Dawkins fordert Abtreibung aller Föten mit Down-Syndrom

Re: Dawkins fordert Abtreibung aller Föten mit Down-Syndrom

Beitragvon Lumen » Fr 12. Sep 2014, 16:33

Myron hat geschrieben:Ein wenig allgemeine Morallogik: "Es ist unmoralisch, X (nicht) zu tun" impliziert "Man soll X (nicht) tun", was wiederum den Aufforderungssatz "Tue/Tut X (nicht)!" impliziert.

Wenn es also unmoralisch ist, behinderte Föten nicht abzutreiben, dann sollen behinderte Föten abgetrieben werden, was einer Aufforderung zur Abtreibung behinderter Föten gleichkommt: Treibe/Treibt behinderte Föten ab!


Das ist logisch korrekt, aber mehrdeutig und mißverständlich im wirklichen Leben. Es gibt auch hier wieder Abstufungen und andere Erwägungen die eine Forderung abmildern können. Außerdem muss Richard Dawkins Irrationalität und bewusstes Mißverstehen und Verzerren seiner Positionen ebenfalls einbeziehen. Was du hier forderst ist die Position des Stohvulkaniers.

Myron hat geschrieben:Übrigens, Dawkins verhält sich im Folgenden widersprüchlich:"There’s a profound moral difference between 'This fetus should now be aborted' and 'This person should have been aborted long ago'. I would never dream of saying to any person, 'You should have been aborted before you were born.'"

https://richarddawkins.net/2014/08/abor ... witterwar/

Denn wenn behinderte Föten abgetrieben werden sollen, dann folgt daraus morallogisch sehr wohl, dass nichtabgetriebene behinderte Erwachsense hätten abgetrieben werden sollen (als sie Föten waren). Er sollte also die Ehrlichkeit und den Mut besitzen, dies behinderten Erwachsenen ins Gesicht zu sagen. Daraus, dass behinderte Erwachsene als Föten hätten getötet werden sollen, folgt allerdings nicht, dass sie nun als Erwachsene getötet werden sollen, um das Versäumnis nachzuholen.


Der Sinn dieser Forderung im Allgemein bezieht sich auf das, was noch nicht ist, zu dem Zeitpunkt wo es noch nichts ist. Es ist völlig hinfällig, sich dann an Erwachsene zu wenden und wäre auch noch inkonsistent mit der Position, weil dann verstanden werden würde, dass Dawkins den vor ihm stehenden Erwachsenen für nicht lebenswert einschätzen würde (was eben nicht der Fall ist). Das mag ein Strohvulkanier mit genauer Sprachsensorik vielleicht nicht bemerken, aber unter Garantie würde es fast jeder Beobachter so auffassen, vor allem aber wohl die, die Richard Dawkins ohnehin kritisch gegenüber stehen.
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Re: Dawkins fordert Abtreibung aller Föten mit Down-Syndrom

Beitragvon Myron » Fr 12. Sep 2014, 18:41

Lumen hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Ein wenig allgemeine Morallogik: "Es ist unmoralisch, X (nicht) zu tun" impliziert "Man soll X (nicht) tun", was wiederum den Aufforderungssatz "Tue/Tut X (nicht)!" impliziert.
Wenn es also unmoralisch ist, behinderte Föten nicht abzutreiben, dann sollen behinderte Föten abgetrieben werden, was einer Aufforderung zur Abtreibung behinderter Föten gleichkommt: Treibe/Treibt behinderte Föten ab!

Das ist logisch korrekt, aber mehrdeutig und mißverständlich im wirklichen Leben. Es gibt auch hier wieder Abstufungen und andere Erwägungen die eine Forderung abmildern können. Außerdem muss Richard Dawkins Irrationalität und bewusstes Mißverstehen und Verzerren seiner Positionen ebenfalls einbeziehen. Was du hier forderst ist die Position des Stohvulkaniers.


Von einem so intelligenten und eloquenten Mann wie Dawkins erwarte ich einfach, dass er sich der Implikationen und Konsequenzen seiner ethischen Äußerungen bewusst ist und die Verantwortung dafür übernimmt. Dass eine salopp dahingezwitscherte Äußerung bei Twitter zu Missverständnissen führen kann, ist allerdings nicht verwunderlich.

