Harter atheistischer Determinismus

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 8. Feb 2014, 17:03

ganimed hat geschrieben:Ich als Inkompatiblilist nenne die Entscheidung des Zugs unfrei und die des Menschen ebenfalls unfrei. Beide Entscheidungen waren determiniert. Na, und ich will die Inkompatibilisten nicht selber loben, aber das ist doch mal eine logische Betrachtung. Die logische Regel: wenn du determiniert bist, dann biste nicht frei sondern bestimmt, festgelegt, begrenzt, bedingt, fixiert.

Woher kommt diese logische Regel? Wer sagt, dass freie Entscheidungen unbestimmt, nicht festgelegt, unbegrenzt, unbedingt und nicht fixiert sein müssten?

Plausibler finde ich diese Gegensätze: determiniert <-> indeterminiert, frei <-> gezwungen.

ganimed hat geschrieben:Ich kann mir unabhängig davon denken, dass die Entscheidung nicht unabhängig war, also nicht frei.

Das ergibt keinen Sinn, weil etwas, das unabhängig ist, keine Entscheidung sein kann. Ebensowenig wie etwas, das unabhängig ist, eine Handlung sein kann.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Sa 8. Feb 2014, 17:20

ganimed hat geschrieben: Die Funktion des psychologischen Entscheidungsprozesses ist es, Entscheidungen zu fällen und unser Verhalten zu steuern. Genau das machen neuronale Vorgänge auch. Die Funktion bleibt also erhalten.

Die Neuronen eines Makaken und die Neuronen eines Menschen unterscheiden sich prinzipiell kaum voneinander. Aber, wie gesagt, es kommt halt nicht darauf an. Es kommt auf den Unterschied an. Das menschliche Gehirn ist eben nicht vollständig beschrieben, wenn man nur die Gemeinsamkeiten beschreibt. Ich gehe davon aus, dass der Wille eines Menschen - sogar der eines Individuums - etwas sehr Spezielles ist.

ganimed hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Die Frage ist, wodurch konkret diese Funktionsweise gestört werden kann.

Oje, dann hast du die ganze Zeit die falsche Frage vor Augen. Nein, nein, die Frage ist, ob auf der oberen Ebene, auf der psychologischen Ebene, etwas hinzu kommt, was bei der Reduktion auf Neuronen verloren ging, und was man als Freiheit für den Willen und die Entscheidungen interpretieren kann. Zumindest ist das meine Frage. Hast du darauf eine Antwort? Meine Antwort wäre: nein, es kommt nichts derartiges hinzu.

Was ist der Unterschied zwischen einem Dreieck und einem Viereck? Sie bestehen beide aus Punkten und Ecken - ist es deshalb das selbe? Was bei einem Viereck dazu kommt, ist halt das, was ein Viereck ausmacht. Das ist nicht nur eine Ecke mehr, sondern eine andere innere Struktur. Also nicht nur ein quantitativer sondern ein qualitativer Unterschied. Der "Wille" oder die "Psyche" sind ganz spezielle Strukturen im Universum. Sie benötigen keine spezielle "Substanz" für ihre Beschreibung - das meinst du vermutlich - aber, was soll's? Das Bemerkenswerte ist ihre strukturelle Eigenart und Stabilität inmitten einer chaotischen, der Entropie entgegenstrebenden Welt. Wenn ich dich wenigstens davon abbringen könnte, den Menschen als umhergestoßene Murmel zu sehen - dann wäre ich schon zufrieden.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Nanna » Sa 8. Feb 2014, 17:44

ganimed hat geschrieben:
stine hat geschrieben:Frei bist du immer dann, wenn du eine Wahl hast.

Du blendest hier die Frage, ob die Wahl frei ist, aus. Ich sage ja nicht, dass ich keinen Willen habe, dass ich mich nicht entscheiden könnte. Ich sage nur, dass ich keinen freien Willen habe und dass ich keine freien Entscheidungen treffen kann. Eben wegen der Determiniertheit. Determiniert sein heißt doch gerade unfrei zu sein.

Der Punkt, eine Wahl zu haben, ist meines Erachtens sehr wichtig.

Beispiel zur Veranschaulichung: Wenn ich auf einer Achterbahn sitze, dann wird mir ein Weg von außen aufgezwungen. Egal, ob ich dem Kurs der Achterbahn folgen will oder nicht, muss ich es tun. Wille und Geschehen sind nicht übereinstimmend. Gehe ich dagegen auf einer Wiese spazieren und darf selbst (um die Vokabel "frei" mal zu vermeiden) entscheiden, wo ich langgehen möchte, stimmen Wille und Geschehen überein: Ich hatte die Freiheit, meinem Willen zu folgen (= Willensfreiheit im Sinne des Kompatibilismus). Auf der Achterbahn hatte ich dagegen die Freiheit nicht, meinem Willen zu folgen, weshalb hier eine Zwangslage vorlag, die meine Freiheit eingeschränkt hat.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » Sa 8. Feb 2014, 18:38

AgentProvocateur hat geschrieben:Woher kommt diese logische Regel? Wer sagt, dass freie Entscheidungen unbestimmt, nicht festgelegt, unbegrenzt, unbedingt und nicht fixiert sein müssten?

Wenn etwas bestimmt ist, dann steht ja schon etwas fest, dann wurde bereits etwas bestimmt. Was auch immer bereits bestimmt ist, dieser Teil ist dann nicht mehr frei. Wer frei sein möchte, sollte also nicht vollständig bestimmt sein.
Wenn etwas festgelegt ist, dann ist es nicht mehr beweglich, nicht mehr änderbar, nicht mehr frei. Wer frei sein möchte, sollte also nicht vollständig festgelegt sein.
So könnte ich jetzt weiter machen mit "begrenzt", "bedingt" und fixiert. Es scheint mir die immer gleiche Argumentation zu sein. Dass es eine sprachliche Assoziation, eine synonymische Überdeckung (oder wie auch immer man das nennen könnte) gibt. Festgelegt ist eben eher unfrei als frei. Wer also behauptet "festgelegt ist unfrei", muss nicht mehr viel zeigen. Wer das genaue Gegenteil behauptet: "festgelegt ist frei", oder im Fall von euch Kompis "festgelegt ist gleichzeitig frei", der muss gute Argumente haben.

AgentProvocateur hat geschrieben:Plausibler finde ich diese Gegensätze: determiniert <-> indeterminiert, frei <-> gezwungen.

Aber "determiniert" heißt doch praktisch "gezwungen". Und wenn du "gezwungen" dann als plausiblen Gegensatz zu "frei" ansiehst, dann siehst du ja beinahe, genau wie ich, "determiniert" und "frei" ebenfalls als Gegensätze. Dann sind wir uns ja fast einig.

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Ich kann mir unabhängig davon denken, dass die Entscheidung nicht unabhängig war, also nicht frei.

Das ergibt keinen Sinn, weil etwas, das unabhängig ist, keine Entscheidung sein kann. Ebensowenig wie etwas, das unabhängig ist, eine Handlung sein kann.

Bleiben wir doch bei der Entscheidung (oder wie kommst du jetzt auf Handlung?) Eine Entscheidung ist doch beispielsweise ein Prozess, bei dem ich aus mehreren Wahlmöglichkeiten eine auswähle. Wieso ist eine unabhängige Entscheidung, wo es also von nichts abhängt, was ich wähle, keine Entscheidung? Wie ist deine Definition von Entscheidung?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » Sa 8. Feb 2014, 18:53

ujmp hat geschrieben:Ich gehe davon aus, dass der Wille eines Menschen - sogar der eines Individuums - etwas sehr Spezielles ist.

Du gehst offenbar ja nicht nur davon aus. Du unterstellst sogar noch mehr (wenn ich dich richtig einordne im Lager der Kompitabilisistikers): du glaubst, dass der Wille eines Menschen speziell frei ist. "Frei" im Sinne von: hätte auch anders wollen können und ist insofern verantwortlich und schuldig (falls die Entscheidung relativ schädlich war). Jetzt wäre es natürlich cool, wenn du hier schreiben könntest, dass du nicht nur davon ausgehst, sondern auch andeuten könntest, wieso du das tust. Ich glaube eine Antwort zu haben, falls ich damit nicht zu voreilig wirke. Du "erlebst" auf der psychologischen Ebene Freiheit, ein "ich hätte auch anders können", weil du die Determinanten, die kausalen Ketten nicht immer spürst. Und diese Illusion verleitet dich dazu, alles nötige anzunehmen, was man so braucht, um die Illusion als real deklarieren zu können. Dazu muss man einfach behaupten, dass zwar Neuronen determiniert sind, aber dass beim emergierenden Phänomen Psyche plötzlich und wundersam solche Dinge wie Freiheit entstehen. Ich vermute also, dass du genau deshalb davon ausgehst, um genau dort anzulangen.

ujmp hat geschrieben:Was ist der Unterschied zwischen einem Dreieck und einem Viereck? Sie bestehen beide aus Punkten und Ecken - ist es deshalb das selbe? Was bei einem Viereck dazu kommt, ist halt das, was ein Viereck ausmacht. Das ist nicht nur eine Ecke mehr, sondern eine andere innere Struktur. Also nicht nur ein quantitativer sondern ein qualitativer Unterschied.

Bei der Reduktion vom Viereck auf "etwas mit Punkten und Ecken" ist in der Tat Information verloren gegangen. Es gibt einen quantitativen und qualitativen Unterschied zwischen dem was man auf der reduzierten Ebene und dem was man auf der Ausgangsebene sieht. Es ist die innere Struktur verloren gegangen, die Anordnung der Ecken und ihre Anzahl.

ujmp hat geschrieben:Der "Wille" oder die "Psyche" sind ganz spezielle Strukturen im Universum. ... Das Bemerkenswerte ist ihre strukturelle Eigenart und Stabilität inmitten einer chaotischen, der Entropie entgegenstrebenden Welt.

Bei der Reduktion auf die neuronale Ebene ist was genau verloren gegangen? Du drückst dich hier für mein Gefühl etwas schwammig aus. Welche strukturellen Eigenarten meinst du genau? Und bitte nicht nur näher benennen sondern auch kurz erläutern, wieso diese Eigenarten den Entscheidungsprozess auf dieser Ebene freier als den auf der neuronalen Ebene machen? "Stabilität inmitten einer chaotischen, der Entropie entgegenstrebenden Welt", kann man das über die Neuronen und ihr Signalnetz nicht ebenfalls sagen?

ujmp hat geschrieben:Wenn ich dich wenigstens davon abbringen könnte, den Menschen als umhergestoßene Murmel zu sehen - dann wäre ich schon zufrieden.

