Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

Beitragvon Vollbreit » So 26. Mai 2013, 11:56

Zappa hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Keinesfalls. Die Akupunktur hat sich als wirksamer als die Schulmedizin erwiesen, bei Rücken und Knie und ich man muss schauen, wer da die Nadel gestochen hat.

Hast Du Belege für diese Behauptung, ich halte Sie nämlich für schlich falsch.

Die Effekte des Pieksens sind recht gering, gegenüber Placebo nachweisbar, aber meines Wissens nach nicht besser als etablierte medizinische Maßnahmen (deinen wissenschaftfeindlichen Kampfbegriff Schulmedizin verwende ich bewusst nicht).


Deutsches Ärzteblatt hat geschrieben:Die vier wichtigsten Ergebnisse der GERAC-Studien in den orthopädischen Indikationen sind:
- Akupunktur ist ein bei chronischen Rücken- oder Knieschmerzen wirksames Verfahren, das zu einer klinisch relevanten Minderung der Schmerzsymptomatik und damit verbundener Begleitsymptomatiken führt.
- Eine an aktuellen Leitlinien orientierte Standardtherapie ist bei Rücken- und Knieschmerzen einer Akupunkturtherapie unterlegen.
- In den Hauptzielkriterien konnte zwischen Verum- und Shamakupunktur kein Unterschied festgestellt werden.
- Randomisierte Studien und Kohortenstudie weisen auf einen Langzeiteffekt der Akupunktur hin, wobei die Ähnlichkeit der Fragebogen-Scores zu den Zeitpunkten drei und sechs Monate zeigt, dass sich die Behandlungsergebnisse in den randomisierten Studien nicht grundsätzlich von denen unterscheiden, die in der Routineversorgung erreicht werden.
http://www.aerzteblatt.de/archiv/54179


Ansonsten:
http://www.gerac.de/de_index_publikationen.htm

Es geschehen noch Zeichen und Wunder. ;-)

Zappa hat geschrieben:Wir reden auch ein wenig aneinander vorbei: Das Setzen von Nadeln scheint einen leichten Effekt, z.B. auf die Schmerzwahrnehmung zu haben, dafür gibt es - dank der wissenschaftlichen Medizin! - Belege. Für das gesamte Theoriegebäude hinter der Akupunktur (Qi und Meridiane) gibt es keinerlei Belege, aber reichlich Daten die das Gegenteil zeigen. Deshalb formulierte ich "Die Akupunktur funktioniert nicht", die A. nehme ich hier als ein Theorem. Da wesentliche Grundannahmen als widerlegt gelten können, kann sie nicht funktionieren. Was funktioniert ist das pieksen mit Nadeln irgendwo hin, das hat aber mit A. im eigentlichen Sinn nichts mehr zu tun.


Da die Wirksamkeit der Akupunktur (vom Pieksen) wissenschaftlich und damit natürlich zweifelsfrei belegt ist, könnten Interessierte ja nun auch erforschen., ob echtes Stechen wirklich keinen Unterschied macht.

Zappa hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben: Zudem vertraue ich ehrlich gesagt, Studien nicht sonderlich.

Ist schon klar, das wäre ja ein rationales Element :mg:

Ich denke wir können das als Dissenz festhalten: Du vertraust eher dem Menschen, ich eher wissenschaftlichen Daten (so fehlbar die auch sein mögen). Kann ich mit leben.


Dann müsstest Du ja streng genommen Deine Einstellung ändern, da Studie vorhanden, groß, wissenschaftlich... Tust Du's?
Das ist ja dann die Nagelprobe für den Rationalisten. Ich bin ja raus aus dem Spiel und hab' Narrenfreiheit. :^^:
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Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

Beitragvon Zappa » So 26. Mai 2013, 13:02

Zunächst, weil es so gut passt: Ben Goldacre im Zeitinterview zur Homöopathie "Wer Zuckerpillen kauft, hat schon aufgegeben": http://www.zeit.de/zeit-wissen/2010/04/ ... mend%22%5D

Zur Nagelprobe für Rationalisten:

Erst einmal ist der Ansatz der Autoren zu dieser Studie zu loben. So versucht man ordentlich Probleme zu lösen.

Man kann - wie Du - sagen, juhu ich habe eine Studie gefunden, die meine Argumente belegen. Ich habe Recht. Akupunktur wirkt! (Man muss da aber ein wenig aufpassen, denn es gibt ähnlich gut gemachte Studien, die das Gegenteil zeigen. Rosinenpicking in großen Literaturdatenbanken machen auch Homöopathen gerne).

Man kann, aber auch die Studie(n) lesen und folgende Schlüsse ziehen:

1. Auch die GERAC Studien haben gezeigt, dass es keinen Unterschied zwischen der Akupunktur und dem Pieksen gibt. Die Autoren sagen selber "Die fehlende Überlegenheit von Verumakupunktur gegenüber Shamakupunktur stellt wesentliche Vorgaben der traditionellen chinesischen Akupunktur infrage."
2. Die Schlußfolgerung der Autoren "Eine an aktuellen Leitlinien orientierte Standardtherapie ist bei Rücken- und Knieschmerzen einer Akupunkturtherapie unterlegen." ist keck und zwar aus folgenden Gründen:
- Die Autoren sagen selber: "Weder nationale noch internationale Leitlinien sprechen Behandlungsempfehlungen aus." Was war dann die Standardtherapie: " ... Kombination von physikalischer Therapie und unterstützender Einnahme nichtsteroidaler Antirheumatika". Wir gehen also davon aus, dass hier eine dreiarmige Studie vorliegt: Verumakupunktur gegen Shamakupunktur gegen Standardtherapie, oder? Dem ist aber nicht so, die Autoren konnten lediglich nachweisen, dass in den Akupunkturgruppen weniger Medikamente eingenommen wurden*. Und der Unterschied war nicht signifikant (jedenfalls steht davon nichts in der von Dir verlinkten Publikation - die Autoren haben ja reichlich publiziert, ein weiterer Kritikpunkt, Stichwort: Vorzeitige Entblindung. Ich will aber nicht rummäkeln).
- Der Vergleich ist natürlich hier nicht doppelblind möglich. Die chronischen Schmerzpatienten wussten natürlich, ob Sie in der Akupunkturgruppe waren oder nicht. Ein Placeboeffekt kann so nicht ausgeschlossen werden.
- Abgesehen davon: Wenn man mit einer Studie vier Fragen beantworten will, muss man das Signifikanzniveau anpassen. Das nur so am Rande.
- Ich halte diese These der Autoren deswegen nicht für belegt!


Das fällt mir so auf Anhieb an Problemen auf, obwohl ich mich mir Akupunktur nicht so intensiv beschäftigt habe. Deswegen lasse ich zum Abschluss "Experten" zu Worte kommen, die in einer großen Metaanalyse (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20091527) zu dem Schluss kommen:

Sham-controlled trials show statistically significant benefits; however, these benefits are small, do not meet our pre-defined thresholds for clinical relevance, and are probably due at least partially to placebo effects from incomplete blinding. Waiting list-controlled trials of acupuncture for peripheral joint osteoarthritis suggest statistically significant and clinically relevant benefits, much of which may be due to expectation or placebo effects.


Sowas kann raus kommen, wenn man sich rational damit beschäftigt :mg:

* In der Migränestudie war diese Bias im Übrigen noch größer, hier haben praktisch alle Patienten in allen Armen Medikamente eingenommen.
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Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

Beitragvon Vollbreit » Mo 27. Mai 2013, 08:18

mat-in hat geschrieben:Es ist ganz klar, daß wir nicht alles wissen.

Die Klimaerwärmung ist ja hier auch nur Randthema und nicht alles zu wissen, ist kein Problem.
Aber nicht alles zu wissen und andere als Volltrottel darzustellen, das ist ein Problem.

mat-in hat geschrieben:Das Problem ist auch eines der Zeit (eine 80 Stunden Woche ist irgend wann zu Ende) und eines des Geldes (ich habe nicht das Gefühl, das mich jemand dafür bezahlen würde schön verständlich Wissenschaft zu erklären) - auch wenn das ohne Zweifel der Wissenschaft an sich nutzen würde.
Es ist nicht das Problem, dass Du Wissenschaft erklären sollst, sondern, dass Naturwissenschaftler erkennen, dass nicht naturwissenschaftliche Ansätze eine Berechtigung (allgemein, über das Thema hinaus) haben und dass die Frage, ob es dafür einen naturwissenschaftlichen Beweis gibt, schon im Kern verfehlt ist.

mat-in hat geschrieben:Ich finde es problematisch, sobald "ein Name drauf steht". Positivbeispiel: Hörsaal grundrenoviert von milliardemschweren Gönner aqus der Industrie, Hörsall weder nach ihm noch nach seiner Firma benannt, sondern nach einem Biologen seiner Wahl. Negativbeispiel: "...und dann erhalten sie 40% Rabatt auf unser Gerät, weil es die Studenten ja auch im Praktikum kennen lernen und die sonst ja nicht mal unseren Namen kennen.". Das finde ich die gerade noch vertretbare Grenze. Alles was darüber hinaus geht Stiftungsprofessuren (bei denen die Kirche, die Firma, etc. ein Mitspracherecht bei der besetzung hat) beispielsweise sind da sehr kritisch zu sehen. Aber sag deiner Unileitung mal, sie soll "nein zu dem Geld sagen". :lachtot:
Schon klar, in anderen Institutionen sieht es ja nicht anders aus. Er erscheint ja wirklich fast lächerlich sich vorzustellen, dass es anders laufen könnte. Dennoch, oder gerade deshalb kommt es zu Interessenkollisionen und es wird eben nach geforscht und das unterdrückt, was der Geldgeber nutzt. Gar nicht mal aggressiv, ganz organisch.

mat-in hat geschrieben:Danke für den Link!

Gern und das ist ja nur eine Stimme, es gibt ganze Bücher über so etwas. Manche erkennbar reißerisch ohne jeden Wert, aber es gibt eben auch Leute, die wissen, wovon sie erzählen. Da läuft alles in allem so viel schief, dass ich das Theater nicht verstehe, was gemacht wird, wenn man gegen Alternativmedizin vorgeht und dabei offenbar aus Unkenntnis oder Ideologie die Verhältnisse verzerrt. Fangen wir doch mal bei dem Medizinsystem an, dem wir uns alle nicht entziehen können. Zu den Zuckerkügelchen muss niemand greifen.



