgemeinen betrachtet man das Christentum als eine Mischung aus griechischen, ägyptischen und jüdischen Elementen, die m.E. eine eigene Interpretation erfuhren, aber auch etwas klassisch Christliches hat es natürlich schon vorher gegeben, Thema ist aber ohnehin der Islam.BamBam hat geschrieben:Allgemein bei Religion hat man das Gefühl sie unterwandern einen.
Hier muss der Rechtsstaat zeigen, wo die Grenzen verlaufen. Grenzen, die nicht starr sind, sondern immer wieder neu diskutiert werden müssen. Mit flexiblen Grenzen oder Diskursethik haben aber viele ihre Schwierigkeiten, dazu muss man nicht religiös sein.BamBam hat geschrieben:Entscheiden über Gesetze hinweg.
Eben und das war „früher“ eigentlich noch ausgeprägter. Wir haben Jahrzehnte kaum Religion im öffentlichen Diskurs gehabt. Der Glaube war Privatsache und wer Lust hatte konnte zu semiöffentlichen Bibelstunden gehen, der Rest war stillschweigende Nichtbeachtung, die in meinem Erleben ganz gut funktionierte. Jetzt sind auf einmal alle ganz hysterisch geworden, was Religion angeht, womit auch immer das zu tun hat.BamBam hat geschrieben:Ich kenne den christlichen Glauben auch nicht wirklich. Ich würde sogar behaupten weniger als den muslimischen Glauben. Man bekommt von Christen hier in Deutschland, oder hier bei mir nicht wirklich was mit.
Nein, das ist auch nicht so. Bei uns wird das immer wie ein monolithischer Block wahrgenommen „der Islam“, dabei sind sich die einzelnen Fraktionen alles andere als grün.BamBam hat geschrieben:Aber vom muslimischen Glauben bekommt man sehr viel mit. Und das ja meist nur im Negativen. Zu vieles ist absurd ist und nicht verständlich. Der muslimische Glaube versucht vieles zu ändern nur damit es in ihr Weltbild passt. Der Islam versucht immer das Große und ganze zu sein.
Glaube ist m.E. immer emotional.BamBam hat geschrieben:Dann kommt noch dazu die emotionale Komponente die ein Muslim mit seinem Glauben mitsichbringt. Wirds emotional wirds meist widerlich und artet aus.
Wieso? Ich glaube, dass auch das gar nicht geht. Unemotional, heißt für mich auch, frei von Überzeugungen, das fände ich falsch. Unaufgeregt, ist vielleicht dass was Du meinst. So'n bisschen sachlich, hanseatisch, da stehen wir Deutschen drauf. Besser es brennt erst mal ne Zigarette, als die nächste Flagge eines Staates, das stimmt schon.BamBam hat geschrieben:Emotionen und Politik sind Sachen die man strikt trennen muss.
Da sehe ich erst mal keinen Grund. Das hieße ja, Leuten die glauben, die Fähigkeit zur Abstraktion abzusprechen, m.E. spricht nichts dafür, zumal ja es ja oftmals auch eine Mäßigung und Zügelung der Triebe und Emotionen ist, die durch die Religionen gefordert wird.BamBam hat geschrieben:Meiner Meinung nach ist aber jeder Gläubige befangen wenn es um wichtige Entscheidungen geht.
Im christlichen Glauben des neuen Testaments ist verankert, dass der Glaube keine weltliche Angelegenheit ist. Dahin müsste der Islam auch kommen.BamBam hat geschrieben:Wirds emotional wirds meist widerlich und artet aus. Emotionen und Politik sind Sachen die man strikt trennen muss.
Ich bin mal gespannt, wann es die ersten Burkas bei C&A geben wird. Das wäre ein sicheres Zeichen!Vollbreit hat geschrieben:Was die „Unterwanderung“ sonst angeht: Ist halt die Frage, ob und wie lange man z.B. in Europa leben kann, ohne durch die alltägliche Lebenswiese bereits verändert zu werden.
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