Dr Fraggles hat geschrieben:Falsch: beides sind Motivationen, ersteres als Leidensdruck empfundenes Defizit (und darauf aus das Leid zu minimieren), letzteres das Defizit als primär positiven Anreiz empfindend. Vereinbar sind sie nicht. Im ersteren Fall läge der "Nutzen" in der Schliessung der Wissenslücke (nicht aber in der Wissenssuche). Im zweiten Fall wäre der "Nutzen" primär die Wissenssuche selbst.
Vielleicht handelst
du nur monokausal, aber andere Menschen haben manchmal mehrere Motive, um eine Sache zu tun: Ich kann einerseits den Anreiz haben, den Tod zu überwinden, andererseits Freude daraus schöpfen, mein Wissen zu mehren, wenn ich mich mit Biochemie beschäftige. Einerseits nervt es mich, wenn ich etwas nicht weiß und dies veranlasst mich, mein Wissen zu mehren, andererseits will ich auch das Wissen erwerben, um aus diesem einen Nutzen zu ziehen - wo bitte soll die Unvereinbarkeit liegen? Nur weil das eine aus negativem Empfinden und das andere aus positivem Anreiz erwächst, schließt sich beides nicht aus. Das Stichwort ist Ambivalenz - Liebe wird z.Bsp. manchmal als bittersüß bezeichnet (und viele andere Dinge, die einerseits angenehm, andererseits auch unangenehm sind).
Dr Fraggles hat geschrieben:Nein: es besagt, dass das Anwachsen des Wissens kein Indiz ist für deren relativen Umfang im Verhältnis zum Total des Wissbaren, wie es du behauptest.
Klar, man nähert sich nämlich einem Plateau an (vielleicht kennst du die Kurve): Bei Wachstumskurven gibt es zunächst eine Anpassungsphase (lag), dann die Phase des positiven Wachstums (exponentielle), dann eine stationäre und schließlich eine Absterbephase. Das kannst du von verschiedenen Populationen auch auf das Wissen anwenden und momentan ist zumindest in der Branche der Medizin bei der Wirkstoffentwicklung eine eher konstante und leicht zurückgehende Einführung von neuen Präparaten - also eine stationäre Phase. Unsere Lebenserwartung wird momentan auch eher konstant bis rückläufig eingeschätzt. Und dann gibt es noch etwas - den finanziellen Aufwand, den man für Forschung leistet: Er nimmt fast logarythmisch zu, bei leider konstanter Anzahl von Ergebnissen.
Wenn es also aufwendiger wird, neues Wissen zu erwerben, ist es schlechter verfügbar, was u.a. auch an der potentiellen Menge des noch erwerbbaren Wissens liegt.
Dr Fraggles hat geschrieben:Das Beispiel Kosmologie (man kann auch die Genetik als Beispiel wählen) zeigt beispielhaft wie unsere Einschätzung des (noch) nicht Gewussten sich relativ zum Anwachsen unseres Wissens verändern kann (und zwar durchaus in nicht antizipierter Art und Weise), allerdings nicht in Relation zum Gesamt des Wissbaren, denn dies würde ja bereits eine Ahnung um das Ausmass dieses Gesamt implizieren, welche Ansicht du ja in der vorherigen Antwort bestätigt hast.
Ich weiß gar nicht, woher du glaubst annehmen zu können, man hätte damals bereits gedacht, fast alles zu wissen - wenn du selbst Kosmologe bist, würde mir das was sagen, aber in Sachen Genetik hatte ich nie den Eindruck, meine Vorgänger hätten gedacht, sie hätten kaum noch Lücken. Also ich kann deinen Eindruck einfach nicht teilen und ich bin mitten drin in der Branche. Ich glaube weder, dass ich fast alles in dem Bereich weiß, kann aber absehen, was noch erfahrbar wäre.
Was dir diesen EIndruck vielleicht vermittelt, ist die Vorsicht der meisten Wissenschaftler mit Prognosen - manche klingen zu fantastisch, um sie auszusprechen und daher sagt man einfach mal, dass man auf einem Zenit angekommen ist.