Selbst da kann ich sauer werden. Lass sie doch forschen, vermutlich wird nicht jedes Projekt eine Erforschung Außerirdischer sein. Warum sollen denn immer nur die ausgewiesenen Skeptiker über Alternativmedizin forschen dürfen. Wenn das Argument ist, dass die ja nicht neutral sein können, warum lässt man dann Leute von GWUP Bücher über Alternativmedizin schreiben, die unter Stiftung Warentest erscheinen? Weil die so weltanschaulich neutral sind? Klar, so neutral, wie ein Buch über Homosexualität von der katholischen Kirche.
Hast Du Dir mal Doktorarbeiten im Rahmen der Medizin angeschaut? Da donnert man ein paar Statistiken zusammen oder schreibt etwas über die Geschichte des Roten Kreuzes in Kassel, das braucht kein Mensch und wird nie wieder gelesen.

mat-in hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Niemand hindert einen daran, neue Theorien zu entwerfen.
Genau das meinte ich. Das ganze rational angehen und nachschauen was dahinter steckt ist der richtige Weg. Unreflektiert und ohne ein Wort der Wahnung TCM als Wahlfach im Medizinstudium anzubieten ist falsch...
Warum? Nur weil man im schlimmsten Fall man eine anderes Denksystem kennenlernt und es auch noch verstehen könnte? Würde ich als Bereicherung ansehen.

mat-in hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Okay, hier unterscheiden wir uns. Mich interessiert weniger, was irgendwelche Leute in irgendwelchen Studien für Fehler machen, sondern ob mir oder meinem Umfeld mit etwas geholfen werden kann. Ich habe da nun mal eigene Erfahrungen gesammelt und mir ist durchaus auch das eine oder andere Konzept vom guten Glauben, Selbstsuggestion und so weiter bekannt.
So sehr unterscheiden wir uns hier nicht. Placebo und "positive Einstellung" als Behandlungsergänzung? Liebend gerne, es funktioniert ja.
Richtig.

mat-in hat geschrieben:Es funktioniert auch "in der Schulmedizin", also können wir Steiner, Hahnemann und Co vor der Tür lassen. Der eso-überbau des ganzen richtet enormen Schaden in anderen bereichen an, wenn z.B. die Frau in der Apotheke vor mir für ihren Enkel mit hoch Fieber und Eitriger Halsentzündung entgegen des Rates des Apothekers sofort zum Arzt zu gehen "erst mal was Homöopathisches" verlangt.
Klar, mit 41° Fieber und drohendem Herzschaden sicher eine zweifelhafte Geschichte, aber wie sieht denn die Realität aus? Die Realität zeigt, dass es immer mehr multiresistente Keime gibt und eine Ursache ist, dass z.B. gerade bei Halsentzündungen erst mal Schmerzmittel angezeigt sind, die gut und sicher wirken, aber alle Welt immer meint, es käme sofort zur Menningitis oder Herzmuskelentzünung und so wird alles mit flächendeckender Antibiose zugedonnert.
Ein weiterer Punkt ist der unsachgemäße Gebrauch der Antibiotika und die Tatsache, dass die meisten Patienten ihren MRSA Keim schon mitbringen, über Hähnchenfleisch oder wie auch immer, die Zusammenhänge kennst Du ja.
Wir leiden – und leiden wirklich daran – unter Überdiagnostik, Übertherapie und Überoperation. Sinnlos, dumm, teuer und zuweilen tödlich. Wenn man reduzierten Immunlage ins Krankenhaus kommt und einen Port oder ZVK bekommt, da würde mir aber, wegen einer drohenden Sepsis, eher Schweiß auf die Stirn treten, als wenn der Enkel man auffiebert, das ist nämlich durchaus normal und gesund bei Kindern. Man sollte nicht leichtsinnig sein, aber auch nicht verrückt.

Vollbreit hat geschrieben:M.E. muss man sich mit einem kritischen Bewusstsein durchaus fragen, was es für Erklärungen jenseits z.B. der Homöopathie geben kann, aber wenn man dann überhäufig Heilungen/Linderungen im zeitlichen Zusammenhang mit einer Mittelgabe beobachtet, kann man zwar prinzipiell in jedem Einzelfall eine andere Erklärung finden, aber ist das wirklich noch rational?
Diese Sichtweise finde ich prinzipiell Problematisch. Statistisch beginnen 30% aller (mechanischen) Uhren die ohne Funktion in der Schublade liegen beim in die Hand nehmen für kurze Zeit wieder zu laufen. ...[/quote]Ich rede aber nicht von Uhren, sondern von Mensch und Tier.
Das ist eine immer etwas andere Variante eines Arguments, was ausformuliert heißt: Du bist blöd oder ideologisch vernagelt und erkennst die Zusammenhänge nicht.
Immer wird angedeutet, dass es Fehlwahrnehmungen gibt und da man ja vorher schon zu wissen meint, dass jeder der von einer Heilung durch Stich, Kügelchen oder Handauflegen zu berichten weiß, sich irren muss. Ab da, wird nur noch der „Fehler“ gesucht. Schon die Frage: Interessant, was genau hast du denn erlebt, wird nie gestellt.
Auffallend häufig wird sogar von Naturalisten, die es mit dem Unbewussten per ideologischem Beschluss nicht so haben, just an dieser Stelle das Unbewusste bemüht. Selbsterfüllende Prophezeiung, Suggestion oder sogar Realitätsverlust werden da angeführt, Letzteres ist eine ernstzunehmende psychiatrischen Diagnose.

mat-in hat geschrieben:Folgende homöopathische Mittel werden gegen Schlafstörungen angewendet:...
Nein, das ist so nicht richtig. Die Homöopathie behandelt im Idealfall immer den Einzelfall und sucht das Mittel, was im Arzneimittelbild der Gesamtzahl der Symptome des Patienten am nächsten kommt. Das könnte auch ein ganz anderes Mittel sein oder es kann sein, dass die 10 dieser Mittel zusammenschüttest und nicht müde wirst. Kann auch sein, dass das eine, sorgfältig gewählte Mittel nicht wirkt, kann man ja dann schauen, aber zu sagen, ich nehme jetzt mal Belladonna, das hilft gegen Schlaflosigkeit ist keine Homöopahtie.

mat-in hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Ich bin mir sicher, daß man alle davon in enormen Mengen und gleichzeitig einnehmen kann, ohne Müde zu werden (es sei denn es sind sehr viele Flaschen und die sind schwer aufzuschrauben).
Das stimmt, oder wenn Du die Kügelchen zählen musst. :-)
oh weia... das hatte ich übersehen ;)
:-)

Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:...erinnern mich jetzt an Täubchen die sich in der Skinner-Box im Kreis drehen für Futter und wenn man ihnen die Uhr zeigt, die alle 10 Minuten unabhängig vom kreisdrehen ein Stück Futter auswirft fangen sie einfach an, sich schneller zu drehen... denn es gibt ja ab und an Futter, das muß einfach mit Kreisdrehen zu tun haben, da sollte man sich nicht die Zeit nehmen, sich von so einer blöden Zeitschaltuhr ablenken zu lassen...
Aber wo ist die Belohnung bei dem Vergleich. Dass die Leute von den Kügelchen gesund werden, kann ja angeblich nicht sein.
Es handelt sich - über den Placeboeffekt hinaus - um eine ganz klassische Scheinkorrelation. Das im Kreis drehen sind die Kügelchen, das gesund werden die Belohnung.[/quote]Ich halte die Analogie für eher unpassend, denn alle Tauben bekamen ja Futter, aber ich weiß, worauf Du hinauswillst.

mat-in hat geschrieben:Bei Metastasen von schwarzem Hautkrebs liegt die Spontanremission (auch ohne Behandlung) etwa bei 1:400. Wenn du 1200 Patienten in einen Konzertsaal bringst, bin ich zuversichtlich, so eine Heilung bei 1-3 Patienten durch Besingen mit Euklidschen Geometrieformeln und abschließendem abrasseln der Metastasen durch die Betroffenen selbst zu heilen. Wer heilt hat Recht? Singen und Rasseln gegen Krebs? Können wir es - nur weil wir es nicht erklären können - verantworten den Leuten das singen und rasseln vor zu enthalten?
Nein, aber es wäre dich interessant, auch im wissenschaftlichen Rahmen, herauszufinden – es passiert ja heute mehr als früher – wie es zu Spontanremissionen kommt. Es gibt da ja Ansätze und wenn es nach mir geht, sollte man da die ganze Palette nehmen. Von high tech bis zum archaischen Heilungsritualen.
Ich beschäftige mich ja tendenziell eher mit der psychischen Seite und m.E. braucht ein schwerkranker Patient auch für sich eine Begründung, warum er leben darf.
Interessant ist doch die Tatsache, dass Menschen eine durchmetastasierte Lunge haben oder ein schweres Pankreas-Ca und den Quatsch dennoch – wider alle Prognosen und Wahrscheinlichkeiten – überleben. Forschungen an Mäusen haben anscheinend ergeben, dass es dem Immunsystem in einigen Fällen noch einmal gelingt, sich aufzubäumen, das ist da wohl ein genetischer Faktor gewesen. Auch eine Streptokokken-Entzündung hat eine Korrelation mit einem noch mal sich aufbäumenden Immunsystem. Mit Sicherheit ist da auf jeder Ebene was zu holen, d.h. genetisch, immunologisch, psychosomatisch. Der Patient muss m.E. erst einmal wieder für sich einen Grund finden, warum er meint, dass er leben darf.
Denn bei der Diagnose Krebs, hat man sehr oft noch das Muster des weiteren Weges im Kopf, an dessen Ende der Tod steht. Das zu knacken ist nicht unwichtig und wie das zu machen ist, ist eine Einzelfallfrage.
Aber das sind streng genommen zwei Paar Schuhe. Die eine Geschichte ist der medizinische Goldstandard, die andere Geschichte heißt: Was tun wir, wenn das alles nichts hilft?
Wenn jemand kein großes Interesse mehr am Leben hat ist das etwas anderes, als wenn jemand unbedingt leben will.
Hier finde ich z.B. eine unideologische Zusammenarbeit der Disziplinen sehr interessant.

mat-in hat geschrieben:Bei anderen Krankheiten wird das noch viel häufiger Auftreten, Erkältungen beispielsweise. Die Leute haben positive Erlebnisse bei der Behandlung und führen die auf die Homöopatische Behandlung zurück. Dann macht man eine Klinische Studie und stellt fest, das Homöopathie die Abheilung einer typischen Erkältung von 14 Tagen auf nur zwei Wochen reduziert. Damit konfrontiert ignorieren die Leute den Befund, denn "beim letzten Mal hat es doch auch geholfen" und drehen sich munter weiter im Kreis für Futter ... äh... Heilung.


Man weiß aber ganz gut, dass bei Erkältungen ohnehin nichts hilft, ebenso wie bei manchen anderen Erkrankungen. Aber ich halte es für grob fahrlässig, so zu tun, als würde jede Krankheit von selbst verschwinden, ich gehe bei der Antwort an Zappa noch darauf ein, denn er hat so einen Vogel verlinkt, der genau das behauptet.
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Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

Beitragvon Vollbreit » Mo 27. Mai 2013, 09:15

Ben Goldrace, der sein neues Buch vermarkten möchte hat geschrieben:Weil die Gegenseite, oberflächlich gesehen, plausiblere Argumente hat, die man glaubt, wenn man einen Teil des Gehirns abschaltet. Es gibt eine lange Liste von Menschen, die einen in der Medizin in die Irre führen können. Ganz oben steht man selbst. Ärzte wissen das. Alles wird von alleine besser, ob Rückenschmerzen oder eine Erkältung. Wenn man aber Homöopathika gibt, glaubt der Patient, diese seien für die Besserung verantwortlich.
Quelle: der von Zappa verlinkte Artikel


Finde ich schon krass, dass sich jemand hinstellt und behauptet, alles würde von alleine besser. Meint er nun wirklich alles, oder meint er Erkältung und Rückenschmerzen? Wenn er alles meint, hat er wohl im Studium nicht so richtig aufgepasst.
Frage mich auch, wie wohl die Kommentare lauten würden, wenn diese Äußerung von Pauline Esofee vom Licht und Liebe Heilzentrum getätigt worden wäre. Eine gefährliche Irre, der sofort das Handwerk gelegt gehört?

Zappa hat geschrieben:Zur Nagelprobe für Rationalisten:

Erst einmal ist der Ansatz der Autoren zu dieser Studie zu loben. So versucht man ordentlich Probleme zu lösen.

Man kann - wie Du - sagen, juhu ich habe eine Studie gefunden, die meine Argumente belegen. Ich habe Recht. Akupunktur wirkt! (Man muss da aber ein wenig aufpassen, denn es gibt ähnlich gut gemachte Studien, die das Gegenteil zeigen. Rosinenpicking in großen Literaturdatenbanken machen auch Homöopathen gerne).


Ja, ich habe Recht. Akupunktur wirkt! Mit Rosinenpickeing hat das wenig zu tun, es ist einfach die größte Studie zu dem Thema.