Ein bisschen besser begründen, was mit der Reduktion schief läuft. Oder einfach erklären, wieso der menschliche Wille frei sein soll wo doch alles determiniert ist. Dann kriegst du es noch hin.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Sa 8. Feb 2014, 19:00

Nanna hat geschrieben:Wenn ich auf einer Achterbahn sitze, dann wird mir ein Weg von außen aufgezwungen. Egal, ob ich dem Kurs der Achterbahn folgen will oder nicht, muss ich es tun. Wille und Geschehen sind nicht übereinstimmend. Gehe ich dagegen auf einer Wiese spazieren und darf selbst (um die Vokabel "frei" mal zu vermeiden) entscheiden, wo ich langgehen möchte, stimmen Wille und Geschehen überein: Ich hatte die Freiheit, meinem Willen zu folgen (= Willensfreiheit im Sinne des Kompatibilismus). Auf der Achterbahn hatte ich dagegen die Freiheit nicht, meinem Willen zu folgen, weshalb hier eine Zwangslage vorlag, die meine Freiheit eingeschränkt hat.


Das ist wieder so ein Mix aus Psyche und Physik, der zu nichts Brauchbarem führt. Dein Wille ist m.E. unabhängig davon, ob du ihm folgen kannst oder nicht. Es gibt ja Leute, die auf dem Teppich fliegen wollen - ein Wunsch, der offensichtlich keine Rücksicht auf die Gegebenheiten Newtonscher Physik nimmt und in sofern "frei" von ihrem Einfluss ist. Der Wille wird dir jedenfalls nicht von der Achterbahn aufgezwungen, wohl aber von deinem Organismus, der so gebaut ist, dass er unnötigen Gefahren aus dem Weg geht.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 8. Feb 2014, 19:14

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Woher kommt diese logische Regel? Wer sagt, dass freie Entscheidungen unbestimmt, nicht festgelegt, unbegrenzt, unbedingt und nicht fixiert sein müssten?

Wenn etwas bestimmt ist, dann steht ja schon etwas fest, dann wurde bereits etwas bestimmt. Was auch immer bereits bestimmt ist, dieser Teil ist dann nicht mehr frei. Wer frei sein möchte, sollte also nicht vollständig bestimmt sein.

Eine Entscheidung muss bestimmt werden, ansonsten ist es keine Entscheidung. Fragt sich nur noch, wer die Entscheidung bestimmt, ob das (hauptsächlich) der Entscheider ist oder (hauptsächlich) jemand bzw. etwas anderes.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Plausibler finde ich diese Gegensätze: determiniert <-> indeterminiert, frei <-> gezwungen.

Aber "determiniert" heißt doch praktisch "gezwungen". Und wenn du "gezwungen" dann als plausiblen Gegensatz zu "frei" ansiehst, dann siehst du ja beinahe, genau wie ich, "determiniert" und "frei" ebenfalls als Gegensätze. Dann sind wir uns ja fast einig.

Wenn eine Entscheidung durch den Entscheider festgelegt (determiniert) wird, dann wird er nicht dazu gezwungen. Da sind wir uns gar nicht einig. Im Gegenteil sogar: wenn eine "Entscheidung" gar nicht festgelegt würde, diese unbestimmt, nicht festgelegt, unbegrenzt, unbedingt und nicht fixiert wäre, dann wäre das keine Entscheidung, sondern ein etwas, das demjenigen nur zustöße, denn dann hätte er keinerlei Kontrolle darüber.

Und: Determinanten/Umstände sind nicht gleich Zwang. Wenn sich z.B. Fritz dafür entscheidet, in Marburg zu studieren und nicht in Hintertupfingen, dann war sicher eine der Determinanten dabei die, dass es in Marburg eine Universität gibt und in Hintertupfingen nicht. Diesen Umstand als "Zwang" bezeichnen zu wollen, ist mE ziemlich merkwürdig. Dass es in Marburg eine Universität gibt, erhöht vielmehr die Freiheit von Fritz.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Ich kann mir unabhängig davon denken, dass die Entscheidung nicht unabhängig war, also nicht frei.

Das ergibt keinen Sinn, weil etwas, das unabhängig ist, keine Entscheidung sein kann. Ebensowenig wie etwas, das unabhängig ist, eine Handlung sein kann.

Bleiben wir doch bei der Entscheidung (oder wie kommst du jetzt auf Handlung?)

Nun, Freiheit in Deinem Sinne (Freiheit = Unabhängigkeit) müsste doch analog auch auf Handlungsfreiheit übertragbar sein, (-> eine Handlung ist nur dann frei, wenn sie von nichts abhängt), oder? Wenn nicht: warum nicht?

ganimed hat geschrieben:Eine Entscheidung ist doch beispielsweise ein Prozess, bei dem ich aus mehreren Wahlmöglichkeiten eine auswähle.

Ja.

ganimed hat geschrieben:Wieso ist eine unabhängige Entscheidung, wo es also von nichts abhängt, was ich wähle, keine Entscheidung? Wie ist deine Definition von Entscheidung?

Huh? Wenn Du aus mehreren Wahlmöglichkeiten eine auswählst, dann hängt Deine Wahl doch logischerweise von den bedachten Wahlmöglichkeiten und Deinen Überlegungen ab, oder etwa nicht? Wie kann man sich eine Wahl/Entscheidung (oder Handlung) überhaupt vorstellen, die von nichts abhängt? Klar, man kann sich einen mit Tourette-Syndrom vorstellen, der ab und zu mal zuckt oder unkontrollierte Äußerungen von sich gibt, man kann sich auch vorstellen, dass diese Zuckungen und Äußerungen rein zufällig/indeterminiert waren, aber das wären dann weder (im üblichen Sinne) Entscheidungen, noch Handlungen. Und verantwortlich würde man ihn dann nicht machen. Und auch nicht diesbezüglich als frei ansehen. Dein Freiheitsbegriff läuft jedoch bisher genau darauf hinaus: dieser Mensch würde in Deinem Sinne freie Entscheidungen treffen und freie Handlungen durchführen und sollte deswegen als verantwortlich angesehen werden. Klingt aber - zumindest für mich - nun überhaupt nicht plausibel.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Sa 8. Feb 2014, 19:38

ganimed hat geschrieben:Ich glaube eine Antwort zu haben, falls ich damit nicht zu voreilig wirke. Du "erlebst" auf der psychologischen Ebene Freiheit, ein "ich hätte auch anders können", weil du die Determinanten, die kausalen Ketten nicht immer spürst. Und diese Illusion verleitet dich dazu, alles nötige anzunehmen, was man so braucht, um die Illusion als real deklarieren zu können.


Ich möchte nie etwas anderes, als das, was ich will. Ich bin mein Wille. Ich bin mein Organismus.

ganimed hat geschrieben: Dazu muss man einfach behaupten, dass zwar Neuronen determiniert sind, aber dass beim emergierenden Phänomen Psyche plötzlich und wundersam solche Dinge wie Freiheit entstehen.

So lange du von "Freiheit" sprichst, ohne zu sagen wovon diese Freiheit gemeint ist, ist diese Diskussion ein reiner Streit um Wörter. Dafür bin ich hier nicht zuständig!

ganimed hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Der "Wille" oder die "Psyche" sind ganz spezielle Strukturen im Universum. ... Das Bemerkenswerte ist ihre strukturelle Eigenart und Stabilität inmitten einer chaotischen, der Entropie entgegenstrebenden Welt.

Bei der Reduktion auf die neuronale Ebene ist was genau verloren gegangen? Du drückst dich hier für mein Gefühl etwas schwammig aus. Welche strukturellen Eigenarten meinst du genau? Und bitte nicht nur näher benennen sondern auch kurz erläutern, wieso diese Eigenarten den Entscheidungsprozess auf dieser Ebene freier als den auf der neuronalen Ebene machen? "Stabilität inmitten einer chaotischen, der Entropie entgegenstrebenden Welt", kann man das über die Neuronen und ihr Signalnetz nicht ebenfalls sagen?

Ja, kann man, es ist aber - wie mit den Makaken oben - wieder nur die halbe Wahrheit. Du scheinst irgendwie blind für das Spezielle zu sein, deine Vorstellungwelt ist vermutlich grau. Die augenscheinlichste Eigenart des menschlichen Gehirnes befähigt ihn, zum Mond zu fliegen. Das kann sonst kein Gegenstand auf der Erde, es sei denn ein Mensch organisiert das für ihn. Du wirst vermutlich einwenden, dass irgendeine Explosion kosmischen Ausmaßes das auch könnte. Dabei würdest du aber qualitative Unterschiede unter den Teppich kehren. Ein Mensch tut das, weil er es will.

Korrekt Ausgedrückt sehe ich das so: Es gibt neuronale Prozesse, die ich als meinen Willen erlebe. Es sind physikalisch determinierte Prozesse. Ihre Eigenart besteht in dem - das sagt ja schon das Wort "Eigenart" - was diese Prozesse von anderen physikalischen Prozessen unterscheidet. Es sind Prozesse die anderen Prozessen gegenüber autonom ablaufen - das macht ihre Freiheit aus. Und es sind Prozesse, die viel stärker von ihrer eigenen inneren Struktur abhängen, als von äußeren Einflüssen. Der Wille determiniert sich sozusagen selbst, er ist sein eigener Grund. Das Ergebnis eines Taschenrechners hängt nicht von der Stromzufuhr oder von der Außentemperatur ab, sondern von seiner inneren Struktur. Wenn das Ergebnis falsch ist, ist er kaputt. Wenn ein Mensch "schuldig" ist - um mal in die psychologische Ebene zu wechseln - wollte er etwas, was die anderen nicht wollen, und die wollen ihn dann betrafen - das ist alles.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon stine » Sa 8. Feb 2014, 20:11

Jede Entscheidung hängt von mehreren Parametern ab, die abzuwägen sind. Wenn jemand wie @ganimed also denkt, dass eine Entscheidung nur auf bestimmte Weise getroffen werden konnte, weil sie entsprechend lang vorherbestimmt, den Umständen geschuldet war, weil alles darauf zugesteuert hat, dass die Entscheidung so und nicht anders fällt, dann möchte ich an dieser Stelle einmal fragen, wieso es für die anderen Möglichkeiten auch entsprechende Parameter gegeben hat? Sind sämtliche Für und Widers also nur Zierkram, damit unser Hirn was zu tun hat?

