stine hat geschrieben:Ich will eure Diskussion nicht unterbrechen, aber eins wollte ich noch schnell dazwischen gesagt haben:
Was um alles in der Welt ist der "harte atheistische Determinismus" besser, als das von den Gläubigen hingenommene "Schicksal" unter Gottes Hand?
Wenn ich gläubig bin, darf ich meinen Gott noch bitten mir zu helfen und hoffen, dass er mich ernst nimmt, wenn ich Atheist bin hänge ich in der deterministischen Falle und laufe geradewegs in meine mir bestimmte, aber dennoch unbekannte Zukunft, ohne daran etwas ändern zu können, oder was?
Also ehrlich Leute, da wäre mir mein Schicksal in Gottes Hand, das ich notfalls noch beeinflussen kann immer noch lieber.
stine hat geschrieben:Was um alles in der Welt ist der "harte atheistische Determinismus" besser, als das von den Gläubigen hingenommene "Schicksal" unter Gottes Hand?
stine hat geschrieben:Wenn ich gläubig bin, darf ich meinen Gott noch bitten mir zu helfen und hoffen, dass er mich ernst nimmt, wenn ich Atheist bin hänge ich in der deterministischen Falle und laufe geradewegs in meine mir bestimmte, aber dennoch unbekannte Zukunft, ohne daran etwas ändern zu können, oder was?
Lumen hat geschrieben:Für die Interessierten, Sam Harris Antwort auf Dennett ist heute erschienen.
http://www.samharris.org/blog/item/the- ... tes-lament
You think that compatibilists like yourself have purified the concept of free will by “deliberately using cleaned-up, demystified substitutes for the folk concepts.” I believe that you have changed the subject and are now ignoring the very phenomenon we should be talking about—the common, felt sense that I/he/she/you could have done otherwise (generally known as “libertarian” or “contra-causal” free will), with all its moral implications. [...] We both know that the libertarian notion of free will makes no scientific or logical sense; you just doubt whether it is widespread among the folk—or you hope that it isn’t, or don’t much care whether it is (in truth, you are not very clear on this point). In defense of your insouciance, you cite a paper by Nahmias et al.[1]
For instance, ordinary people want to feel philosophically justified in hating evildoers and viewing them as the ultimate cause of their evil. This moral attitude is always vulnerable to our getting more information about causation—and in situations where the underlying causes of a person’s behavior become too clear, our feelings about their responsibility begin to shift. This is why I wrote that fully understanding the brain of a normal person would be analogous to finding an exculpatory tumor in it. I am not claiming that there is no difference between a normal person and one with impaired self-control. The former will be responsive to certain incentives and punishments, and the latter won’t. (And that is all the justification we need to resort to carrots and sticks or to lock incorrigibly dangerous people away forever.) But something in our moral attitude does change when we catch sight of these antecedent causes—and it should change. We should admit that a person is unlucky to be given the genes and life experience that doom him to psychopathy. Again, that doesn’t mean we can’t lock him up. But hating him is not rational, given a complete understanding of how he came to be who he is. Natural, yes; rational, no.
But can we blame Austin for missing his putt? No. Can we blame him for not trying hard enough? Again, the answer is no—unless blaming him were just a way of admonishing him to try harder in the future. For us to consider him truly responsible for missing the putt or for failing to try, we would need to know that he could have acted other than he did. Yes, there are two readings of “could”—and you find only one of them interesting. But they are both interesting, and the one you ignore is morally consequential.
[Zitat Dennett]If nobody is responsible, not really, then not only should the prisons be emptied, but no contract is valid, mortgages should be abolished, and we can never hold anybody to account for anything they do. Preserving “law and order” without a concept of real responsibility is a daunting task.
These concerns, while not irrational, have nothing to do with the philosophical or scientific merits of the case. They also arise out of a failure to understand the practical consequences of my view. I am no more inclined to release dangerous criminals back onto our streets than you are.
AgentProvocateur hat geschrieben:
Anders gesagt: Deine Zukunft ist Dir notwendigerweise unbekannt, insofern, als sie Dir nicht vorhergesagt kann. Wobei es egal ist, ob unsere Welt determiniert ist oder nicht.
Klar galt das nur als Gegensatz zu den inkompatibilstischen Deterministen. Für die anderen wäre es ja Blödsinn auf einen Gott zu vertrauen, wenn sie selber wählen können.Vollbreit hat geschrieben:Deine Beschriebung nur für die Position der inkompatibilstischen Deterministen, nicht für die Kompatibilisten – aber ob sie tatsächlich vollkommen determiniert ist... weiß man nicht.
