Harter atheistischer Determinismus

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Lumen » Do 13. Feb 2014, 12:37

Für die Interessierten, Sam Harris Antwort auf Dennett ist heute erschienen.
http://www.samharris.org/blog/item/the- ... tes-lament
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Do 13. Feb 2014, 16:33

stine hat geschrieben:Ich will eure Diskussion nicht unterbrechen, aber eins wollte ich noch schnell dazwischen gesagt haben:
Was um alles in der Welt ist der "harte atheistische Determinismus" besser, als das von den Gläubigen hingenommene "Schicksal" unter Gottes Hand?
Wenn ich gläubig bin, darf ich meinen Gott noch bitten mir zu helfen und hoffen, dass er mich ernst nimmt, wenn ich Atheist bin hänge ich in der deterministischen Falle und laufe geradewegs in meine mir bestimmte, aber dennoch unbekannte Zukunft, ohne daran etwas ändern zu können, oder was? :irre3:
Also ehrlich Leute, da wäre mir mein Schicksal in Gottes Hand, das ich notfalls noch beeinflussen kann immer noch lieber.

Hier stellt sich ja nicht die Frage, was man gerne hätte, sondern die Frage nach den Konsequenzen: Was wäre, wenn...?
Wenn Determinismus, ist dann freier Wille möglich?
Die Antwort der inkompatibilistischen Deterministen, hier, DrFraggles und ganimed (allgemein sind es immer die, die sicher wissen, dass es Freiheit nicht gibt, aber die Dir Freiheit nicht definieren können – ein untrügliches Zeichen), lautet, dass es Freiheit dann nicht gibt.
Die Antwort der Kompatibilisten lautet, dass Freiheit dann dennoch möglich ist.

Dieser Befund, der ganz einfach stimmt, weil die Gegenseite den Begriff nicht bestimmmt bekommt, sagt aber nichts darüber aus, wie es tatsächlich ist. Wäre die Welt vollkommen determiniert, so wäre Freiheit dennoch möglich – also stimmt Deine Beschriebung nur für die Position der inkompatibilstischen Deterministen, nicht für die Kompatibilisten – aber ob sie tatsächlich vollkommen determiniert ist... weiß man nicht.

Dein Gottesszenario lebt zudem davon, dass Dien Gott ein gütiger und wohlmeinender Gott ist, wäre er ein maligner Dämon, sähe die Sachen anders aus.
Und dass Du davon ausgehst, im Zweifel Gott beeinflussen zu können... uijuijui ;-)
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Do 13. Feb 2014, 21:18

stine hat geschrieben:Was um alles in der Welt ist der "harte atheistische Determinismus" besser, als das von den Gläubigen hingenommene "Schicksal" unter Gottes Hand?

Im Grunde genommen nichts - das ist aber für mich eher ein Grund, Determinismus abzulehnen. Der Philosoph Karl Popper meinte sogar, dass Determinismus aus der Religion hervorgegangen sei und den Glauben an ein Schicksal usw. fortsetzt. Er war ein bekennender Indeterminist. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, emergiert die Zukunft sozusagen, sie lässt sich daher nicht aus der Gegenwart herleiten und steht damit auch nicht fest. Man könnte z.B. - so Popper - niemals die Entstehung einer Sinfonie von Mozart in allen Einzelheiten vorhersagen, auch wenn man den Zustand der Welt zum Zeitpunkt Mozarts Geburt exakt kennen würde. Die Zukunft steht nicht fest wie ein fertig gedrehter Film, sondern sie entsteht erst und das menschliche Bewusstsein gestalten sie mit.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 14. Feb 2014, 02:41

stine hat geschrieben:Wenn ich gläubig bin, darf ich meinen Gott noch bitten mir zu helfen und hoffen, dass er mich ernst nimmt, wenn ich Atheist bin hänge ich in der deterministischen Falle und laufe geradewegs in meine mir bestimmte, aber dennoch unbekannte Zukunft, ohne daran etwas ändern zu können, oder was?

Hier gibt es noch einen kleinen aber mE nicht ganz unwesentlichen Punkt, der bisher noch nicht so richtig zur Sprache gekommen ist.

Und zwar: nehmen wir einmal an, es gäbe einen Gott (der definitionsgemäß allwissend sein soll) oder einen sogenannten Laplace'schen Dämon (der, wenn unsere Welt determiniert ist und er exakte Kenntnis des momentanen Weltzustandes hat, die Zukunft exakt berechnen kann). Beiden ist nun gemeinsam, dass die die Zukunft exakt kennen, also z.B. auch, was Du morgen tun wirst. Und beiden ist auch gemeinsam, dass sie dieses Wissen für sich behalten müssen; denn sobald sie Dir dieses Wissen mitteilen, ist es nur noch Makulatur, stimmt es nicht mehr. (Im Falle Gottes: falls er nicht weiter eingreift, lediglich Deine Zukunft vorhersagte. Falls Gott insofern eingriffe, dass er machte, dass Du das tun müsstest, was er vorhersagte, dann bedeutete das Unfreiheit.)

Anders gesagt: Deine Zukunft ist Dir notwendigerweise unbekannt, insofern, als sie Dir nicht vorhergesagt kann. Wobei es egal ist, ob unsere Welt determiniert ist oder nicht.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 14. Feb 2014, 03:57

Lumen hat geschrieben:Für die Interessierten, Sam Harris Antwort auf Dennett ist heute erschienen.
http://www.samharris.org/blog/item/the- ... tes-lament

Danke für den Link.

Harris braucht nun dort viel Zeit für allgemeine Anmerkungen, bevor er zur Sache kommt:

You think that compatibilists like yourself have purified the concept of free will by “deliberately using cleaned-up, demystified substitutes for the folk concepts.” I believe that you have changed the subject and are now ignoring the very phenomenon we should be talking about—the common, felt sense that I/he/she/you could have done otherwise (generally known as “libertarian” or “contra-causal” free will), with all its moral implications. [...] We both know that the libertarian notion of free will makes no scientific or logical sense; you just doubt whether it is widespread among the folk—or you hope that it isn’t, or don’t much care whether it is (in truth, you are not very clear on this point). In defense of your insouciance, you cite a paper by Nahmias et al.[1]

Wenn ich das recht verstehe, sagt er hier: 1. der libertarische Begriff von Willensfreiheit (ich/er/sie/Du hättest anders handeln können) ergibt keinen Sinn und 2. der libertarische Willensfreiheitsbegriff habe bestimmte moralische Implikationen. Was mE ein Widerspruch in sich ist: etwas, das keinen Sinn ergibt, kann keine moralischen Implikationen haben.