Lumen hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Denn wenn behinderte Föten abgetrieben werden sollen, dann folgt daraus morallogisch sehr wohl, dass nichtabgetriebene behinderte Erwachsense hätten abgetrieben werden sollen (als sie Föten waren). Er sollte also die Ehrlichkeit und den Mut besitzen, dies behinderten Erwachsenen ins Gesicht zu sagen. Daraus, dass behinderte Erwachsene als Föten hätten getötet werden sollen, folgt allerdings nicht, dass sie nun als Erwachsene getötet werden sollen, um das Versäumnis nachzuholen.

Der Sinn dieser Forderung im Allgemein bezieht sich auf das, was noch nicht ist, zu dem Zeitpunkt wo es noch nichts ist.


Ein menschlicher Fötus ist nicht nichts, sondern etwas, ein menschliches Lebewesen. Eine menschliche Person ist ein Fötus natürlich noch nicht. Aber wir waren alle mal Föten.

Lumen hat geschrieben:Es ist völlig hinfällig, sich dann an Erwachsene zu wenden und wäre auch noch inkonsistent mit der Position, weil dann verstanden werden würde, dass Dawkins den vor ihm stehenden Erwachsenen für nicht lebenswert einschätzen würde (was eben nicht der Fall ist). Das mag ein Strohvulkanier mit genauer Sprachsensorik vielleicht nicht bemerken, aber unter Garantie würde es fast jeder Beobachter so auffassen, vor allem aber wohl die, die Richard Dawkins ohnehin kritisch gegenüber stehen.


Es ist und bleibt widersprüchlich zu sagen, dass Föten mit DS abgetrieben werden sollen, aber Erwachsene mit DS nicht hätten abgetrieben werden sollen, als sie Föten waren. Das muss Dawkins erkennen und eingestehen.

Ein zweiter Kritikpunkt ist, dass es doch keinen Grund für die Tötung von Föten mit DS gibt, wenn das Leben von Kindern und Erwachsenen mit DS lebenswert ist. Wenn ihn also eine Person mit DS fragt, warum sie als Fötus hätte abgetrieben werden sollen, dann muss Dawkins im Rahmen seiner ethischen Argumentation logischerweise antworten: "weil dein Leben nicht lebenswert ist." Wenn die betreffende Person darauf erwidert, dass sie ihr Leben mit DS durchaus als lebenswert empfinde, dann hat Dawkins freilich ein großes Problem, weil damit seine Prämisse, dass ein Leben mit DS (sowie das Leben der Eltern von DSlern) grundsätzlich leidvoll und unglücklich verläuft, widerlegt ist.
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Re: Dawkins fordert Abtreibung aller Föten mit Down-Syndrom

Beitragvon Lumen » Fr 12. Sep 2014, 22:48

Myron hat geschrieben:
Lumen hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Ein wenig allgemeine Morallogik: "Es ist unmoralisch, X (nicht) zu tun" impliziert "Man soll X (nicht) tun", was wiederum den Aufforderungssatz "Tue/Tut X (nicht)!" impliziert.
Wenn es also unmoralisch ist, behinderte Föten nicht abzutreiben, dann sollen behinderte Föten abgetrieben werden, was einer Aufforderung zur Abtreibung behinderter Föten gleichkommt: Treibe/Treibt behinderte Föten ab!

Das ist logisch korrekt, aber mehrdeutig und mißverständlich im wirklichen Leben. Es gibt auch hier wieder Abstufungen und andere Erwägungen die eine Forderung abmildern können. Außerdem muss Richard Dawkins Irrationalität und bewusstes Mißverstehen und Verzerren seiner Positionen ebenfalls einbeziehen. Was du hier forderst ist die Position des Stohvulkaniers.


Von einem so intelligenten und eloquenten Mann wie Dawkins erwarte ich einfach, dass er sich der Implikationen und Konsequenzen seiner ethischen Äußerungen bewusst ist und die Verantwortung dafür übernimmt. Dass eine salopp dahingezwitscherte Äußerung bei Twitter zu Missverständnissen führen kann, ist allerdings nicht verwunderlich.


Ich sehe nicht, wo er die Verantwortung dafür nicht übernimmt. Es ist kein Widerspruch zu sagen, dass man den Krieg nicht hätte beginnen dürfen, und kann dennoch meinen, dass der Krieg fortfgeführt werden müsse, nun da er begonnen hat. Dass der Krieg nicht hätte sein dürfen ist eine Implikation, aber ich sehe nicht, woraus die Verpflichtung entsteht, diese Implikation später hervorheben zu müssen.