Zappa hat geschrieben:Man kann, aber auch die Studie(n) lesen und folgende Schlüsse ziehen:

1. Auch die GERAC Studien haben gezeigt, dass es keinen Unterschied zwischen der Akupunktur und dem Pieksen gibt. Die Autoren sagen selber "Die fehlende Überlegenheit von Verumakupunktur gegenüber Shamakupunktur stellt wesentliche Vorgaben der traditionellen chinesischen Akupunktur infrage."
2. Die Schlußfolgerung der Autoren "Eine an aktuellen Leitlinien orientierte Standardtherapie ist bei Rücken- und Knieschmerzen einer Akupunkturtherapie unterlegen." ist keck und zwar aus folgenden Gründen:
- Die Autoren sagen selber: "Weder nationale noch internationale Leitlinien sprechen Behandlungsempfehlungen aus." Was war dann die Standardtherapie: " ... Kombination von physikalischer Therapie und unterstützender Einnahme nichtsteroidaler Antirheumatika". Wir gehen also davon aus, dass hier eine dreiarmige Studie vorliegt: Verumakupunktur gegen Shamakupunktur gegen Standardtherapie, oder? Dem ist aber nicht so, die Autoren konnten lediglich nachweisen, dass in den Akupunkturgruppen weniger Medikamente eingenommen wurden*. Und der Unterschied war nicht signifikant (jedenfalls steht davon nichts in der von Dir verlinkten Publikation - die Autoren haben ja reichlich publiziert, ein weiterer Kritikpunkt, Stichwort: Vorzeitige Entblindung. Ich will aber nicht rummäkeln).
- Der Vergleich ist natürlich hier nicht doppelblind möglich. Die chronischen Schmerzpatienten wussten natürlich, ob Sie in der Akupunkturgruppe waren oder nicht. Ein Placeboeffekt kann so nicht ausgeschlossen werden.
- Abgesehen davon: Wenn man mit einer Studie vier Fragen beantworten will, muss man das Signifikanzniveau anpassen. Das nur so am Rande.
- Ich halte diese These der Autoren deswegen nicht für belegt!


Das fällt mir so auf Anhieb an Problemen auf, obwohl ich mich mir Akupunktur nicht so intensiv beschäftigt habe.


Ich dachte mir ja schon, dass das was in Deiner Welt eben noch als Beweis galt, nicht mehr anerkannt wird, wenn es nicht zur dezidierten Meinung passt. Da werden dann die Fakten schnell mal dem Weltbild angepasst, damit wieder alles stimmt. Das ist das Schöne an der Rationalität, jeder kann sie sich so hinbiegen, wie er sie braucht und sich immer noch klug fühlen.

Aber mal zum Inhalt.
Lassen wir mal gelten dass keine Standardtherapie vorgeschlagen ist, was haben denn die Ärzte wohl gemacht? Ausgepeitscht? Nein, sie haben das gemacht, was sie immer machen.
Deine Schwierigkeit ist nun, dass Du – das war auch der Notausgang der Interpreten, die wie wahre Sensation der Studie nicht so gerne sehen wollten – nun argumentieren möchtest, dass Akupunktur nur einen Placeboeffekt auslöst. Dummerweise müsstest Du dann erklären, warum die normale Behandlung keinen Placeboeffekt auslöst (was ganz und gar unwahrscheinlich ist) und noch viele brisanter, müsstest Du erklären, warum die Kombination von Standardtherapie (was auch immer im Einzelfal gemacht wurde) und Placeboeeffekt, so viel schlechter ausgefallen ist, als der (vermeintlich) alleinige Placeboeffekt der Akupkuntur.
Erklärungen könnten sein:
Die Schulmedizin wirkt nicht nur nicht, sondern verhindert eine Heilung sogar.
Der Placeboeffekt allein ist stärker, als der Placeboeffekt plus Schulmedizin.
Schulmedizin verhindert Placeboeffekt.
Man kann die Reihe beliebig fortsetzen oder auch zu dem Schluss kommen, dass die Akupunktur wirkt.


Zappa hat geschrieben:Deswegen lasse ich zum Abschluss "Experten" zu Worte kommen, die in einer großen Metaanalyse (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20091527) zu dem Schluss kommen:

Sham-controlled trials show statistically significant benefits; however, these benefits are small, do not meet our pre-defined thresholds for clinical relevance, and are probably due at least partially to placebo effects from incomplete blinding. Waiting list-controlled trials of acupuncture for peripheral joint osteoarthritis suggest statistically significant and clinically relevant benefits, much of which may be due to expectation or placebo effects.


Sowas kann raus kommen, wenn man sich rational damit beschäftigt :mg:


In der zitierten Studie sind die Effekte aber nicht small, sondern big. Sie wurde auch von Experten durchgeführt, die Gerüchten zufolge recht entsetzt waren, weil sie eigentlich beweisen wollten, dass die Akupunktur für die Tonne ist.[/quote]

Also, umso schlimmer für die Wirklichkeit?
Aber jeder ist natürlich frei, sich die Studien zu suchen, sie ihm gefallen, zum Glück gibt es da ja was für jeden Geschmack.
Ein weiteres nettes Thema sind die - natürlich nach streng wissenschaftlichen Kriterein agierenden :lachtot: - Zertifikationsfirmen, die dann entweder die Güte von Implantaten überwachen oder anhand von Standards bestimmte Qualifikationen verteilen. Eine Welt für sich. Frag mal die, die solche Umfragen durchführen. Versuch mal herauszufinden, zu wem diese unabhängigen Firmen gehören.
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Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

Beitragvon Nanna » Mo 27. Mai 2013, 17:57

Sorry, wenn ich so dreist bin, aber: Wie funktionieren Homöopathie und TCM denn dann - wenn sie's ja angeblich tun?

Wer heilt hat recht? Strom kommt aus der Steckdose? Milch kommt aus dem Supermarkt? Sind wir mit diesem Level an Erklärungen echt zufrieden, solange unser Leben ungestört verläuft? Und ist/wäre das so ok?
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Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

Beitragvon ujmp » Mo 27. Mai 2013, 19:31



Ob man an Akupuntur glaubt oder nicht - auf jedenfall sehenswert! Ab etwa 35. Minute besprechen sie eine Untersuchung, die für bestimmte Krankheiten Wirksamkeit nachgewiesen haben soll.
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Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

Beitragvon Vollbreit » Mo 27. Mai 2013, 20:17

Ich habe von TCM wenig bis keine Ahnung. TCM ist vor allem wohl nicht traditionell, das ist eine Erfindung des Westens, soweit ich weiß.
Ansonsten ist das ein Sammelsurium unterschiedlicher Ansätze, von denen die Akupunktur nur ein Teil ist, überwiegend geht es um diverse Medikamente, die mehr oder minder den chinesischen Urprinzipienlehren (die fünf Elemente) zuzuordnen sind, auch Diät- und Bewegungsmaßnahmen.

Bei der Homöopathie finde ich diese Wassergedächtnisargumente wenig überzeugend, weil es ja auch Tabletten und Verreibungen gibt. Ich halte die Informationsidee für die beste, Hahnemann selbst spricht von einer „geistartigen, dynamischen Kraft“, was ungefähr auf das hinauslaufen könnte. Einige haben es so gedeutet, dass die Homöopathie fehlende Prinzipien ersetzen kann und dass es das sei, was heilt. (Nicht unähnlich der Idee der Jungschen Archetypenlehre, die wir ja hier schon mal, im Psychkontext, unter Lumens Regie diskutiert haben.) Das ist mit der Informationsidee kompatibel aber mit sind wir tief im ideologischen Sumpf, der aber den homöopathischen Ansatz befähigt, über die Homöopathie hinaus ein alternativer Ansatz zur Heilung zu sein. Letzten Endes, mit der Möglichkeit zu eigenen Anmerkungen, würde ich dem wohl am ehesten zustimmen, aber ich glaube ehrlich gesagt, dass es nichts bringt, das zu diskutieren.

So würde ich mich auch bei der Homöopathie auf ein keine Ahnung hinausretten (aber muss ich das erklären können?) und weiter auf der allgemein zugänglichen m.E. rationalen Ebene argumentieren.
Was mich wundert, ist die Selbstverständlichkeit, mit der unterstellt wird, jeder der sich für Homöopathie oder Alternativmedizin interessiert, sei unkritisch oder von Hause aus schwer ideologisch vorbelastet.

Gerade wenn man mit diesen Mittel experimentiert ist man ja, da Homöopathie eben nicht als Normalfall angesehen wird, meist selbst sehr im Zweifel, ob es denn wirklich das Mittel war oder nicht doch ein Zufall oder Placebo oder oder oder. Also alles das, was angeblich nicht passiert habe ich zumindest genau so empfunden und ich war nicht der einzige. Ich finde die Homöopathie ist eine erhebliche ideologischen Herausforderung und neben allen Zweifeln, ob man den Mist nun glaubt oder nicht, finde ich, hat die Praxis das erste und letzte Wort. Wer heilt hat Recht, würde ich also in jedem Fall unterschreiben, das liegt für mich allerdings nicht in einer Güteklasse mit Milch aus dem Kühlschrank und Strom aus der Steckdose.
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Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

Beitragvon Zappa » Mo 27. Mai 2013, 20:23

Ist schon spannend, wie Du nur verstehst, was Du verstehen willst.

Vollbreit hat geschrieben: Lassen wir mal gelten dass keine Standardtherapie vorgeschlagen ist, was haben denn die Ärzte wohl gemacht? Ausgepeitscht? Nein, sie haben das gemacht, was sie immer machen.

Du hast die Schlußfolgerung dick markiert und offenbar für bare Münze genommen, dass A. in dieser Studie besser als Standardtherapie war. Das habe ich Dir widerlegt!

Wenn in allen drei Armen neben der A. auch medikamentös behandelt wurde, kann das Ergebnis der Studie gar nicht die These belegen (mal abgesehen von dem anzupassenden Signifikanzniveau). Und es ist ehrlich gesagt auch schon ein bisschen dämlich die aufzustellen, damit rennen die Autoren doch bei allen, die ein wenig von Studiendesign verstehen, ins offene Messer (und ehrlich gesagt verstehe ich auch nicht, wie die Reviewer dies bei der endgültigen Publikation durchgehen ließen, das Ärzteblatt ist ja eh non peer review).

Vollbreit hat geschrieben:Dummerweise müsstest Du dann erklären, warum die normale Behandlung keinen Placeboeffekt auslöst (was ganz und gar unwahrscheinlich ist) ...

Das ist sogar ausgesprochen wahrscheinlich! Denn die Studie ist logischerweise nicht doppelblind, der Pat. weiß also ob er A. bekommt oder nicht. Dann kann man davon ausgehen, dass Pat., die sich einer A. unterziehen dazu eine gewisse Affinität haben. Und dann ist ein weiter Beleg für einen Placeboeffekt, dass der Effekt sowohl in der Verumgruppe, als auch in der Shamgruppe gleich groß war. Wir haben hier einen klassischen Placeboeffekt, aber sowas von!

Deine anderen Schlussfolgerungen/Thesen sind absurd. Du unterstellst nämlich fälschlich, dass der Placeboeffekt immer da ist und immer gleich groß ist. Das ist aber nachgewiesen nicht der Fall! Rote Kapseln mit Placebo wirken z.B. stärker als grüne, haben aber auch mehr Nebenwirkungen. I.v. Placebo wirken besser als orale, 2 Tabletten Placebo besser als eine etc. pp. Es ist also bei dem Studiendesign überhaupt nicht verwunderlich, wenn der A. gewogene Patienten, die leider nur mit (wirksamen!) Tabletten behandelt werden, anstatt mit Tabletten und großem Akupunkturgedöns, aufgrund des Placeboeffektes nach Piksen (und zusätzlich Standardtherapie) besser abschneiden.

Was man positiv schlußfolgern kann ist allerdings, dass die A. offenbar keinen Noceboeffekt hat. Das ist schon mal was, aber ob das rechtfertigt das Verfahren auf Kosten der Allgemeinheit zu bezahlen halte ich für fraglich. Was man auf jeden Fall schleunig abschaffen sollte, ist das der Quatsch mit den Meridianen immer noch in offiziellen Prüfungen der Ärztekammern in Prüfungen verlangt wird. Lasst alle Leute ohne Ausbildung und Prüfung mit Nädelchen auf beliebige Punkte der Menschen los, dass wäre auch eine mögliche Schlußfolgerung aus der Studie.

Frage: Hast Du die von mir verlinkte Metaanalyse gelesen? Wenn ja, verstehe ich deine Fragen nicht.

Diese zusammenfassende Analyse aller bislang vorliegenden (englischsprachig publizierten) Studien zur A. bei Knieschmerzen erbrachte allenfalls einen minimalen Effekt*, der noch dazu wahrscheinlich auf dem Placeboeffekt beruht. Die Studie fasst die Daten von 16 Studien mit fast 3500 Patienten zusammen, deine "Sensationstudie" war im Übrigen auch darunter. Außerdem sind die Autoren wie ich der Meinung, dass der marginale Unterschied aufgrund der Studiendesigns sehr gut bis wahrscheinlich auf dem Placeboeffekt beruht! Hinzu kommt, dass die Autoren keine Hardcore-Schulmediziner sind, sondern viel aus "Integrativen" oder "Komplementären" Abteilungen kommen, also sicher die Datenlage objektiv beurteilen können oder allenfalls - wenn überhaupt und das wäre eine Unterstellung - beschönigen.

