Zur Naturalismuskritik

Zur Naturalismuskritik

Beitragvon KaneZugbu » So 12. Mai 2013, 17:36

Mit dem nachfolgenden Text möchte ich die Gemeinschaft unterstützen. Dieser Text ist meinem unveröffentlichten Buchmanuskript entnommen. Zur Zeit bin dabei mein Manuskript ins Internet zu stellen. Die ersten 80 Seiten können bei Interesse nachgelesen werden unter Google, "Plädoyer für eine naturphilosophische, monistische Weltanschauung". Über eine lebendige Diskussion würde ich mich freuen. Vielen Dank.

Zur Naturalismuskritik

Eine kritische Bewertung des Naturalismus stellt die Kritiker vor das Problem, dass es keine exakte, umfassende Aussage über den Inhalt des Begriffs Naturalismus gibt. Allgemein wird Naturalismus als eine Weltsicht beschrieben, welche die Komplexität unserer Welt als Ergebnis natürlichen Geschehens erklärt. Insofern lässt sich der Naturalismus als allumfassendes, wegen seiner Vielfältigkeit jedoch als wenig aussagekräftiges Erklärungsmodell verwenden. Eine Methode, die alles erklärt, käme einer Weltformel gleich. Alle Versuche eine Weltformel zu konstruieren sind bis dato gescheitert. Berühmte Beispiele sind die Versuche von Albert Einstein und Werner Heisenberg. Stephen Hawking, wohl der profilierteste Astrophysiker unserer Zeit, glaubte lange, dass es gelingen könne. Seine letzten Äusserungen dazu lassen jedoch Resignation erkennen. Die Vorstellung ein unwiderlegbares Welterklärungsmodell, eine "Welttheorie" finden zu können, muss sich als Illusion erweisen.

Weil eine eindeutige Definition des Begriffs Naturalismus scheinbar nicht zu formulieren ist, können sich kritische Aussagen über den Inhalt des Naturalismus immer nur auf Teilaspekte beziehen. Der Philosoph Wilfrid Sellars, der eine Position des naturalistischen Realismus vertrat, sagte, dass zur Beschreibung und Erklärung der Welt, die Naturwissenschaften das Mass aller Dinge sind. Andere naturalistische Theorien erklären im gleichen Sinn, dass naturwissenschaftliche Methoden zur Erklärung der Welt philosophischen Theorien überlegen seien. Diese Behauptung ist nicht ausreichend gerechtfertigt, weil jede Wissenschafttheorie, gleich ob naturwissenschaftlich oder geisteswissenschaftlich, ohne philosophische Reflexionen nicht erzeugt werden kann. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind immer auch philosophische Erkenntnisse. Neben der "sachlichen Methodologie" müssen beispielsweise Fragen zur Wahrheit und Ethik, neben weiteren philosophischen Fragestellungen behandelt werden. Die Wissenschaft oder die wissenschaftliche Forschung insgesamt liefert eine allgemeine Erklärung der Welt so wie wir sie heute sehen und soweit uns die Strukturen unserer Welt bekannt sind. Solange es noch wesentliches gibt, das uns unbekannt ist, wie zum Beispiel die Unvereinbarkeit zwischen Relativitätstheorie und Quantenmechanik oder die völlig offene Frage was "Schwarze Materie" ist oder woraus sie besteht oder was geschieht in einem "Schwarzen Loch" und andere unbeantwortete Fragen mehr, kann ein vollständiges unwiderlegbares Welterklärungsmodell nicht abgebildet werden. Die Unwissenheit berührt auch Fragen zur "Philosophie des Geistes" und dort insbesondere die Schnittstelle zu den Naturwissenschaften, welche wiederum Fragen zum Monismus, wie zum Beispiel bei Roger Penrose oder zum Dualismus, wie zum Beispiel bei Erwin Schrödinger aufwerfen.

Verschiedene Naturalismuskritiker suchen Naturalismus fein säuberlich von der Philosophie des Geistes zu trennen und sehen den Geist als absolute, immaterielle Einheit. Nach den neuesten Erkenntnissen der Neurowissenschaften und der Informatik, die experimentell bewiesen haben, das Gedanken eine Form von Energie sind und diese einen Rechner in Aktivität versetzen können, ist diese Trennung mehr als fraglich geworden. In der Philosophie des Geistes bleiben bis heute wichtige Fragen zum Leib-Seele-Problem, scheinbar einem Kardinalproblem der Philosophie generell, trotz vieler unterschiedlicher Hypothesen unbeantwortet.

Viele bekannte Naturwissenschaftler, Geisteswissenschaftler, Neurowissenschaftler haben zu diesem Problem Erklärungen abgegeben, ohne dass daraus eine unfalsifizierbare, allgemein akzeptierbare Theorie formuliert werden könnte. Bei diesem Thema scheiden sich in der Tat die Geister. Dem monistischen Naturphilosophen ist dabei die Aussage von Roger Penrose am sympathischsten. Über die reine Sympathie hinaus stützt sich seine Erklärung auf die Logik der Naturwissenschaften und den Determinismus zwischen Geist und Körper. Geist/Seele ist nicht existent ohne Körper und Körper ist nicht existent ohne Geist/Seele. Folglich findet der Geist sein Ende, wenn der Körper stirbt. Das wirft die Frage auf, was zuerst endet. Der Körper oder der Geist. Oder enden beide gleichzeitig ? Dass die Seele, der Geist weiterleben soll, ist eine Glaubensfrage und insofern in diesem Kontext nicht relevant. Was den Determinismus angeht, so kann man daraus schliessen, dass Leib und Seele einen gemeinsamen Ursprung haben müssen. In der modernen Philosophie wird auch der Standpunkt vertreten, dass man sich den aktiven Geist ohne seinen Körper vorstellen könne und alles was vorstellbar sei, auch möglich oder gar existent sein könnte. Dagegen kann man einwänden, dass man sich eine Vielfalt surrealer, phantastischer Objekte und Situationen vorstellen kann, deren Realität jedoch als sehr unwahrscheinlich einzuschätzen ist, ohne sie kategorisch zu verneinen. Der menschliche Geist ist allerdings auch in der Lage, phantastische Gebilde zu produzieren, die mit den Naturgesetzen nicht vereinbar sind. So kann man sich beispielsweise phantasievoll vorstellen, dass König Friedrich II., dessen Standbild das Forum Friderizianum, Unter den Linden in Berlin begrenzt, plötzlich lebendig wird und in vollem Galopp das Brandenburger Tor durchquert, was man getrost als unmöglich bezeichnen kann.