For instance, ordinary people want to feel philosophically justified in hating evildoers and viewing them as the ultimate cause of their evil. This moral attitude is always vulnerable to our getting more information about causation—and in situations where the underlying causes of a person’s behavior become too clear, our feelings about their responsibility begin to shift. This is why I wrote that fully understanding the brain of a normal person would be analogous to finding an exculpatory tumor in it. I am not claiming that there is no difference between a normal person and one with impaired self-control. The former will be responsive to certain incentives and punishments, and the latter won’t. (And that is all the justification we need to resort to carrots and sticks or to lock incorrigibly dangerous people away forever.) But something in our moral attitude does change when we catch sight of these antecedent causes—and it should change. We should admit that a person is unlucky to be given the genes and life experience that doom him to psychopathy. Again, that doesn’t mean we can’t lock him up. But hating him is not rational, given a complete understanding of how he came to be who he is. Natural, yes; rational, no.

Hm. Es gibt also laut Harris einen Unterschied zwischen einer normalen Person und einer Person mit beeinträchtigter Selbstkontrolle; jedoch gibt es auch keinen solchen Unterschied, jemand mit einem Gehirntumor ist gleichzusetzen mit einer normalen Person ohne Gehirntumor. Und ein Psychopath kann nichts dafür, wie er ist, daher darf man ihn nicht verurteilen. Sehr merkwürdig das. siehe unten.

But can we blame Austin for missing his putt? No. Can we blame him for not trying hard enough? Again, the answer is no—unless blaming him were just a way of admonishing him to try harder in the future. For us to consider him truly responsible for missing the putt or for failing to try, we would need to know that he could have acted other than he did. Yes, there are two readings of “could”—and you find only one of them interesting. But they are both interesting, and the one you ignore is morally consequential.

Das Merkwürdige ist, dass Harris hier unterschiedslos drei Bedeutungen von "can" bzw. "could" verwendet. Wenn Austin nichts dafür kann, dass er das Loch verfehlt hat, weil in einer determinierten Welt niemand für etwas kann, dann kann auch jemand, der Austin dafür verurteilt, nichts für diese Verurteilung.

Angeklagter: Herr Richter, ich kann nichts für meine Tat, ich war dazu determiniert.
Richter: ich kann auch nichts dafür, dass ich Sie zu 10 jahren Haft verurteile, denn dazu bin ich determiniert.

Wenn es in einer determinierten Welt unsinnig wäre, zu fragen, ob Austin das Loch hätte treffen können, dann wäre es ebenso unsinnig, zu fragen, ob wir ihn dafür verurteilen können, (wobei hier offensichtlich mit "können" wohl "dürfen" gemeint ist), denn das wäre ja gleichermaßen alternativlos.

Durfte Herr Meier mich betrügen?
Er konnte nicht anders, weil er vollständig determiniert ist.
Darf ich das Herrn Meier übelnehmen?
Nein, darfst Du nicht, weil Herr Meier determiniert ist.
Bin ich nicht determiniert?
Nein, nur Herr Meier ist determiniert, Du nicht, Herr Meier kann nicht dafür, was er tut, Du kannst aber etwas dafür, was Du tust.

Klingt nun irgendwie merkwürdig und nicht so recht logisch, wenn man voraussetzt, dass alles determiniert ist, nicht?

Die Frage, ob wir jemanden verteilen können oder nicht, impliziert eine Wahl. Wenn in einer determinierten Welt aber eine Wahl nicht möglich wäre; wenn aus Determinismus folgen würde, dass alle Psychopathen seien, die keinerlei Kontrolle über ihre Entscheidungen und Handlungen hätten, dann wäre es absurd, zu fragen, was wir tun können/sollen. Bzw. das wäre dann nur als irrelevante Äußerung eines Psychopathen einzuordnen, so als ob ein Papagei etwas nachgeplappert hätte.

Allerdings ist es nun ganz und gar nicht evident, dass aus Determinismus folgen soll, dass alle gleichmaßen Psychopathen seien und/oder, dass alle sowenig Selbstkontrolle haben würden wie jemand mit einer bestimmten Art von Gehirntumor. Das folgt schlicht nicht aus Determinismus.

Entweder ist die Frage "können wir jemanden für etwas verantwortlich machen, für etwas loben oder tadeln?" mit ja oder mit nein zu beantworten. Falls Ersteres: dann ergibt es logischerweise auch keinen Sinn, jemanden zu tadeln, der einen anderen verurteilt, verantwortlich macht. Falls aber Zweiteres: dann ergibt es demnach einen Sinn, jemanden zu tadeln oder zu loben.

Noch ein Zitat:

[Zitat Dennett]If nobody is responsible, not really, then not only should the prisons be emptied, but no contract is valid, mortgages should be abolished, and we can never hold anybody to account for anything they do. Preserving “law and order” without a concept of real responsibility is a daunting task.

These concerns, while not irrational, have nothing to do with the philosophical or scientific merits of the case. They also arise out of a failure to understand the practical consequences of my view. I am no more inclined to release dangerous criminals back onto our streets than you are.

Harris versteht hier leider das Argument von Dennett überhaupt nicht. Dieses lautet so: Inkompatibilsten sind aus einem mir unverständlichen Grunde ausschließlich auf das Strafrecht fixiert und dort fast ausschlißelich auf Kapitalverbrechen, die von Psychopathen durchgeführt werden. Aber Verantwortung beschränkt sich keineswegs nur darauf. Es mag zwar sein, dass in bestimmten Fällen Psychopathen nicht verantwortlich zu machen sind, jedoch wird das mE auch berücksichtigt, es wird geprüft, ob jemand schuldfähig/zurechnungsfähig ist.

Aber das Recht beschränkt sich nun nicht auf das Strafrecht und erst recht nicht auf Kapitalverbrechen. Wenn niemand mehr verantwortlich gemacht werden darf, dass auch nicht z.B. für eine Vertragsverletzung oder überhaupt für etwas, was er tut.