AgentProvocateur hat geschrieben:Harris versteht hier leider das Argument von Dennett überhaupt nicht. Dieses lautet so: Inkompatibilsten sind aus einem mir unverständlichen Grunde ausschließlich auf das Strafrecht fixiert und dort fast ausschlißelich auf Kapitalverbrechen, die von Psychopathen durchgeführt werden. Aber Verantwortung beschränkt sich keineswegs nur darauf. Es mag zwar sein, dass in bestimmten Fällen Psychopathen nicht verantwortlich zu machen sind, jedoch wird das mE auch berücksichtigt, es wird geprüft, ob jemand schuldfähig/zurechnungsfähig ist.[Zitat Harris][Zitat Dennett]If nobody is responsible, not really, then not only should the prisons be emptied, but no contract is valid, mortgages should be abolished, and we can never hold anybody to account for anything they do. Preserving “law and order” without a concept of real responsibility is a daunting task.
These concerns, while not irrational, have nothing to do with the philosophical or scientific merits of the case. They also arise out of a failure to understand the practical consequences of my view. I am no more inclined to release dangerous criminals back onto our streets than you are.
Aber das Recht beschränkt sich nun nicht auf das Strafrecht und erst recht nicht auf Kapitalverbrechen. Wenn niemand mehr verantwortlich gemacht werden darf, dass auch nicht z.B. für eine Vertragsverletzung oder überhaupt für etwas, was er tut.
stine hat geschrieben:Entschuldige, es ist sicherlich die Schuld meiner Kurzbeiträge, dass ich nicht so richtig verstanden werde. Imgrunde sind wir uns ja einig. Aber ich versuchs nochmal anders:
Der gestrenge Inkompatibilist ist ein atheistischer Determinist, der kein Entrinnen aus einer Causalkette sieht.
stine hat geschrieben:Der gestrenge Gläubige ist einer, der an Gottes Lenkung glaubt und kein Entrinnen aus seinem Schicksal sieht.
Also gleiche Machtlosigkeit auf beiden Seiten, mit oder ohne Gott. Ich habe das nur deswegen erläutern wollen, weil viele Atheisten sich weigern einem Gott den Ablauf der Welt zuzugestehen, sich aber andererseits wohl offensichtlich trotzdem gerne in ihrem Determinismus zurückziehen. Ich sehe keinen Unterschied darin, ob ein Gott mein Schicksal bestimmt oder die Natur. Da muss niemand aus der Religion flüchten, wenn auf ihn nichts anderes warten sollte, als ein determiniertes Naturereignis.
Den Atheisten sehe ich da jetzt nicht zwingend, aber der Rest stimmt.stine hat geschrieben:Der Kompatibilist ist ein Atheist, der wohl den Ablauf der Natur anerkennt, aber seinen Urlaub selber planen kann, Dank seines Wissens um sein bewusstes Handeln können.
Ja, die Variante gibt es: Der Mensch denkt, Gott lenkt.stine hat geschrieben:Der Gläubige schlechthin ist einer, der zwar an Gottes Führung glaubt, aber Dank seines Wissens um seinen freien Willen, den Gott ihm zugestanden hat, seinen Sonntag planen kann, wie er möchte.
So gesehen stimmt das, aber die Menschen, die sich von den Religionen abwenden wollen ja keine Freiheit vom Determinismus erreichen, sondern Freiheit von konfessionellen Zwängen.stine hat geschrieben:Also gleiches Bewusstsein den eigenen Willen betreffend, mit oder ohne Gott. Auch hier sehe ich keinen Unterschied darin, ob Gott mir meinen freien Willen zugesteht oder ob meine Denkprozesse und Handlungsfreiheit innerhalb einer funktionierenden Natur frei sind.
Eigentlich nicht.stine hat geschrieben:Es geht mir darum, dass sich der gleichmütige Religiöse freier fühlen kann, als der atheistische Determinist, sich also fragen wird, warum sollte es mir als Atheist besser gehen? Lediglich dem gestrengen Religiösen könnte man mit dem Wechsel zum atheistischen Kompatibilismus noch einen Gefallen tun.
...sondern sein muss?Vollbreit hat geschrieben:Determiniert zu sein, heißt ja nicht, dass man nicht homosexuell sein darf...
Wenn das der einzige Grund wäre, Atheist zu werden, dann wäre das ein wenig wenig.Vollbreit hat geschrieben:...konfessionell gebunden zu sein, kann aber durchaus heißen, dass man nicht homosexuell sein darf.
stine hat geschrieben:Der gestrenge Inkompatibilist ist ein atheistischer Determinist, der kein Entrinnen aus einer Causalkette sieht.