Ab welchem Stadium entwickelt sich bei der Entstehung eines Menschen im Mutterleib Geist ? Ab wann ist dieser sich entwickelnde Mensch "beseelt" ? (beseelt, hier nicht im theologischen Sinn verstanden) Kann bereits im embryonalen Entwicklungsstadium eines Menschen von einem "geistigen Wesen" gesprochen werden ? Ab welchem Entwicklungsstadium gilt der Mensch als Individuum oder Person ? Dies kann beispielsweise juristisch festgelegt werden, nicht jedoch absolut. Sicher scheint zu sein, dass ein Mensch ab einem bestimmten Entwicklungsstadium ein "geistiges Wesen" ist. Demzufolge wäre die geistige Entwicklung eines Menschen von einem bestimmten naturalistischen Entwicklungsstadium abhängig. Dieser Logik folgend wäre der Geist, die Seele, die Psyche, naturalistisch begründbar und keine Substanz in dualistischem Sinn. Der Tod an sich und der Prozess des Todes ist ein naturalistisch-materialistisches Naturgesetz. Der Geist ist nicht fähig dieses Naturgestz zu ändern. Damit unterliegen Leib, Geist und Seele den Naturgesetzen und müssen ursächlich naturalistisch sein. Aus monistischer Weltsicht formuliert heisst das: Leib und Seele sind deterministische , dynamisch-energetische Strukturen aus der gleichen Materie.

Eine von Gegnern des Naturalismus formulierte These, dass die naturalistische Weltsicht anderen Weltbildern oder Glaubensauffassungen argumentativ in keiner Weise überlegen sei, bezieht sich auf das Fehlen einer allgemein gültigen Wissenschaftmethode. Methodenstreit als wissenschaftliche Auseinandersetzung wird aus verschiedenen Disziplinen berichtet. So zum Beispiel der "Positivismusstreit" im Diskurs über die am besten zielführende Vorgehensweise zu Theorien in den Sozialwissenschaften.

Naturalistische Argumentation bezieht ihre Inhalte aus der Kausalität physikalisch-chemischer Prozesse. Und dem systematisch reproduzierbaren Experiment der anders formuliert, aus deduktiven Erkenntnismethoden, welche mit induktiven Methoden zu überprüfen sind. Diese Vorgehensweise wird als Methodenlehre der exakten Naturwissenschaften (Physik und Chemie) unter Einbeziehung der Mathematik bezeichnet. Neue, aufschlussreiche Argumentationshilfe für eine naturalistische Weltsicht liefert der Erkenntnisgewinn durch die Untersuchungen und Experimente innerhalb der Neurowissenschaften. Die naturalistische Argumentation bezieht demnach ihre Beweise aus Tatsachen und deren Schlussfolgerungen.

Mit dem folgenden gedanklichen Experiment soll versucht werden den Phänomenen Geist, Seele, Psyche auf den Grund zu gehen, um herauszufinden, wo sich diese mentalen Gebilde verbergen und wie sie sich verhalten, wenn man sie erregt oder herausfordert und ihnen nachspürt. Das Experiment untersucht die geistigen, seelischen, psychischen Vorgänge eines Menschen in verschiedenen, alltäglichen Verhaltenssituationen. Um seine "inneren Vorgänge" zu beobachten, wird in seinem Gehirn nachgeforscht. Dabei stelle man sich vor, ein Beobachter könne die geheimen Gehirngänge dieses Menschen durchstreifen, so, wie ein Naturforscher den Dschungel. Das zu untersuchende Objekt sei das Gehirn eines gewissen Herrn G., welcher gerade dabei ist, ein Buch zu lesen. Er ist in die Lektüre vertieft. Sie scheint sehr interessant zu sein. Der Buchtext, den er mit den Augen aufnimmt, erzeugt Bilder in ihm. Diese Bilder setzen sich aus Situationen, Erlebnissen, Erfahrungen zusammen, welche Herr G. in seinem Leben "erlebt" hat. Sein Gehirn wäre nicht im Stande Bilder aus Teilen zusammenzusetzen, die Herr G. noch nie gesehen hat und ihm vollkommen unbekannt sind. So kann sein Gehirn nur Bilder erzeugen, aus Begebenheiten, die auf seiner "internen Festplatte" gespeichert sind. Was das Gehirn nicht weiss, kann es nicht erzeugen, obwohl es keinen Augenblick im Leben eines Menschen gibt, in welchem sein Gehirn nicht dazulernt. Auch Ideen zu entwickeln oder kreativ zu sein gelingt nur aus Bestandteilen, die bereits gewusst werden. Zu sagen, sein Gehirn "produziert" oder "erzeugt", ist nur umgangssprachlich akzeptabel. Vielmehr sind es ernergetisch-neuronale Abläufe in seinem Zentralnervensystem, welches sich in seinem Kopf und im Rückenmark befindet, ausgelöst durch Sinneseindrücke und Empfindungen, die auch als Wahrnehmungen bezeichnet werden. Der umherschleichende Beobachter im Gehirn des Herrn G. ist geradezu überwältigt, von den Abläufen und Vorgängen, die er sieht. Er ist umgeben von elektrischen Strömen, chemischen Flüssen und anderen Bewegungen überall. Alles geschieht in einem unglaublichen Tempo. Es zuckt und rast hin und her, neben ihm, über ihm, unter ihm und er ist umgeben von nicht näher beschreibbaren Hochgeschwindigkeitsaktivitäten., die sich im Gehirn von Herrn G. zutragen. So etwas hat der Beobachter noch nie gesehen und es fällt ihm auch schwer diese Abläufe dokumentarisch festzuhalten, denn die Menge und Geschwindigkeit der "Datenverarbeitung" im Gehirn des Herrn G. kann derzeit von keinem auch noch so leistungsfähigen Rechner erreicht werden. Nach gut einer Stunde spannender Lektüre verspürt Herr G. Durst, weil sein Körper durch Nierenaktivität, Verdunstung und Schweissabsonderung, sowie bestimmte Hormonproduktion nach Flüssigkeitsaufnahme verlangt. Der Beobachter in seinem Gehirn bemerkt entsprechende Aktivitäten.