Und auch darf dann logischerweise auch niemand verantwortlich dafür gemacht werden, wenn er jemanden verantwortlich macht und/oder verurteilt. Und da beißt sich dann die Katze in den Schwanz. Wenn aber jemand dafür verantwortlich gemacht werden kann, dass er jemanden verantwortlich macht, dann kann auch jemand dafür verantwortlich gemacht werden, wenn er einem anderen einen Schaden zufügt.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Fr 14. Feb 2014, 07:42

AgentProvocateur hat geschrieben:
Anders gesagt: Deine Zukunft ist Dir notwendigerweise unbekannt, insofern, als sie Dir nicht vorhergesagt kann. Wobei es egal ist, ob unsere Welt determiniert ist oder nicht.

Die Zukunft ist ja auch nicht das Problem, sondern ihre Vorherbestimmtheit. Eben sowenig ist nämlich auch die Vorherbestimmtheit der Vergangenheit bekannt.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon stine » Fr 14. Feb 2014, 08:04

Vollbreit hat geschrieben:Deine Beschriebung nur für die Position der inkompatibilstischen Deterministen, nicht für die Kompatibilisten – aber ob sie tatsächlich vollkommen determiniert ist... weiß man nicht.
Klar galt das nur als Gegensatz zu den inkompatibilstischen Deterministen. Für die anderen wäre es ja Blödsinn auf einen Gott zu vertrauen, wenn sie selber wählen können.
Hab ich vergessen das zu schreiben? XD


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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Fr 14. Feb 2014, 10:23

AgentProvocateur hat geschrieben:
[Zitat Harris]
[Zitat Dennett]If nobody is responsible, not really, then not only should the prisons be emptied, but no contract is valid, mortgages should be abolished, and we can never hold anybody to account for anything they do. Preserving “law and order” without a concept of real responsibility is a daunting task.

These concerns, while not irrational, have nothing to do with the philosophical or scientific merits of the case. They also arise out of a failure to understand the practical consequences of my view. I am no more inclined to release dangerous criminals back onto our streets than you are.
Harris versteht hier leider das Argument von Dennett überhaupt nicht. Dieses lautet so: Inkompatibilsten sind aus einem mir unverständlichen Grunde ausschließlich auf das Strafrecht fixiert und dort fast ausschlißelich auf Kapitalverbrechen, die von Psychopathen durchgeführt werden. Aber Verantwortung beschränkt sich keineswegs nur darauf. Es mag zwar sein, dass in bestimmten Fällen Psychopathen nicht verantwortlich zu machen sind, jedoch wird das mE auch berücksichtigt, es wird geprüft, ob jemand schuldfähig/zurechnungsfähig ist.

Aber das Recht beschränkt sich nun nicht auf das Strafrecht und erst recht nicht auf Kapitalverbrechen. Wenn niemand mehr verantwortlich gemacht werden darf, dass auch nicht z.B. für eine Vertragsverletzung oder überhaupt für etwas, was er tut.

Und analog ist es in der Diskussion in Deutschland gelaufen, von Beginn an.
Man untersuchte die Hirne von Psychopathen, sah dort, dass die vermeintlich wirklich nicht anders können, weil z.B. bestimmte Bereiche, die Forscher mit der Fähigkeit zur Empathie assoziieren, bei ihnen – den Psychopathen – unterentwickelt sind (ein Befund, der auch heute noch, alles in allem weniger eindeutig ist, als man glauben sollte), doch was dann geschah, war abenteuerlich.
Auf einmal wurden die Psychopathenhirne – von denen Hirnforscher wussten und beschrieben, dass sie in vielerlei Hinseicht grundlegend anders sind, als „normale Hirne“ - zum Referenzhirn der gesamten Diskussion. Weil Psychopathen festgelegt sind (was umstritten bis falsch ist, wenn damit gemeint sein soll, dass sie nicht anders handeln können), sind wir Normalos es auch. Hier wurden Psychopathologie (und zwar eine extreme Form) und Normalität (Physiologie) mal eben vertauscht.

Niemand käme auf die Idee von einer dekompensierten Leberzirrhose auf eine normale Leber zu schließen, niemand käme auf die Idee, einen schweren angeborenen Herzschaden eines Kindes zu nehmen und daraus Ableitungen über unsere Blutversorgung zu ziehen, aber hier wurde argumentiert: Die Psychopathen können nicht anders, also kann niemand anders. Wenn man argumentiert, dass Kinder mit schwerem, angeborenen Herzfehler, keine Spitzensportler werden können, würde man daraus kaum schließen, der Mensch sei nicht zu sportlichen Höchstleistungen in der Lage.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Fr 14. Feb 2014, 10:26

@ stine:

Du vermischt hier glaube ich zwei Dinge:
Über sich, das was man möchte und tun wird, selbst entscheiden zu können ist ja noch einmal etwas anderes als den Lauf der (ganzen) Welt lenken und verändern zu können.
Auch Kompatibilisten glauben nicht, dass sie den Lauf der Welt qua Wunsch und Wille ändern können, sie glauben aber, dass sie frei sind, ihr Abendessen und ihrer Urlaub zu planen.

Plant der Kompatibilist einen Kurzurlaub in den Alpen, dann kann es sein, dass er erst in einem langen Stau steht, dann eine Reifenpanne hat, dann die gewählte Strecke wegen Lawinengefahr gesperrt wird und schließlich der Motor versagt, Gott wusste, dass das passiert, der Kompatibilist aber nicht. Wie Agent schon schrieb.

Ganz allgemein hängt die Frage, ob man, wenn man an Gott glaubt, irgendeine der drei Positionen ( 1) Kompatibilismus: Freiheit und Determinismus schließen sich nicht aus; 2) inkompatibilistischer Libertarismus: Freiheit und Determinismus schließen sich aus, aber der Wille des Menschen ist nicht determiniert; 3) inkompatibilistischer Determinismus: Freiheit und Determinismus schließen sich aus und Willensfreiheit kann es nicht geben, da alle Prozesse streng determiniert sind) einnehmen muss, davon ab, was man unter Gott versteht.

Wenn Gott die Uhr aufgezogen hat, die jetzt einfach abläuft, während er dabei passiv zuschaut, wäre das ein strenger Determinismus, der die Aussage des naturgesetzlich Erzwungenen nur durch den Willen Gottes ersetzt, ansonsten ist alles identisch (und man kann alle drei Positionen einnehmen).

Anders ist es, wenn Gott in die Welt eingreift und auf Gebetwünsche eingeht. Das kann man wohl wahlweise als Zufall deuten (Gott entscheidet dann, ob er auf das Gebet regaiert oder nicht) oder man kann die Auffasung vertreten, Gott – da allwissend – habe längst gewusst, dass dieser Wunsch kommen wird, das wäre wieder Determinismus.