Der gestrenge Gläubige ist einer, der an Gottes Lenkung glaubt und kein Entrinnen aus seinem Schicksal sieht.
Also gleiche Machtlosigkeit auf beiden Seiten, mit oder ohne Gott.
stine hat geschrieben:Ich habe das nur deswegen erläutern wollen, weil viele Atheisten sich weigern einem Gott den Ablauf der Welt zuzugestehen, sich aber andererseits wohl offensichtlich trotzdem gerne in ihrem Determinismus zurückziehen. Ich sehe keinen Unterschied darin, ob ein Gott mein Schicksal bestimmt oder die Natur.
stine hat geschrieben:Da muss niemand aus der Religion flüchten, wenn auf ihn nichts anderes warten sollte, als ein determiniertes Naturereignis.
stine hat geschrieben:Der Kompatibilist ist ein Atheist, der wohl den Ablauf der Natur anerkennt, aber seinen Urlaub selber planen kann, Dank seines Wissens um sein bewusstes Handeln können.
Der Gläubige schlechthin ist einer, der zwar an Gottes Führung glaubt, aber Dank seines Wissens um seinen freien Willen, den Gott ihm zugestanden hat, seinen Sonntag planen kann, wie er möchte.
Also gleiches Bewusstsein den eigenen Willen betreffend, mit oder ohne Gott. Auch hier sehe ich keinen Unterschied darin, ob Gott mir meinen freien Willen zugesteht oder ob meine Denkprozesse und Handlungsfreiheit innerhalb einer funktionierenden Natur frei sind.
stine hat geschrieben:Es geht mir darum, dass sich der gleichmütige Religiöse freier fühlen kann, als der atheistische Determinist, sich also fragen wird, warum sollte es mir als Atheist besser gehen? Lediglich dem gestrengen Religiösen könnte man mit dem Wechsel zum atheistischen Kompatibilismus noch einen Gefallen tun.
ujmp hat geschrieben:AgentProvocateur hat geschrieben:Anders gesagt: Deine Zukunft ist Dir notwendigerweise unbekannt, insofern, als sie Dir nicht vorhergesagt kann. Wobei es egal ist, ob unsere Welt determiniert ist oder nicht.
Die Zukunft ist ja auch nicht das Problem, sondern ihre Vorherbestimmtheit. Eben sowenig ist nämlich auch die Vorherbestimmtheit der Vergangenheit bekannt.
AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn es in einer determinierten Welt unsinnig wäre, zu fragen, ob Austin das Loch hätte treffen können, dann wäre es ebenso unsinnig, zu fragen, ob wir ihn dafür verurteilen können, (wobei hier offensichtlich mit "können" wohl "dürfen" gemeint ist), denn das wäre ja gleichermaßen alternativlos.
AgentProvocateur hat geschrieben:Durfte Herr Meier mich betrügen?
Er konnte nicht anders, weil er vollständig determiniert ist.
Darf ich das Herrn Meier übelnehmen?
Nein, darfst Du nicht, weil Herr Meier determiniert ist.
Bin ich nicht determiniert?
Nein, nur Herr Meier ist determiniert, Du nicht, Herr Meier kann nicht dafür, was er tut, Du kannst aber etwas dafür, was Du tust.
Klingt nun irgendwie merkwürdig und nicht so recht logisch, wenn man voraussetzt, dass alles determiniert ist, nicht?
AgentProvocateur hat geschrieben:Entweder ist die Frage "können wir jemanden für etwas verantwortlich machen, für etwas loben oder tadeln?" mit ja oder mit nein zu beantworten. Falls Ersteres: dann ergibt es logischerweise auch keinen Sinn, jemanden zu tadeln, der einen anderen verurteilt, verantwortlich macht. Falls aber Zweiteres: dann ergibt es demnach einen Sinn, jemanden zu tadeln oder zu loben.
