ganimed hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:Weil das, was Du „überlegt“ nennst von den Kompatibilisten „frei“ genannt wird.
Ich habe eine Theorie genannt, wieso du eine überlegte Entscheidung frei nennst. Hast du auch eine?
Ich habe eine Definition, es ist die, die Du von Hobbes zitiert hast.
Diese erfüllt die Kriterien dessen, was auch ich Freiheit nennen würde, in angemessener Weise.
ganimed hat geschrieben:Bekanntermaßen hast du sie bisher nicht erwähnt, wenn ich dich danach gefragt habe. Bevor du also einfach meine Theorie abtust (endlich habe ich eine und kann mir deine Wortverdrehung erklären), hätte ich gerne noch eine Begründung. Wieso macht eine determinierte Überlegung eine Entscheidung frei? Frei wovon? Wieso frei?
Eine determinierte Überlegung ist frei, weil sie Elemente der Willkür und des Zufalls ausschließen, von denen ich nicht erkennen kann, wie, wo oder warum sie die Freiheit vergrößern.
Die kompatibilistische Freiheit ist die Freiheit von Zwang und davon, dass aus Schlüssen Beliebiges folgt.
Wenn jederzeit Beliebiges folgen kann, kann man m.E. von der Freiheit meines Willens nicht mehr reden.
ganimed hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:Dass Du nun ein „Freiheitsgefühl“ ins Spiel bringt, verkennt den logischen Charakter des Ganzen.
Was ist denn bitteschön der logische Charakter?
Dass die Freiheit aus simplen logischen Schlüssen folgt.
Ich mag Pizza.
Wenn es hier Pizza gibt, werde ich eine bestellen.
Es gibt Pizza.
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Ich möchte bitte, eine Pizza.
Das ist meine persönliche Vorliebe plus Modus ponens.
ganimed hat geschrieben:Was ist denn deine Logik, wenn du eine determinierte Entscheidung als frei bezeichnest?
Die zweiwertige Prädikatenlogik, was wilder klingt, als es ist, man kann auch sagen: Die stinknormale Logik, die wir alle benutzen.
ganimed hat geschrieben:Nehmen wir ein Beispiel: eine Zug fährt in einen Bahnhof ein. An welchem Gleis er hält wird von einer Weiche bestimmt. Je nachdem, wie die Weiche eingestellt ist, hält der Zug an Gleis 1 oder 2.
Wir sind uns doch hoffentlich einig, dass die Gleisentscheidung des Zugs determiniert wird von der Weiche. Die Gleisentscheidung des Zugs ist demnach wohl kaum als frei zu bezeichnen.
Ja, der Zug ist unfrei.
ganimed hat geschrieben:Nehmen wir noch ein Beispiel: du (ein Mensch) läufst auf den Schienen in einen Bahnhof rein. An einer Stelle, wo die Schinen sich teilen, kannst du entscheiden, ob du links zu Gleis 1 oder rechts zu Gleis 2 laufen möchtest, um dort meinetwegen die Schienen zu verlassen.
Ich als Inkompatiblilist nenne die Entscheidung des Zugs unfrei und die des Menschen ebenfalls unfrei. Beide Entscheidungen waren determiniert.
Dass jemand/etwas determiniert ist, sagt darüber ob man/es frei ist, nichts aus, denn nach kompatibilistischer Einstellung hat beides nichts miteinander zu tun.
Deine Aussage klingt für einen Kompatibilisten wie: „Er kann keine Äpfel mögen, denn er hat einen Schnäuzer.“
Was mir gerade noch auffällt.
Es gibt ja zwei grundsätzliche Wege, die (Un)Stimmigkeit von etwas zu untersuchen.
In unserem Fall kann man entweder Dein favorisiertes System untersuchen, den inkompatibilistischen Neurodeterminismus oder das kompatibilistische System.
Du müsstest aber versuchen, dann auch in dem untersuchten System zu blieben, es sozusagen empathisch von innen nachzuvollziehen.
Was Du aber oft machst, ist den Kompatibilismus aus Sicht des Inkompatibilismus zu verstehen, und da sich bereits die Grundthesen diametral gegenüberstehen:
Freiheit und Determinismus schließen einander aus = Inkompatibilismus vs. Freiheit und Determinismus schließen einander nicht aus = Kompatibilismus,
kann das so nicht klappen.