Das ist im Moment die wissenschaftliche Evidenz. Alles andere Wunschdenken oder Rosinenpicken.

* Der maximale Effekt (nach 8 Wochen) war eine Reduktion der Schmerzen um 0,9 Punkte auf einer 20 Punkte Skala und eine Verbesserung der Funktion um 2,7 Punkte auf einer 68 Punktskala. Die Autoren werteten diesen Unterschied als marginal bzw. klinisch irrelevant.
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Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

Beitragvon Zappa » Mo 27. Mai 2013, 20:28

Vollbreit hat geschrieben: TCM ist ... ein Sammelsurium unterschiedlicher Ansätze ... überwiegend geht es um diverse Medikamente, die mehr oder minder den chinesischen Urprinzipienlehren (die fünf Elemente) zuzuordnen sind ...

Von wissenschaftlich geschulten Ärzten, ob der Neigung der Chinesen zu etwas abgefahrenen "Medikamenten", auch gerne als Drecksapotheke verspottet :mg:
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Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

Beitragvon Nanna » Mo 27. Mai 2013, 21:00

@Vollbreit:
Finde ich jetzt nur in Maßen überzeugend. Da könntest/solltest du ein stärkeres, mithin auch gehaltvolleres, Plädoyer abliefern, finde ich.

Die Physiker, Chemiker und Biologen kriegen halt nachweisbare, reproduzierbare Ergebnisse hin und meist sind das auch Sachen, deren Effekt wirklich stark ist. Homöopathie erscheint mir ein bisschen wie die Geschichte mit den Gebetsstudien. Man verhandelt ohne Ende, ob eine minimale statistische Fluktuation, unter oder sehr, sehr nahe an der Fehlertoleranz, ein Beweis für die Wirksamkeit von Gebeten sei und vergisst dabei, dass das ein recht klägliches Zufriedengeben ist. Da ist doch die Perspektive verrrutscht. "Hach, der Junge hat mit zehn jetzt angefangen, Messer und Gabel zu benutzen, der wird später sicher mal Botschafter und der Star jedes Festbanketts, Schatz." Verzeih den Sarkasmus, aber wer damit nicht zufrieden ist, ist von Hybris noch recht weit entfernt, glaube ich.

Vollbreit hat geschrieben:Ich halte die Informationsidee für die beste, Hahnemann selbst spricht von einer „geistartigen, dynamischen Kraft“, was ungefähr auf das hinauslaufen könnte.

Bitte was?
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Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

Beitragvon mat-in » Di 28. Mai 2013, 06:55

Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Es ist ganz klar, daß wir nicht alles wissen.

Die Klimaerwärmung ist ja hier auch nur Randthema und nicht alles zu wissen, ist kein Problem.
Aber nicht alles zu wissen und andere als Volltrottel darzustellen, das ist ein Problem.
Es kommt drauf an, um wen es sich handelt. Jemand der nur bestehende Einzellücken in einer Theorie aufzeigt (oder meint aufzuzeigen weil er sich nicht richtig damit beschäftigt hat) und dann aufbauend auf diesen Lücken eine Theorie mit Außerirdischen zusammenspinnt, die zwar (auf bizarr komplizierte Art und Weise) einen Teil der Lücken erklären könnte, aber den Rest der Phänomene nicht erklärt... der spinnt unter Umständen gewaltig. Kreationismus ist so eine Idee. Die Homöopathie ist so eine Idee, geht aber noch eine Stufe weiter. Die erklärt nicht wie Wasser sich etwas merkt. Sie erklärt nicht, wie Wasser weiß, was es sich merken soll und was nicht (Stichwort Verunreinigungen in Reinstwasser, etc.). Sie erklärt nicht, wie die Angeblich umgekehrte Wirkung überhaupt erzeugt wird. Und am Ende - und das ist für mich der allerwichtigste Punkt - ist diese Wirkung nicht mal nachweisbar vorhanden. Da sind wir wieder bei Hogwarts an der Oder. Wenn man nicht untersucht, ob etwas einen Effekt hat, sondern vorbeschlossen zeigen will, das etwas einen Effekt hat ist das ... nicht Wissenschaft und gehört auch nicht an eine Hochschule. Akupunktur ist bei wenigen Anwendungen irgend wie nützlich? O.K. einen Schritt zurück gehen, rausfinden wo genau, wie genau, warum. Aber doch bitte nicht ein 1800 Jahre altes Theoriegebäude und alle anderen TCM Methoden gleich unreflektiert mit übernehmen???
Vollbreit hat geschrieben:Hast Du Dir mal Doktorarbeiten im Rahmen der Medizin angeschaut? Da donnert man ein paar Statistiken zusammen oder schreibt etwas über die Geschichte des Roten Kreuzes in Kassel, das braucht kein Mensch und wird nie wieder gelesen.
Nicht nur angeschaut... ja, das ist ein Witz, für was da ein Titel verliehen wird, wenn man es z.B. mit Naturwissenschaften vergleicht. Dafür ist zum Ausgleich das Ansehen dann wenigstens Umgekehrt... man man man. Aber die wenigsten Mediziner würden da von einer Forschungsarbeit reden...

Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Niemand hindert einen daran, neue Theorien zu entwerfen.
Genau das meinte ich. Das ganze rational angehen und nachschauen was dahinter steckt ist der richtige Weg. Unreflektiert und ohne ein Wort der Wahnung TCM als Wahlfach im Medizinstudium anzubieten ist falsch...
Warum? Nur weil man im schlimmsten Fall man eine anderes Denksystem kennenlernt und es auch noch verstehen könnte? Würde ich als Bereicherung ansehen. [/quote}Dann soll man es bitte im Philosophieseminar kennenlernen oder als das kennzeichnen was es ist. Der normale Mediziner lernt das auswendig und nimmt es danach für bare Münze. Todesfälle durch "Alternativmedizinische Behandlung wo Wirksame Medizin angesagt gewesen wäre" sind ja einige dokumentiert und ich fürchte da wird zu statt abnehmen. Die Leute scheine so was ja zu wollen und der Hausarzt ist am Ende auch nur Dienstleister...
Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Folgende homöopathische Mittel werden gegen Schlafstörungen angewendet:...
Nein, das ist so nicht richtig. Die Homöopathie behandelt im Idealfall immer den Einzelfall und sucht das Mittel, was im Arzneimittelbild der Gesamtzahl der Symptome des Patienten am nächsten kommt. Das könnte auch ein ganz anderes Mittel sein oder es kann sein, dass die 10 dieser Mittel zusammenschüttest und nicht müde wirst. Kann auch sein, dass das eine, sorgfältig gewählte Mittel nicht wirkt, kann man ja dann schauen, aber zu sagen, ich nehme jetzt mal Belladonna, das hilft gegen Schlaflosigkeit ist keine Homöopahtie.
Ja, das wirkt weil die Gifte in der Pflanze in geringen Mengen... und nicht weil die Anziehungskraft des Mondes und das Gedächtniss des Wassers dabei helfen wenn schon kein Wirkstoff mehr drin ist. Das hat hier ja niemand bezweifelt. Siehe Weidenrinde...

Was die spontanen Remissionen angeht, und die Scheinkorrelationen und ... (keine Lust mehr auf Zitatmarathon), sage ich ja nicht, man soll sich das nicht alles anschauen. Man muß es jedoch gründlich anschauen und wissenschaftlich anschauen. Wir unterliegen im Alltag so vielen Fehleinschätzungen, wir haben in solchen Dingen gar keine Möglichkeit, es sinnvoll anders anzuschauen. Wenn wir jeder Tendenz hinterher rennen, schlachten wir bald wieder Tiere um in den Eingeweiden die Psychischen Erkrankungen der Besitzer zu erkennen und - indem wir die rausschneiden und verbrennen - das ganze gleich zu behandeln. Hat ja hier und da funktioniert. Regentänze auch. Also, auf gehts...

P.S.: TCM steht für mich auf einer Stufe mit TEM. Das wird hier nur genutzt weil es "neu und anders" ist. Ob man den Chinesen die von der Schulmedizin in China enttäuscht sind TEM verkaufen kann? Aderlass gegen Kurzatmigkeit, Desinfektion mit Rosenwasser, Wundbehandlung mit Salz, Honig, Hundehirn?
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Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

Beitragvon Vollbreit » Di 28. Mai 2013, 08:58

Zappa hat geschrieben:Du hast die Schlußfolgerung dick markiert und offenbar für bare Münze genommen, dass A. in dieser Studie besser als Standardtherapie war. Das habe ich Dir widerlegt!


Ganz ironiefrei gemeint, kannst Du das ja hier mal anbringen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Akupunktur ... ur-Studien



Zappa hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Dummerweise müsstest Du dann erklären, warum die normale Behandlung keinen Placeboeffekt auslöst (was ganz und gar unwahrscheinlich ist) ...

Das ist sogar ausgesprochen wahrscheinlich! Denn die Studie ist logischerweise nicht doppelblind, der Pat. weiß also ob er A. bekommt oder nicht. Dann kann man davon ausgehen, dass Pat., die sich einer A. unterziehen dazu eine gewisse Affinität haben.


„Kein Patient durfte indikationsbezogene Akupunkturvorerfahrung haben“ (aus der Studie). Ob die Patienten eine Neigung zur Akupunktur haben, ist Spekulation.


Zappa hat geschrieben:Und dann ist ein weiter Beleg für einen Placeboeffekt, dass der Effekt sowohl in der Verumgruppe, als auch in der Shamgruppe gleich groß war. Wir haben hier einen klassischen Placeboeffekt, aber sowas von!


Wie war das mit dem erstaunlich, dass man nur liest, was man lesen will?
Meine Frage war, warum die 08/15 Behandlung keinen Placeboeffekt auslöst.

Zappa hat geschrieben:Deine anderen Schlussfolgerungen/Thesen sind absurd. Du unterstellst nämlich fälschlich, dass der Placeboeffekt immer da ist und immer gleich groß ist. Das ist aber nachgewiesen nicht der Fall! Rote Kapseln mit Placebo wirken z.B. stärker als grüne, haben aber auch mehr Nebenwirkungen. I.v. Placebo wirken besser als orale, 2 Tabletten Placebo besser als eine etc. pp. Es ist also bei dem Studiendesign überhaupt nicht verwunderlich, wenn der A. gewogene Patienten, die leider nur mit (wirksamen!) Tabletten behandelt werden, anstatt mit Tabletten und großem Akupunkturgedöns, aufgrund des Placeboeffektes nach Piksen (und zusätzlich Standardtherapie) besser abschneiden.


Hm. Ich schrieb vor kurzem (an mat-in):
Vollbreit hat geschrieben:Was mich, wie schon erwähnt auch nicht überzeugt, ist Behauptung, dass die Homöopathie einen gewaltigen Placeboeffekt erzeugt. Wie und warum denn? Erstanamnese in Ehren, aber die Homoöpathen geben höchst selten Spritzen, die haben aber den besten Placeboeffekt. Den nächstbesten Effekt haben Tabletten, aber die müssen (je nach Beschwerdebild) klein und gemein aussehen oder riesige Granaten sein. Das langweilige Weiß der immer gleichen Größe oder die „Zuckerkügelchen“ oder die Tropfen, haben einen lausigen Placeboeffekt. Die exotischen Namen sollen eine Rolle spielen, aber was ist an Sulfur exotischer als an Tavor? An Mercurius solubilis als an Beloc zoc mite? An Allium cepa als an Allopurinol? Finde ich auch kein gutes Argument. Dass man nun beim Homöopathen ständig größte Aufmerksamkeit bekommt, kann ich nun auch nicht bestätigen. Wenn der Laden voll ist, muss es schnell gehen, wie bei anderen auch. Viele Homöopathen verzichten übrigens auch auf die umfassende Erstanamnse, die kommt eher ins Spiel, wenn man sein sog. Konstitutionsmittel sucht.