Und hier ist aber die Frage an die Deterministen: Wieso konnte so eine Gottesgschichte so lange die Menschen leiten und wieso ist sie bis heute nicht aus der Welt?ice hat geschrieben:Für mich besteht der Unterschied, wie oben beschrieben, darin, dass die göttliche Instanz nur ein "Zusatz" ist, der in einer funktionierenden Natur nicht notwendig ist. Es macht die Sache nur problematisch und kompliziert.
ganimed hat geschrieben:Gerne würde ich weiterhin glauben, dass mein Argument (der inkompatibilistische Freiheitsbegriff ist sprachlich inkohärent) zieht, aber vielleicht ist es wirklich nur das Unvermögen oder der Unwille der anderen Seite (Vollbreit und AgentProvocateur), sich auf mich einzulassen und in meinem Bezugssystem den möglicherweise peinlich leichten Beweis zu führen, dass meine Vorwürfe falsch sind. :)
ganimed hat geschrieben:AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn es in einer determinierten Welt unsinnig wäre, zu fragen, ob Austin das Loch hätte treffen können, dann wäre es ebenso unsinnig, zu fragen, ob wir ihn dafür verurteilen können, (wobei hier offensichtlich mit "können" wohl "dürfen" gemeint ist), denn das wäre ja gleichermaßen alternativlos.
Du übersiehst hier den Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft. Austin macht sich nachträgliche "Vorwürfe", weil er das Loch in der Vergangenheit nicht traf. Diese Vorwürfe sind eigentlich ungerechtfertigt, da Austin ja nicht anders konnte als in dieser Situation zu verfehlen. Sinnig nennt Harris diese Vorwürfe aber insofern doch, als sie und der Ärger sicherlich als Motivatoren für die Zukunft dienen können, um es dann besser zu machen ("To say that Austin really should have made that putt or tried harder is just a way of admonishing him to put forth greater effort in the future.")
Aus ähnlichem Grund ist es selbstverständlich NICHT sinnlos zu fragen, ob wir ihn dafür verurteilen können. Denn determiniert heißt "alternativlos" in Bezug auf genau eine Situation, nicht in Bezug auf mögliche Situationen in der Zukunft. Je nachdem, wie wir uns zu dieser Frage stellen, "verändern" wir die Zukunft. Wobei mit "verändern" natürlich gemeint ist, dass sich vermutlich dann eine andere Zukunft einstellt, als wir es mit einer anderen Auffassung uns vorstellen würden.
ganimed hat geschrieben:Der oben angedeutete Unterschied zwischen Zukunft (was wir noch ändern können und werden) und Vergangenheit (was wir rückwärtig betrachten und nur beurteilen aber nicht mehr ändern können) ist also offenbar wichtig. Wenn man den beiseite wischt, dann kommt man zu den von dir beobachteten Merkwürdigkeiten. Dass du aus dieser Unachtsamkeit irgendwie Argumente gegen Harris oder Inkompatibilisten schmiedest, scheint mir ein Fehler zu sein.
ganimed hat geschrieben:Darf ich das Herrn Meier übelnehmen?
Ja, wenn beispielsweise die Irrationalität dieser Übelnehmung dir nicht so recht bewusst wird oder dich nicht genügend stört. Ansonsten wird das Übelnehmen möglicherweise von einem gewissen Verständnis abgelöst.
ganimed hat geschrieben:AgentProvocateur hat geschrieben:Entweder ist die Frage "können wir jemanden für etwas verantwortlich machen, für etwas loben oder tadeln?" mit ja oder mit nein zu beantworten. Falls Ersteres: dann ergibt es logischerweise auch keinen Sinn, jemanden zu tadeln, der einen anderen verurteilt, verantwortlich macht. Falls aber Zweiteres: dann ergibt es demnach einen Sinn, jemanden zu tadeln oder zu loben.
So ein Kuddelmuddel bei dir. Dabei ist es doch ganz einfach. "Verantwortlich machen" kann man niemanden, also nein. Für etwas loben oder tadeln kann/sollte man genau die, bei denen das etwas bewirkt (die also durch diese Inputsignale möglicherweise eine Chance haben, es in Zukunft etwas besser zu machen). Wenn jemand einen Tumor hat und der fast ausschließlich der Grund für das Verhalten ist, dann hat Tadel wohl kaum eine Wirkung, ansonsten schon. Tadel ist also sinnvoll, auch wenn man jemanden nicht verantwortlich machen kann.
Der Begriff der Verantwortung bezeichnet nach verbreiteter Auffassung die Zuschreibung einer Pflicht zu einer handelnden Person oder Personengruppe (Subjekt) gegenüber einer anderen Person oder Personengruppe (Objekt) aufgrund eines normativen Anspruchs, der durch eine Instanz eingefordert werden kann und vor dieser zu rechtfertigen (zu beantworten) ist. Handlungen und ihre Folgen können je nach gesellschaftlicher Praxis und Wertesystem für den Verantwortlichen zu Konsequenzen wie Lob und Tadel, Belohnung, Bestrafung oder Forderungen nach Ersatzleistungen führen.
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