Du kannst entweder versuchen, wie ein Kompatibilist zu denken und zu schauen, ob das am Ende passt und wenn nicht, sagen, was Deiner Meinung nach nicht passt oder wie ein Inkompatibilist denken und versuchen dortige Begriffe zu klären, insbesondere der Freiheitsbegriff ist ein heißer Kandidat.
ganimed hat geschrieben:Na, und ich will die Inkompatibilisten nicht selber loben, aber das ist doch mal eine logische Betrachtung. Die logische Regel: wenn du determiniert bist, dann biste nicht frei sondern bestimmt, festgelegt, begrenzt, bedingt, fixiert.
Das ist ja einfach die Grundthese des Inkompatibilismus: Freiheit und Determinismus schließen einander aus.
Das wissen wir ja. Nun wollen wir prüfen, wie weit man damit kommt.
Wenn Züge auf Schienen und Menschen damit gleichermaßen frei sind, nämlich gar nicht, erklärt dieses Konzept m.E. wenig bis nichts aus unserem Alltag.
Warum soll man drangsalierende Religionen überwinden? Weil die unfrei machen? Nun, wir sind alle unfrei.
Warum forscht, sanktioniert, erzieht man?
Was meinte Kant Aufklärung sei der Ausweg des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit?
Was ist der Unterschied Deiner Auffassung zum karmischen Kastensystem der Inder?
Warum meinst Du, funktioniert Psychotherapie?
Wären Fragen die ich in dem Kontext dann stellen würde.
ganimed hat geschrieben:Du als Kompatibilist differenzierst:
a) der Zug ist immer unfrei. Der kann ja nicht denken und nicht wirklich entscheiden.
Ja.
ganimed hat geschrieben:b) um zu entscheiden, ob du (der Mensch) frei entschieden hast, musst du wissen, wie die Entscheidung zustande kam, besser gesagt: wie du die Entscheidung erlebt hast und selber beurteilst.
-b1: du läufst auf den Gleisen, siehst die Verzweigung, überlegst kurz, welche Richtung dir lieber ist. Dir fällt ein, dass du als Kind in einer ähnlichen Situation mal nach rechts liefst und dann von einem Hund gebissen wurdest. Du entscheidest dich also diesmal lieber für links.
Das ist ja eher eine irrationale Entscheidung aus dem Halbbewussten. Dir und mir und sonst wem, ist immer schon mal irgendwas passiert, woran man sich erinnern könnte oder auch nicht, aber links oder rechts, sind ja keine Ziele, mit denen man irgendwas verbindet.
Was ist das denn für eine Situation? Will ich einfach laufen? Schnell nach Hause? Suche ich was?
Wenn ich wirklich ein Ziel habe, z.B schauen will, wo ein Mensch, den ich suche hergelaufen sein könnte, von dem ich weiß, dass er Zigaretten raucht, dann werde ich an der Verzweigung schauen ob in der Nähe links oder rechts, Kippen liegen. Dann habe ich einen guten Grund, der jeweiligen Richtung zu folgen.
Wenn ich mich heillos verirrt habe und in die nächste Stadt will, folge ich den blankeren Schienen, in der Hoffnung, sie mögen befahrener sein und ein Zug könnte mich mitnehmen oder ich könnte einen Bahnhof finden. Ich habe dann einen Grund.
Wenn ich einfach loslaufe, ohne Ziel und Plan, weil ich sinniere, ob mein Leben noch eine Sinn hat, dann ist es mir vermutlich egal und ich überlege nur kurz und wähle eher intuitiv.
Aber wenn ich Gründe habe und angeben kann, ist das eine freie Entscheidung, klares ja.
ganimed hat geschrieben:-b2: du läufst auf den Gleisen, siehst die Verzweigung und entscheidest dich völlig unbewusst, ohne zu wissen wieso, für links. (Aus der Gottperspektive wissen wir, dass du als Kind in einer ähnlichen Situation mal nach rechts liefst und dann von einem Hund gebissen wurdest. Die tief vergrabene Erinnerung kommt gar nicht ins Bewusstsein, sondern wird vom limbischen System unterbewusst bewertet, was den Impuls, nach links zu laufen, auslöst. Dir wird nur bewusst: ich will nach links, keine Ahnung wieso.)
Ja, da steckt die Antwort doch schon drin: unbewusst.