Ich weiß, das ich hier von der Homöopathie schreibe, aber es soll zeigen, mir sind die Unterschiede zwischen Placebo und Placebo, die ja noch viel weitergehen, z.B. ist es ausgesprochen relevant, wer die Medis gibt ob Hilfsschwester Carmen oder Prof. Dr. Brinkmann.

Zur Akupunktur:
Wenn ich da richtig gelesen habe, haben nicht mal die Hälfte des Akugruppen Schmerzmittel eingenommen (davon signifikant geringere Mengen), bei der Standardtherapie waren es etwa 2/3. Vielleicht habe ich andere Zahlen ja überlesen, dann reich sie bitte nach.
„Der wesentlich geringere Analgetikaverbrauch in beiden Akupunkturgruppen im Vergleich zur Standardtherapiegruppe ist ein weiteres wichtiges Ergebnis. Mindestens einmal innerhalb von 26 Wochen wurden nichtsteroidale Antirheumatika von 496 (51,2 Prozent) Patienten eingenommen (Verum 47,6 Prozent, Sham 42,2 Prozent, Standard 65,3 Prozent).“
(aus der Studie)

Zappa hat geschrieben:Was man positiv schlußfolgern kann ist allerdings, dass die A. offenbar keinen Noceboeffekt hat.
Der wurde ja auch ausgeschlossen, durch das Angebot für 10 Stunden Aku für jeden Studienteilnehmer.

Zappa hat geschrieben:Das ist schon mal was, aber ob das rechtfertigt das Verfahren auf Kosten der Allgemeinheit zu bezahlen halte ich für fraglich.
Was man auf jeden Fall schleunig abschaffen sollte, ist das der Quatsch mit den Meridianen immer noch in offiziellen Prüfungen der Ärztekammern in Prüfungen verlangt wird. Lasst alle Leute ohne Ausbildung und Prüfung mit Nädelchen auf beliebige Punkte der Menschen los, dass wäre auch eine mögliche Schlußfolgerung aus der Studie.


Auch das könnte man testen, wenn man will.

Zappa hat geschrieben:Frage: Hast Du die von mir verlinkte Metaanalyse gelesen? Wenn ja, verstehe ich deine Fragen nicht.

Ja, welche Frage meinst Du denn?

Zappa hat geschrieben:Diese zusammenfassende Analyse aller bislang vorliegenden (englischsprachig publizierten) Studien zur A. bei Knieschmerzen erbrachte allenfalls einen minimalen Effekt*, der noch dazu wahrscheinlich auf dem Placeboeffekt beruht. Die Studie fasst die Daten von 16 Studien mit fast 3500 Patienten zusammen, deine "Sensationstudie" war im Übrigen auch darunter. Außerdem sind die Autoren wie ich der Meinung, dass der marginale Unterschied aufgrund der Studiendesigns sehr gut bis wahrscheinlich auf dem Placeboeffekt beruht! Hinzu kommt, dass die Autoren keine Hardcore-Schulmediziner sind, sondern viel aus "Integrativen" oder "Komplementären" Abteilungen kommen, also sicher die Datenlage objektiv beurteilen können oder allenfalls - wenn überhaupt und das wäre eine Unterstellung - beschönigen.

Das ist im Moment die wissenschaftliche Evidenz. Alles andere Wunschdenken oder Rosinenpicken.

Zappa hat geschrieben:* Der maximale Effekt (nach 8 Wochen) war eine Reduktion der Schmerzen um 0,9 Punkte auf einer 20 Punkte Skala und eine Verbesserung der Funktion um 2,7 Punkte auf einer 68 Punktskala. Die Autoren werteten diesen Unterschied als marginal bzw. klinisch irrelevant.


Es ist auffällig, dass bei den Veröffentlichungen nach relativ kurzer Zeit schon erwähnt wurde, dass es zwischen Verum und Sham nur geringe Unterschiede gäbe, die großen Unterschiede zur Standardtherapiegruppe wurden hingegen selten erwähnt.
http://www.aerzteblatt.de/callback/image.asp?id=17367
Die gilt es zu erklären. Warum ist der Placeboeffekt hier nicht flüchtig, wie er er sonst ist?
Warum löst Standardtherapie keine Placeboeffekt aus?
Warum ist die Kombination von Placebo und „wirksamen Tabletten“ geringer, als die reine (in > 50% der Fälle) Stecherei?
Das möchte ich jetzt doch geklärt haben und zwar an der Studie weil sie groß, gut (auch Deiner Meinung nach) und konkret ist, nicht an einer Metastudie, wo man wieder nicht weiß, wovon man im konkreten Fall redet.

Weißt Du denn, ob Akupunktur (das ist keine i.v. Injektion) einen stärkeren Effekt auslöst als die Standardtherapie? Wo steht das?
Wurden im Rahmen der Standardtherapie keine Spritzen verabreicht?
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Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

Beitragvon Vollbreit » Di 28. Mai 2013, 11:29

Nanna hat geschrieben:@Vollbreit:
Finde ich jetzt nur in Maßen überzeugend. Da könntest/solltest du ein stärkeres, mithin auch gehaltvolleres, Plädoyer abliefern, finde ich.


Wie denn?
Ich kann mir ja nicht einfach was aus den Fingern saugen und sagen, dass die Datenlage bei der Homöopathie spitze ist, denn sie ist es nicht.
Wenn gesagt wird persönliche Erfahrungen seien vollkommen wertlos, dann stellt sich m.E. die Frage für wen? Für die Naturwissenschaft, die reproduzierbare Ergebnisse braucht, sicher in anderer Weise, als für den Einzelnen, der für sein Leben auch reproduzierbare Ergebnisse braucht, aber wo andere Faktoren einfließen.
Das überschneidet sich in Teilen, aber nicht absolut. Es ist durchaus möglich den Menschen als reine Egomaschine zu betrachten, die nach reinen, biologisch determinierten Nützlichkeitserwägungen agiert.

Der Extremfall ist Dennett und sein eliminativer Materialismus, der auf alles subjekthafte gerne verzichtet, das andere Extrem ist ein reiner Subjektivismus, der sich völlig dem Dialog entzieht.
Ich halte diesem übergroßen Skeptizismus gegenüber dem Subjekt schlicht für falsch.
Alle Welt bemüht sich dann gerne nachzuweisen, dass das einzige, was dem Subjekt zuzutrauen ist, der Irrtum ist.
Es kann getäuscht werden, konditioniert werden, Selbstsuggestionen unterliegen, ein bisschen wirr sein, es müsste an seinen eigenen Widersprüchen zerbrechen, weshalb es sie ausblendet und so weiter. Auf jeder Fall scheinen wir fremdgesteuert, mal von Ideologen, mal von unserem Hirn, nur eines sind wir bei dieser Aufzählung nie: Rationale Wesen, die in der Lage sind, sich selbstkritisch und andere kritisch zu prüfen.

Zwar ist unser gesamtes gesellschaftliches Miteinander darauf ausgerichtet, dass wir eigenständig denkende und entscheidende Wesen sind, Politik, Justiz und im Grunde auch der philosophische Hintergrund, dem sich die Brights verschrieben haben, könnte zumindest in der Tradition der Aufklärung stehen.
In der Praxis des Lebens wird dem Subjekt dann aber genau dieser Status, ein wirklich rationales Subjekt sein zu können, zur Selbstkritik, zur Verarbeitung von Fremdkritik, zur intellektuellen Redlichkeit, zum Bemühen innere Widersprüche abzubauen und so weiter fähig zu sein, abgesprochen, zugunsten einer m.E. fragwürdigen Sichtweise.

Diese lautet: Trau nicht dir, trau den Statistiken. Wenn du meinst, dass deine Sichtweise nicht zu den Statistiken passt, korrigiere deine Sichtweise so lange, bis sie zu den Statistiken passt. Zwar kann die Wissenschaft sich irren, aber sie irrt sich immer weniger, als der einzelne. Wenn du nach der Prüfung noch immer eine abweichende Meinung hast, dann bist du entweder zu dumm oder zu verbohrt und solltest nicht mehr erwarten ernst genommen zu werden (auch wenn 20 Jahre später exakt das Gegenteil „richtig“ ist).

Nanna hat geschrieben:Die Physiker, Chemiker und Biologen kriegen halt nachweisbare, reproduzierbare Ergebnisse hin und meist sind das auch Sachen, deren Effekt wirklich stark ist.
Was daran liegen dürfte, dass die keine Menschen untersuchen. Bereits Sozialwissenschaften werden ja als sogenannte „weiche Wissenschaften“ entwertet, von der Philosophie heißt es zuweilen, sie sei eh nur Gelaber und die Ergebnisse der Verhaltenstherapie, die sich in Rahmen der Psychologie am meisten der naturwissenschaftlichen Sichtweise angenommen hat, gelten inzwischen (obwohl über Jahre eine evidenzbasierte Studie nach der anderen das exakte Gegenteil belegte) als überschaubar. Nützlich und gut, bei eher oberflächlichen Symptomen oder bei Menschen, die zur Reflexion nicht in der Lage sind.

Nanna hat geschrieben:Homöopathie erscheint mir ein bisschen wie die Geschichte mit den Gebetsstudien. Man verhandelt ohne Ende, ob eine minimale statistische Fluktuation, unter oder sehr, sehr nahe an der Fehlertoleranz, ein Beweis für die Wirksamkeit von Gebeten sei und vergisst dabei, dass das ein recht klägliches Zufriedengeben ist. Da ist doch die Perspektive verrrutscht. "Hach, der Junge hat mit zehn jetzt angefangen, Messer und Gabel zu benutzen, der wird später sicher mal Botschafter und der Star jedes Festbanketts, Schatz." Verzeih den Sarkasmus, aber wer damit nicht zufrieden ist, ist von Hybris noch recht weit entfernt, glaube ich.


Auch die wissenschaftliche Untersuchung von Gebeten finde ich halbwegs aberwitzig, was soll das denn aussagen und für wen? Er glaubt, wird beten und soll das auch tun (warum auch nicht?), wer nicht glaubt, soll es lassen (warum auch nicht?). Gesundheitstechnisch bringt der Glaube etwas und zwar genau denen, die bereits glauben, vermutlich im Rahmen einer Selbstverstärkung, aber wisse tue ich das natürlich nicht. Der, der nicht glaubt oder im Zweifel ist, profitiert nicht davon.
Ganz rational wäre es also das Optimum den Placeboeffekt, mit der besten Therapie zu kombinieren, d.h. man sollte, dann auch ganz rationalerweise, dem am meisten vertrauen, was am besten wirkt. Das hat auch lange Zeit sehr gut geklappt, aber ganz offensichtlich läuft da augenblicklich was schief und es ist m.E. irrational so zu tun, als sei es anders.
Das hat aber nicht eine Ursache, sondern eher 20.