Myron hat geschrieben:
Lumen hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Denn wenn behinderte Föten abgetrieben werden sollen, dann folgt daraus morallogisch sehr wohl, dass nichtabgetriebene behinderte Erwachsense hätten abgetrieben werden sollen (als sie Föten waren). Er sollte also die Ehrlichkeit und den Mut besitzen, dies behinderten Erwachsenen ins Gesicht zu sagen. Daraus, dass behinderte Erwachsene als Föten hätten getötet werden sollen, folgt allerdings nicht, dass sie nun als Erwachsene getötet werden sollen, um das Versäumnis nachzuholen.

Der Sinn dieser Forderung im Allgemein bezieht sich auf das, was noch nicht ist, zu dem Zeitpunkt wo es noch nichts ist.


Ein menschlicher Fötus ist nicht nichts, sondern etwas, ein menschliches Lebewesen. Eine menschliche Person ist ein Fötus natürlich noch nicht. Aber wir waren alle mal Föten.


Das bezweifele ich. Ich war sicher nie ein Fötus. Ich ging irgendwann später hervor, mutmaßlich sogar erst nach der Geburt meines (damaligen) Körpers. Wir können uns darauf einigen, dass ein Fötus menschlich ist. In dem Sinne wie Hautschuppen, die mit dem Badewasser weggespült werden,„menschlich“ sind. Es ist aber aus meiner Sicht aber kein Lebewesen genausowenig wie ein Niere ein Lebewesen ist. Der Fötus ist ein Bestandteil seiner Mutter solange es nicht allein (oder mit medizinischen Mitteln) lebensfähig ist.

Myron hat geschrieben:
Lumen hat geschrieben:Es ist völlig hinfällig, sich dann an Erwachsene zu wenden und wäre auch noch inkonsistent mit der Position, weil dann verstanden werden würde, dass Dawkins den vor ihm stehenden Erwachsenen für nicht lebenswert einschätzen würde (was eben nicht der Fall ist). Das mag ein Strohvulkanier mit genauer Sprachsensorik vielleicht nicht bemerken, aber unter Garantie würde es fast jeder Beobachter so auffassen, vor allem aber wohl die, die Richard Dawkins ohnehin kritisch gegenüber stehen.


Es ist und bleibt widersprüchlich zu sagen, dass Föten mit DS abgetrieben werden sollen, aber Erwachsene mit DS nicht hätten abgetrieben werden sollen, als sie Föten waren. Das muss Dawkins erkennen und eingestehen.


Ja, das ergibt sich logisch, aber wie oben beschrieben ist es sinnfrei und höchst mißverständlich das auch zu tun. Es würde verstanden werden, dass das gegenüber im hier und jetzt keine Lebensberechtigung hat, auch wenn das mit fein säuberlicher Logik nicht so gemeint ist.

Myron hat geschrieben:Ein zweiter Kritikpunkt ist, dass es doch keinen Grund für die Tötung von Föten mit DS gibt, wenn das Leben von Kindern und Erwachsenen mit DS lebenswert ist. Wenn ihn also eine Person mit DS fragt, warum sie als Fötus hätte abgetrieben werden sollen, dann muss Dawkins im Rahmen seiner ethischen Argumentation logischerweise antworten: "weil dein Leben nicht lebenswert ist." Wenn die betreffende Person darauf erwidert, dass sie ihr Leben mit DS durchaus als lebenswert empfinde, dann hat Dawkins freilich ein großes Problem, weil damit seine Prämisse, dass ein Leben mit DS (sowie das Leben der Eltern von DSlern) grundsätzlich leidvoll und unglücklich verläuft, widerlegt ist.


