@ Myron:
Ich stimme mit Deinen Positionen zu diesem Thema überein, bis auf die hier:
Myron hat geschrieben:Es besteht ein ethisch bedeutsamer Unterschied zwischen negativer Eugenik, die lediglich in der Ausmerzung von Krankheiten und Behinderungen besteht, und positiver Eugenik, die in der gezielten Züchtung von Individuen mit bestimmten erwünschten Merkmalen besteht.
Im Denkansatz vielleicht, in der Konsequenz aber eher nicht. In beiden Fällen deutet man bestimmte Eigenschaften als unerwünscht, andere als erwünscht.
Myron hat geschrieben:Eine vollkommene Welt ohne jegliche Art von Behinderung und Krankheit, ohne jegliche Art von Leid, Elend, Qual, Schmerz ist (leider) eine unerreichbare Utopie. Nichtsdestoweniger will kein normaler Mensch behindert oder krank sein und leiden. Wenn wir Behinderungen und Krankheiten nicht völlig eliminieren können, dann wollen wir sie zumindest minimieren, oder etwa nicht? Es ist es eine ethische Perversion, Behinderungen und Krankheiten als in sich wertvoll und deshalb als erhaltenswert zu betrachten.
Das sehe ich entschieden anders.
Man muss vermutlich zwei Aspekte trennen: Einmal den gesellschaftlichen Nutzen eines Menschen, zum anderen das persönliche Glück (oder mindestens die Zufriedenheit) einer Existenz.
Beide sind stark miteinader verknüpft.
Wenn man sich eine Liste von Menschen anschaut, die wir heute als bahnbrechend und wegebnend betrachten, dann hat, nach allem was wir wissen, ein großer Teil von ihnen an erheblichen Pathologie und Psychopathologien gelitten. Nicht ein kleiner Tick oder eine dezente Neurose, sondern erheblich bis richtig schwer erkrankt.
Einstein steht immer wieder im Verdacht Autist gewesen zu sein. Nachher ist es keine Frage, dass er hätte leben sollen, aber was, hätte die Mutter vorher gewusst, dass ihr Sohne nicht der Norm entspricht? Was ist mit Hawking? Russell, schwer depressiv. Wittgenstein, vermutlich auch nicht ganz frisch. Schon Habermas mit seinem Wolfsrachen. Wer will schon so ein Kind, nach Dawkinskriterien? Nash, psychotisch. Bei Künstlern gehört eine gewisse Pathologie schon fast zum guten Ton. Politiker, reihenweise schräg. Die Liste ist wirklich lang und beeindruckend.
Nachher, würden wir natürlich 1000 Gründe finden, warum diese wertvollen Menschen unbedingt hätten leben sollen, aber, man weiß ja vorher nicht, was aus so einem Leben wird.
Der andere Punkt ist das persönliche Glück. Keine Ahnung, was eine Mutter denken würde, der man sagt, ihr Kind wird die Welt vermutlich entscheidend voranbringen, aber intensiv leiden. Ein glückliches Leben würde das nicht. Wenn die Mutter narzisstisch genug ist, wird sie sagen, her mit dem Kind, aber sonst, will das ja, dem Vernehmen nach, keine Mutter.
Manche Pathologie – das, was aktuell als solche gilt – zwingt einen Menschen ja, neue Perspektiven einzunehmen und das kann durchaus beglückend sein. Sind die „Leistungverweigerer“ in unserer Gesellschaft einfach Luschen, die es nicht schaffen, dem gesunden Druck nicht standhalten oder sind das kluge Menschen, die den Wahnsinn Normalität kopfschüttelnd betrachten? Krankheit ist nicht schön, aber wie viele Menschen sind erst durch ihre Krankheit anders geworden und schätzen ihre Lebensqualität danach selbst deutlich besser ein? Sicher
könnte man das auch immer anders erreichen, macht dann nur kaum einer, von denen, die voll im Saft stehen.
Ist Transhumanismus selbst die Rettung der Menschheit oder ein Projekt von sich chronisch selbstüberschätzenden Irren? Hätte ich die Wahl ein gehetzter Perfektionist und chronisch unzufrieden zu sein oder in bescheidener Zufriedenheit zu leben und mich über selbstangebaute Kartoffeln zu freuen, ich würde nicht lange überlegen. Zudem ist die Welt der Kranken, ist eine ganz eigenartige Parallelwelt, die nicht ohne Reiz ist.
Was soll also unsere ethische Linie sein? Ob ein Mensch der Gesellschaft nutzen kann, ist sicher nicht ganz unwichtig, aber ob er selbst glücklich ist, hat ein nicht minder entscheidendes Gewicht, so meine ich. Aber, um es mal böse zu formulieren: Viele selbsternannte Teilnehmer der selbsternannten Leistungseliten sind nur durch einen Mangel an Reflexionsvermögen davor geschützt, die eigene Selbstentsorgung fordern zu müssen.
Es gibt Grenzen nach unten, wo ich verstehen kann, dass Eltern ein schwerbehindertes Kind nicht zur Welt bringen wollen, ich würde es vermutlich auch nicht wollen. Mit der Aussicht auf eine terminale Erkrankung mit einer infausten Prognose, wie es so schön heißt, würde ich mir auch eine effektivere Sterbehilfe wünschen, auch wenn ich das Thema insgesamt kritisch sehe. Vielleicht sollten wir aber zuerst darüber nachdenken, ob wir für alte Menschen nicht wieder attaktivere Rollen, als den des „Kostenfaktors“ finden. Als alter Mensch kann man ja bei uns kaum anders als depressiv zu werden, wenn man täglich hört, dass man den Kindern und überhaupt der nachwachsenden Generation im karriere-, zeit- und kostenmäßig Weg steht. Nun hat man ja konsequent Kinder auch schon als Karrierhindermis erkannt. Dass eine Geselllschaft, die diesen Unsinn ungefragt schluckt schrumpfvergreisend ausstirbt und einem sozialdarwinistischen Modell folgend nun ihre darwinistische Unzulänglichkeit unter Beweis stellt, habe ich immer als ein Indiz dafür empfunden, dass Gott Humor hat.