Die folgende Buchpassage über Leid und Schicksalsschlag löst "emotionale Gefühle" in Herrn G. aus. Gleichzeitig notiert der geheime Gehirnbeobachter bestimmte Hormonbewegungen insbesondere im Bereich des Hypothalamus. Plötzlich wird Herrn G`s Vertiefung in sein Buch durch ein lautes Geräusch gestört. Der Durchzug vom offenen Fenster in seinem Lesezimmer zum ebenfalls geöffneten Fenster im Nebenraum lässt die Zimmertür mit einem lauten Knall zufallen. Herr G. erschrickt und richtet sich aus seiner leicht gebeugten Lesehaltung in seinem Sessel "automatisch" auf. Parallel dazu fliessen mit Höchstgeschwindigkeit energetische Ströme ausgehend vom vegetativen und autonomen Nervensystem durch Herrn G´s Körper, welche dem Beobachter nicht verborgen bleibe, jedoch wegen der enormen Ablaufgeschwindigkeit nicht näher beschrieben werden können. Im Laufe des Tages erlebt Herr G. eine Vielzahl von sogenannten emotionalen Vorgängen in seiner Gedanken- und Gefühlswelt, darüberhinaus Hunger, die Lust auf ein Glas Rotwein, Müdigkeit und den Schlaf in der Nacht.

Der Beobachter lernt, dass sogenannte emotionale Vorgänge in Herrn G. identisch sind mit energetisch-neuronalen Vorgängen, welchen in unserer Sprache bestimmte Begriffe zugeordnet sind. Konkrete Begriffe werden Gegenständen zugeordnet, abstrakte Begriffe benennen beispielsweise die Eigenschaften von Gegenständen oder deren Relation zueinander. Insofern sind Begriffe historisch-kulturell gewachsene Festlegungen und sprachliche Lösungen zur Einzelbezeichnung der Vielfältigkeit unserer Welt. Im Falle von sogenannten emotionalen und neuronalen Vorgängen oder von gegenständlichen und nicht gegenständlichen Entitäten ist die begriffliche Zuordnung mangels besserem Wissen abstrakt geblieben. Die historisch-kulturelle Sprachentwicklung der Menschheit hätte den Dingen an sich auch andere Begriffe zuordnen können, ohne deren sinngebenden Gehalt zu verändern. Um sprachlich mit den neuen Erkenntnissen der Neurowissenschaft, der Physik, der Synthetischen Biologie zum Beispiel Schritt halten zu können, müssten für unsere Umgangssprache neue Begriffe erfunden werden, weil die meist aus dem Altgriechischen übernommenen oder abgeleiteten begrifflichen Bezeichnungen nur der Fachwelt verständlich sind.

Am Ende seines ausserordentlich anstrengenden Forschungsgangs musste der Beobachter in Herrn G ´s Gehirn seinen Wissenschaftskollegen mitteilen, er sei in einem Gebilde gewesen, welches man vielleicht als Kombination einer extrem funktionierenden Chemiefabrik und eines komplizierten Kraftwerkes bezeichnen könnte. So etwas gäbe es in der Aussenwelt nicht und es sei auch nur äusserst schwierig darstellbar. Er müsse seine Kollegen enttäuschen, für ihn sei das Experiment gescheitert, denn Geist und Seele seien nicht auffindbar gewesen. Die Verblüffung und Enttäuschung des Kollegiums war gross. Hitzige Diskussionen mit den unterschiedlichen Standpunkten und Sichtweisen aus Philosophie und Naturwissenschaft begannen, die bis heute fortdauern. Eine einheitliche Sicht der Dinge, eine "Unité de Doctrine", wie der gebildete Mensch sich ausdrückt, ist offenbar nicht zu erreichen.

Eine religiöse oder theistische Weltanschauung befasst sich mit einer transzendenten Erklärung des Weltganzen und kann keine Beweise für ihre diesbezügliche Überzeugung hervorbringen. Sie ist anhängig von den Dogmen des jeweiligen Glaubens und nicht in der Lage Daten aus Beobachtung, Experiment, Statistik und anderen mehr zu erzeugen oder wissenschaftliche Angaben über Tatsachen, Ereignisse, Funktionsabläufe oder dergleichen zu liefern. Die Debatte um die verschiedenen erkenntnistheoretischen Methoden erscheint dem neutralen Beobachter heute als ungeordnete, abstrakte Reflexionen an der sprachphilosophischen Grenze. In der modernen Philosophie heute – unter Bezugnahme auf den vorherigen Satz – zweihundert Jahre nach Kant, über fünfzig Jahre nach Wittgenstein, dem vielleicht bedeutendsten Sprachphilosophen, sind abstrakte Überlegungen zur Darstellung der Realität kaum noch dienlich, denn zu dominant, zu unwiderlegbar, sind die Erkenntnisse der Naturwissenschaften in den letzten fünfzig Jahren, wie etwa in der Astrophysik und hier insbesondere in der Kosmologie, den Neurowissenschaften oder der Biologie. Der erkenntnistheoretische Naturalismus hat dadurch bedeutend an Boden gewonnen und die davon nicht trennbare, unmittelbare Verbindung zur Philosophie des Geistes wird stärker dokumentiert. Durch die nicht widerlegbaren Erkennnisse der Naturwissenschaften und deren unbestreitbare Rechtfertigung ist die Philosophie des Geistes heute auch naturalistisch begründbar. Es scheint, als ob die Gegener und Kritiker er vorgenannten These in einem Weltbild verharren, das als überholt angesehen werden muss. Dass der Mensch ein Natur- und Kulturwesen ist, bestreitet der Naturalist nicht. Naturalismuskritiker sehen die geistige Komlexität des Menschen und seine Fähigkeit zu sprechen als ein nicht begründbares Phänomen an. Die neurowissenschaftlichen Experimente zeigen indes, dass sich der menschliche Geist und seine sprachphilosophisch verwandten kognitiven Begriffsinhalte durchaus mit Biologie und Physik erklären lassen. Dazu sollten sich die Naturalismuskritiker mit dem Stand der Technik und den Erkenntnissen der Synthetischen Biologie vertraut machen.