LG stine
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Dr Fraggles » So 9. Feb 2014, 00:05

Vollbreit hat geschrieben:
Das Buch von Keil, da sieht man mal, was man verdrängt, war mein letztes Buch als Inkompatibilist.
Ich dachte, Keil würde irgendwie die Lücke stopfen können, die mir nicht zu stopfen gelang.
In dieser Hinsicht ist das an sich lesenswerte Buch eine Enttäuschung gewesen.

Als Kompatibilist hättest du einiges über dessen SchwachpunktE lernen können, das hast du leider übersehen (wie mir scheint).

Wittgenstein, ja, was er da schreibt, stimmt ja. Man kann den Kompatibilsimus auch kurz machen:
Die Welt könnte determiniert sein.
Wie und wodurch, wissen wir nicht, was kommen wird, auch nicht.
Wir tun unsere Bestes und begründen, warum wir es für das Beste halten. (Das ist die andere Seite des Nichtwissens.)
Wittgenstein, der geniale Impulse setzte, lässt m.E. zu viel im Nichtwissen verschwinden, insofern ist er mir zu pessimistisch.
Darunter das Subjekt und und den ganzen Freud.

Ich bin kein Wittgenstein-Spezialist. Aber zum Zitat aus dem Tractatus: natürlich stimmt es nicht. Zweifelsohne benennt es eine notwendiges Merkmal jeglichen Freiheitsbegriffes. Aber nicht einmal ein Kompatibilist würde dies Bedingung als hinreichend erachten. So können auch Zwangshandlungen unvorhersehbar sein.

Aber Deine Ausgangsbehauptung, vom epistemischen Indeterminismus könne man auf einen ontoligsichen schließen, taucht doch da gar nicht auf?

Habe ich das behauptet? Nein (genauer lesen bitte, finde es extrem mühsam wenn man derart falsch interpretiert wird). Ich fragte ob du von deiner Ausführung zur Nichtvorhersagbarkeit auf einen ontologischen Indeterminismus schliessen würdest und dies weil ich die Nichtvorhersagbarkeit nicht als hinbreichende Bedingung für Freiheit erachte (welches ich mit Hinweis auf Wittgenstein ergänzte). Also: meine Kritik war, dass der epistemische nur dann einen Freiheitsbegriff begründen könne wenn er mehr beinhalte (entweder einen ontologischen Indeterminismus oder beim Kompatibilismus anderweitige Kriterien wie vernünftige Willensbildung, nicht unter Zwang handeln oder ähnliches).
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Nanna » So 9. Feb 2014, 01:40

ujmp hat geschrieben:Das ist wieder so ein Mix aus Psyche und Physik, der zu nichts Brauchbarem führt. Dein Wille ist m.E. unabhängig davon, ob du ihm folgen kannst oder nicht. Es gibt ja Leute, die auf dem Teppich fliegen wollen - ein Wunsch, der offensichtlich keine Rücksicht auf die Gegebenheiten Newtonscher Physik nimmt und in sofern "frei" von ihrem Einfluss ist. Der Wille wird dir jedenfalls nicht von der Achterbahn aufgezwungen, wohl aber von deinem Organismus, der so gebaut ist, dass er unnötigen Gefahren aus dem Weg geht.

Ok, das lasse ich als Einwand gelten. Ich habe mit dem Beispiel nicht das ausdrücken können, was ich wollte, finde jetzt aber auf die Schnelle kein besseres. Wenn ich da was habe, teile ich es mit.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Dr Fraggles » So 9. Feb 2014, 01:54

Vollbreit hat geschrieben:
Dr Fraggles hat geschrieben:Nein. Der kompatibilistische Freiheitsbegriff genügt gewissen meiner Ansprüche nicht (was du tatsächlich und offensichtlich nicht verstehst...wie kommst du dazu das zu bestreiten?! Ansonsten bist du dazu aufgefordert endlich das was du behauptest mal durch konkreteste Beispiele zu demonstrieren und nicht nur dauernd zu behaupten (und Beispiele wo der kompatibilistische Freiheitsbegriff zumindest mir nicht genügt, habe ich genannt). Ich warte. Und solltest du dem nicht nachkommen, dann weiss ich warum. Ich beharre darum auf diesen Punkt dermassen unnachgiebig weil er wirklich der entscheidende Kritikpunkt am Kompatibilismus ist.

Das will ich gerne versuchen, mir ist momentan nur unklar, was ich überhaupt belegen soll.
Ich meine verstanden zu haben (korrigier mich bitte, wenn ich mich irre), dass Dir der kompatibilistische Freiheitsbegriff zwar logisch stimmig erscheint, nur etwas Wesentliches fehlt.
Fall ich das richtig verstanden habe: Was fehlt denn?
Bevor ich nicht weiß, was das denn sein soll, kann ich nicht belegen, was Du forderst.

Soviel ich weiss warst du bis vor 2 Jahren selber Vertreter eines indeterministischen Freiheitsbegriffes. Warum fällt es dir dann schwer zu verstehen was ein solcher an "Mehrwert" gegenüber einem kompatibilistischen hat? Was nun fehlt, ist eine Frage der Bedürfnisse und nicht etwas was dem komp. Feiheitsbegriff als solches zukommt oder nicht, d.h. er hat nichts damit zu tun, dass der Begriff in sich widersprüchlich wäre (der Freiheitsbegriff fusst u.a. auf a) Intuitionen, b) auf logischer Konsistenz, c) auf pragmatisch-nützliche Überlegungen, d) auf Selbstansprüche um nur ein paar zu nennen). Semantisch gesehen ist der kompatibilistische Freiheitsbegriff problemlos: er differenziert innerhalb deterministischen Handelns und dies mehr oder weniger plausibel anhand diverser Kriterien. Übrigens gilt dies ebenso für den indeterministischen Freiheitsbegriff, nur dass er diese Unterscheidung gleichsetzt mit dem Kriterium deterministisch - nichtdeterministisch (die Kriterien die unfreies Handeln definiert, dürften in beiden Konzepten sehr ähnlich sein).
Logisch(-semantisch) gesehen ist es der indeterministische der nicht haltbar ist, da er sich nicht sinnvoll definieren lässt (da er ja weder Zufall noch Determiniertheit meint und ein Drittes bzw. eine "Synthese" schlicht nicht denkbar ist).
Zum Bedürfnisproblem: Der kompatibilistische Freiheitsbegriff deckt gewisse Bedürfnisse an: jene tun zu können was man will (also nicht unter Zwang zu handeln). Aber er deckt andere Bedürfnisse nicht ab. Ich nenne zwei die eng zusammenhängen. Die nicht seit je her bestehende, aber "alte" Intuition sehr vieler Religionen und sehr vieler Ethiken (auch wenn längst nicht aller): dass der Mensch für sein tun verantwortlich ist und zwar ausdrücklich in einem substantiellen Sinne (also verantwortlich weil es in seiner Macht gestanden wäre jeweils anders zu handeln als er es tat). Dass diese Intuition "erledigt" ist, kann keinesfalls behauptet werden (ich behaupte sogar, dass sie schwer ausrottbar ist, selbst wenn die Philosophie oder auch Straftheorien eine solche nicht mehr bedienen würden). Ob das bloss eine Kultur bedingte Konditionierung ist oder doch mehr (evolutionär entstanden z.B.) sei dahingestellt. Eng damit verknüpft: Der Selbstanspruch des Menschen ein autonom handelndes Wesen zu sein welches seine Biografie wiederum in einem substanziellen Sinne (also nicht nur dem Worte nach...dass du von nicht illusionärer Wahl beim Kompatibilismus sprichst ist Augenwischerei zumindest für Menschen mit SUBSTANZIELLEN Freiheitsansprüchen.
Ich behaupte nun: der kompatibilistische Freiheitsbegriff führt, wenn man ihn ernst nicht, d.h. wenn man nicht in einem verdrängenden Als-ob Modus lebt, der übrigens nur bestehen kann wenn man ein vom Schicksal Begünstigter ist, d.h. die Merkmale welcher der Kompatibilismus als notwendig zu seinem Freiheitsbegriff gehörig betrachtet, in seiner Person verwirklichen tut/kann (und solltest man sich solche Fähigkeit/Möglichkeit selber anrechnen, dann hat man den Schwenker hin zu einem klaren indeterministischen Freiheitsbegriff gemacht). Des weiteren ist man genötigt sein Bild des Menschen (seiner selbst inklusive) dahingehend zu modifizieren, dass man durchgehend determiniert ist, und d.h. im Grunde schon gelebt hat, bevor man geboren wurde bzw. im Moment seiner Geburt (mögliche Zufälle, da diesbezüglich irrelevant). Verstehst du das? Deine Zukunft steht in demselben Masse fest, als liege deine Biografie schon fertig geschrieben vor. Ich bezweifle ob du dir diese und ähnliche Implikationen auch nur ansatzweise bewusst bist (da du ja auch den Impuls verspührst, dass das Hirn mehr sei als nur eine Information verarbeitende Maschine sei. Ich kann da nur sagen: vergiss es: ob nun die Computeranalogie stimmt oder auch nicht, der Determinismus ist der Todesstoss für mehr Sinnanspruch. Du, wie jeder andere spult sein Programm ab, ein Programm welches sicherlich immer offen ist für Modifikationen, aber nie von uns gewählte.) Ich könnte nun weiter fahren aber ich lass es mal dabei. Worin der kompatibilistische Freiheitsbegriff mündet, ist, bei existenziellem Ernst nehmen, der NIHILISMUS. Kein umfassenderer Sinnanspruch kann davor bestehen, es sei denn jener, dass man ohne Zwänge sein Leben führen kann (erinnert verdächtig an Nietzsches letzten Menschen, wenn auch die ihn beschreibenden Eigenschaften andere sein sollten).
Nun, auf diese Implikationen erwarte ich eine Antwort des Kompatibilisten. wie geht er damit um: ist er nihilistisch, lebt er im Als-ob oder hat er im grossen sich mit dem Unabänderlichen arrangiert (was natürlich nur durch Verdrängung oder Unsensibilität = heruntergeschraubte Sinnansprüche möglich ist).
Übrigens ärgere ich mich über den Reduktionismus im Breich der Philosophie des Geistes nicht primär weil er Sinnhorizonte verdecken oder aufheben könnte sondern schlicht weil er noch längst nicht (und wie ich vermute: nie) zu begründet ist. Es ist ein Dogma und nicht mehr. Für mich fällt mit dem Determinismus eigentlich schon jeder, zumindest denkbarer, Sinnhorizont. Anders: ich bin zumindest theoretisch Nihilist (wenn das nicht zu pathetisch oder gar inkonsequent klingt).
Insofern weiss ich nicht über wen ich mich mehr ärgern soll, über den indeterministischen Freiheits-Gläubigen (und insofern Verdränger) oder über den selbstzufriedenen Kompatibilisten.