Man weiß nicht, was man tut, also kennt man die Gründe nicht, agiert folglich unfrei.
ganimed hat geschrieben:-b3: du erhälst bei der Gleisverzweigung ein Funksignal und die in deinen Neuronen eingepflanzte Sonde generiert daraufhin das übermächtige Signal für die linke Seite. Du weisst nichts von der Sonde. Es kommt dir so vor, als hättest du urplötzlich den starken Wunsch gehabt, nach links zu laufen. Professor Mehdorn, der die Sonde programmierte und dir heimlich injeziert hatte, sitzt im Bahnhofsgebäude und lacht diabolisch.
Man ist ferngesteuert, also unfrei.
ganimed hat geschrieben:-b4: du erhälst bei der Gleisverzweigung ein Funksignal und die in deinen Neuronen eingepflanzte Sonde generiert daraufhin das übermächte Signal für die linke Seite. Du weisst von der Sonde, weil dir der Assistenten des Professors, nachdem er ein schlechtes Gewisssen bekommen hatte, davon erzählte. Aber es nützt nichts, du kommst nicht gegen den Impuls an und läufst gegen deinen Willen nach links. Professor Mehdorn, der die Sonde programmierte und dir heimlich injeziert hatte, sitzt im Bahnhofsgebäude und lacht diabolisch.
Ja, diese Situation gibt es, man handelt unter Zwang, aber weiß davon. Zwang = Unfreiheit, aber gleichzeitig weiß man, dass man unter Zwang agiert, kommt aber nicht dagegen an.
ganimed hat geschrieben:Wenn man mich fragt: In allen Fällen war die Entscheidung für Gleis 1 unfrei, weil determiniert.
Wenn man dich fragt, in welchen Fällen würdest du (als Läufer) die Gleisentscheidung für frei halten?
Nur im Fall b1 hast du bewusst überlegt. In den Fällen b2 und b3 konntest du dich zumindest gemäß deines Wunsches entscheiden. In b4 sind vermutlich keine deiner Bedingungen für Freiheit erfüllt.
Nur bei b1, wenn man tatsächlich ein Ziel hat, wie erläutert, würde ich von Freiheit reden.
Wenn ich Dir sage: „Entscheide Dich bitte spontan zwischen links und rechts“ dann kannst Du das vielleicht tun, aber wenn ich dann stundenlange Verhöre anstelle und sage: Warum hast Du Dich denn nun so und nicht anders entschieden?, dann ist das sehr künstlich, denn ich wollte ja, dass Du Dich entscheidest, Dir ist das vielleicht vollkommen unwichtig gewesen und Du wolltest mir einfach einen Gefallen tun, weil er Dich nicht viel kostet.
ganimed hat geschrieben:Alle Fälle haben eins gemeinsam: deine Entscheidung war determiniert und ergab immer das gleiche Ergebnis. Links.
Ja, nur sagt das Determiniertsein eben nichts über die Freiheit aus.
ganimed hat geschrieben:Wenn du die Fälle unterschiedlich frei wertest, kann es also nicht an der Determiniertheit liegen. Woran liegt es dann?
An dem unterschiedlichen Freiheitsbegriff den Kompatibilisten und Inkompatibilisten verwenden.
ganimed hat geschrieben:Es hängt davon ab, wie du die Fälle erlebt hast und welchen Eindruck du gewonnen hast, oder? Es ist ein Wohlfühlkriterium, kein Fakten-Kriterium.
Das eine schließt das andere nicht aus. Ich kann das Ziel haben, mich wohlfühlen zu wollen (ich persönlich glaube, neben dem Drang nach Erkenntnis das Ziel des Menschen überhaupt) und dann stellt sich die ganz rationale Frage, wie ich das erreiche.
Der Mensch ist weder ein rein irrationales Triebtier, das gezwungen ist, auf alle willkürklichen Reize zu reagieren, wie uns die Neurodeterministen (und Du) glauben machen wollen – sondern, er hat die Fähigkeit zur Affekt- oder Impulskontrolle – noch ist er eine schnöde Rechenmaschine mit Ohren, die maximal rational agiert – wie Philosophen oft gerne glaub(t)en – sondern er ist ein Mischwesen, das sowohl affektiv als auch auf der Basis guter Gründe ansprechbar ist, je nach Kontext, mal mehr, mal weniger in die eine oder in den andere Richtung weisend.
ganimed hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:Wenn ich eine rationale Entscheidung getroffen habe, habe ich nicht das Gefühl frei zu sein, sondern dann bin ich, formallogisch frei.