Auch das ist falsch, weil es unterschiedliche Verläufe von Trisomie 21 gibt, wovon aber die meisten eine geistige Behinderung bedeuten, die es den Betreffenden in der Regel unmöglich machen, ein mündiges Leben zu führen. Das wäre hier der ökologische Fehlschluss. Ich kann aus der Summe an Betroffenen mit Trisomie 21 ableiten, ob sie ein Leben führen können, was lebenswert ist, nicht aber umgekehrt ableiten, dass ein Individum, dass in diese Kategorie fällt auch automatisch ein unlebenswertes Leben führen muss. Die zweite Problemstelle bei deiner Argumentation ist das Vertauschen des Referenten. Es wird andauernd entscheiden welche Konfiguration von DNA ins Leben starten kann. Es passiert dauernd, dass eine befruchtete Eizelle doch kein Mensch wird (das passiert in der Regel ohne dass der Frau das bewusst ist, dass sie überhaupt kurzzeitig Schwanger war). An dieser Stelle setzt die Überlegung an, dass es ethisch nicht vertretbar ist, wissentlich eine Konfiguration von DNA ins Leben zu lassen, bei der es eine statistisch sehr hohe Wahrscheinlichkeit gibt, dass daraus eine schwer geistig behinderte Person wird. Man hat, anders gesagt, die Wahl, entweder eine solche Person entstehen zu lassen, oder eine statistisch gesehen gesunde Person. Das ist aber sehr verschieden von einer tatsächlichen Person. Du weißt schon, 100 Thaler in der Tasche sind noch keine echten Thaler in der Tasche.

Ich halte es für unethsich, eine Person willentlich und wissentlich behindert auf die Welt kommen zu lassen, wenn es genausogut eine gesunde Person sein könnte. Niemand kann eine Frau dazu zwingen, ein Kind auszutragen, aber es kann auch niemand dazu gezwungen werden, ein behindertes Leben zu führen. In diesem Sinne tun das andere Menschen der noch nicht geborenen Person an, noch bevor diese geboren wurde. Es ist egoistisch und moralisch verwerflich von solchen Eltern.
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Re: Dawkins fordert Abtreibung aller Föten mit Down-Syndrom

Beitragvon xander1 » Fr 12. Sep 2014, 23:12

Man könnte es auch so sehen:

Jeweilige Eltern haben vor eine gewisse Anzahl an Kindern zu bekommen.
Eines der Kinder stellt sich durch Ultraschall heraus, ist als Fötus behindert (jetzt mal nicht Downsyndrom).

Das nächste Kind ist gesund und hätte nie existiert, wenn das behinderte auf die Welt gekommen wäre.

Auf diese Art könnte man der Frage entgegnen, nach der Existenz. Ich finde gerade keine passende Formulierung, aber ich denke ihr wisst wie ich das meine. Bei dem Thema muss man sehr vorsichtig sein mit der Formulierung.
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Re: Dawkins fordert Abtreibung aller Föten mit Down-Syndrom

Beitragvon Vollbreit » Sa 13. Sep 2014, 11:44

Lumen hat geschrieben:Ich halte es für unethsich, eine Person willentlich und wissentlich behindert auf die Welt kommen zu lassen, wenn es genausogut eine gesunde Person sein könnte. Niemand kann eine Frau dazu zwingen, ein Kind auszutragen, aber es kann auch niemand dazu gezwungen werden, ein behindertes Leben zu führen. In diesem Sinne tun das andere Menschen der noch nicht geborenen Person an, noch bevor diese geboren wurde. Es ist egoistisch und moralisch verwerflich von solchen Eltern.

Es ist immer problematisch, wenn fremde Menschen über die Qualität des eigenen Lebens urteilen.
Zumal die Stoßrichtung Empirie, die Du so gerne verfolgst ja nahelegt, dass die allermeisten Menschen mit Down-Syndrom ja gar nicht unglücklich sind.
Du kannst so einen Haufen Genscheiße, denn genau so ist es ja von Dawkins gemeint, ja mal fragen, ob er nicht lieber tot sein möchte.
Warum einen klapprigen Fiat fahren, wenn es auch ein Mercedes sein könnte?
Weil ein britischer Biologe meint, das sei eigentlich besser so. Für wen?
Was ist denn daran unethisch? Wer bestimmt denn was ethisch ist? Warum sollte jemand der vielleicht einfach nur emotionaler unterwegs ist nicht glücklich sein? Weil sie komisch aussehen? Weil sie weniger Geld verdienen?
Warum sollte man glückliches Leben verhindern? Sollte man Menschen mit depressiver Neigung auch abtreiben? Wer legt die Kriterien fest?