Dr Fraggles hat geschrieben:Und was soll "Wahl" im Rahmen des Kompatibilismus bedeuten (wiederum wird rein verbal suggeriert was nicht gemeint ist...sehr mühsam. Eine Parallele und wohl Ergänzung zu der Verwendung mentaler Ausdrücke in rein neuronal-physikalischen Kontexten)?!
Eine Wahl zu haben, heißt gemäß eigener Prämissen zu urteilen.
Das ist doch klipp und klar.

Wie kommst du dazu "eigene", also nicht aufgezwungene Prämissen als eigene zu bezeichnen? Dir fehlt (wie mir schient) das Gefühl für die Implikationen (hier z.B. das Bild des Menschen betreffend). Für mich bist du als determinierte Existenz eine Maschine, wenn auch eine evtl. nach eigenen Prämissen handelnde und insofern zufriedene (Maschine wieder im Kontext des Freiheit-Problems).
VOUS DEVEZ NOUS DIRE LA VÉRITÉ MEME SI CELLE-CI EST EMBARASSANT!


Dr Fraggles hat geschrieben:Jetzt offenbarst du aber gewaltige argumentative Schwächen. Dass die Bandbreite des menschlichen (als Gattung) Verhaltens von mörderisch bis heilig reicht, ist schwerlich bestreitbar (nun, möglicherweise letzteres).
Okay, sehe ich auch so.

O.K.

Dr Fraggles hat geschrieben:Ich bezog mich auf das mögliche Handlungsspektrum eines einzelnen Menschen.
Ja, das hatte ich mir gedacht.

O.k., womit sich natürlich auch die Folgerungen bezüglich Vorhersehbarkeit des Handelns ändern.

Dr Fraggles hat geschrieben:Wenn man absolute Extremsituationen ausklammert (jeder kann zum Mörder werden), dann spielen sich Handlungsalternativen in absehbarem Rahmen ab.
Natürlich, der Mensch ist ein Gewohnheitstier.

Ja, und die Gewohnheiten umfassen auch die Vernunftgründe welche unsere rationale Willensbildung leiten (wenn es denn so wäre, ersteres stimmt zwar, letzteres ist eitler Trug).

Dr Fraggles hat geschrieben:Wann wurdest du z.B. zuletzt von einer deiner Entscheidungen völlig auf dem falschen Fuss erwischt (falls überhaupt, vielleicht auch weil du mit unterdurchschnittlicher Fähigkeit zur Selbstbeobachtung ausgestattet bist) ?
Was meinst Du damit, dass ich von einer meiner Entscheidungen auf dem falschen Fuß erwischt wurde? Dass ich mich geirrt habe? Das passiert mir öfter.

Nein, insofern du ja glaubst, dass das Handeln bzw. Entscheide nicht vorhersehbar sind (ich aber behauptete, dass der Mensch (je älter und je reflektierter umso mehr in der Regel) ziemlich berechenbar ist) müsstest du eigentlich auch ab und zu darüber erstaunt sein, dass du so entschieden hast wie du es getan hast. Wäre unser Handeln für uns selber tatsächlich unvorhersehbar, müssten wir doch eigentlich eine gespannte Erwartungshaltung unseren eigenen Entscheidungen gegenüber einnehmen (wie beim Würfeln beim Spielen z.B.). Dem ist aber nicht so, und ebenso wenig, dass wir wirklich überrascht würden von unseren Handlungen (und wenn, dann waren sie spontan und jenseits vernünftigen Abwägens).
Solch unvorhersehbares Handeln, würde unsere Entscheide auch in gefährliche Nähe zum Zufällig-willkürlichen bringen.

Aber wo ist jetzt die argumentative Schwäche?
Dass ich mich gelegentlich oder öfter mal irre, belegt jetzt was?
Dass die meisten Menschen keine Mörder sind, daraus folgt was?

Die argumentative Schwäche ist aus dem Kontext ersichtlich in dem es statt fand. Dass du die Gattung mit dem Individuum verwechselst ist die Schwäche. Und machst du diesen Fehler nicht, wird auch die These der Vorhersehbarkeit des Handelns/Entscheidens ins rechte Licht gerückt.
Wenn du allergisch darauf reagierst, wenn ich dich auf solche Mängel hinweise, dann beenden wir die Diskussion wohl besser...

Dr Fraggles hat geschrieben:Wenn du das "Ich" eliminierst (ein Bündel von Determinanten gemäss dem Kompatibilisten) und "Abwägen" als pures Kräftespiel der Determinanten beschreibst und "rational" als mit determiniert vereinbar erachtest, könnte man über diese These diskutieren.

Schau, Du stellst viele Behauptungen auf, aber Du müsstest die belegen.

Was die Implikationen des Determinismus betrifft, habe ich die EXISTENZIELLEN Konsequenzen oben angedeutet. Falls du mir vorwirfst, vieles zu behaupten, dann bist du gerne eingeladen und aufgefordert diese zu widerlegen, bzw. du kannst mich aufklären wie du mit ihnen zu Rande kommst.

Ich habe wirklich ein Näschen dafür, wenn das Ich zerlegt wird und icm mag diese Tendenzen nicht sonderlich.

Sache, sachte, ich zerrupfe den Kompatibilismus dort wo er (meines Erachtens) zerrupfungswürdig ist. Du kannst sachlich dagegen argumentieren. Solltest du allerdings das Ganze über die Massen persönlich nehmen, rate ich dir die Finger von der Philosophie zu lassen (es sei denn du betreibst es auf entschärfte Weise) oder zumindest dein Veto bezüglich Fortführung unseres Gesprächs einzulegen. Mein Ton wird in dem Masse schärfer (immer im Kontext der Argumentation) wenn ich wiederholt etwas darlege, bzw. auf etwas hinweise und dies schlicht ignoriert oder falsch gedeutet wird.
K. Jaspers: "In Nihilismus wird angesprochen, was jedem redlichen Menschen unumgänglich ist. Es liegt etwas Empörendes im hochmütigen Verachten des Nihilismus." (Bei Jaspers freilich nur ein Durchgangsstadium, ansonsten er es kaum würdigen würde). Und freilich: der Mensch soll/darf/muss sich ruhig auch dem Motto: "carpe diem" hingeben dürfen, gerade der junge/jüngere (durchaus in einem hedonistischen Sinn...hoffe, dass das nicht arg gönnerhaft rüberkommt).

Ich erblicke sie beim Neurobiologismus, der Systemtheorie, dem Konstruktivismus, beim eliminativen Materialismus, beim Behaviorismus, in einigen postmodernen Strömungen, bei Heidegger m bin ich mir nicht sicher (und wenn man so will natürlich auch im Buddismus und einigen mystischen Richtungen, aber hierüber ist das letzte Wort nicht gesagt), aber beim Kompatibilismus kann ich diese Tendenzen nun wirklich nicht erkennen – und ansonsten höre ich da wirklich die Flöhe husten ;-) .

Nun, der ursprüngliche Kontext der Ich-Erwähnung war eindeutig die Freiheitsfrage. Ich sage einfach, dass der Determinismus die Idee des Ich oder des Mein ("eigene Prämissen") untergräbt, nicht dass er ihn phänomenologisch aufhebt, sondern ihm jene Bedeutung nimmt, welche wir ihm im Allgemeinen zubilligen (als autonomer Akteur, als Lenker und Denker etc.). Diese Bestimmungen erweisen sich nicht erst bei einem reduktionistischen Programm als illusorisch, sondern auch beim Determinismus (der ja in einem existentiellen Sinne auch eminent "reduktionistisch" genannt zu werden verdient...hier aber kaum anfechtbar zu recht).

Wenn ich mein Wollen und Handeln begründe, so heißt das doch nicht, dass ich nur ein Bündel Gründe bin.

Hm...eben doch (natürlich hinzugerechnet noch Bündeln an Empfindungen etc. etc.), wie gesagt immer bezogen auf den Kontext der Freiheit.
Würde „das Ich“ denn eher erhalten bleiben, wenn ich willkürlich, unvorhersehbar und „verrückt“ rede und wirke?
So etwas findet man live und in Farbe im Rahmen psychotischer Erkrankungen und was hier passiert ist ja gerade ein Zusammenbruch des Ichs.

Nein. Aber du wechselst hier den Kontext (ich hatte die Überflüssigkeit des Ich im argumentativen Rahmen des Freiheitsproblems geäussert). Phänomenologisch ist es z.B. schon ungewöhnlich sich als determiniert zu erfahren (selbst bei Deterministen.) Susan Blackmore ist die einzige Philosophin von der ich gelesen habe, dass sie sich auch so fühlt (mir geht es übrigens ebenso...). Sich als Ich-los (weniger Ich-zentriert) kann man "sich" ja auch in der Meditation erfahren. Merkmal negativ erfahrener, psychotischer Ich-Auflösungen (wie auch deren Wiederherstellung) ist ja unter anderem seine Unwillkürlichkeit, d.h. im Rahmen des Freiheits-Problems wieder eine Bestätigung von dessen Überflüssigkeit.