Dr Fraggles hat geschrieben:Etwas messen was ausserhalb der naturwissenschaftlichen Gesetzmässigkeiten liegt? Schön formuliertes Sinnkriterium: was nicht (naturwissenschaftlich) gemessen werden kann, existiert nicht.
Tja, aber was heißt denn naturwissenschaftlich - es bedeutet einfach, dass ich es wenigstens sehen, hören, schmecken oder sonstwie wahrnehmen muss - wenn das nicht der Fall ist, existiert es nicht.
Du versuchst zu suggerieren, dass alles außerhalb eines Datenbildschirms an einem Messgerät ignoriert wird, aber diese Gereäte sind letztlich nur Hilfsmittel für unsere Sinne - deswegen habe ich auch nur allgemein formuliert, dass man etwas intersubjektiv wahrnehmen können muss, um von dessen Existenz berechtigt ausgehen zu können.
Dr Fraggles hat geschrieben: Es gibt aber Phänomene die schlicht nichts mit Messen zu tun haben könnten, und zunächst nur einfach zur Kenntnis genommen werden müssten und ebensolche könnten durchaus ignoriert werden
Wie gesagt, du bist naiv und schlichtweg unfähig, die Arbeit eines Naturwissenschaftlers einschätzen zu können - alles fängt mit reiner Beobachtung an, ohne Messgeräte, nur mit den Sinnen.
Dr Fraggles hat geschrieben:: was nicht als Messbares existiert kann nicht existieren (sprich: das dogmatisch werden eines methodologischen Physikalismus: dass eine solche alle Seinsweisen und Phänomene erfassen kann und nichts ausserdem).
Nenn mir doch einen guten Grund, warum man vom Gegenteil ausgehen sollte! Du gehst doch auch nicht grundsätzlich von allem aus in jeder Situation! Gehst du davon aus, dass Scarlet Johansson bei dir an der Tür klingelt, wenn du gerade dein Geschirr wäschst? Dass du im Flugzeug in der Luft von einem Auto überfahren werden kannst? Nein (wenn du auch nur ein bisschen Verstand hast), tust du nicht. Also: Welchen Grund sollte man haben, etwas einzuräumen, was man noch nie beobachtet hat und überhaupt nicht wahrnehmen kann? Wunschdenken? Tja, dann bist du mitten im religiösen Glauben und kannst dich aus der Diskussion der angeblich falsch-dogmatischen Ideologie der Naturwissenschaften verabschieden.
Dr Fraggles hat geschrieben:Dass es keine Indizien gibt für Sachen jenseits des naturwissenschaftlich Feststellbaren (mal abgesehen von Geisteswissenschaften), ist eine starke Behauptung.
Ich meinerseits sehe es als starke Behauptung, mir weismachen zu wollen, ich müsse auch von überhaupt nicht wahrnehmbaren und beobachtetem ausgehen, es könnte existieren. Ich habe ja meinen Standpunkt begründet: Ich kann etwas beobachten, wahrnehmen - und wenn diese reproduziert werden kann, gelangen wir in den naturwissenschaftlichen Bereich. Und was war nochmal dein Argument, warum man von einer nicht-beobachtbaren Welt ausgehen müsse??? Geisteswissenschaften (zumindest die "seriösen") beschäftigen sich auch nur mit beobachteten Informationen - Sprache ist Information auf phonetischer Ebene, Ideen, Ideologien und Überzeugungen sind auch beobachtbare Informationen. Alle mentalen Produkte, die nur der grauen Materie zwischen 2 Ohren entspringen konnten.
Dr Fraggles hat geschrieben: Alles was irgendwie zur Parapsychologie etc. zu zählen wäre, all diese Phänomene kannst du als fakes oder als naturwissenschaftlich erklärbar oder irgendwann naturwissenschaftlich erklärbar bezeichnen? Auf Grund welchen Wissens?