Ein maligner Dämon würde per def ganz anders reagieren und hätte vermutlich größte Freude daran seine Geschöpfe völlig zu verwirren, denn er hätte die Macht wirklich alles ganz anders kommen zu lassen, als irgendwer sich denken kann. Interessant finde ich bei diesem Szenario immer, dass einen ein solcher, mächtiger und böser Dämon im Grunde nicht zu jucken braucht. Er ist per def bösartig, aber allmächtig, also hätten wir keine Chance ihn auszutricksen, demütiges Verhalten würde ihn nicht interessieren, sein erklärtes Ziel wäre, uns zu täuschen und zu verwirren, wir wären dem ohnmächtig ausgeliert und könnten im Grunde entspannt darauf warten, wann der Tag kommt, an dem der böse Gott uns verwirren wird, Vorsorge ausgeschlossen, wir wären also frei zu tun, was immer wir wollen und können, solange, wie es eben geht.
Das entspräche wohl einem indeterministischen Szenario, da wir ja im Grunde auf den Tag warten, an dem der Schleier gelüftet wird, andererseits hat auch diie Scheinwelt, in der wir gerade jetzt leben, ihre Gesetze oder mindestens ihre Gewohnheiten.

Naturalisten wie Gottesgläubige unterstellen jedoch „der Natur“ oder Gott im Grunde genau die Eigenschaften, die sie bei sich finden.
In einem relativ aufwendigen Konstrukt unterstellt man „der Natur“ absichts- und ziellos zu sein (sie passiert halt einfach so), andererseits orientiert sie sich jedoch am Nutzen, ohne jedoch ein Bewusstsein dafür zu haben, wem was nutzt und was Nutzen ist, auch das passiert einfach so. Was funktioniert, funktioniert eben (ohne dass die Frage, für wen oder was etwas funktioniert oder funktionieren sollte irgendeinen Sinn hätte) und so wird die Welt immer komplexer, ohne dass das jemals irgendwer beabsichtigt hätte. (Dass hier die Sicht der Physik den Diskurs bestimmen soll, ist mir nicht eingängig, denn Bewusstsein ist ja auch einfach so passiert und spielt nun eben mit, womit für die Perspektivenhoheit der Physik kein Grund besteht.) Die stabilen Strukturen, die sich daraus ergeben, ergeben sich einfach so, sind nützlich und funktionieren, aber im Grunde für nichts und niemanden, denn die Unterstellung ist, dass die Frage nach dem Sinn, keinen Sinn macht. So tut die Natur oder die Evolution (beide ohne Ziel und Absicht) im Grunde das, was ein Mensch tut, das Nützliche behalten und das Nutzlose verwerfen nur halt ohne Bewusstsein und der „Zufall“ wollte es, dass die in keiner Weise nach Kompelxität strebende Natur, Bewusstsein erschuf.

Gott hat im Grunde auch eine Händernatur (in den meisten, der religiösen Vorstellungen). Ist man artig, kriegt man das auf dem Pluskonto gutgeschrieben, ist man böse, droht die Hölle. Bereut man aufrichtig, kriegt man die Kurve noch. Plant man hingegen gerissen, die Kurve am Ende noch zu kriegen, in dem man tut, als bereute man, kann das schief gehen. Wenn man genau hinsieht, dämmert schon inmitten dieses konventionellen Szenario, die Morgenröte des postkonventionellen Subjekts, das dann irgendwann begreift, dass es auf Gott gar nicht ankommt.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon stine » Fr 14. Feb 2014, 14:14

Entschuldige, es ist sicherlich die Schuld meiner Kurzbeiträge, dass ich nicht so richtig verstanden werde. Imgrunde sind wir uns ja einig. Aber ich versuchs nochmal anders:

Der gestrenge Inkompatibilist ist ein atheistischer Determinist, der kein Entrinnen aus einer Causalkette sieht.
Der gestrenge Gläubige ist einer, der an Gottes Lenkung glaubt und kein Entrinnen aus seinem Schicksal sieht.
Also gleiche Machtlosigkeit auf beiden Seiten, mit oder ohne Gott. Ich habe das nur deswegen erläutern wollen, weil viele Atheisten sich weigern einem Gott den Ablauf der Welt zuzugestehen, sich aber andererseits wohl offensichtlich trotzdem gerne in ihrem Determinismus zurückziehen. Ich sehe keinen Unterschied darin, ob ein Gott mein Schicksal bestimmt oder die Natur. Da muss niemand aus der Religion flüchten, wenn auf ihn nichts anderes warten sollte, als ein determiniertes Naturereignis.

Der Kompatibilist ist ein Atheist, der wohl den Ablauf der Natur anerkennt, aber seinen Urlaub selber planen kann, Dank seines Wissens um sein bewusstes Handeln können.
Der Gläubige schlechthin ist einer, der zwar an Gottes Führung glaubt, aber Dank seines Wissens um seinen freien Willen, den Gott ihm zugestanden hat, seinen Sonntag planen kann, wie er möchte.
Also gleiches Bewusstsein den eigenen Willen betreffend, mit oder ohne Gott. Auch hier sehe ich keinen Unterschied darin, ob Gott mir meinen freien Willen zugesteht oder ob meine Denkprozesse und Handlungsfreiheit innerhalb einer funktionierenden Natur frei sind.

Es geht mir darum, dass sich der gleichmütige Religiöse freier fühlen kann, als der atheistische Determinist, sich also fragen wird, warum sollte es mir als Atheist besser gehen? Lediglich dem gestrengen Religiösen könnte man mit dem Wechsel zum atheistischen Kompatibilismus noch einen Gefallen tun.

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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Fr 14. Feb 2014, 16:30

stine hat geschrieben:Entschuldige, es ist sicherlich die Schuld meiner Kurzbeiträge, dass ich nicht so richtig verstanden werde. Imgrunde sind wir uns ja einig. Aber ich versuchs nochmal anders:

Der gestrenge Inkompatibilist ist ein atheistischer Determinist, der kein Entrinnen aus einer Causalkette sieht.