Im Grenzgebiet von Biologie, Molekularbiologie, Chemie, Ingenieurwissenschaften, Biotechnologie und Informationstechnik hat sich diese neue Wissenschaft entwickelt. (Max Planck Institut, University of Pennsylvania u.a.m) Der Biologe wird dort zum Designer neuartiger Moleküle, ganzer Zellen, bis hin zu Geweben und Organismen. Dabei werden entsprechend der "Deutschen Forschungsgemeinschaft, Bonn," folgende Ziele und Strategien verfolgt:

Integration von künstlichen, biochemischen Systemen in lebende Organismen, um diese mit neuen Eigenschaften zu versehen (Genetische Schaltkreise), Schrittweiser Aufbau von biologischen Systemen aus künstlichen Molekülen, um somit – entsprechend den biologischen Vorbildern – „lebensfähige“ Organismen zu kreieren (Protozellen), Reduktion eines biologischen Systems auf die minimal notwendigen Komponenten, um somit eine „Hülle“ (= Chassis) zur Verfügung zu stellen, welche mit austauschbaren Bausteinen (= „BioBricks“) in neuartigen Funktionsvarianten bestückt werden kann (Minimalgenome), Suche nach alternativen chemischen Systemen: durch den Einsatz von atypischen Substanzen sollen Systeme mit gleichen biologischen Funktionen – quasi in einer Parallelwelt – innerhalb von Zellen nachgebaut werden (Orthogonale Biosysteme).

Je nach Standpunkt löst diese technologische Entwicklung nachempfindbare Begeisterung oder ebenso nachempfindbare bedrohliche oder bestürzende Gefühle aus. Aus Sicht der Religion, nach dem zum x-ten mal prognostizierten Weltuntergang, sollen angesichts einer solchen Entwicklung schon Worte vom jetzt endgültigen Exitus der Menschheit gefallen sein. In der Tat wäre die Synthetische Biologie in Kooperation mit der Paleoanthropologie heute im Stande das Mammut und den Neanderthaler wieder auferstehen zu lassen. Die synthetisch erzeugten Eizellen dieser ausgestorbenen Spezies könnten im Falle des Mammuts von einer Elefantenkuh augetragen werden und im Falle des Neanderthalers vom einem weiblichen Menschen oder einem weiblichen Schimpansen. (Anthropologisch steht der moderne Mensch dem Schimpansen näher als dem Neanderthaler, weil sich der moderne Mensch in gerader Linie vom Affen über den Homo Erectus entwickelte, während der Neanderthaler in seiner Evolution einen Seitenarm des Homo Erectus beschritten hat und ausgestorben beziehungsweise in dem modernen Menschen aufgegangen ist.)

Dass es heute möglich ist, lebende Organismen synthetisch zu erzeugen, mag beängstigen. Bleibt zu hoffen, dass die Ethik, das liebste Kind der praktischen Philosophie und in unserer von Technokratie und Finanzungeheuern beherrschten Welt gleichzeitig auch das am meisten vernachlässigte, dies verbietet.
Der naturalistische Monist sieht seine Weltsicht faktisch bestätigt, allerdings mit wenig Freude, um so mehr mit einer gewissen Trauer und gleichzeitig befürchtend, dass die breite Masse die evidente Wahrheit unserer naturalistisch-materialistischen Welt nicht erkennen wird.
Es braucht offenbar noch Zeit bis sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass selbst die zutiefst menschliche Fähigkeit, philosopisch reflektieren zu können, letztlich als eine der komplexen Fähigkeiten eines durch und durch naturalistischen Menschen anzusehen sind.

[MOD]Absätze eingefügt zwecks besserer Lesbarkeit.[/MOD/Myron]
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Re: Zur Naturalismuskritik

Beitragvon stine » So 12. Mai 2013, 19:22

Hallo @KaneZugbu, willkommen im Forum!
Klar wird sich die Kritik am Naturalismus immer an der Tatsache reiben, dass es keine vernünftige Erklärung für das Körper/Geist/Seele Prinzip geben wird. Deine Erklärung mit Herrn G. ist ja sehr anschaulich und doch weißt du nicht, warum er überhaupt ein Buch lesen möchte. Er könnte auch wie ein Tier im Zoo vegetieren.
Ich finde, dass sich in unserer zunehmenden Kunstwelt der Körper immer mehr vom Geist trennt. Für viele ist das, was in den Medien konsumiert werden kann schon zum echten Leben geworden. Wären Körper und Geist der eine des anderen Antrieb und umgekehrt, müsste sich mancher Körper jetzt langsam zur Wehr setzen.
Und überhaupt, was hätte der Geist für einen Antrieb zur Philosophie, wenn dem Körper doch Essen und Trinken genug sind?

KaneZugbu hat geschrieben:So kann sein Gehirn nur Bilder erzeugen, aus Begebenheiten, die auf seiner "internen Festplatte" gespeichert sind. Was das Gehirn nicht weiss, kann es nicht erzeugen, obwohl es keinen Augenblick im Leben eines Menschen gibt, in welchem sein Gehirn nicht dazulernt.
Genau das ist der Punkt, weshalb ich die brutalen, bis ins kleinste Detail inszenierten Darstellungen in Fernsehproduktionen und Computerspielen ablehne. Was wir sonst nie gesehen, geschweige denn erlebt hätten, wird somit auch als Erinnerung in unserem Gehirn abgespeichert, aber ohne Empfinden, wie sich das wirklich anfühlt - und das bereits bei Kindern, denen der Zugang zu den Medien ohne Zensur gewährt wird. Immer früher werden Kinder heute mit Bildern konfrontiert, die sie unerklärt noch gar nicht verarbeiten können. Und das beginnt schon in einer stinknormalen Nachrichtensendung.
Was sagt denn Herr G., wenn er nicht im Buch liest, sondern in den Nachrichten sieht, wie die blutigen Bürgerkriegsleichen die Straßen pflastern? Wie speichert er die Bilder ab? Als Erfahrung oder als abstrakte Kunstsammlung?