So, vielleicht überzeugt dich die Länge meiner Antwort, um dich zu überzeugen, dass es mir nicht vorder- oder hintergründig um ein Zerfleddern deiner Person geht. Also: nichts für ungut!
Zuletzt geändert von Dr Fraggles am So 9. Feb 2014, 02:42, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Dr Fraggles » So 9. Feb 2014, 02:02

ps: Antworten auf andere Beiträge ein anderes Mal...
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » So 9. Feb 2014, 08:40


(Das beste mir bekannte Video zum Thema)
Der Wille ist zwar nicht das Hauptthema, aber man kommt nicht weit, wenn man ihn nicht als Teil des Organismus, des Lebens überhaupt ansieht. Einige Sachen, die die beiden hier vortragen, kamen mir schon bekannt von Schopenhauer vor.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » So 9. Feb 2014, 12:09

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Weil das, was Du „überlegt“ nennst von den Kompatibilisten „frei“ genannt wird.

Ich habe eine Theorie genannt, wieso du eine überlegte Entscheidung frei nennst. Hast du auch eine?
Ich habe eine Definition, es ist die, die Du von Hobbes zitiert hast.
Diese erfüllt die Kriterien dessen, was auch ich Freiheit nennen würde, in angemessener Weise.

ganimed hat geschrieben:Bekanntermaßen hast du sie bisher nicht erwähnt, wenn ich dich danach gefragt habe. Bevor du also einfach meine Theorie abtust (endlich habe ich eine und kann mir deine Wortverdrehung erklären), hätte ich gerne noch eine Begründung. Wieso macht eine determinierte Überlegung eine Entscheidung frei? Frei wovon? Wieso frei?
Eine determinierte Überlegung ist frei, weil sie Elemente der Willkür und des Zufalls ausschließen, von denen ich nicht erkennen kann, wie, wo oder warum sie die Freiheit vergrößern.
Die kompatibilistische Freiheit ist die Freiheit von Zwang und davon, dass aus Schlüssen Beliebiges folgt.
Wenn jederzeit Beliebiges folgen kann, kann man m.E. von der Freiheit meines Willens nicht mehr reden.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Dass Du nun ein „Freiheitsgefühl“ ins Spiel bringt, verkennt den logischen Charakter des Ganzen.

Was ist denn bitteschön der logische Charakter?
Dass die Freiheit aus simplen logischen Schlüssen folgt.

Ich mag Pizza.
Wenn es hier Pizza gibt, werde ich eine bestellen.
Es gibt Pizza.
-------------
Ich möchte bitte, eine Pizza.

Das ist meine persönliche Vorliebe plus Modus ponens.


ganimed hat geschrieben:Was ist denn deine Logik, wenn du eine determinierte Entscheidung als frei bezeichnest?

Die zweiwertige Prädikatenlogik, was wilder klingt, als es ist, man kann auch sagen: Die stinknormale Logik, die wir alle benutzen.

ganimed hat geschrieben:Nehmen wir ein Beispiel: eine Zug fährt in einen Bahnhof ein. An welchem Gleis er hält wird von einer Weiche bestimmt. Je nachdem, wie die Weiche eingestellt ist, hält der Zug an Gleis 1 oder 2.
Wir sind uns doch hoffentlich einig, dass die Gleisentscheidung des Zugs determiniert wird von der Weiche. Die Gleisentscheidung des Zugs ist demnach wohl kaum als frei zu bezeichnen.
Ja, der Zug ist unfrei.

ganimed hat geschrieben:Nehmen wir noch ein Beispiel: du (ein Mensch) läufst auf den Schienen in einen Bahnhof rein. An einer Stelle, wo die Schinen sich teilen, kannst du entscheiden, ob du links zu Gleis 1 oder rechts zu Gleis 2 laufen möchtest, um dort meinetwegen die Schienen zu verlassen.

Ich als Inkompatiblilist nenne die Entscheidung des Zugs unfrei und die des Menschen ebenfalls unfrei. Beide Entscheidungen waren determiniert.
Dass jemand/etwas determiniert ist, sagt darüber ob man/es frei ist, nichts aus, denn nach kompatibilistischer Einstellung hat beides nichts miteinander zu tun.
Deine Aussage klingt für einen Kompatibilisten wie: „Er kann keine Äpfel mögen, denn er hat einen Schnäuzer.“

Was mir gerade noch auffällt.
Es gibt ja zwei grundsätzliche Wege, die (Un)Stimmigkeit von etwas zu untersuchen.
In unserem Fall kann man entweder Dein favorisiertes System untersuchen, den inkompatibilistischen Neurodeterminismus oder das kompatibilistische System.
Du müsstest aber versuchen, dann auch in dem untersuchten System zu blieben, es sozusagen empathisch von innen nachzuvollziehen.
Was Du aber oft machst, ist den Kompatibilismus aus Sicht des Inkompatibilismus zu verstehen, und da sich bereits die Grundthesen diametral gegenüberstehen:
Freiheit und Determinismus schließen einander aus = Inkompatibilismus vs. Freiheit und Determinismus schließen einander nicht aus = Kompatibilismus,
kann das so nicht klappen.

Du kannst entweder versuchen, wie ein Kompatibilist zu denken und zu schauen, ob das am Ende passt und wenn nicht, sagen, was Deiner Meinung nach nicht passt oder wie ein Inkompatibilist denken und versuchen dortige Begriffe zu klären, insbesondere der Freiheitsbegriff ist ein heißer Kandidat.

ganimed hat geschrieben:Na, und ich will die Inkompatibilisten nicht selber loben, aber das ist doch mal eine logische Betrachtung. Die logische Regel: wenn du determiniert bist, dann biste nicht frei sondern bestimmt, festgelegt, begrenzt, bedingt, fixiert.

Das ist ja einfach die Grundthese des Inkompatibilismus: Freiheit und Determinismus schließen einander aus.
Das wissen wir ja. Nun wollen wir prüfen, wie weit man damit kommt.
Wenn Züge auf Schienen und Menschen damit gleichermaßen frei sind, nämlich gar nicht, erklärt dieses Konzept m.E. wenig bis nichts aus unserem Alltag.

Warum soll man drangsalierende Religionen überwinden? Weil die unfrei machen? Nun, wir sind alle unfrei.
Warum forscht, sanktioniert, erzieht man?
Was meinte Kant Aufklärung sei der Ausweg des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit?
Was ist der Unterschied Deiner Auffassung zum karmischen Kastensystem der Inder?
Warum meinst Du, funktioniert Psychotherapie?

Wären Fragen die ich in dem Kontext dann stellen würde.

ganimed hat geschrieben:Du als Kompatibilist differenzierst:
a) der Zug ist immer unfrei. Der kann ja nicht denken und nicht wirklich entscheiden.
Ja.

ganimed hat geschrieben:b) um zu entscheiden, ob du (der Mensch) frei entschieden hast, musst du wissen, wie die Entscheidung zustande kam, besser gesagt: wie du die Entscheidung erlebt hast und selber beurteilst.
-b1: du läufst auf den Gleisen, siehst die Verzweigung, überlegst kurz, welche Richtung dir lieber ist. Dir fällt ein, dass du als Kind in einer ähnlichen Situation mal nach rechts liefst und dann von einem Hund gebissen wurdest. Du entscheidest dich also diesmal lieber für links.
Das ist ja eher eine irrationale Entscheidung aus dem Halbbewussten. Dir und mir und sonst wem, ist immer schon mal irgendwas passiert, woran man sich erinnern könnte oder auch nicht, aber links oder rechts, sind ja keine Ziele, mit denen man irgendwas verbindet.
Was ist das denn für eine Situation? Will ich einfach laufen? Schnell nach Hause? Suche ich was?
Wenn ich wirklich ein Ziel habe, z.B schauen will, wo ein Mensch, den ich suche hergelaufen sein könnte, von dem ich weiß, dass er Zigaretten raucht, dann werde ich an der Verzweigung schauen ob in der Nähe links oder rechts, Kippen liegen. Dann habe ich einen guten Grund, der jeweiligen Richtung zu folgen.
Wenn ich mich heillos verirrt habe und in die nächste Stadt will, folge ich den blankeren Schienen, in der Hoffnung, sie mögen befahrener sein und ein Zug könnte mich mitnehmen oder ich könnte einen Bahnhof finden. Ich habe dann einen Grund.
Wenn ich einfach loslaufe, ohne Ziel und Plan, weil ich sinniere, ob mein Leben noch eine Sinn hat, dann ist es mir vermutlich egal und ich überlege nur kurz und wähle eher intuitiv.

Aber wenn ich Gründe habe und angeben kann, ist das eine freie Entscheidung, klares ja.

ganimed hat geschrieben:-b2: du läufst auf den Gleisen, siehst die Verzweigung und entscheidest dich völlig unbewusst, ohne zu wissen wieso, für links. (Aus der Gottperspektive wissen wir, dass du als Kind in einer ähnlichen Situation mal nach rechts liefst und dann von einem Hund gebissen wurdest. Die tief vergrabene Erinnerung kommt gar nicht ins Bewusstsein, sondern wird vom limbischen System unterbewusst bewertet, was den Impuls, nach links zu laufen, auslöst. Dir wird nur bewusst: ich will nach links, keine Ahnung wieso.)
Ja, da steckt die Antwort doch schon drin: unbewusst.
Man weiß nicht, was man tut, also kennt man die Gründe nicht, agiert folglich unfrei.

ganimed hat geschrieben:-b3: du erhälst bei der Gleisverzweigung ein Funksignal und die in deinen Neuronen eingepflanzte Sonde generiert daraufhin das übermächtige Signal für die linke Seite. Du weisst nichts von der Sonde. Es kommt dir so vor, als hättest du urplötzlich den starken Wunsch gehabt, nach links zu laufen. Professor Mehdorn, der die Sonde programmierte und dir heimlich injeziert hatte, sitzt im Bahnhofsgebäude und lacht diabolisch.