Theoretisch hast zu 50% recht, denn der gestrenge Inkompatibilist kann auch ein Libertarier sein, der auch denkt, Freiheit und Determinismus schlössen einander aus (aber der Wille des Menschen sei volkommen indeterminiert), aber faktisch liegst Du nahe bei 100%, denn Libertarier gibt es so gut wie nicht.

stine hat geschrieben:Der gestrenge Gläubige ist einer, der an Gottes Lenkung glaubt und kein Entrinnen aus seinem Schicksal sieht.
Also gleiche Machtlosigkeit auf beiden Seiten, mit oder ohne Gott. Ich habe das nur deswegen erläutern wollen, weil viele Atheisten sich weigern einem Gott den Ablauf der Welt zuzugestehen, sich aber andererseits wohl offensichtlich trotzdem gerne in ihrem Determinismus zurückziehen. Ich sehe keinen Unterschied darin, ob ein Gott mein Schicksal bestimmt oder die Natur. Da muss niemand aus der Religion flüchten, wenn auf ihn nichts anderes warten sollte, als ein determiniertes Naturereignis.

Ich glaube ehrlich gesagt, dass das auch nicht der Grund ist, warum die Menschen in einigen Regionen der Welt die Religion hinter sich lassen.

stine hat geschrieben:Der Kompatibilist ist ein Atheist, der wohl den Ablauf der Natur anerkennt, aber seinen Urlaub selber planen kann, Dank seines Wissens um sein bewusstes Handeln können.
Den Atheisten sehe ich da jetzt nicht zwingend, aber der Rest stimmt.

stine hat geschrieben:Der Gläubige schlechthin ist einer, der zwar an Gottes Führung glaubt, aber Dank seines Wissens um seinen freien Willen, den Gott ihm zugestanden hat, seinen Sonntag planen kann, wie er möchte.
Ja, die Variante gibt es: Der Mensch denkt, Gott lenkt.

stine hat geschrieben:Also gleiches Bewusstsein den eigenen Willen betreffend, mit oder ohne Gott. Auch hier sehe ich keinen Unterschied darin, ob Gott mir meinen freien Willen zugesteht oder ob meine Denkprozesse und Handlungsfreiheit innerhalb einer funktionierenden Natur frei sind.
So gesehen stimmt das, aber die Menschen, die sich von den Religionen abwenden wollen ja keine Freiheit vom Determinismus erreichen, sondern Freiheit von konfessionellen Zwängen.
Determiniert zu sein, heißt ja nicht, dass man nicht homosexuell sein darf, konfessionell gebunden zu sein, kann aber durchaus heißen, dass man nicht homosexuell sein darf.

stine hat geschrieben:Es geht mir darum, dass sich der gleichmütige Religiöse freier fühlen kann, als der atheistische Determinist, sich also fragen wird, warum sollte es mir als Atheist besser gehen? Lediglich dem gestrengen Religiösen könnte man mit dem Wechsel zum atheistischen Kompatibilismus noch einen Gefallen tun.
Eigentlich nicht.
Der gleichmütige Religiöse profitiert im Grunde kaum von seinem Glauben. Die meisten Untersuchungen dazu zeigen, dass man dann von Religion profitiert, wenn man sie wirklich enst nimmt und dann tatsächlich auch messbar ein „besserer Mensch“ sein kann (aber auch ein Extremist mit schädlicher Ausrichtung) und wenn man so ein „ich glaube nicht dran, aber ist ja irgendwie doch ganz nett“ Religiöser ist, profitiert man zumindest statistisch nicht von seinem Glauben.
Einfach gesagt, entfalten Überzeugungen nur ihre Kraft, wenn man auch wirklich überzeugt ist.

Wenn man eh von etwas nicht überzeugt ist, sollte man Nägel mit Köpfen machen und die Konsequenzen ziehen. In diesem Fall würde ich dann für einen sauberen Atheismus plädieren (der mit dem Kompatibilismus m.E. dennoch nichts zu tun hat).
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon stine » Fr 14. Feb 2014, 16:57

Der Threadtitel heißt aber "Harter atheistischer Determinismus" , nur deswegen mein Hinweis auf den atheistischen Kompatibilismus.

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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon stine » Fr 14. Feb 2014, 17:24

Vollbreit hat geschrieben:Determiniert zu sein, heißt ja nicht, dass man nicht homosexuell sein darf...
...sondern sein muss?

Vollbreit hat geschrieben:...konfessionell gebunden zu sein, kann aber durchaus heißen, dass man nicht homosexuell sein darf.
Wenn das der einzige Grund wäre, Atheist zu werden, dann wäre das ein wenig wenig.

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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ice » Fr 14. Feb 2014, 19:30

stine hat geschrieben:Der gestrenge Inkompatibilist ist ein atheistischer Determinist, der kein Entrinnen aus einer Causalkette sieht.
Der gestrenge Gläubige ist einer, der an Gottes Lenkung glaubt und kein Entrinnen aus seinem Schicksal sieht.
Also gleiche Machtlosigkeit auf beiden Seiten, mit oder ohne Gott.


Ja, ich denke wirklich, dass wir unzähligen vernetzten (autonomen) Kausalketten und Naturgesetzen machtlos ausgeliefert sind. Jeder noch so unbedeutende Moment im Leben wird bestimmt durch unzählige innere (Gehirn/Körper) und äußere (Umwelt, in der wir agieren) Einflussfaktoren. Wir reagieren auf einige davon bewusst - der große Rest läuft unbewusst und automatisch ab. Wenn wir bewusst reagieren, kommt die (bedingte) Freiheit ins Spiel und wir können denken, entscheiden und handeln, wir wir eben gerade wollen. Das ändert aber nichts an unserer Machtlosigkeit gegenüber den vielen Einflussfaktoren, die auf uns einwirken. Wir spüren mE diese unzähligen Einflussfaktoren aber meist nicht als unangenehmen Zwang, sondern oft als angenehme Anregung/Inspiration/Überraschung. Kommunikation, Sprachspiele und die vielfältige Interaktion zwischen Menschen sind nur wenige Beispiele dafür, dass dieser unausweichlich festgelegte Lebensprozess interessant und spannend sein kann. Und manchmal macht er - zumindest mir - auch einfach nur Spaß.

stine hat geschrieben:Ich habe das nur deswegen erläutern wollen, weil viele Atheisten sich weigern einem Gott den Ablauf der Welt zuzugestehen, sich aber andererseits wohl offensichtlich trotzdem gerne in ihrem Determinismus zurückziehen. Ich sehe keinen Unterschied darin, ob ein Gott mein Schicksal bestimmt oder die Natur.