Was die Homöopathie angeht, ist einfach mein vollkommen subjektiver Ansatz der, dass ich sage, wenn ich das was ich so über die Jahre mitbekommen habe, an homöopathischen Erfolgen und Fehlschlägen, bei Mensch und Tier, in banalen und gravierenderen Fällen, ich mir das ganz rational nicht anders erklären kann, als das die Homöopathie wirkt.
D.h. ich müsste mich betrügen, wenn ich mir sagen würde, vielleicht habe ich mich ja in meinen Beobachtungen doch geirrt.
Und damit meine ich nicht, dass man nicht in vielen Fällen prinzipiell auch eine andere Erklärung finden könnte (man kann immer eine finden). Die Frage ist, ist es rational, nach einer anderen zu suchen? Damit meine ich: Wenn Du Kopfschmerzen hast dann nimmst Du etwas, von dem Du denkst, dass es Dir hilft: ASS, Pulle Bier, warmes Bad, was auch immer. Kannst Du sicher ausschließen, dass es bei Einnahme der Tablette nicht zufällig so gewesen sein kann, dass das Wetter wechselte, die Kopfschmerzen spontan aufhörten, Du vom Placeboeffekt profitiertest, das eine Konditionierung ist...? Selbst bei einer Chemotherapie kannst Du nicht ausschließen, dass zufällig mit der Behandlung der Krebs verschwindet, es ein Placeboeffekt ist... Aber irgendwann stellt sich die Frage, ob es rational und gerechtfertigt ist, anzunehmen, dass es immer ein andere Erklärung gibt. Bei ASS würdest Du das nicht annehmen und sagen, ja da weiß ich ja auch, dass es wirkt. Weil es Studien gibt, die das belegen. Nur, als Du zum ersten Mal Medis genommen hast, hast Du so nicht argumentiert, sondern weil Mama die Dir gegeben hat oder der Arzt sie verschrieben und so weiter. Du wirst aber einen Indikator immer schon bei Dir gehabt haben, nämlich Dein Empfinden. Hat mir geholfen oder hat mir nicht geholfen. Jeder wird mal die Erfahrung gemacht haben, dass Medis nicht geholfen haben. „Ich hab hier was Tolles, hilft gegen Seekrankheit“ und dann kotzt man trotzdem. Da hat man dann auch nichts davon, wenn die Wirkung wissenschaftlich nachgewiesen ist. Es gibt auch hier 1000 Dinge auf die man achten muss, weshalb ich die Forschung gut finde, z.B. stereochemische Aspekte, die bspw. bei Contergan eine Rolle spielten, bestimmten Verunreinigungen und so weiter.
Und im realen Leben hast Du nie Laborsituationen, da spielen immer mehrere Effekte mit pharmako und pycho (jeweils etliche) , aber unterm Strich muss man halt das finden, was zum eigenen Leben am besten passt.

Es könnte ja sein, dass es den wissenschaftlich durchoptimierten Lebensansatz gibt, indem man z.B. alles was gesund ist und alles was schadet in den Computer haut, noch individuelle Daten wie Geschlecht, Alter, Größe, Blutgruppe usw, mit rein nimmt und dann das optimale Lebensprofil berechnet: Was sollte ich essen, wann und wie bewegen, Gifte scheiden aus, zuviel Stress natürlich auch und so weiter. Der Trend geht ja bereits dahin, sein Leben online zu stellen und sich so selbst und fremd kontrollieren zu lassen.
Kann nur sein, dass die wirklich eigenen Wünsche und Vorstellungen dabei komplett flach fallen. Nicht jeder der raucht und trinkt weiß nicht um die Gefahren, aber es könnte sein, dass Menschen durchaus unterschiedliche Prioritäten setzen, Prämissen haben. Man kann dem Raucher ja vorwerfen, sein Argument der Lebensqualität sei ärmlich oder teuer erkauft, aber wer will ihm das, mit welchem Recht vorschreiben? Geht es einem wirklich besser, wenn man sich irgendwelchen zeitgeistigen Vorstellungen unterwirft? Vom Ökototalitarismus über den Gesundheitsterror bis zu durchgeknallten Veganern, die er erklären Du seist ein Mörder, weil Du vielleicht einen Ledergürtel hast.

Der Bogen zur Homöopathie: Bei all dem würdest Du – und ich weiß, dass Du es da auch tust – das Subjekt nicht als marginal darstellen. Ich bin relativ überzeugt, dass Du Dich, außer mal so zum Spaß, nicht an den Computer anschließen lassen würdest, der Dein Leben durchoptimiert und erst mal all Deine Reisen in Spannungsgebiete kassiert, weil viel zu gefährlich. Hier würdest Du, zurecht, sagen, dass Du das ganz gut selbst entscheiden kannst und willst und vielleicht sogar Deinen eigene Erfahrungen an Ort und Stelle etwas höher bewerten würdest, als das eine oder andere, was Dir ein Experte sagt oder was der Computer errechnet.
Ich sage einfach, dass ich dies und das an mir und anderen beobachtet habe und mein rationaler Schluss ist, dass die Homöopathie wirkt. Damit werde ich zwar niemanden überzeugen, aber ich kann nicht anders, als mir selbst zu sagen, dass es eben nicht immer Zufall, was anderes oder der feste Glaube war, der mich dazu bringt, dieses Urteil zu fällen.
Und auf die Idee, der einzelne könne sich nur irren, steige ich nicht ein.

Nanna hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ich halte die Informationsidee für die beste, Hahnemann selbst spricht von einer „geistartigen, dynamischen Kraft“, was ungefähr auf das hinauslaufen könnte.

Bitte was?

Ich weiß nicht, ob der Begriff Information damals schon in dem Sinne geläufig war. In den § 9 bis 11 entfaltet Hahnemann diese Idee (in der Sprache seiner Zeit).
http://www.homeoint.org/books4/organon/org000.htm#p9
Zuletzt geändert von Vollbreit am Di 28. Mai 2013, 12:11, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

Beitragvon Vollbreit » Di 28. Mai 2013, 12:10

mat-in hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Es ist ganz klar, daß wir nicht alles wissen.

Die Klimaerwärmung ist ja hier auch nur Randthema und nicht alles zu wissen, ist kein Problem.
Aber nicht alles zu wissen und andere als Volltrottel darzustellen, das ist ein Problem.
Es kommt drauf an, um wen es sich handelt. Jemand der nur bestehende Einzellücken in einer Theorie aufzeigt (oder meint aufzuzeigen weil er sich nicht richtig damit beschäftigt hat) und dann aufbauend auf diesen Lücken eine Theorie mit Außerirdischen zusammenspinnt, die zwar (auf bizarr komplizierte Art und Weise) einen Teil der Lücken erklären könnte, aber den Rest der Phänomene nicht erklärt... der spinnt unter Umständen gewaltig.


Ja, hier macht der Gesamtkontext die Musik.

mat-in hat geschrieben:Kreationismus ist so eine Idee. Die Homöopathie ist so eine Idee, geht aber noch eine Stufe weiter. Die erklärt nicht wie Wasser sich etwas merkt. Sie erklärt nicht, wie Wasser weiß, was es sich merken soll und was nicht (Stichwort Verunreinigungen in Reinstwasser, etc.). Sie erklärt nicht, wie die Angeblich umgekehrte Wirkung überhaupt erzeugt wird.
Hahnemanns Erklärung ist die Dynamisierung durch die Schüttelschläge oder Verreibung, die schrittweise die Information vom Körper (Stoff) löst. Dahinter steht die Idee, dass man Information auf diesem Weg isolieren kann.

mat-in hat geschrieben:Und am Ende - und das ist für mich der allerwichtigste Punkt - ist diese Wirkung nicht mal nachweisbar vorhanden. Da sind wir wieder bei Hogwarts an der Oder. Wenn man nicht untersucht, ob etwas einen Effekt hat, sondern vorbeschlossen zeigen will, das etwas einen Effekt hat ist das ... nicht Wissenschaft und gehört auch nicht an eine Hochschule.
Und wenn man das Gegenteil zeigen will?

mat-in hat geschrieben:Akupunktur ist bei wenigen Anwendungen irgend wie nützlich? O.K. einen Schritt zurück gehen, rausfinden wo genau, wie genau, warum. Aber doch bitte nicht ein
1800 Jahre altes Theoriegebäude und alle anderen TCM Methoden gleich unreflektiert mit übernehmen???
Ich habe nichts dagegen.

mat-in hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Warum? Nur weil man im schlimmsten Fall man eine anderes Denksystem kennenlernt und es auch noch verstehen könnte? Würde ich als Bereicherung ansehen.
Dann soll man es bitte im Philosophieseminar kennenlernen oder als das kennzeichnen was es ist.
Hat man ja früher auch gemacht, dann aber gestrichen, zugunsten der Fachidiotie.

mat-in hat geschrieben:Der normale Mediziner lernt das auswendig und nimmt es danach für bare Münze.
Ich kenne Mediziner die hochintelligent und sehr wohl eigenständig zu denken in der Lage sind.

mat-in hat geschrieben:Todesfälle durch "Alternativmedizinische Behandlung wo Wirksame Medizin angesagt gewesen wäre" sind ja einige dokumentiert und ich fürchte da wird zu statt abnehmen. Die Leute scheine so was ja zu wollen und der Hausarzt ist am Ende auch nur Dienstleister...
Diese Behauptungen finde ich immer massiv ärgerlich, weil hier immer so getan wird, als sei es irgendwie besser im Namen der Wissenschaft zu sterben, sowas kommt dann bedauerlicherweise eben vor, damit muss man sich abfinden. Einen Scheiß muss man. Gerade die Todesfälle in der etablierten Medizin sind aus verschiedenen Gründen erschreckend hoch. Sepsis, unnötige Röntgenuntersuchungen (tut ja nicht weh, versursacht nur Krebs), Falschmedikation und so weiter, Du glaubst gar nicht was da alles schief gehen kann. Wir sprechen von Todesraten im sechstelligen Bereich pro Jahr, wobei vieles offiziell gar nicht erforscht wird. Das rechtfertigt keine einzige Fehlbehandlung, bei der mit hoher Sicherheit jemandem hätte geholfen werden können, aber ich bitte Dich mal einen Blick auf die Relationen zu werfen.
Da frage ich mich dann schon, wo die Brights, die GWUPs und wie sie alle heißen sind.

mat-in hat geschrieben:Ja, das wirkt weil die Gifte in der Pflanze in geringen Mengen... und nicht weil die Anziehungskraft des Mondes und das Gedächtniss des Wassers dabei helfen wenn schon kein Wirkstoff mehr drin ist. Das hat hier ja niemand bezweifelt. Siehe Weidenrinde...
Nein, ab der D 23 und C 12 wirkt in stofflichen Sinne überhaupt nichts mehr und eine Belladonna D 30 zu verodnen ist keine Seltenheit. Die ganz geringe Mengen sind ja doch noch da Argumente, ziehen da nicht.

mat-in hat geschrieben:Was die spontanen Remissionen angeht, und die Scheinkorrelationen und ... (keine Lust mehr auf Zitatmarathon), sage ich ja nicht, man soll sich das nicht alles anschauen. Man muß es jedoch gründlich anschauen und wissenschaftlich anschauen.
Meinetwegen. Ich habe nichts dagegen.

mat-in hat geschrieben:Wir unterliegen im Alltag so vielen Fehleinschätzungen, wir haben in solchen Dingen gar keine Möglichkeit, es sinnvoll anders anzuschauen.
Echt? Bist Du heue Morgen auch wieder neben einem Alien aufgewacht, Dich auf dem Weg zur Arbeit 18 mal verfahren und als Du da warst hast Du gar nicht mehr gewusst., was Du da eigentlcih willst? Ist die Welt nicht alles in allem ungeheuer banal und funktioniert überraschend gut, vom Straßenverkehr bis zum Supermarkt,dem Sport am Wochenende und der Urlaubsplanung? Wo hauen wir denn ständig daneben. Wenn wir mal wieder verdurstend durch die Wüste robben, klar, wann war das bei Dir zum letzten mal der Fall?
Oder wenn wir einen Stock unter Wasser halten, aber das Problem werden bereits die Neandertaler gelöst haben. Und natürlich, wenn man hom. Mittel einnimmt.

mat-in hat geschrieben:Wenn wir jeder Tendenz hinterher rennen, schlachten wir bald wieder Tiere um in den Eingeweiden die Psychischen Erkrankungen der Besitzer zu erkennen und - indem wir die rausschneiden und verbrennen - das ganze gleich zu behandeln. Hat ja hier und da funktioniert. Regentänze auch. Also, auf gehts...
Ist ein wenig alarmistisch, nicht?

mat-in hat geschrieben:P.S.: TCM steht für mich auf einer Stufe mit TEM.
Kenne ich ehrlich gesagt nicht, also TEM.

mat-in hat geschrieben:Das wird hier nur genutzt weil es "neu und anders" ist. Ob man den Chinesen die von der Schulmedizin in China enttäuscht sind TEM verkaufen kann? Aderlass gegen Kurzatmigkeit, Desinfektion mit Rosenwasser, Wundbehandlung mit Salz, Honig, Hundehirn?
Hm, wenn das alles so vollkommen perfekt ist, mit der Schulmedizin, wieso gibt es eigentlich überhaupt Kritik an ihr? Was ist mit den Leute die über Jahre von einem Arzt zum anderen gelaufen sind und die dann bei den Alternativen die Lösung fanden? Alles Spinner? Wenn es 10 Jahre keine Spontanheilung gab, warum dann im 11. Jahr beim Alternativmediziner? Dass die Leute, wenn man ihnen dann erzählt, sie seien nach ihren schlechten Erfahrungen nun übertrieben misstrauisch, würden sich was einbilden oder hätten gar einen an der Waffel nur noch abwinken, kann ich irgendwo verstehen, Du nicht?
Und ich kenne durchaus das Münchhausen-Syndrom, Koryphäenkiller-Syndrom und den erhöhten Wunsch nach Aufmerksamkeit, aber alles erklärt das eben auch nicht.
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Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

Beitragvon Zappa » Di 28. Mai 2013, 17:46

@Vollbreit: Bevor wir uns jetzt noch über die Fallstricke von Metaanalysen monologisch unterhalten versuche ich es mal mit einer Gegenfrage: Warum war deiner Meinung nach der Effekt in der Verum- und Shamgruppe gleich?
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Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

Beitragvon mat-in » Di 28. Mai 2013, 18:23

Vollbreit hat geschrieben:Hahnemanns Erklärung ist die Dynamisierung durch die Schüttelschläge oder Verreibung, die schrittweise die Information vom Körper (Stoff) löst. Dahinter steht die Idee, dass man Information auf diesem Weg isolieren kann.
... und dafür gibt es nicht mal den Hauch eines Beleges, das es möglich ist, nicht mal ein physikalisches Prinzip, mit dem man es irgend wie herumdeuten könnte, wenn man wollte. Information aus dem Stoff schütteln. Geister wegrasseln. Blutopfer für Regentanz...

Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Und am Ende - und das ist für mich der allerwichtigste Punkt - ist diese Wirkung nicht mal nachweisbar vorhanden. Da sind wir wieder bei Hogwarts an der Oder. Wenn man nicht untersucht, ob etwas einen Effekt hat, sondern vorbeschlossen zeigen will, das etwas einen Effekt hat ist das ... nicht Wissenschaft und gehört auch nicht an eine Hochschule.
Und wenn man das Gegenteil zeigen will?
Will das denn jemand? Ich habe noch keine Studie gelesen, in der drin stand, das man sie durchgeführt hat um die Wirkung zu widerlegen. In einer guten Studie steht "wurde untersucht, ob..."

Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Der normale Mediziner lernt das auswendig und nimmt es danach für bare Münze.
Ich kenne Mediziner die hochintelligent und sehr wohl eigenständig zu denken in der Lage sind.
Ich auch, einer davon engagiert sich auch genau deswegen in unserer Hochschulgruppe. Ich kann dir aber gleichzeitig 3 nennen, die ich besser kenne und die dazu nicht in der Lage wären, wenn ihr Leben davon abhinge. Daher sagte ich auch nicht "alle".

Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Todesfälle durch "Alternativmedizinische Behandlung wo Wirksame Medizin angesagt gewesen wäre...
Diese Behauptungen finde ich immer massiv ärgerlich, weil hier immer so getan wird, als sei es irgendwie besser im Namen der Wissenschaft zu sterben, sowas kommt dann bedauerlicherweise eben vor, damit muss man sich abfinden.
Das ist unabhängig von den Fehlern die Medizin macht, hör auf auszuweichen. Ich rede von Menschen, die mit Schulmedizinischer Behandlung problemlos hätten überleben können. Globuli gegen Blinddarmentzündung oder Schlaganfall...

Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Ja, das wirkt weil die Gifte in der Pflanze in geringen Mengen... und nicht weil die Anziehungskraft des Mondes und das Gedächtniss des Wassers dabei helfen wenn schon kein Wirkstoff mehr drin ist. Das hat hier ja niemand bezweifelt. Siehe Weidenrinde...
Nein, ab der D 23 und C 12 wirkt in stofflichen Sinne überhaupt nichts mehr und eine Belladonna D 30 zu verodnen ist keine Seltenheit. Die ganz geringe Mengen sind ja doch noch da Argumente, ziehen da nicht.
Entschuldige, wenn Du sagst, das es keine Homöopathie ist und wirkt, bin ich davon ausgegangen, das der Wirkstoff wirkt, nicht das es doch Homöopathie ist :irre:

Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Wir unterliegen im Alltag so vielen Fehleinschätzungen, wir haben in solchen Dingen gar keine Möglichkeit, es sinnvoll anders anzuschauen.
Echt? Bist Du heue Morgen auch wieder neben einem Alien aufgewacht, Dich auf dem Weg zur Arbeit 18 mal verfahren und als Du da warst hast Du gar nicht mehr gewusst., was Du da eigentlcih willst? Ist die Welt nicht alles in allem ungeheuer banal und funktioniert überraschend gut, vom Straßenverkehr bis zum Supermarkt,dem Sport am Wochenende und der Urlaubsplanung? Wo hauen wir denn ständig daneben. Wenn wir mal wieder verdurstend durch die Wüste robben, klar, wann war das bei Dir zum letzten mal der Fall?
Ich bin gestern Abend mit meiner Frau an einer Straßenlaterne vorbei gekommen, die ist als wir so auf 5 meter ran waren ausgefallen, dunkel, alle anderen leuchteten weiter. Das ist jetzt das 3. mal in Folge, das uns das passiert, es ist noch keinem von uns passiert als wir alleine dran vorbei gelaufen sind (nicht das wir uns erinnern könnten!) und wir waren auch nicht immer zur gleichen Uhrzeit dort die letzten 3 mal. Da könnte ich mich jetzt ganz schnell vertuen und denken, daß hier der ausfall der Laterne was mit mir und meiner Frau zu tun hat. Könnte ich auf die Idee kommen? Mit Sicherheit. Ist das wahrscheinlich? Nein. Wenn mir das wirklich was an Zeit und Energie wert ist, müßte ich das jetzt mit wissenschaftlichen Methoden untersuchen, annstatt davon auszugehen, das die wegen uns ausfällt und mich dann zu ärgern, wenn sie es mal nicht tut.
Mal abgesehen von solchen Sonderfällen erliegen wir jeden Tag Täuschungen. Werbung würde sonst nicht funktionieren. Niemand der bei klarem Verstand ist, kann davon ausgehen, daß ein Finanzierungsangebot mit 0% Zinsen nicht irgend wie in den Basis-Preis einkalkuliert ist, sonst würde das schlicht nicht funktionieren. Trotzdem gehen Leute dann in den Laden und kaufen das, weil ist ja ein super Angebot...

Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Wenn wir jeder Tendenz hinterher rennen, schlachten wir bald wieder Tiere um in den Eingeweiden die Psychischen Erkrankungen der Besitzer zu erkennen und - indem wir die rausschneiden und verbrennen - das ganze gleich zu behandeln. Hat ja hier und da funktioniert. Regentänze auch. Also, auf gehts...
Ist ein wenig alarmistisch, nicht?
Nein, eigentlich nicht. Ist ja schon lange so, war nie ganz weg. Fällt nur niemandem auf, weil die Regentänze und das Eingeweidelesen heute einen anderen Namen haben. Und verteidigt wird es auch noch...

TraditionellEuropäischeMedizin. Es gibt einen Grund, warum sich die moderne, Evidenzbasierende Medizin durchgesetzt hat. Und zum 20. Mal: Das etwas nicht perfekt ist, bedeutet nicht, das es nicht Welten besser sein kann als die Alternative. Ich nutze ja auch einen Akkubohrer, trotz all seiner Nachteile und unhandlichkeiten, und keinen Holzstock mit einem Bogen.
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Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

Beitragvon Vollbreit » Di 28. Mai 2013, 21:52

Zappa hat geschrieben:@Vollbreit: Bevor wir uns jetzt noch über die Fallstricke von Metaanalysen monologisch unterhalten versuche ich es mal mit einer Gegenfrage: Warum war deiner Meinung nach der Effekt in der Verum- und Shamgruppe gleich?


So weit ich das gesehen habe, war die Verum Gruppe immer leicht besser. Als möglichen Grund hatte ich genannt, dass die Ärzte evtl. nicht wissen, was sie tun. Darüber kann man sich aber streiten, da die Ärzte über 250, sowie zum anderen über 350 Stunden Ausbildung hatten, das hatte ich mir schlimmer vorgestellt, auch wenn – Du bist ja auch pieksig – damit sicher noch nicht alle Fragen bezüglich der Qualität beantwortet sind.

Wollte man das ernsthaft testen, würde ich mehrere Gruppen von Akupunkteuren nehmen, echte Experten, sowie langjährige Praktiker und so weiter und daraus 4 oder 5 Gruppen machen. M.E. spricht nichts dagegen genau das, genau so zu testen und wenn es dann keinerlei Unterschiede gibt, bin ich der erste der sagt, dass man zur Not auch Pfeile werfen kann.
Ich kenne eine Studie über die Auswirkungen von Meditation bei der man einen Meister, mehrere östliche fortgeschrittene Meditierende, östliche Anfänger und westliche Fortgeschrittene genommen hat, da konnte man genau das testen und fand gewaltige Unterschiede, obwohl doch alle nur dasitzen und die Atemzüge zählen.
Geht also, wenn man will.
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Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

Beitragvon Vollbreit » Di 28. Mai 2013, 21:55

mat-in hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Dahinter steht die Idee, dass man Information auf diesem Weg isolieren kann.
... und dafür gibt es nicht mal den Hauch eines Beleges, das es möglich ist, nicht mal ein physikalisches Prinzip, mit dem man es irgend wie herumdeuten könnte, wenn man wollte.
Ja, das kann sein.

mat-in hat geschrieben:Will das denn jemand? Ich habe noch keine Studie gelesen, in der drin stand, das man sie durchgeführt hat um die Wirkung zu widerlegen.
Gelesen habe ich das auch noch nicht.

mat-in hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Todesfälle durch "Alternativmedizinische Behandlung wo Wirksame Medizin angesagt gewesen wäre...
Diese Behauptungen finde ich immer massiv ärgerlich, weil hier immer so getan wird, als sei es irgendwie besser im Namen der Wissenschaft zu sterben, sowas kommt dann bedauerlicherweise eben vor, damit muss man sich abfinden.
Das ist unabhängig von den Fehlern die Medizin macht, hör auf auszuweichen. Ich rede von Menschen, die mit Schulmedizinischer Behandlung problemlos hätten überleben können. Globuli gegen Blinddarmentzündung oder Schlaganfall...
Das hat mit ausweichen nichts zu tun. Ich hatte gesagt, dass der eine Fehler den anderen nicht rechtfertigt, aber die Relationen sollten dennoch nicht vergessen werden.

mat-in hat geschrieben:Entschuldige, wenn Du sagst, das es keine Homöopathie ist und wirkt, bin ich davon ausgegangen, das der Wirkstoff wirkt, nicht das es doch Homöopathie ist :irre:
?

mat-in hat geschrieben:Das ist jetzt das 3. mal in Folge, das uns das passiert, es ist noch keinem von uns passiert als wir alleine dran vorbei gelaufen sind (nicht das wir uns erinnern könnten!) und wir waren auch nicht immer zur gleichen Uhrzeit dort die letzten 3 mal. Da könnte ich mich jetzt ganz schnell vertuen und denken, daß hier der ausfall der Laterne was mit mir und meiner Frau zu tun hat. Könnte ich auf die Idee kommen? Mit Sicherheit. Ist das wahrscheinlich? Nein. Wenn mir das wirklich was an Zeit und Energie wert ist, müßte ich das jetzt mit wissenschaftlichen Methoden untersuchen, annstatt davon auszugehen, das die wegen uns ausfällt und mich dann zu ärgern, wenn sie es mal nicht tut.
Das ist jetzt wieder Skinner und die Tauben.
Du könntest aber mit sogar den anderen Weg gehen und darüber nachdenken, ob es was mit Dir zu tun hat und den Geist wandern lassen. Ist auch möglich, wird zuweilen auch gemacht. Man kann auch problemlos zwischen beiden Systemen hoppen, was man tunlichst vermeiden sollte, ist beide zu vermischen.

mat-in hat geschrieben:Mal abgesehen von solchen Sonderfällen erliegen wir jeden Tag Täuschungen. Werbung würde sonst nicht funktionieren. Niemand der bei klarem Verstand ist, kann davon ausgehen, daß ein Finanzierungsangebot mit 0% Zinsen nicht irgend wie in den Basis-Preis einkalkuliert ist, sonst würde das schlicht nicht funktionieren. Trotzdem gehen Leute dann in den Laden und kaufen das, weil ist ja ein super Angebot...
Die Werbung treibt viel Aufwand, um bestimmte, irrationale Aspekte von uns anzusprechen.
Wie groß ihre Wirkung überhaupt ist, ist umstritten.
Und klar unterliegen wir gewissen, gelinden Selbsttäuschungen, aber doch nicht in dem Umfang und der Intensität, wie es immer wieder behauptet wird. Man mag vielleicht prinzipiell die Eckdaten unseres Weltbildes hinterfragen, da sind wir vermutlich alle etwas unkritisch, was unsere vermeintliche Normalität angeht – ob sie so und nicht anders sein muss – aber hat man das mal gefressen, funktionieren wir doch eigentlich ganz rational und nicht mal unkritisch.

mat-in hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ist ein wenig alarmistisch, nicht?
Nein, eigentlich nicht. Ist ja schon lange so, war nie ganz weg. Fällt nur niemandem auf, weil die Regentänze und das Eingeweidelesen heute einen anderen Namen haben. Und verteidigt wird es auch noch...