Man ist ferngesteuert, also unfrei.

ganimed hat geschrieben:-b4: du erhälst bei der Gleisverzweigung ein Funksignal und die in deinen Neuronen eingepflanzte Sonde generiert daraufhin das übermächte Signal für die linke Seite. Du weisst von der Sonde, weil dir der Assistenten des Professors, nachdem er ein schlechtes Gewisssen bekommen hatte, davon erzählte. Aber es nützt nichts, du kommst nicht gegen den Impuls an und läufst gegen deinen Willen nach links. Professor Mehdorn, der die Sonde programmierte und dir heimlich injeziert hatte, sitzt im Bahnhofsgebäude und lacht diabolisch.
Ja, diese Situation gibt es, man handelt unter Zwang, aber weiß davon. Zwang = Unfreiheit, aber gleichzeitig weiß man, dass man unter Zwang agiert, kommt aber nicht dagegen an.

ganimed hat geschrieben:Wenn man mich fragt: In allen Fällen war die Entscheidung für Gleis 1 unfrei, weil determiniert.
Wenn man dich fragt, in welchen Fällen würdest du (als Läufer) die Gleisentscheidung für frei halten?
Nur im Fall b1 hast du bewusst überlegt. In den Fällen b2 und b3 konntest du dich zumindest gemäß deines Wunsches entscheiden. In b4 sind vermutlich keine deiner Bedingungen für Freiheit erfüllt.
Nur bei b1, wenn man tatsächlich ein Ziel hat, wie erläutert, würde ich von Freiheit reden.
Wenn ich Dir sage: „Entscheide Dich bitte spontan zwischen links und rechts“ dann kannst Du das vielleicht tun, aber wenn ich dann stundenlange Verhöre anstelle und sage: Warum hast Du Dich denn nun so und nicht anders entschieden?, dann ist das sehr künstlich, denn ich wollte ja, dass Du Dich entscheidest, Dir ist das vielleicht vollkommen unwichtig gewesen und Du wolltest mir einfach einen Gefallen tun, weil er Dich nicht viel kostet.

ganimed hat geschrieben:Alle Fälle haben eins gemeinsam: deine Entscheidung war determiniert und ergab immer das gleiche Ergebnis. Links.
Ja, nur sagt das Determiniertsein eben nichts über die Freiheit aus.

ganimed hat geschrieben:Wenn du die Fälle unterschiedlich frei wertest, kann es also nicht an der Determiniertheit liegen. Woran liegt es dann?
An dem unterschiedlichen Freiheitsbegriff den Kompatibilisten und Inkompatibilisten verwenden.

ganimed hat geschrieben:Es hängt davon ab, wie du die Fälle erlebt hast und welchen Eindruck du gewonnen hast, oder? Es ist ein Wohlfühlkriterium, kein Fakten-Kriterium.

Das eine schließt das andere nicht aus. Ich kann das Ziel haben, mich wohlfühlen zu wollen (ich persönlich glaube, neben dem Drang nach Erkenntnis das Ziel des Menschen überhaupt) und dann stellt sich die ganz rationale Frage, wie ich das erreiche.
Der Mensch ist weder ein rein irrationales Triebtier, das gezwungen ist, auf alle willkürklichen Reize zu reagieren, wie uns die Neurodeterministen (und Du) glauben machen wollen – sondern, er hat die Fähigkeit zur Affekt- oder Impulskontrolle – noch ist er eine schnöde Rechenmaschine mit Ohren, die maximal rational agiert – wie Philosophen oft gerne glaub(t)en – sondern er ist ein Mischwesen, das sowohl affektiv als auch auf der Basis guter Gründe ansprechbar ist, je nach Kontext, mal mehr, mal weniger in die eine oder in den andere Richtung weisend.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Wenn ich eine rationale Entscheidung getroffen habe, habe ich nicht das Gefühl frei zu sein, sondern dann bin ich, formallogisch frei.

Woher weißt du denn, dass du eine rationale Entscheidung getroffen hast?
Indem ich behaupte, eine rational nachvollziehbare Entscheidung getroffen zu haben, die Gründe, die zu meiner Entscheidung geführt haben, veröffentliche (also einfach jemandem sagen oder hinschreibe) und dieser andere Mensch zu dem Urteil kommt, er, der sich auch für ein rationales Wesen hält, hätte meine Entscheidung auch so treffen können, wenn die Prämissen, die für mich galten, auch für ihn gegolten hätten.

Du neigst aber zu einem radikalen Skeptizismus in der Frage und würdest vermutlich sagen, niemand könne wissen, ob er ein rationaler Mensch ist.
Das ist in der Philosophie erledigt, da inzwischen gilt, dass auch grundlose Zweifel nicht einfach so angenommen werden, sondern begründet werden müssen, weil man sonst ständig in idiotische Diskussionen verwickelt ist: Bist Du sicher, dass Du kein Außerirdischer bist? Ist der Mond wirklich nicht aus Käse und die Mondlandung ein Fake?
Bist Du wirklich sicher, dass wir nicht platonischen Kugelwesen sind, die bei der Geburt getrennt werden? Die Frage lautet hier also nicht, was spricht für die Auffassung, das es wirklich so ist, sondern was spricht überhaupt begründet dagegen.

Für Deine Frage (und allgemein die Ansicht Neurodeterministen) ist aber entscheidend, dass, wenn Du argumentierst, dass und warum der Mensch kein freies Wesen ist, dessen Freiheit durch die Fähigkeit das Spiel des Gebens und Nehmens/Verlangens von Gründen ausreichend bestimmt ist (das ist einfach eine andere Formulierung für die Sichtweise der Kompatibilisten, bei denen Freiheit aus der Fähigkeit sein Handeln und Wollen begründen zu können, resultiert), Du (und die Neurodeterministen) sofort in einen performativ Selbstwiderspruch gerätst, denn damit begründest Du, warum der Mensch zum Verarbeiten von Gründen sowieso nicht in der Lage ist.
Das ist nicht wirklich überzeugend, oder deutlicher: ein logischer Fehler.

ganimed hat geschrieben:Das kannst du nicht wissen, was bei dir im Kopf nun genau unbewusst verhandelt wurde, welche bewussten Argumente genau in welcher Reihenfolge auftauchten (und warum) oder ob gar die Mehdornsche Sonde mitmischt oder Süchte oder Hypnose oder Reflexe oder ein Tumor, der auf irgendwas drückt. Du hast nur das GEFÜHL, eine rationale Entscheidung getroffen zu haben. Das Wort "formallogisch" gehört also wohl kaum hierher.
Aber ich bin kein Solipsist und nicht allein auf der Welt. Ich kann fragen, ich verfüge über Argumente, ich kann Kritik annehmen – de facto hat man übrigens den Modus des Spiels des Gebens und Nehmens/Verlangens von Gründen internalisiert, so dass man sich in sehr vielen Situationen durchaus selbst auf die Schliche kommt, oft sogar als erster.
Das spiegelt sich in Formulierungen wie: „Ich glaube, irgendwas stimmt nicht mit mir“ wieder.

Unsere Sprachspiele sind sehr differenziert und basieren wesentlich auch der zweiwertigen Prädikatenlogik, die sozusagen immer mitläuft. Die Neurodeterministen sprengen kurzerhand alle gebräuchlichen – und auf Rationalität und der stillen Voraussetzung, dass der andere ein rationales Wesen ist, beruhenden – Sprachspiele, was erst mal ihr gutes Recht ist, aber sie bieten keine Alternative an, begehen eine Selbstwiderspruch nach dem anderen und machen vermutlich neurowissenschaftlich (fast) alles richtig, aber das Weltbild, was sie daraus ableiten, ist in nahezu allen Punkten falsch, selbstwidersprüchlich... und ich glaube den harten Neurodeterminismus vertritt auch heute niemand mehr.
Um Singer ist es still geworden, Roth hat die Fronten gewechselt und außer im Feuilleton und in Internetforen wird das Thema meistens diskret übergangen.

Aber um auf die Frage zurückzukommen: Ich kann meine Gründe offenlegen und die andren können sie testen und ggf. Einspruch einlegen.
So funktioniert das und es funktioniert sehr gut.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » So 9. Feb 2014, 14:59

AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn eine Entscheidung durch den Entscheider festgelegt (determiniert) wird, dann wird er nicht dazu gezwungen.

Na, hier trickst du aber. Ein fauler Trick, wie ich es sehen würde. Du tust hier so, als sei das "determinieren" von dem wir in einem Determinismus reden genau das Entscheiden. Aber so ist es ja nicht. Die Entscheidung ist der eine Vorgang, welcher dann die nachfolgende Handlung bestimmt. Die kausalen Faktoren sind die Dinge, die wiederum die Entscheidung determinieren. Wenn also, um in deiner unglücklichen Wortwahl zu bleiben, eine Entscheidung durch den Entscheider festgelegt (determiniert) wird, dann wird er genau dann dazu gezwungen, wenn diese seine Entscheidung wiederum selber determiniert war.

"Gezwungen" ist also das richtige Wort. "Bestimmt", "Festgelegt" usw. ebenfalls. Und jetzt versuche mal, diesmal überzeugende Argumente zu finden, wieso du Entscheidungen, die mit diesen Worten beschrieben werden können, trotzdem "frei" nennen kannst.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und: Determinanten/Umstände sind nicht gleich Zwang. Wenn sich z.B. Fritz dafür entscheidet, in Marburg zu studieren und nicht in Hintertupfingen, dann war sicher eine der Determinanten dabei die, dass es in Marburg eine Universität gibt und in Hintertupfingen nicht. Diesen Umstand als "Zwang" bezeichnen zu wollen, ist mE ziemlich merkwürdig. Dass es in Marburg eine Universität gibt, erhöht vielmehr die Freiheit von Fritz.

Ein sehr schönes Beispiel, dass ich inzwischen durch meine neu gewonnene Arbeitstheorie über euren Freiheitsbegriff, als Unsinn entlarven kann. Dein Freiheitsbegriff meint nämlich gar nicht "frei von Zwang", sondern meint "frei, wenn man sich frei fühlt und den tatsächlich vorhandenen Zwang mal eben ausblendet". Ein Wohlfühlbegriff halt. Die Tatsache, dass Hintertupfingen keine Uni hat, zwingt Fritz, sich einen anderen Ort auszusuchen. Faktisch ist das ein Zwang. Aber Fritz bemerkt diesen Zwang gar nicht. Ihm fällt Hintertupfingen gar nicht ein. Er erwartet gar nicht, dort eine Uni zu finden. Er bemerkt gar nicht, dass seine Auswahl hier eingeschränkt wurde. Zwang ist bei dir eine fehlende Möglichkeit, die man auch (schmerzlich) bemerkt. Wenn Fritz wirklich gerne wollte, auch eine berechtigte Erwartung hat (und nicht etwas will, was niemals gehen kann) und wenn er es dann nicht bekommt. Eine Uni in Hintertupfingen ist ziemlich unmöglich, Fritz kann das nicht ernsthaft gewollt haben, also empfindet er das Fehlen der Uni auch nicht als Zwang.