Die Frage lautet ja, welche Variante einfacher, plausibler und "eleganter" erscheint: bestimmt ein (gutmütiger?) Gott, von dem nichts bekannt ist (außer das, was in einem alten Buch steht) und an den man glauben muss, unseren Lebensweg oder "nur" die abstrakte, wertfreie und komplexe Natur, die prinzipiell versteh- und erforschbar ist. Ich sehe da sehr wohl einen großen Unterschied. Ich ziehe mich auch nicht gerne in den Determinismus zurück, sondern mich interessiert ganz wertfrei, wie die Lebenswelt wirklich funktioniert - ob mir das nun passt oder nicht. Religiöser Glaube ist dabei für mich persönlich keine Hilfe, keine überzeugende Erklärung und auch kein Trost.

stine hat geschrieben:Da muss niemand aus der Religion flüchten, wenn auf ihn nichts anderes warten sollte, als ein determiniertes Naturereignis.


Das Universum und das Leben darin ist für mich ein determiniertes Naturereignis. Und zwar ein erstaunliches, faszinierendes und spannendes - und was die menschliche Existenz betrifft - ein einmaliges, seltsames und absurdes Ereignis - gerade was unsere Freiheit im bewussten Denken, Entscheiden und Handeln in diesem festgelegten Prozess betrifft!

stine hat geschrieben:Der Kompatibilist ist ein Atheist, der wohl den Ablauf der Natur anerkennt, aber seinen Urlaub selber planen kann, Dank seines Wissens um sein bewusstes Handeln können.
Der Gläubige schlechthin ist einer, der zwar an Gottes Führung glaubt, aber Dank seines Wissens um seinen freien Willen, den Gott ihm zugestanden hat, seinen Sonntag planen kann, wie er möchte.
Also gleiches Bewusstsein den eigenen Willen betreffend, mit oder ohne Gott. Auch hier sehe ich keinen Unterschied darin, ob Gott mir meinen freien Willen zugesteht oder ob meine Denkprozesse und Handlungsfreiheit innerhalb einer funktionierenden Natur frei sind.


Für mich besteht der Unterschied, wie oben beschrieben, darin, dass die göttliche Instanz nur ein "Zusatz" ist, der in einer funktionierenden Natur nicht notwendig ist. Es macht die Sache nur problematisch und kompliziert.

stine hat geschrieben:Es geht mir darum, dass sich der gleichmütige Religiöse freier fühlen kann, als der atheistische Determinist, sich also fragen wird, warum sollte es mir als Atheist besser gehen? Lediglich dem gestrengen Religiösen könnte man mit dem Wechsel zum atheistischen Kompatibilismus noch einen Gefallen tun.


Wie gesagt, es geht mE primär um die Frage, welche Variante einfacher, plausibler und "eleganter" erscheint und nicht um die Frage, wer "freier" ist oder wem es "besser" dabei geht. "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar", hat Ingeborg Bachmann einmal gesagt...
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 14. Feb 2014, 21:34

ujmp hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Anders gesagt: Deine Zukunft ist Dir notwendigerweise unbekannt, insofern, als sie Dir nicht vorhergesagt kann. Wobei es egal ist, ob unsere Welt determiniert ist oder nicht.

Die Zukunft ist ja auch nicht das Problem, sondern ihre Vorherbestimmtheit. Eben sowenig ist nämlich auch die Vorherbestimmtheit der Vergangenheit bekannt.

Mein Punkt hier war der: in einer determinierten Welt ist es zwar hypothetisch möglich, die gesamte Zukunft exakt berechnen zu können, (praktisch ist das jedoch in unserer Welt aus diversen Gründen nicht möglich). Jedoch ist es in einer determinierten Welt prinzipiell nicht möglich, jemandem seine Zukunft vorherzusagen, (bzw. selber irgendwie seine Zukunft zu ermitteln). Durch die Vorhersage wird die Zukunft anders sein als vorhergesagt. Analog gilt das auch für eine beliebige andere Vorhersage, z.B. durch einen Gott, der nichts berechnet, sondern die Zukunft "einfach so" kennt.

Nehmen wir mal beispielhaft an, die Vorhersage lautete so: "Du wirst genau um 22:00 einen Schluck Wasser trinken". Bewappnet mit dieser Information trinkst Du einfach um 22:00 Uhr keinen Schluck Wasser und hast daher die Vorhersage ungültig gemacht. (Wir schließen mal aus, dass Gott Dich zwingt, das Wasser zu trinken.)

Das hat übrigens nichts mit Bewusstsein zu tun. Wir können uns eine einfache Maschine denken, die zwei Töne wiedergeben kann, einen hohen und einen tiefen Ton. Zusätzlich habe sie ein Interface, eine Datenleitung, über das man zwei Informationen senden kann, entweder "tiefer Ton" oder "hoher Ton". Die Maschine sei nun so "programmiert", (eine simple Festverdrahtung reicht dazu aus, daher die Anführungszeichen), dass sie beim Input "tiefer Ton" den hohen Ton spielt und vice versa. Dann ist es prinzipiell nicht möglich, der Maschine "vorherzusagen", welchen Ton sie spielen wird, denn die Maschine tut dann immer das Gegenteil der Vorhersage.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » Sa 15. Feb 2014, 09:48

@Dr Fraggles
Vielen Dank für deine kommentierenden Worte zu dieser endlosen, ziellosen aber auch sehr spaßigen Diskussion zwischen mir und AgentProvocateur. Ich bin nicht sicher, ob ich alles verstanden habe. Leider fehlte mir auch in den letzten Tagen die Zeit, um die entsprechenden, klärenden Fragen zu stellen. (Kommt vielleicht noch). Mein nebulöser Verdacht, dass wir dort wohlmöglich viel aneinander vorbeireden, wird aber zumindest schon einmal bestätigt. Danke dafür. Gerne würde ich weiterhin glauben, dass mein Argument (der inkompatibilistische Freiheitsbegriff ist sprachlich inkohärent) zieht, aber vielleicht ist es wirklich nur das Unvermögen oder der Unwille der anderen Seite (Vollbreit und AgentProvocateur), sich auf mich einzulassen und in meinem Bezugssystem den möglicherweise peinlich leichten Beweis zu führen, dass meine Vorwürfe falsch sind. :)

Der Schlagabtausch zwischen Harris und Dennett (vielen Dank Lumenfür den neuen Link auf Harris Text. Hyperspannend!) tröstet mich da wieder etwas. Dass man leicht aneinander vorbeiredet und sich über Begriffe und Bedeutungen nicht einig wird, scheint auch für sehr schlaue Profis, die ansonsten fast übereinstimmen, eine ständige Gefahr zu sein.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ganimed » Sa 15. Feb 2014, 11:15

AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn es in einer determinierten Welt unsinnig wäre, zu fragen, ob Austin das Loch hätte treffen können, dann wäre es ebenso unsinnig, zu fragen, ob wir ihn dafür verurteilen können, (wobei hier offensichtlich mit "können" wohl "dürfen" gemeint ist), denn das wäre ja gleichermaßen alternativlos.