Woher weißt du denn, dass du eine rationale Entscheidung getroffen hast?
Indem ich behaupte, eine rational nachvollziehbare Entscheidung getroffen zu haben, die Gründe, die zu meiner Entscheidung geführt haben, veröffentliche (also einfach jemandem sagen oder hinschreibe) und dieser andere Mensch zu dem Urteil kommt, er, der sich auch für ein rationales Wesen hält, hätte meine Entscheidung auch so treffen können, wenn die Prämissen, die für mich galten, auch für ihn gegolten hätten.
Du neigst aber zu einem radikalen Skeptizismus in der Frage und würdest vermutlich sagen, niemand könne wissen, ob er ein rationaler Mensch ist.
Das ist in der Philosophie erledigt, da inzwischen gilt, dass auch grundlose Zweifel nicht einfach so angenommen werden, sondern begründet werden müssen, weil man sonst ständig in idiotische Diskussionen verwickelt ist: Bist Du sicher, dass Du kein Außerirdischer bist? Ist der Mond wirklich nicht aus Käse und die Mondlandung ein Fake?
Bist Du wirklich sicher, dass wir nicht platonischen Kugelwesen sind, die bei der Geburt getrennt werden? Die Frage lautet hier also nicht, was spricht für die Auffassung, das es wirklich so ist, sondern was spricht überhaupt begründet dagegen.
Für Deine Frage (und allgemein die Ansicht Neurodeterministen) ist aber entscheidend, dass, wenn Du
argumentierst, dass und warum der Mensch kein freies Wesen ist, dessen Freiheit durch die Fähigkeit das Spiel des Gebens und Nehmens/Verlangens von Gründen ausreichend bestimmt ist (das ist einfach eine andere Formulierung für die Sichtweise der Kompatibilisten, bei denen Freiheit aus der Fähigkeit sein Handeln und Wollen begründen zu können, resultiert), Du (und die Neurodeterministen) sofort in einen performativ Selbstwiderspruch gerätst, denn damit begründest Du, warum der Mensch zum Verarbeiten von Gründen sowieso nicht in der Lage ist.
Das ist nicht wirklich überzeugend, oder deutlicher: ein logischer Fehler.
ganimed hat geschrieben:Das kannst du nicht wissen, was bei dir im Kopf nun genau unbewusst verhandelt wurde, welche bewussten Argumente genau in welcher Reihenfolge auftauchten (und warum) oder ob gar die Mehdornsche Sonde mitmischt oder Süchte oder Hypnose oder Reflexe oder ein Tumor, der auf irgendwas drückt. Du hast nur das GEFÜHL, eine rationale Entscheidung getroffen zu haben. Das Wort "formallogisch" gehört also wohl kaum hierher.
Aber ich bin kein Solipsist und nicht allein auf der Welt. Ich kann fragen, ich verfüge über Argumente, ich kann Kritik annehmen – de facto hat man übrigens den Modus des Spiels des Gebens und Nehmens/Verlangens von Gründen internalisiert, so dass man sich in sehr vielen Situationen durchaus selbst auf die Schliche kommt, oft sogar als erster.
Das spiegelt sich in Formulierungen wie: „Ich glaube, irgendwas stimmt nicht mit mir“ wieder.
Unsere Sprachspiele sind sehr differenziert und basieren wesentlich auch der zweiwertigen Prädikatenlogik, die sozusagen immer mitläuft. Die Neurodeterministen sprengen kurzerhand alle gebräuchlichen – und auf Rationalität und der stillen Voraussetzung, dass der andere ein rationales Wesen ist, beruhenden – Sprachspiele, was erst mal ihr gutes Recht ist, aber sie bieten keine Alternative an, begehen eine Selbstwiderspruch nach dem anderen und machen vermutlich neurowissenschaftlich (fast) alles richtig, aber das Weltbild, was sie daraus ableiten, ist in nahezu allen Punkten falsch, selbstwidersprüchlich... und ich glaube den harten Neurodeterminismus vertritt auch heute niemand mehr.
Um Singer ist es still geworden, Roth hat die Fronten gewechselt und außer im Feuilleton und in Internetforen wird das Thema meistens diskret übergangen.
Aber um auf die Frage zurückzukommen: Ich kann meine Gründe offenlegen und die andren können sie testen und ggf. Einspruch einlegen.
So funktioniert das und es funktioniert sehr gut.