Ich denke, dass wir entweder auf eine unaufhaltsame Verrohnung zusteuern werden oder irgendwann permanente Gleichgültigkeit herrschen wird. Viele jugendliche Straftäter können schon jetzt nicht mehr einschätzen, wann sie den Bogen überspannen. Körper und Geist sind vielleicht eins, wenn die Niere was zum Spülen braucht, aber nicht, wenn es darum geht, dass der Geist Erfahrungen macht, die der Körper gar nicht nachvollziehen kann. Entweder wir lassen unsere Kinder wieder raufen um sie ahnen zu lassen, wie weh schon eine Backpfeife tun kann oder wehren uns endlich gegen die Brutalität in den Medien.



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Re: Zur Naturalismuskritik

Beitragvon KaneZugbu » Mo 13. Mai 2013, 17:29

Vielen Dank, "stine", für deinen Willkommensgruß.
Ich bin ein völlig unerfahrener Nutzer von Internet-Foren und hoffe durch meine Teilnahme am Forum "The Brights" an Wissen und Routine zu gewinnen, aber das nur nebenbei bemerkt. Es ist mein Anliegen einen Beitrag zur Bright-Überzeugung in der Öffentlichkeit des Forums und wenn möglich, darüberhinaus leisten zu können.
Zu meinem Text: Meine Überzeugung, dass der Mensch durch und durch naturalistisch-materialistisch ist, stützt sich auf die Erkenntnisse der Wissenschaften. Insbesondere der Neurowissenschaften, Astrophysik und der Synthetischen Biologie. Das hat nichts mit Wissenschaftsgläubigkeit zu tun, sondern es sind die unwiderlegbaren Fakten, die unbestreitbar da sind. Stell dir vor, die Synthetische Biologie liesse - gegen jede Ethik - den Neanderthaler wieder auferstehen, was technisch möglich ist. Dass der Neanderthaler ein Mensch war, ist unbestritten. Dass er Geist/Seele (nous) hatte, wie diese kognitive Fähigkeit im historisch-kulturellen Diskurs der Sprachentwicklung genannt wird, kann ebenfalls nicht bestritten werden. Wie entstehen nun diese kognitiven Fähigkeiten bei einem synthetisch (er)(ge)zeugten Menschen ? Werden sie ihm "eingehaucht" ? Trifft ihn "ein Etwas" aus dem Kosmos ? Wie ? Was als Erklärung bleibt, ist die Annahme, dass sich diese Fähigkeinen naturalistisch "irgendwie einstellen". Das "Irgendwie" bleibt und wartet auf eine unwiderlegbare Erklärung. Dass es nicht religiös bewiesen werden kann, ist sonnenklar. Ich wiederhole was ich in meinem Beitrag geschrieben habe: Ab welchem Stadium eines sich entwicklenden Menschen kann er verstandesmässig, wahrnehmend, denkend handeln ? Wenn sich die kognitiven Fähigkeiten sozusagen nach und nach bilden, was entsteht zuerst ? Wann und warum ? Vermutlich muss eine bestimmte "stoffliche" Kombination vorliegen, damit sich diese Fahigkeiten entwickeln können. Diese Thema bringt mich an die Grenze meiner spachlichen Ausdrucksmöglichkeiten. Vielleicht ist es sogar sinnlos darüber nachzudenken, weil nicht erklärbar und doch reizt es ungemein.
Was den Text in deinen beiden letzten Absätzen angeht, kann ich dir nur zustimmen. Ich befürchte jedoch, dass es Ewigkeiten dauern wird, wenn überhaupt, bis die durch hinterhältiges "Tittitainment" der Mediengewaltigen eingelullte breite Masse aufwacht und sich wehrt.
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Re: Zur Naturalismuskritik

Beitragvon stine » Mo 13. Mai 2013, 19:14

KaneZugbu hat geschrieben:Wie entstehen nun diese kognitiven Fähigkeiten bei einem synthetisch (er)(ge)zeugten Menschen ? Werden sie ihm "eingehaucht" ? Trifft ihn "ein Etwas" aus dem Kosmos ? Wie ? Was als Erklärung bleibt, ist die Annahme, dass sich diese Fähigkeinen naturalistisch "irgendwie einstellen".
Wir wissen aber nicht, ob ein synthetisch erzeugter Mensch Bewusstsein entwickeln würde. Wir vermuten das, weil wir uns das so hochrechnen. Wir nehmen an, dass alles ähnlich gestrickte Leben auch die gleichen Eigenschaften mit sich bringen muss. Deshalb vermuten manche Menschen auch ein Selbstbewusstsein unter anderen Säugetieren. Und doch wissen nicht einmal du und ich, ob wir ähnlich oder ganz gleich die Welt wahrnehmen.
Wenn die Körper/Geist-Einheit besteht, was naturalistisch anzunehmen ist, dann wunderts mich in der Tat, warum manche Menschen dem einen oder dem anderen Teil ihrer Selbst den Vorzug geben. Wie ich schon sagte: Wie verändert der steigende Geistanteil in der ersten Welt unsere Wahrnehmung auf Dauer? Visuelle Erfahrungen ohne körperliche Konsequenzen sind für die Älteren unter uns zwar noch nachvollziehbar, aber schon unsere Kinder werden zum großen Teil nur noch mit abstrakten Bildern groß.
Wenn wir so eine unabdingbare Einheit sind, dann wird eine der spannenden Fragen sein, ob der Geist den Körper ausschalten kann oder zu seinen Gunsten verändert oder der Körper irgendwann mal den Geist wieder ausschalten wird, weil er zur Fortpflanzung alleine nicht taugt.
Für Naturalisten bleibt die Frage spannend, für Dualisten ist sie geklärt. Ein Dualist kümmert sich bewusst um seinen Body. :mg:

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Re: Zur Naturalismuskritik

Beitragvon mat-in » Di 14. Mai 2013, 08:54

Das ist sehr viel Text auf ein mal. Als erstes: Es gibt einen Unterscheid zwischen einer Welterklärung und einer Weltanschauung. Ich kann durchaus davon ausgehen das an der Entstehung der Sonne Gott nicht beteiligt war, da es keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt und dennoch eine Lücke haben und nicht alles erklären können bei der Entstehung des Gestirns.
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Re: Zur Naturalismuskritik

Beitragvon Nanna » Di 14. Mai 2013, 12:35

Herzlich willkommen auch von meiner Seite! :brights:

KaneZugbu hat geschrieben:Ich bin ein völlig unerfahrener Nutzer von Internet-Foren und hoffe durch meine Teilnahme am Forum "The Brights" an Wissen und Routine zu gewinnen, aber das nur nebenbei bemerkt.