Du übersiehst hier den Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft. Austin macht sich nachträgliche "Vorwürfe", weil er das Loch in der Vergangenheit nicht traf. Diese Vorwürfe sind eigentlich ungerechtfertigt, da Austin ja nicht anders konnte als in dieser Situation zu verfehlen. Sinnig nennt Harris diese Vorwürfe aber insofern doch, als sie und der Ärger sicherlich als Motivatoren für die Zukunft dienen können, um es dann besser zu machen ("To say that Austin really should have made that putt or tried harder is just a way of admonishing him to put forth greater effort in the future.")
Aus ähnlichem Grund ist es selbstverständlich NICHT sinnlos zu fragen, ob wir ihn dafür verurteilen können. Denn determiniert heißt "alternativlos" in Bezug auf genau eine Situation, nicht in Bezug auf mögliche Situationen in der Zukunft. Je nachdem, wie wir uns zu dieser Frage stellen, "verändern" wir die Zukunft. Wobei mit "verändern" natürlich gemeint ist, dass sich vermutlich dann eine andere Zukunft einstellt, als wir es mit einer anderen Auffassung uns vorstellen würden.


AgentProvocateur hat geschrieben:Durfte Herr Meier mich betrügen?
Er konnte nicht anders, weil er vollständig determiniert ist.
Darf ich das Herrn Meier übelnehmen?
Nein, darfst Du nicht, weil Herr Meier determiniert ist.
Bin ich nicht determiniert?
Nein, nur Herr Meier ist determiniert, Du nicht, Herr Meier kann nicht dafür, was er tut, Du kannst aber etwas dafür, was Du tust.

Klingt nun irgendwie merkwürdig und nicht so recht logisch, wenn man voraussetzt, dass alles determiniert ist, nicht?

Ja das klingt in der Tat merkwürdig. Der oben angedeutete Unterschied zwischen Zukunft (was wir noch ändern können und werden) und Vergangenheit (was wir rückwärtig betrachten und nur beurteilen aber nicht mehr ändern können) ist also offenbar wichtig. Wenn man den beiseite wischt, dann kommt man zu den von dir beobachteten Merkwürdigkeiten. Dass du aus dieser Unachtsamkeit irgendwie Argumente gegen Harris oder Inkompatibilisten schmiedest, scheint mir ein Fehler zu sein.

Durfte Herr Meier mich betrügen?
Nein, aber er konnte nicht anders. Sein Handeln war falsch aber es wäre irrational, ihn dafür zu hassen.

Darf ich das Herrn Meier übelnehmen?
Ja, wenn beispielsweise die Irrationalität dieser Übelnehmung dir nicht so recht bewusst wird oder dich nicht genügend stört. Ansonsten wird das Übelnehmen möglicherweise von einem gewissen Verständnis abgelöst.

Bin ich nicht determiniert?
Ja. Ob du übel nimmst oder verstehtst, hängt vollständig von kausalen Faktoren ab (wie bewusst dir der Determinismus wird, wie stark andere Emotionen sind, was sonst noch so passiert im Kopf).


AgentProvocateur hat geschrieben:Entweder ist die Frage "können wir jemanden für etwas verantwortlich machen, für etwas loben oder tadeln?" mit ja oder mit nein zu beantworten. Falls Ersteres: dann ergibt es logischerweise auch keinen Sinn, jemanden zu tadeln, der einen anderen verurteilt, verantwortlich macht. Falls aber Zweiteres: dann ergibt es demnach einen Sinn, jemanden zu tadeln oder zu loben.

So ein Kuddelmuddel bei dir. Dabei ist es doch ganz einfach. "Verantwortlich machen" kann man niemanden, also nein. Für etwas loben oder tadeln kann/sollte man genau die, bei denen das etwas bewirkt (die also durch diese Inputsignale möglicherweise eine Chance haben, es in Zukunft etwas besser zu machen). Wenn jemand einen Tumor hat und der fast ausschließlich der Grund für das Verhalten ist, dann hat Tadel wohl kaum eine Wirkung, ansonsten schon. Tadel ist also sinnvoll, auch wenn man jemanden nicht verantwortlich machen kann.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon stine » Sa 15. Feb 2014, 13:39

ice hat geschrieben:Für mich besteht der Unterschied, wie oben beschrieben, darin, dass die göttliche Instanz nur ein "Zusatz" ist, der in einer funktionierenden Natur nicht notwendig ist. Es macht die Sache nur problematisch und kompliziert.
Und hier ist aber die Frage an die Deterministen: Wieso konnte so eine Gottesgschichte so lange die Menschen leiten und wieso ist sie bis heute nicht aus der Welt?
Auch die kulturellen Errungenschaften sind determiniert, wenn alles determiniert ist. Was ist also das Geheimnis dahinter, dass der Mensch sich einen Gott schuf? Offensichtlich ist er Teil der Causalkette.
Wenn schon, denn schon - würd ich sagen.

LG stine
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 15. Feb 2014, 16:19

ganimed hat geschrieben:Gerne würde ich weiterhin glauben, dass mein Argument (der inkompatibilistische Freiheitsbegriff ist sprachlich inkohärent) zieht, aber vielleicht ist es wirklich nur das Unvermögen oder der Unwille der anderen Seite (Vollbreit und AgentProvocateur), sich auf mich einzulassen und in meinem Bezugssystem den möglicherweise peinlich leichten Beweis zu führen, dass meine Vorwürfe falsch sind. :)

Hm, das finde ich nun sehr verwirrend. Hast Du Dich verschrieben und wolltest "der kompatibilistische Freiheitsbegriff" statt "der inkompatibilistische Freiheitsbegriff schreiben? Falls ja: warum ist der inkohärent? Falls nein: von meiner Seite aus ist nicht strittig, dass der inkompatibilistische Freiheitsbegriff inkohärent ist.