Richtig - entweder ist etwas Humbug oder verifizierbar - das kann man über eine Methodik überprüfen: Ist die Beobachtung reproduzierbar? Ist die Beobachtung mehr als einmal unabhängig zwischen mindestens 2 Personen, die sich nicht abgesprochen haben, gemacht worden? Was waren die Umstände der Beobachtung? Ist der Aussage Vertrauen zu schenken (also wenn eine geistige Zurechnungsfähigkeit vorliegt, die nicht durch Drogen oder Geisteskrankheit beeinflusst ist)? Ganz simpel.
Dr Fraggles hat geschrieben:Nun, du hattest davon geredet, dass die Wissenschaft die Antwort auf die Frage nach der Stellung des Menschen im Kosmos revidiert habe.
Richtig, und zu sagen, dass wir nicht der Mittelpunkt des Universums sind, bedeutet nicht sagen zu können, was "unser Platz im Universum" ist - um mich nochmal zu wiederholen. Ich habe schon verstanden, wovon du redest und deine Annahme ist falsch: Nicht den Platz des Menschen im Universum zu wissen (wie gesagt, eine bescheuerte Fragestellung, die doch nur den Anthropozentrismus befriedigen soll), bedeutet nicht, dass man nicht trotzdem sagen kann, dass er zumindest nicht lokal das Zentrum ist. So einfach. Thomas Edison hat fast alle Metalle für den Glühdraht ausprobiert, bis er Wolfram nutzte - er hatte durchaus Berechtigung zu sagen, dass er wusste, welche Metalle ungeeignet sind, auch wenn er nicht wusste, welche geeignet sind.
Dr Fraggles hat geschrieben: Ich rede nicht von Falschheit wegen mangelndem Wissen (welcher befragter Mangel du als Bescheuertheit kennzeichnest), sondern, dass Aussagen die das faktisch vorhandene Wissen übersteigen als hermeneutische Interpretationen zu betrachten sind (die durchaus plausibler oder weniger sein können).
Was hat das jetzt mit Hermeneutik zu tun? Du kannst natürlich immer alles interpretieren, wie du willst - es gibt immer Spielraum. Trotzdem musst du eine gewisse Plausibilität deiner Argumentation an den Tag legen, wenn du jemanden überzeugen willst - z.Bsp. von der Falschheit von Aussagen, die angeblich aktuelles Wissen übersteigen. Nenn ein Beispiel (und dein "Mental"-Beispiel ist ziemlisch schlecht gewesen, mit deiner philosophische Kategorisierung zum metaphysischen Physikalismus stehst du ziemlich alleine dar und jeder seriöse Verhaltensbiologe oder Psychologe würde dich dafür auslachen.).
Dr Fraggles hat geschrieben: Hm, ich hatte dich zuvor (in deinem vorhergehenden Beitrag) so verstanden, als seien Fragen über das Gesamt des Wissbaren (oder gar Existierenden) nicht möglich und auch sinnlos...was mir auch deine letzte Antwort in diesem Beitrag zu sagen scheint. Aber vielleicht meinst du das Gesamt bezogen auf eine klar begrenzte Fragestellung innerhalb eines klar abgesteckten Forschungsfeldes.
Natürlich meine ich das nicht so - es gibt keine Universalgenies, die Experten in Quantenphysik und Genetik sind, es gibt nur Spezialisierung. Aber das musst du auch tun, wenn du die Methodik oder Philosophie der Naturwissenschaftler kritisierst, da es auch immer nur um konkrete Fachbereiche geht und keinen philosophischen Ansatz. Diese Spezialisierung und Perspektive, die man als Naturwissenschaftler einnimmt hat viele Gründe - u.a. auch den, dass manches Wissen einfach uninteressant ist. Willst du etwa wissen, was heute in der Boulevard-Presse steht, wenn du gerade einen neuen Signaltransduktionsweg erforscht??? Natürlich nicht. Und ja, es ist sinnlos, darüber zu philosophieren, ob man alles wissen will - denn auch die Kategorisierung in Physik, Biologie, Chemie, Kosmologie ist nicht ohne Makel - Kausalitäten, Erklärungen sind oft übergreifend und ab einem gewissen Momentum sind einfach zu viele Dinge zu berücksichtigen (auch innerhalb eines Faches).