Ein anderer Fall: Fritz will lieber in Heidelberg statt Marburg studieren. Aber in Heidelberg war leider schon alles belegt. Also war Fritz diesmal wirklich gezwungen, in Marburg zu studieren.
Hier würdest du doch auch von Zwang sprechen, oder?
Der einzige Unterschied zu deinem Beispiel: die Alternative Heidelberg scheint greifbarer, möglicher, plausibler, erwartbarer. Also empfinden wir, wenn es dann doch nicht klappt, das als Einschränkung. Wir bemerken den Zwang.

Für die Entscheidung, in Marburg zu studieren, ist aber dieser feine Unterschied zwischen Hintertupfingen und Heidelberg nicht relevant. Die Entscheidung folgt in beiden Fällen dem kausalen Zwang (Zwang in meiner Begriffsvariante), dass es keine Alternative zu Marburg gibt. Ich nenne also die Entscheidung in beiden Fällen gleichermaßen unfrei. Du nennst den Fritz im zweiten Beispiel unfrei, weil der Fritz das so empfindet, nicht weil es so ist.

Im ersten Beispiel ist Fritz "gefühls-frei", in beiden Beispielen ist er "faktisch-unfrei". Ich nenne das im Folgenden mal so.

Bis hierher kann man das ja auch so machen. Der Gefühlsbegriff, diese gefühlte Freiheit ist ja nicht frei erfunden, der wird im Alltag genau so verwendet. Im Alltag viel seltener verwendet wird das "faktisch-frei". Im Alltag wird auch viel seltener der Determinismus vergegenwärtigt und viel öfter die Illusion eines freien Willens erlebt.

Dennoch eine Frechheit, finde ich irgendwie, hier so zu tun, als sei der faktisch-frei-Begriff irgendwie schwer zu verstehen, müsste noch gesondert gerechtfertigt werden oder sei sogar logisch widersprüchlich, wie Vollbreit amüsanterweise immer meint. Denn genau diese Ebene meines faktischen Begriffs ist mit dem Determinismus gemeint, und auf Determinismus haben wir uns alle hier geeinigt. Ich kann nur vermuten, dass dir gar nicht klar ist, wann und wieso du diese faktische Ebene verlässt, nämlich jedesmal wenn du das gefühls-frei meinst. Dein Freiheitsbegriff existiert, den benutze ich auch, den greife ich nicht an. Ich empöre mich nur darüber, dass du diesen Begriff hier anschleppst, wo wir doch über Determinismus und seine Implikationen reden. Den Freiheitsbegriff "faktisch-frei" auf dieser Ebene willst du nie gekannt haben. Willst ihn völlig widersprüchlicherweise durch den Freiheitsbegriff der anderen Ebene ersetzen. "Widersprüchlicherweise" nenne ich das, weil ja sprachlich einfach nicht zusammen passt was nicht zusammen passt. Determiniert = "Festgelegt", "fixiert" und "bestimmt" ist eben alles mögliche aber wohl kaum "frei".

Eure Behauptung also, Determinismus und Freiheit, zwei Gegensätze, vereinbaren zu können, ist in meinen Augen doch irgendwie nur Augenwischerei. Den Determinismus auf einer faktischen Ebene anerkennen, das faktisch-frei nicht anerkennen und sich ansonsten in eine gefühlte Illusionsecke zurückziehen, das macht man doch eigentlich nicht. So kommt es mir jedenfalls vor.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » So 9. Feb 2014, 15:45

Vollbreit hat geschrieben:Du kannst entweder versuchen, wie ein Kompatibilist zu denken und zu schauen, ob das am Ende passt und wenn nicht, sagen, was Deiner Meinung nach nicht passt oder wie ein Inkompatibilist denken und versuchen dortige Begriffe zu klären, insbesondere der Freiheitsbegriff ist ein heißer Kandidat.

Das ist ein guter Rat. Den ersten Teil, so denken wie ein Kompatibilist, das gelingt mir deutlich besser seit ich diesen Moorschen "Können"-Begriff zu verstehen glaube. Der zweite Teil, die imkompatibilistische Sicht vertreten, ist das, was ich schon die ganze Zeit mache. Offenbar nicht überzeugend genug.

Teil 2: Freiheitsbegriff des Inkompatibilisten klären

Vollbreit hat geschrieben:Das ist ja einfach die Grundthese des Inkompatibilismus: Freiheit und Determinismus schließen einander aus.
Das wissen wir ja. Nun wollen wir prüfen, wie weit man damit kommt.

Gute Idee. Ich glaube tatsächlich, dass man erstmal beide Freiheitsbegriffe verwenden kann. Erst bei der Anwendung stößt man mit dem kompatibilistischen Gefühlskino auf Widersprüche.

Vollbreit hat geschrieben:Warum soll man drangsalierende Religionen überwinden? Weil die unfrei machen? Nun, wir sind alle unfrei.

Ein nur bedingt amüsanter Kalauer. Frei im Sinne von "Entscheidungen sind nicht determiniert" vermischt du hier mit der anderen Bedeutung von gesellschaftlicher, kultureller, politischer Freiheit. Die nicht ganz so fröhliche Antwort ist daher: man soll die drangsalierenden Religionen überwinden, damit die gesellschaftliche, kulturelle und politische Freiheit zunimmt, auch wenn unsere Entscheidungen im deterministischen Sinn unfrei sind und immer bleiben werden.

Vollbreit hat geschrieben:Warum forscht, sanktioniert, erzieht man?

Ich verstehe deine Frage nur dann, wenn ich unterstelle, dass du glaubst, dass wenn man determiniert ist, dass man dann nichts ändern kann. Bzw. wenn man nicht frei entscheiden kann, dann braucht man sich gar nicht entscheiden? Glaubst du das wirklich?
Mal ein Beispiel:
Ich bin in einem brennenden Raum eingeschlossen und nur eine Tür ist noch passierbar. Ich muss mich entscheiden, durch welche Tür ich flüchten will.
Wenn ich in dieser Entscheidung determiniert bin (ich bin gezwungen, die einzige passierbare Tür zu wählen), dann sei es egal, ob ich mich entscheide für diese einzige Tür oder ob ich mich gar nicht entscheide und verbrenne? Kann nicht dein Ernst sein, oder?
Ich forsche, um mein Wissen zu mehren. Ich sanktioniere, um Motivatoren und Druck aufzubauen. Ich erziehe, um die Erfahrungen und Verhaltensmuster von meinen Kindern zu beeinflussen.
Ich lerne beim Forschen etwas, egal ob ich mich zum Forschen frei entscheiden konnte oder ob mir keine andere Wahl blieb.

usw.

Für Deine Frage (und allgemein die Ansicht Neurodeterministen) ist aber entscheidend, dass, wenn Du argumentierst, dass und warum der Mensch kein freies Wesen ist, dessen Freiheit durch die Fähigkeit das Spiel des Gebens und Nehmens/Verlangens von Gründen ausreichend bestimmt ist (das ist einfach eine andere Formulierung für die Sichtweise der Kompatibilisten, bei denen Freiheit aus der Fähigkeit sein Handeln und Wollen begründen zu können, resultiert), Du (und die Neurodeterministen) sofort in einen performativ Selbstwiderspruch gerätst, denn damit begründest Du, warum der Mensch zum Verarbeiten von Gründen sowieso nicht in der Lage ist.
Das ist nicht wirklich überzeugend, oder deutlicher: ein logischer Fehler.

Ja, dieser logische Fehler ist genau so wiederkehrend, wie der Denkfehler, den du mir nun zum wiederholten Male präsentierst, und der diesen logischen Fehler halluziniert. Obwohl ich mich erinnere, dass ich dagegen auch bereits wiederholt argumentiert habe. Ist das für dich wirklich so schwer zu begreifen?

"denn damit begründest Du, warum der Mensch zum Verarbeiten von Gründen sowieso nicht in der Lage ist"
Woher hast du das nur? Natürlich kann der Mensch Gründe verarbeiten. Ich habe das nie in Frage gestellt. Meinetwegen kann der Mensch sogar rationale Entscheidungen treffen (wenn wir hier das "rational" entsprechend weich definieren). Alles was ich sage ist doch, dass diese Entscheidungen von kausalen Faktoren abhängen, auf die wir letztlich keinen Einfluss haben. Die Gründe, weswegen wir uns rational für eine Pizza entscheiden, haben wir nicht frei gewählt. Aber genau diese Gründe zwingen uns dann, uns so zu entscheiden wie wir uns entscheiden. Ich habe also Gründe verarbeitet, 1:1 und ohne Freiheitsgrad zwar, aber ich habe mich entschieden, die Pizza schmeckt auch gut. Aber es war keine freie Entscheidung, weil die Bedingung (1) verletzt war und ich in dieser Situation gar keine andere Pizza bestellen konnte.

So und da kommen wir zu den logischen Fehlern, die man erhält, wenn man euren Freiheitsbegriff in der Welt anwendet:

Teil 1: wie ein Kompatibilist zu denken und zu schauen, ob das am Ende passt
Ich habe Pizza Hawaii bestellt. Darauf steht in Hintertupfingen die Todesstrafe.
Der Richter fragt mich bei der Verhandlung: wieso haben sie das getan?
Fall1: ich antworte: "es war das Ergebnis einer rationalen Überlegung. Weil Pizza Hawaii mir erfahrungsgemäß am besten schmeckt". Der Richter hält mich daraufhin für schuldig und ich werde in die Todeszelle begleitet.
Fall2: ich antworte: "es war das Ergebnis einer rationalen Überlegung. Weil Pizza Hawaii mir erfahrungsgemäß am besten schmeckt". Das ist aber nur eine Illusion. In Wirklichkeit hat mir der Bruder von Professor Mehdorn eine Sonde eingepflanzt, vor vielen Jahren schon, die mir immer, wenn ich in einer Pizzeria bin, suggeriert, dass mir Pizza Hawaii gut schmecken würde. Der Richter vermutet, dass es Gründe für meine Entscheidung gab, die ich höchstwahrscheinlich selber nicht alle kenne. Er weiß aber, dass diese Gründe mich zu meiner Entscheidung zwangen, hält mich daher für unschuldig und lässt mich gehen.
Fall3: ein Berufungsgericht kann in letzter Minute den logischen Fehler des Kompi-Richters aus Fall1 aufklären, die Sonde ans Licht bringen und die Illusion, dass ich frei entschieden hätte, als eine solche entlarven. Ich komme doch noch frei.