Wie lauten nochmal Deine Vorwürfe?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 15. Feb 2014, 17:07

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn es in einer determinierten Welt unsinnig wäre, zu fragen, ob Austin das Loch hätte treffen können, dann wäre es ebenso unsinnig, zu fragen, ob wir ihn dafür verurteilen können, (wobei hier offensichtlich mit "können" wohl "dürfen" gemeint ist), denn das wäre ja gleichermaßen alternativlos.

Du übersiehst hier den Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft. Austin macht sich nachträgliche "Vorwürfe", weil er das Loch in der Vergangenheit nicht traf. Diese Vorwürfe sind eigentlich ungerechtfertigt, da Austin ja nicht anders konnte als in dieser Situation zu verfehlen. Sinnig nennt Harris diese Vorwürfe aber insofern doch, als sie und der Ärger sicherlich als Motivatoren für die Zukunft dienen können, um es dann besser zu machen ("To say that Austin really should have made that putt or tried harder is just a way of admonishing him to put forth greater effort in the future.")
Aus ähnlichem Grund ist es selbstverständlich NICHT sinnlos zu fragen, ob wir ihn dafür verurteilen können. Denn determiniert heißt "alternativlos" in Bezug auf genau eine Situation, nicht in Bezug auf mögliche Situationen in der Zukunft. Je nachdem, wie wir uns zu dieser Frage stellen, "verändern" wir die Zukunft. Wobei mit "verändern" natürlich gemeint ist, dass sich vermutlich dann eine andere Zukunft einstellt, als wir es mit einer anderen Auffassung uns vorstellen würden.

Oh, finde ich nun auch sehr verwirrend, denn dem stimme ich so zu, das hört sich jedoch ziemlich kompatibilistisch an. Dass man die Vergangenheit nicht ändern kann, hat übrigens nichts mit Determinismus zu tun, auch in einer indeterminierten Welt kann man die Vergangenheit nicht ändern. Denke nicht, dass überhaupt jemand annimmt, man könne die Vergangenheit ändern.

Und dass man mit seinen Handlungen einen Einfluss auf die Zukunft hat, man mögliche Optionen und mögliche Abläufe der Zukunft abwägen und sich dann für die am besten angesehene Option entscheiden kann, ist nun die kompatibilistische Ansicht.

ganimed hat geschrieben:Der oben angedeutete Unterschied zwischen Zukunft (was wir noch ändern können und werden) und Vergangenheit (was wir rückwärtig betrachten und nur beurteilen aber nicht mehr ändern können) ist also offenbar wichtig. Wenn man den beiseite wischt, dann kommt man zu den von dir beobachteten Merkwürdigkeiten. Dass du aus dieser Unachtsamkeit irgendwie Argumente gegen Harris oder Inkompatibilisten schmiedest, scheint mir ein Fehler zu sein.

Wo sollte ich diesen Unterschied beiseitegewischt haben? Ich bin bisher davon ausgegangen, dass Du meinen würdest, man könne in einer determinierten Welt ebensowenig die Zukunft beeinflussen, wie man die Vergangenheit beeinflussen kann. Da Du das jetzt aber nicht tun scheinst, haben wir eine neue Situation. Nun sieht es stark so aus, als ob Du kompatibilistisch argumentieren würdest.

ganimed hat geschrieben:Darf ich das Herrn Meier übelnehmen?
Ja, wenn beispielsweise die Irrationalität dieser Übelnehmung dir nicht so recht bewusst wird oder dich nicht genügend stört. Ansonsten wird das Übelnehmen möglicherweise von einem gewissen Verständnis abgelöst.

Was soll daran irrational sein, wenn ich Herrn Müller übelnehme, dass er mich betrogen hat? Wieso sollte ich Verständnis dafür aufbringen? Wieso sollte nicht Herr Müller Verständnis dafür aufbringen, dass ich ihm seinen Betrug übel nehme und ihn deswegen anzeige?

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Entweder ist die Frage "können wir jemanden für etwas verantwortlich machen, für etwas loben oder tadeln?" mit ja oder mit nein zu beantworten. Falls Ersteres: dann ergibt es logischerweise auch keinen Sinn, jemanden zu tadeln, der einen anderen verurteilt, verantwortlich macht. Falls aber Zweiteres: dann ergibt es demnach einen Sinn, jemanden zu tadeln oder zu loben.

So ein Kuddelmuddel bei dir. Dabei ist es doch ganz einfach. "Verantwortlich machen" kann man niemanden, also nein. Für etwas loben oder tadeln kann/sollte man genau die, bei denen das etwas bewirkt (die also durch diese Inputsignale möglicherweise eine Chance haben, es in Zukunft etwas besser zu machen). Wenn jemand einen Tumor hat und der fast ausschließlich der Grund für das Verhalten ist, dann hat Tadel wohl kaum eine Wirkung, ansonsten schon. Tadel ist also sinnvoll, auch wenn man jemanden nicht verantwortlich machen kann.

Hui, das kommt mir aber nun vielmehr wie ein Kuddelmuddel vor. Was verstehst Du unter "Verantwortung"? Ich zitiere einfach mal die Wikipedia:

Der Begriff der Verantwortung bezeichnet nach verbreiteter Auffassung die Zuschreibung einer Pflicht zu einer handelnden Person oder Personengruppe (Subjekt) gegenüber einer anderen Person oder Personengruppe (Objekt) aufgrund eines normativen Anspruchs, der durch eine Instanz eingefordert werden kann und vor dieser zu rechtfertigen (zu beantworten) ist. Handlungen und ihre Folgen können je nach gesellschaftlicher Praxis und Wertesystem für den Verantwortlichen zu Konsequenzen wie Lob und Tadel, Belohnung, Bestrafung oder Forderungen nach Ersatzleistungen führen.

Jemanden zu loben oder zu tadeln impliziert, dass derjenige für das, wofür er gelobt oder getadelt ist, verantwortlich ist. Mag nun sein, dass Du einen ganz anderen Verantwortungsbegriff hast. Wenn so: wie sieht der aus?

Mal abgesehen davon: Du vertrittst hier anscheinend ebenfalls den kompatibilistischen Freiheitsbegriff, wenn Du annimmst, dass man sich bei seinen Entscheidungen und Handlungen durch Gründe leiten lassen kann. Wenn man wählen kann, ob man jemanden lobt/tadelt oder nicht, wie Du hier wohl schreibst, dann fragt sich, warum das nicht für Entscheidungsfreiheit ausreichen sollte, was da noch Wesentliches hinzukommen müsse für echte Entscheidungsfreiheit.
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