Das ist nicht schlimm. Keine Sorge, so ein Forum ist eigentlich nicht wahnsinnig kompliziert. Eine kleine Anregung hätte ich zwecks Leserlichkeit: Nach Absätzen empfiehlt es sich, eine Leerzeile frei zu lassen. Anders als in Büchern, wo eng geschriebener Text weniger Probleme macht, sind große Textblöcke am Bildschirm schwer zu lesen, insbesondere wenn man große Bildschirme hat. Ich lese meistens auf einem sehr großen Bildschirm (24"), da kannst du dir vielleicht vorstellen, dass ich nur eine riesige Textwüste sehe.

Inhaltlich habe ich leider wegen beschränkter Zeit gerade nichts zu sagen, aber vielleicht steige ich in die Diskussion noch ein. Viel Spaß erstmal hier!
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Re: Zur Naturalismuskritik

Beitragvon ujmp » Di 14. Mai 2013, 20:00

KaneZugbu hat geschrieben: Allgemein wird Naturalismus als eine Weltsicht beschrieben, welche die Komplexität unserer Welt als Ergebnis natürlichen Geschehens erklärt. Insofern lässt sich der Naturalismus als allumfassendes, wegen seiner Vielfältigkeit jedoch als wenig aussagekräftiges Erklärungsmodell verwenden.

Hi KaneZugbu,
...nein, das Wesen des Naturalismus ist sehr stark davon geprägt, dass er übernatürliche Erklärungen (z.B. Gott) ablehnt. Naturalismus ist sozusagen eine Enthaltung. Deine Ganze Kritik trifft diesbezüglich in viel höherem Maße auf religiöse Vorstellungen zu, die tatsächlich für alles eine Erklärung haben. Außerdem gehen moderne Wissenschafttheorien nicht mehr davon aus, abschließende Welterklärungen zu finden, das missverstehst du glaube ich. Ein Wissenschaftler kann einfach sagen "Wir wissen es nicht!" und es dabei belassen, wo ein Supernaturalist sofort seine "Erklärung" hat: "...also war es Gott!". Supernaturalistische Erklärungen sind - im Vergleich zu wissenschaftlichen Erklärungen - von großer Willkür geprägt. Ich halte diese Unterschiede für durchaus griffig.
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Re: Zur Naturalismuskritik

Beitragvon KaneZugbu » Fr 17. Mai 2013, 14:45

Entschuldigung für meine späte Antwort an alle, die auf meinen Beitrag reagiert haben.

An "mat-in": Ich meine, dass ich den Unterschied zwischen Welterklärung und Weltanschauung in meinem Beitrag deutlich gemacht habe.

An "Nanna": Danke für deinen Willkommensgruß und deine Tipps, die ich künftig beherzigen werde.

An "ujmp": Der von dir zitierte Satz richtet sich an die Naturalismuskritiker, die den Naturalismus an sich kritisieren, was jedoch wegen der Vielfältigkeit seines Inhalts so pauschal nicht möglich ist. Diese Kritik kann sich deswegen nur auf vorher zu definierende Teilbereiche beziehen.
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Re: Zur Naturalismuskritik

Beitragvon Myron » Fr 17. Mai 2013, 15:06

ujmp hat geschrieben:...nein, das Wesen des Naturalismus ist sehr stark davon geprägt, dass er übernatürliche Erklärungen (z.B. Gott) ablehnt. Naturalismus ist sozusagen eine Enthaltung.


Der Naturalismus ist nicht neutral, d.h. Naturalisten sind keine Agnostiker. Zur Vermeidung von Missverständnissen muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass die Wörter "Agnostizismus", "Agnostiker" und "agnostisch" nicht immer im selben Sinn verwendet werden:

* Agnostizismus1 = doxastischer Agnostizismus (Glaubensagnostizismus) = Neutralismus: Urteilsenthaltung in Bezug auf eine Aussage A; weder Glaube, dass A, noch Glaube, dass nicht-A.

* Agnostizismus2 = epistemischer Agnostizismus (Wissensagnostizismus) = keine (100%ige) subjektive Gewissheit oder keine Wissensbehauptung in Bezug auf die Wahrheit einer Aussage A.

Der Naturalismus ist mit dem Glaubensagnostizismus unvereinbar, aber mit dem Wissensagnostizismus vereinbar.
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Re: Zur Naturalismuskritik

Beitragvon Myron » Fr 17. Mai 2013, 15:24

KaneZugbu hat geschrieben:Der Philosoph Wilfrid Sellars, der eine Position des naturalistischen Realismus vertrat, sagte, dass zur Beschreibung und Erklärung der Welt, die Naturwissenschaften das Mass aller Dinge sind. Andere naturalistische Theorien erklären im gleichen Sinn, dass naturwissenschaftliche Methoden zur Erklärung der Welt philosophischen Theorien überlegen seien.


Der Philosoph Nicholas Rescher hat recht, wenn er sagt, dass "Naturalismus" oft nichts weiter als ein Euphemismus für "Szientismus" ist. Viele Philosophen bevorzugen die erstere Bezeichnung, weil sie positiver klingt und viele Antinaturalisten "Szientismus" als Dysphemismus für "Naturalismus" gebrauchen.

KaneZugbu hat geschrieben:...Dieser Logik folgend wäre der Geist, die Seele, die Psyche, naturalistisch begründbar und keine Substanz in dualistischem Sinn.


Der Glaube an Geister oder Seelen als "spirituelle Substanzen" ist der typischste supernaturalistische Glaube. Dagegen ist der Substanzmaterialismus ein wesentlicher Teil des ontologischen Naturalismus.
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Re: Zur Naturalismuskritik

Beitragvon ujmp » Fr 17. Mai 2013, 19:31

Ich find "Szientismus" ziemlich unpassend. Ich kann Meinungen oder Haltungen haben, für die es keine wissenschhaftliche Grundlage gibt und dennoch ein Naturalist sein, weil ich meine Meinungen nicht supernaturalistisch begründe. U.U. begründe ich sie überhaupt nicht. Dinge, die ich nicht weiß, weiß ich eben nicht, ich enthalte mich dann lieber einer Erklärung, als eine willkürliche supernaturalistische Erklärung abzugeben.
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Re: Zur Naturalismuskritik

Beitragvon Zappa » Fr 17. Mai 2013, 20:06

KaneZugbu hat geschrieben: ... Insofern lässt sich der Naturalismus als allumfassendes, wegen seiner Vielfältigkeit jedoch als wenig aussagekräftiges Erklärungsmodell verwenden. Eine Methode, die alles erklärt, käme einer Weltformel gleich.