Die Illusion, dass man frei entscheiden könnte, führt zu falscher Nutzung der Begriffe Verantwortung und Schuld und ist daher in vielen Fällen (Fall1) echt blöd. Deshalb halte ich es für falsch, den Gefühls-Begriff "frei" mit der faktischen Determiniertheit der Entscheidungen in Verbindung zu bringen und die gefühlte Illusion der Willensfreiheit weiter als wahr anzunehmen.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon stine » So 9. Feb 2014, 16:42

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Und: Determinanten/Umstände sind nicht gleich Zwang. Wenn sich z.B. Fritz dafür entscheidet, in Marburg zu studieren und nicht in Hintertupfingen, dann war sicher eine der Determinanten dabei die, dass es in Marburg eine Universität gibt und in Hintertupfingen nicht. Diesen Umstand als "Zwang" bezeichnen zu wollen, ist mE ziemlich merkwürdig. Dass es in Marburg eine Universität gibt, erhöht vielmehr die Freiheit von Fritz.

Ein sehr schönes Beispiel, dass ich inzwischen durch meine neu gewonnene Arbeitstheorie über euren Freiheitsbegriff, als Unsinn entlarven kann. Dein Freiheitsbegriff meint nämlich gar nicht "frei von Zwang", sondern meint "frei, wenn man sich frei fühlt und den tatsächlich vorhandenen Zwang mal eben ausblendet". Ein Wohlfühlbegriff halt. Die Tatsache, dass Hintertupfingen keine Uni hat, zwingt Fritz, sich einen anderen Ort auszusuchen. Faktisch ist das ein Zwang. Aber Fritz bemerkt diesen Zwang gar nicht. Ihm fällt Hintertupfingen gar nicht ein. Er erwartet gar nicht, dort eine Uni zu finden. Er bemerkt gar nicht, dass seine Auswahl hier eingeschränkt wurde.
Und wenn Fritz sich entschieden hätte gar nicht zu studieren und lieber eine Lehre zu machen, als in Marburg zu studieren?
Ihr habt einen komischen Begriff von Determination. Natürlich ist jede Entscheidung von diversen Parametern abhängig, aber es kann eben eine Entscheidung getroffen werden. Dass ich nicht dort studieren kann, wo es keine UNI gibt, ist doch Papperlapapp.

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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » So 9. Feb 2014, 17:27

ganimed hat geschrieben:Die Illusion, dass man frei entscheiden könnte, führt zu falscher Nutzung der Begriffe Verantwortung und Schuld und ist daher in vielen Fällen (Fall1) echt blöd. Deshalb halte ich es für falsch, den Gefühls-Begriff "frei" mit der faktischen Determiniertheit der Entscheidungen in Verbindung zu bringen und die gefühlte Illusion der Willensfreiheit weiter als wahr anzunehmen.

Ein Taschenrechner rechnet sein Ergebnis auf Grund seiner Bauart aus. Die Ursache für das Ergebnis liegt also im Taschenrechner selbst. Wenn ein Taschenrechner falsch rechnet, steht nicht im Vordergrund, warum er das tut, sondern dass er falsch rechnet. "Schuld" im juristischen Sinn bezieht sich auf die Tat, nicht auf den Täter. Warum ein Mord begangen wurde, zählt da nicht, sondern dass er begangen wurde. Außerdem ist "Schuld" ein sozialer Begriff der nur in einem sozialen Kontext Sinn hat. Schon der psychische Begriff "Entscheidung" alleine bezieht sich auf hochkomplexe physikalische Prozesse, die man nicht einfach mit einem naivem Determinismus-Konzept wie "Weichenstellung" beschreiben kann. Der Wille ist in diesem Sinn ein Prozess, dessen Ergebnis in seiner Bauart determiniert ist - wie bei dem Taschenrechner. Die Ursache für einen Willen ist dieser Wille also selbst - also genau das, was wir uns intuitiv unter unserem Willen vorstellen. Diese Hardware lässt sich zwar manipulieren, stören oder zerstören, aber unter normalen Betriebsbedingungen, ist der Wille genau das, wofür man ihn immer gehalten hat: Die Ursache unseres bewussten Handelns.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » So 9. Feb 2014, 18:11

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn eine Entscheidung durch den Entscheider festgelegt (determiniert) wird, dann wird er nicht dazu gezwungen.

Na, hier trickst du aber. Ein fauler Trick, wie ich es sehen würde. Du tust hier so, als sei das "determinieren" von dem wir in einem Determinismus reden genau das Entscheiden. Aber so ist es ja nicht. Die Entscheidung ist der eine Vorgang, welcher dann die nachfolgende Handlung bestimmt. Die kausalen Faktoren sind die Dinge, die wiederum die Entscheidung determinieren. Wenn also, um in deiner unglücklichen Wortwahl zu bleiben, eine Entscheidung durch den Entscheider festgelegt (determiniert) wird, dann wird er genau dann dazu gezwungen, wenn diese seine Entscheidung wiederum selber determiniert war.

Wenn wir hier annehmen, dass die Welt determiniert ist, dann voraussetzungsgemäß auch die Entscheidungen und Handlungen. Wo soll da ein Trick sein? Wodurch wird jedoch eine Entscheidung determiniert? Wenn sich jemand aus guten Gründen für eine Option entscheidet, dann mag das determiniert sein, aber dadurch wird es noch nicht zu einem Zwang. Nicht jeder Umstand in der Welt bedeutet Zwang, z.B. der Umstand, dass es in einem Land mehrere Universitäten gibt, an denen auch Frauen studieren können, bedeutet weniger Zwang, als wie wenn es keine Universitäten gäbe oder es die zwar gäbe, aber Frauen nicht studieren dürften.

ganimed hat geschrieben:"Gezwungen" ist also das richtige Wort. "Bestimmt", "Festgelegt" usw. ebenfalls. Und jetzt versuche mal, diesmal überzeugende Argumente zu finden, wieso du Entscheidungen, die mit diesen Worten beschrieben werden können, trotzdem "frei" nennen kannst.

Jemand entscheidet sich für eine Option, legt diese also fest, bestimmt sie und steht genau deswegen unter Zwang? Hört sich nicht plausibel an. Erstens müsste das analog für Handlungsfreiheit gelten (jemand bestimmt, was er tun will und tut das dann und soll deswegen unfrei sein) und zweitens wischst Du hier den entscheidenden Unterschied einfach unter den Tisch: wer oder was entscheidet und handelt. Ob die Determinanten interne oder externe sind. Und drittens ist auch nicht plausibel, wieso unbestimmte, nicht festgelegte Entscheidungen und Handlungen frei sein sollen und zwar frei in einem Sinne, der etwas mit gerechtfertigter Zuweisung von Verantwortung und Schuld zu tun hat.

ganimed hat geschrieben:Dennoch eine Frechheit, finde ich irgendwie, hier so zu tun, als sei der faktisch-frei-Begriff irgendwie schwer zu verstehen, müsste noch gesondert gerechtfertigt werden oder sei sogar logisch widersprüchlich, wie Vollbreit amüsanterweise immer meint.

Natürlich muss ein Inkompatibilist Argumente für seine Behauptung bringen, Freiheit und Determinismus seien sich ausschließende Gegensätze. Außerdem muss er seinen zugrundegelegten Freiheitsbegriff nachvollziehbar darlegen.

Dein Freiheitsbegriff sieht, wenn ich das recht sehe, bisher so aus: frei bedeutet indeterminiert/unbestimmt/nicht festgelegt/unabhängig von allem, (und das sind sowohl die notwendigen als auch hinreichenden Bedingungen für Freiheit in Deinem Sinne). Und da Entscheidungen und Handlungen logischerweise nicht unabhängig von allem sein können, (sondern vom Entscheider/Handelnden abhängig sind), können sie nach Deiner Auffassung nicht frei sein. Was aber deswegen unplausibel ist, weil dann der Tourette-Mensch, so seine Zuckungen und unwillkürlichen Äußerungen indeterminiert wären, frei in Deinem Sinne wäre. Oder auch ein ganz einfacher Roboter, sagen wir mal z.B. ein Spielzeug-Auto mit eingebautem Motor und Lenkung und einem echten Zufallsgenerator, das die Lenkung indeterminiert steuern würde, in Deinem Sinne frei wäre. Und weiterhin, da Freiheit in Deinem Sinne notwendige und hinreichende Bedingung für gerechtfertigte Verantwortungs- und Schuldzuweisung zu sein scheint, der Tourette-Mensch und das Spielzeug-Auto ggf. gerechtfertigt als verantwortlich und schuldig angesehen werden könnten.

ganimed hat geschrieben:Den Freiheitsbegriff "faktisch-frei" auf dieser Ebene willst du nie gekannt haben.

Erläutere doch bitte mal, was Du genau mit "faktisch-frei" meinst, wenn Du damit nicht die Fähigkeiten zur Reflexion und Entscheidung und Handlung meinst.

ganimed hat geschrieben:Determiniert = "Festgelegt", "fixiert" und "bestimmt" ist eben alles mögliche aber wohl kaum "frei".

Hier fehlt ein Argument.

Noch zwei Hinweise: 1. ist Freiheit im kompatibilistischen Sinne ein gradueller, kein binärer Begriff und 2. bedeutet Freiheit im kompatibilistischen Sinne nicht Allmacht. Fritz kann nicht machen, dass in Hintertupfingen eine Universität aus dem Nichts entsteht, insofern ist Fritz' Freiheit durchaus eingeschränkt, wenn er in Hintertupfingen studieren will. Aber das bedeutet nicht, dass Fritz deswegen total unfrei sei.

Wenn Dein Freiheitsbegriff nun entweder ein binärer ist oder notwendigwendigerweise Allmacht beinhalten muss, dann kann es in unserer Welt keine Freiheit geben. Wobei es dann aber völlig egal wäre, ob unsere Welt determiniert ist oder nicht, was hieße, dass Determinismus hier lediglich ein red herring wäre, was weiter bedeutete, dass Du unredlich argumentiertest.
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