TraditionellEuropäischeMedizin. Es gibt einen Grund, warum sich die moderne, Evidenzbasierende Medizin durchgesetzt hat. Und zum 20. Mal: Das etwas nicht perfekt ist, bedeutet nicht, das es nicht Welten besser sein kann als die Alternative. Ich nutze ja auch einen Akkubohrer, trotz all seiner Nachteile und unhandlichkeiten, und keinen Holzstock mit einem Bogen.
Das Problem bleibt. Akkuschrauber werden auch benutzt, alte Holzstöcke nicht mehr, Abstimmung mit den Füßen. Aber bei der Alternativmedizin oder der Esoterik scheint es ja so zu sein, dass sich immer noch (und manche sagen: immer mehr) Leute diesen Alternativen zuwenden.
Es scheint da irgendwo eine Lücke zu geben. Nun kann man es sich leicht machen und sagen: Ganz einfach, die sind alle blöd. Irrationale Menschen, die keine Statistiken lesen können und immer vor dem Falschen angst haben. Aber eigentlich ist es doch so, dass es eher die Gebildeten sind, die so ein wenig alternativ sind.
Vielleicht ist es einfach nur chic, vielleicht haben die schon alle Urlaube gemacht und alle Stellungen im Bett durch, aber diese „alle doof“ Lösung, scheint mir etwas schlicht zu sein.
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Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

Beitragvon Nanna » Mi 29. Mai 2013, 00:54

Vollbreit hat geschrieben:Irrationale Menschen, die keine Statistiken lesen können und immer vor dem Falschen angst haben. Aber eigentlich ist es doch so, dass es eher die Gebildeten sind, die so ein wenig alternativ sind.
Vielleicht ist es einfach nur chic, vielleicht haben die schon alle Urlaube gemacht und alle Stellungen im Bett durch, aber diese „alle doof“ Lösung, scheint mir etwas schlicht zu sein.

Sorry für ne arg kurze Antwort, aber darf ich an der Stelle mal kurz einwerfen, dass auch die sog. "Gebildeten" häufig einen etwas enttäuschenden Horizont haben? Das betrifft ja nicht nur Alternativmedizin und ich meine das auch nicht als Plädoyer für ein grundsätzliches Massivmisstrauen gegen alles und jeden einschließlich der eigenen Person. Aber Bildung in dem umfassenden Sinne, wie er mal gemeint war, bevor er schon im 19. Jahrhundert zugunsten des Memorierens reproduzierbaren Faktenwissens verwässert wurde, ist ja trotz formal höherer Bildung nach wie vor nur bei wenigen vorhanden. Ich schließe mich da selber übrigens mit ein, bin auch nur halb so verständig, wie ich gern wäre.

Wenn ich mir ansehe, wie sehr dämlichste Vorurteile quer durch die Gesellschaft verbreitet sind, dass beispielsweise Sarrazins Thesen den größten Zuspruch unter älteren, gebildeten Männern erfahren, denke ich mir, ja, irgendwie sind wir anscheinend tatsächlich alle doof und leicht manipulierbar in unserer ganzen Emotionalität, mit der wir als Menschen nunmal durch's Leben gehen. Die Aufklärung hatte und hat ja genau da den zentralen Anspruch, den Menschen durch Selbsterkenntnis mündig zu machen und ihn damit in die Lage zu versetzen, sich wahrhaft zu emanzipieren. Mir ist schon bewusst, dass das mit einem sklavischen Anwenden szientistischer Methoden auch nichts zu tun hat. Aber egal, wie man es nun angeht, der Wille zu verstehen - nicht einfach nur zu glauben oder zu fühlen und es dabei zu belassen - liegt dem ganzen Projekt ja zu Grunde. Ich sehe die Schattenseiten der radikalen Dekonstruktion, die Gefahr eines Nihilismus, keine Frage, aber ich kann ja nicht aus Angst vor der bösen Welt und einer grauen Realität in eine naive Wohlfühlwelt fliehen. Das hat was Blumengießerhaftes.
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Re: Neue Bücher über/gegen "Alternativmedizin"

Beitragvon Vollbreit » Mi 29. Mai 2013, 09:02

Nanna hat geschrieben:Sorry für ne arg kurze Antwort, aber darf ich an der Stelle mal kurz einwerfen, dass auch die sog. "Gebildeten" häufig einen etwas enttäuschenden Horizont haben? … Aber Bildung in dem umfassenden Sinne, wie er mal gemeint war, bevor er schon im 19. Jahrhundert zugunsten des Memorierens reproduzierbaren Faktenwissens verwässert wurde, ist ja trotz formal höherer Bildung nach wie vor nur bei wenigen vorhanden. ...
Kommt drauf an, was gemeint ist. Vermutlich kann heute niemand mehr Universalgelehrter sein, aber das ist ja auch nicht nötig. Was ich meine, ist das, was ujmp an anderer Stelle meint, zu einer Navigation durchs alltägliche Leben in der Lage zu sein, nicht nur im Sinne von: Wo gibt’s die besten Sonderangebote?, sondern: Was sind meine Ziele und wie erreiche ich die?

Nanna hat geschrieben:Wenn ich mir ansehe, wie sehr dämlichste Vorurteile quer durch die Gesellschaft verbreitet sind, dass beispielsweise Sarrazins Thesen den größten Zuspruch unter älteren, gebildeten Männern erfahren, denke ich mir, ja, irgendwie sind wir anscheinend tatsächlich alle doof und leicht manipulierbar in unserer ganzen Emotionalität, mit der wir als Menschen nunmal durch's Leben gehen.
Das ist natürlich fast ein eigenes Thema, aber im Grunde hast Du im Vorbeigehen einen wichtigen Punkt angesprochen: Der Mensch ist auch ein emotionales Wesen und vieles in der Forschung, vor allem aber auch im Alltag ist ganz und gar auf den Mann ausgerichtet. Bewusst geworden ist mir das wieder mal, als ich letztens etwas über die unterschiedliche Wahrnehmung von Navis hörte. Frauen kommen mit Anweisung wie: „Biegen sie jetzt links ab“, nicht gut klar, sehr gut aber, wenn man ihnen sagt, biegen sie vor dem roten Haus links ab. Man muss sich nun davor hüten Frauen als irgendwie doch irrational anzusehen, so dass man ihnen Fakten einfach nicht vermitteln kann.
Alte Männer sind oft nicht emotional, sondern es ist ihre eingeschränkte Emotionalität unter der sie – und nicht selten ihre Mitwelt – leidet. Es ist irgendwo zwischen rührend und erschreckend, wenn man Männern mit Mitte 50, die es durchaus „zu was gebracht haben“ erklären muss, dass sie tatsächlich eine Psyche haben. Das klingt irgendwie, wie ein Witz, aber das bewegt sich ungefähr auf den spiegelbildlichen Niveau der Frau, die nicht weiß,
Die Medizin ist männlich dominiert, nicht nur vom Personal an der Spitze her, sondern von der ganzen Aufmachung. Das Anteilnahme und echte Kommunikation in der Medizin nicht gerade verbreitet ist, ist ja wenigstens schon in dem zähneknirschenden Eingeständnis vorhanden, die Homöopathie würde ja nur wirken, weil sich die Homöopathen (oder allgemein Alternativmediziner) Zeit für ihre Patienten nehmen, die Schlingel. Warum man genau das dann nicht auch in der Schulmedizin macht, könnte man naiv fragen. Die Antwort ist, dass man damit kein Geld verdient. Das ganze Medizinsystem ist so gestrickt, dass es den Anschein erwecken soll, maximal effizient zu sein. In Wirklichkeit ist es das längst nicht mehr, das Pfeifen die Spatzen von den Dächern. Ärzte sind in einigen Regionen ebenso Mangelware, wie Pflegepersonal.
Das könnte man noch weiter ausführen, als Andeutung soll es genügen.
Die scheinbare Trendwende von immer mehr de luxe Stationen ist nur scheinbar, das sie de facto zu einer Zweiklassenmedizin führt, die wir in weiten Teilen längst schon haben.

Nanna hat geschrieben:Die Aufklärung hatte und hat ja genau da den zentralen Anspruch, den Menschen durch Selbsterkenntnis mündig zu machen und ihn damit in die Lage zu versetzen, sich wahrhaft zu emanzipieren. Mir ist schon bewusst, dass das mit einem sklavischen Anwenden szientistischer Methoden auch nichts zu tun hat.
Ja.
Es gibt einen Unterschied zwischen dem Austausch des Glaubensinhalts und eigenständigem Denken. Die mit einer eigentümlichen Lust vorgenommene Marginalisierung bishin zur Verabschiedung des Subjekts ist nun exakt das Gegenteil der Aufklärung, auch wenn man den Stempel „streng wissenschaftlich“ drauf pappt.
Rein logisch ist es halt eine Doppelbotschaft jemanden aufzufordern selbst zu denken, ihm aber dann postwendend zu erklären, was der einzig richtige Weg ist.
(Ich habe immer den Verdacht, dass das die Leute sind, die auch nicht mehr als genau einen Weg kennen.)
Wenn es aber wahr ist, dass man gewisse logischen Grundstrukturen gar nicht hintergehen kann (eine Frage, die umstritten ist, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/g ... 89267.html ), dann muss es auch wahr sein, dass man auf dem Boden verschiedener Ansätze ans Ziel kommt.
Der grundlegende Unterschied zwischen den meisten Formen der Schulmedizin und einigen der Alternativmedizin ist vermutlich das, was zuweilen analoges Denken genannt wird und was diese ganzen Elementenlehren usw., verbindet und auch den Ansatz der Homöopathie einschließt (was die Homöopathie aber noch immer nicht davon befreit nachzuweisen, dass es tatsächlich möglich ist, Informationen zu isolieren, auf dem von ihr vorgeschlagenen Weg).

Nanna hat geschrieben:Aber egal, wie man es nun angeht, der Wille zu verstehen - nicht einfach nur zu glauben oder zu fühlen und es dabei zu belassen - liegt dem ganzen Projekt ja zu Grunde. Ich sehe die Schattenseiten der radikalen Dekonstruktion, die Gefahr eines Nihilismus, keine Frage, aber ich kann ja nicht aus Angst vor der bösen Welt und einer grauen Realität in eine naive Wohlfühlwelt fliehen. Das hat was Blumengießerhaftes.

Schatten, ja, vor allem aber auch Selbstwidersprüche. Und Kreisler legt natürlich den Finger in die Wunde, aber die Aufforderung die ich darin sehe, sich nicht in die heile private Welt zurückzuziehen und alles weitere zu ignorieren, mag richtig sein oder nicht, mir ist es noch lieber als der geifernde Fundamentalist. Man könnte natürlich auch den Revoluzzer geben, aber oberflächliche Empörung ist ein wenig auch der Spaß der Postmoderne.
Nur muss man aufpassen Alternativmedizin nicht als politischen Protest zu überhöhen, ich zumindest will damit kein Signal setzen, ich nutze sie, weil sie mir hilft. Und ich denke, den meisten anderen geht es ebenso.
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