Ich finde, Du gehst von einer falschen Prämisse aus. Um es mal mit Quine zu formulieren: "Wir Naturalisten sagen, dass die Wissenschaft der Königsweg zu Wahrheit ist, aber nicht, dass alles, worüber Wissenschafter einer Meinung sind, wahr ist."

Für mich ist Naturalismus eine sehr zurückgezogene und pragmatische Einstellung: Die wissenschaftliche Methode ist der beste Weg etwas über natürliche Tatsachen auszusagen. Die Behauptung, dass es außerhalb der - durch Sinnesorgane wahrnehmbare - Natur etwas existiert ist eine interessante aber letztendlich nicht belegbare Behauptung. Ihr Nutzen ist ideengeschichtlich eher negativ einzustufen, deswegen sollte sie nur mit Vorsicht angewendet werden um unsere Handlungen zu beeinflussen und hier und da ein wenige Sinn zu stiften - wenn es unbedingt sein muss.
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Re: Zur Naturalismuskritik

Beitragvon xander1 » Fr 17. Mai 2013, 21:12

Zappa hat geschrieben:Die Behauptung, dass es außerhalb der - durch Sinnesorgane wahrnehmbare - Natur etwas existiert ist eine interessante aber letztendlich nicht belegbare Behauptung. Ihr Nutzen ist ideengeschichtlich eher negativ einzustufen, deswegen sollte sie nur mit Vorsicht angewendet werden um unsere Handlungen zu beeinflussen und hier und da ein wenige Sinn zu stiften - wenn es unbedingt sein muss.


SChreibe ich jetzt was dazu? oder nicht? mhhhpfff ok ...
also was ist mit nicht sichtbaren elektromagnetischen Wellen? Mit der Mikroskopischen Welt usw.? Ich finde die Grenzenziehung bezüglich der Wahrheitsfindung bei den Sinnesorganen irgendwie fehl am Platz will ich damit ausdrücken.

Dass dann Scientology auch so Messgeräte haben, mit der man etwas am Menschen messen kann, was aber Unfug ist macht das ziehen einer Grenze bezüglich der naturalistischen Wahrheitsfindung noch schwieriger.

Irgendein schlauer Mensch wird aber irgendwo niedergeschrieben haben wo die Grenze denn nun gezogen werden sollte.
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Re: Zur Naturalismuskritik

Beitragvon ujmp » Sa 18. Mai 2013, 07:17

Du kannst elektromagnetische Wellen direkt sehen, nämlich als Licht und Farben. Es ist sogar so, dass du sie indirekt hören, schmecken oder als Temperatur fühlen kannst. Indirekt kannst du sie u.U. auch riechen. Nämlich dann, wenn die elektromagnetischen Wellen irgendwelche Wirkungen haben, die deinem Riechsinn zugänglich sind, z.B. Wärmestrahlung im Pizzaofen. Physikalische Modelle wie "elektromagnetischen Wellen" wurden aus direkten und indirekten Beobachtungen abgeleited, also aus Sinnesdaten.

Die Messgeräte von Scientology mögen durchaus reproduzierbare Daten liefern, nur sind die Schlüsse, die daraus abeleited werden willkürlich. Genau wie in der Astrologie, wo man mit großer Präzision die Konstellation von Planeten berechnet, aber die daraus abgeleiteden "Schlussfolgerungen" - dieses Wort ist dafür eigentlich zu schade - sind Humbug.
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Re: Zur Naturalismuskritik

Beitragvon Zappa » Sa 18. Mai 2013, 15:24

xander1 hat geschrieben: ... also was ist mit nicht sichtbaren elektromagnetischen Wellen? Mit der Mikroskopischen Welt usw.? Ich finde die Grenzenziehung bezüglich der Wahrheitsfindung bei den Sinnesorganen irgendwie fehl am Platz will ich damit ausdrücken ....

Naja, Messgeräte machen sinnlich primär nicht erfahrbare oder nicht so gut erfahrbare Dinge sinnlich erfahrbar. Das Mikroskop macht Eine, die zu klein um sichtbar zu sein, sichtbar. Das Radio kann unhörbare Wellen hörbar machen. Aber immer müssen wir sinnlich erfahren um empirisch etwas zu erlernen. Darauf kam es mir an.
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Re: Zur Naturalismuskritik

Beitragvon Myron » Sa 18. Mai 2013, 16:51

ujmp hat geschrieben:Ich find "Szientismus" ziemlich unpassend. Ich kann Meinungen oder Haltungen haben, für die es keine wissenschhaftliche Grundlage gibt und dennoch ein Naturalist sein, weil ich meine Meinungen nicht supernaturalistisch begründe. U.U. begründe ich sie überhaupt nicht. Dinge, die ich nicht weiß, weiß ich eben nicht, ich enthalte mich dann lieber einer Erklärung, als eine willkürliche supernaturalistische Erklärung abzugeben.


Der Naturalismus ist traditionell wissenschaftsorientiert, zumindest in dem normativen Sinn, dass naturalistische Ansichten mit dem vorhandenen wissenschaftlichen Wissen vereinbar sein müssen; aber er muss nicht im engeren Sinn szientistisch sein. Eine allgemeine Gleichsetzung von Naturalismus und Szientismus ist jedenfalls abzulehnen.

Wichtige erkenntnistheoretische Grundsatzfragen betreffen das Verhältnis von Naturalismus und Empirismus sowie das Verhältnis von Naturalismus und Evidenzialismus. Müssen Naturalisten Empiristen oder Evidenzialisten sein, oder dürfen sie Rationalisten oder Fideisten sein?
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Re: Zur Naturalismuskritik

Beitragvon xander1 » Sa 18. Mai 2013, 18:07

Zappa hat geschrieben:Naja, Messgeräte machen sinnlich primär nicht erfahrbare oder nicht so gut erfahrbare Dinge sinnlich erfahrbar. Das Mikroskop macht Eine, die zu klein um sichtbar zu sein, sichtbar. Das Radio kann unhörbare Wellen hörbar machen. Aber immer müssen wir sinnlich erfahren um empirisch etwas zu erlernen. Darauf kam es mir an.