Dr Fraggles hat geschrieben:Dass die dunkle Materie die nicht messbar strahlende ist, yep, darum auch die "dunkle" Materie (irgendwie logisch).
Naja, man kann nicht alles vorraussetzen und muss es mal erwähnen (andere glauben z.Bsp. beim "Gottesteilchen" tatsächlich einen Beweis für eine göttliche Existenz zu wittern
).
Dr Fraggles hat geschrieben:100% (das Gesamt von Masse/Energie) minus ein Viertel von 22% und etwa 5% (sichtbare/strahlende Materie), verbleiben noch etwa 89% unbekannte Masse/Energie.
Unbekannt bedeutet - wie gesagt - nicht unerklärbar aufgrund des aktuellen Wissensstandes. Teile wurden bereits aufgeklärt und werden es auch täglich (jeder Planet, denn man durch z.Bsp. die Beobachtung des "Wobble" findet, ist schon ein weiterer Teil der erklärten "dunklen Materie".
Dr Fraggles hat geschrieben:Dass man durch Beobachtung und Messung zu Widersprüchen gelangt (dass die sichtbare Materie eben insgesamt oder in einem Bereich zu wenig Masse hat um beobachtbare Bewegungen im Universum erklären zu können), welche Hinweise auf die Unvollständigkeit des bisherigen Wissens (z.B. Masse evtl. auch Gravitationsgesetz betreffend) liefern, hat mit Antizipation rein gar nichts zu tun.
Doch natürlich, schließlich bedeutet Antizipation, Vermutungen aufgrund des vorhandenen Wissens aufzustellen. Wenn man zu einem Widerspruch kommt, bedeutet, dass ein Ergebnis der Erwartungshaltung (dem antizipierten Ergebnis) nicht entsprach. Wenn das der Fall ist, revidiert man die berücksichtigten Informationen (das bekannte Wissen). Das wiederum bedeutet, man nimmt an, man hat etwas nicht berücksichtigt (Wissen, Information, welche nicht vorhanden war).
Dr Fraggles hat geschrieben: Ich redete aber vom Gesamt des Wissens und eben nicht von den notwendig beschränkten Horizonten (und Fragestellungen!) wie sie in der Wissenschaft anzutreffen sind.
Dann kannst du nicht von "Wissen" reden. Am ehesten von Wissen zu sprechen, haben die
Wissenschaften und nicht Tagträumereien. Beschränkt ist der Horizont, wenn dazu gehört, anzunehmen, man könne sich distanziert mit dem Phänomen "Wissen" beschäftigen, ohne selbst zu wissen oder zu wissen, wie es erlangt wird. Ich habe den Eindruck, du benutzt den Begriff inflationär, wenn du von Wissen außerhalb der Wissenschaften redest.
Dr Fraggles hat geschrieben:Die Voraussage des Higgs-Bosons könnte man allenfalls als Antizipation verstehen[...]Dass gerade in der Teilchenphysik schon manches Teilchen korrekt vorhergesagt wurde, zeigt durchaus die Leistungsstärke der wissenschaftlichen Methoden. Diese ist aber auch dem geschuldet, dass die Fragestellungen und Methoden bewusst begrenzt werden, was den Wissenschaftlern nicht immer bewusst bzw. präsent zu sein scheint.
Jede Vorraussage ist Antizipation. Die Begrenzung ist den Wissenschaftlern meist gut bewusst - spätestens wenn sie Hilfe eines Kollegen aus einem anderen Fachbereich benötigen. Aber das bedeutet nicht, dass der Horizont gering gehalten wird oder die Aussagekraft der Naturwissenschaften allgemein beschränkt ist.