Mit der Argumentation könnten auch Wünschelrutengänger durchgehen oder Menschen die meinen Gott persönlich erfahren zu haben, Menschen die meinen Geister gesehen zu haben.

ujmp hat geschrieben:Du kannst elektromagnetische Wellen direkt sehen, nämlich als Licht und Farben.

Hast du das auch schon herausgefunden? Musstest du nachschauen?
ujmp hat geschrieben:Es ist sogar so, dass du sie indirekt hören, schmecken oder als Temperatur fühlen kannst.

Es kommt immer aufs Maß an und auf die physikalischen Werte, wie Wellenlänge usw.

ujmp hat geschrieben:Physikalische Modelle wie "elektromagnetischen Wellen" wurden aus direkten und indirekten Beobachtungen abgeleited, also aus Sinnesdaten.

Esoterische Modelle oftmals auch.

ujmp hat geschrieben:Die Messgeräte von Scientology mögen durchaus reproduzierbare Daten liefern, nur sind die Schlüsse, die daraus abeleited werden willkürlich.

Das ist einfach nur eine hohle Behauptung. Ich glaube das zwar ähnlich auch, aber trotzdem ist mit diesem Satz gar nichts bewiesen. Mir geht es darum, wo die Grenze zu ziehen ist zwischen Wissenschaft und Esoterik und das kann nicht die Sinneserfahrung sein. Mit deiner Argumentation, dass die Messergebnisse von Scientology nicht zu falschen Schlüssen führen sollen, unterstützt du indirekt meine These, dass man die Grenze nicht bei den Sinneserfahrungen machen kann.

Dass die Sinneswahrnehmung eine Rolle spielt beim Grenze ziehen schließe ich nicht aus.
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Re: Zur Naturalismuskritik

Beitragvon Zappa » Sa 18. Mai 2013, 19:37

xander1 hat geschrieben: Mit der Argumentation könnten auch Wünschelrutengänger durchgehen oder Menschen die meinen Gott persönlich erfahren zu haben, Menschen die meinen Geister gesehen zu haben.

Schlau erkannt! Deswegen ist die Ausformulierung einer stimmigen Erkenntnistheorie auch nicht so ganz trivial :student:
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Re: Zur Naturalismuskritik

Beitragvon Myron » Sa 18. Mai 2013, 21:01

xander1 hat geschrieben:
Zappa hat geschrieben:Die Behauptung, dass es außerhalb der - durch Sinnesorgane wahrnehmbare - Natur etwas existiert ist eine interessante aber letztendlich nicht belegbare Behauptung. Ihr Nutzen ist ideengeschichtlich eher negativ einzustufen, deswegen sollte sie nur mit Vorsicht angewendet werden um unsere Handlungen zu beeinflussen und hier und da ein wenige Sinn zu stiften - wenn es unbedingt sein muss.

SChreibe ich jetzt was dazu? oder nicht? mhhhpfff ok ...
also was ist mit nicht sichtbaren elektromagnetischen Wellen? Mit der Mikroskopischen Welt usw.? Ich finde die Grenzenziehung bezüglich der Wahrheitsfindung bei den Sinnesorganen irgendwie fehl am Platz will ich damit ausdrücken.


In der Diskussion zwischen den wissenschaftlichen Realisten und den wissenschaftlichen Antirealisten kommt es maßgeblich darauf an, wie weit der Begriff der Beobachtbarkeit/Wahrnehmbarkeit gefasst wird:

"x ist beobachtbar/wahrnehmbar"

=def

(Man beachte, dass es zu jeder der folgenden Definitionen zwei Varianten gibt, welche zwischen gegenwärtiger, tatsächlicher und grundsätzlicher Wahrnehmbarkeit differenzieren: Alles gegenwärtig/tatsächlich Wahrnehmbare ist grundsätzlich wahrnehmbar; aber nicht alles gegenwärtig/tatsächlich Unwahrnehmbare ist grundsätzlich unwahrnehmbar.)

1. "x ist direkt und ohne technische Hilfsmittel mittels der Sinnesorgane menschlicher Lebewesen wahrnehmbar"

2. "x ist direkt oder indirekt sowie ohne technische Hilfsmittel mittels der Sinnesorgane menschlicher Lebewesen wahrnehmbar"

3. "x ist direkt sowie mit oder ohne technische Hilfsmittel mittels der Sinnesorgane menschlicher Lebewesen wahrnehmbar"

4. "x ist direkt oder indirekt sowie mit oder ohne technische Hilfsmittel mittels der Sinnesorgane menschlicher Lebewesen wahrnehmbar"

5. "x ist direkt und ohne technische Hilfsmittel mittels der Sinnesorgane menschlicher oder nichtmenschlicher Lebewesen wahrnehmbar"

6. "x ist direkt oder indirekt sowie ohne technische Hilfsmittel mittels der Sinnesorgane menschlicher oder nichtmenschlicher Lebewesen wahrnehmbar"

7. "x ist direkt sowie mit oder ohne technische Hilfsmittel mittels der Sinnesorgane menschlicher oder nichtmenschlicher Lebewesen wahrnehmbar"

8. "x ist direkt oder indirekt sowie mit oder ohne technische Hilfsmittel mittels der Sinnesorgane menschlicher oder nichtmenschlicher Lebewesen wahrnehmbar"
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Re: Zur Naturalismuskritik

Beitragvon ujmp » So 19. Mai 2013, 07:52

xander1 hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Physikalische Modelle wie "elektromagnetischen Wellen" wurden aus direkten und indirekten Beobachtungen abgeleited, also aus Sinnesdaten.

Esoterische Modelle oftmals auch.

Da hast du Recht, sie wurden aber falsch abgeleitet. Nehmen wir mal einen Regenmacher. Er behauptet, sein Tanz sei die Ursache für den nächsten Regen. Was sagt denn dein gesunder Menschenverstand dazu? (Lass ihn ausreden!) Deine Gesellschaft erzieht dich zur Toleranz. Das ist ja sehr nett und richtig. Nur leider ist die Nebenwirkung eine ziemliche Kritiklosigkeit.
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