Alfred Hoche hat damals seine Antwort gefunden:
Alfred Hoche hat geschrieben:„Die Anstalten, die der Idiotenpflege dienen, werden anderen Zwecken entzogen; soweit es sich um Privatanstalten handelt, muß die Verzinsung berechnet werden; ein Pflegepersonal von vielen tausend Köpfen wird für diese gänzlich unfruchtbare Aufgabe festgelegt und fördernder Arbeit entzogen; es ist eine peinliche Vorstellung, daß ganze Generationen von Pflegern neben diesen leeren Menschenhülsen dahinaltern, von denen nicht wenige 70 Jahre und älter werden.
Die Frage, ob der für diese Kategorien von Ballastexistenzen notwendige Aufwand nach allen Richtungen hin gerechtfertigt sei, war in den verflossenen Zeiten des Wohlstandes nicht dringend; jetzt ist es anders geworden, und wir müssen uns ernstlich mit ihr beschäftigen. Unsere Lage ist wie die der Teilnehmer an einer schwierigen Expedition, bei welcher die größtmögliche Leistungsfähigkeit Aller die unerläßliche Voraussetzung für das Gelingen der Unternehmung bedeutet, und bei der kein Platz ist für halbe, Viertels und Achtels-Kräfte. Unsere deutsche Aufgabe wird für lange Zeit sein: eine bis zum höchsten gesteigerte Zusammenfassung aller Möglichkeiten, ein freimachen jeder verfügbaren Leistungsfähigkeit für fördernde Zwecke. Der Erfüllung dieser Aufgabe steht das moderne Bestreben entgegen, möglichst auch die Schwächlinge aller Sorten zu erhalten, allen, auch den zwar nicht geistig toten, aber doch ihrer Organisation nach minderwertigen Elemente Pflege und Schutz angedeihen zu lassen -- Bemühungen, die dadurch ihre besondere Tragweite erhalten, daß es bisher nicht möglich gewesen, auch nicht im ernste versucht worden ist, diese von der Fortpflanzung auszuschließen.
[...]
Vor dem Standpunkte einer höheren staatlichen Sittlichkeit aus gesehen kann nicht wohl bezweifelt werden, daß in dem Streben nach unbedingter Erhaltung lebensunwerter Leben Übertreibungen geübt worden sind. Wir haben es, von fremden Gesichtspunkten aus, verlernt, in dieser Beziehung den staatlichen Organismus im selben Sinne wie ein Ganzes mit eigenen Gesetzen und Rechten zu betrachten, wie ihn etwa ein in sich geschlossener menschlicher Organismus darstellt, der wie wir Ärzte wissen, im Interesse der Wohlfahrt des Ganzen auch einzelne wertlos gewordene oder schädliche Teile oder Teilchen preisgibt und abstößt.
Ein Überblick über die oben aufgestellte Reihe der Ballastexistenzen und ein kurzes Nachdenken zeigt, daß die Mehrzahl davon für die Frage einer bewußten Abstoßung, d.h. Beseitigung nicht in Betracht kommt. Wir werden auch in den Zeiten der Not, denen entgegengehen, nie aufhören wollen, Defekte und Sieche zu pflegen, solange sie nicht geistig tot sind; wir werden nie aufhören, körperlich und geistig Erkrankte bis zum Äußertsten zu behandeln, solange noch irgendeine Aussicht auf Änderung ihres Zustandes zum Guten vorhanden ist; aber wir werden vielleicht eines Tages zu der Auffassung heranreifen, daß die Beseitigung der Geistig völlig Toten kein Verbrechen, keine unmoralische Handlung, keine gefühlsmäßige Rohheit, sondern einen erlaubten nützlichen Akt darstellt.“
– Alfred Hoche: Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens, 2. Auflage 1922, S. 56f.
https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Ho ... s.E2.80.9C


Dawkins ist natürlich kein Nazi, er argumentiert nur wie einer, wenn er sagt, dass es Leben gibt, was es eigentlich nicht geben sollte.
Was wäre denn Deine Antwort?
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Re: Dawkins fordert Abtreibung aller Föten mit Down-Syndrom

Beitragvon xander1 » Sa 13. Sep 2014, 15:20

Angenommen wir reden nicht nur vom Down.Syndrom, sondern von mehreren Graden von Behinderung, sagen wir von "besonders extremer" Behinderung aller erdenklichen Arten in einer Person bis zu sehr sehr niedrigem Grad an Behinderung.

Gibt es da irgendeine Grenze, wo Dawkins, wo Dawkins Recht haben könnte, dass es manches Leben nicht geben sollte?

Man könnte noch weitere Gedankenexperimente machen, die für einen Deutschen besonders unangenehm sind, wegen der Vergangenheit mit dem dritten Reich.
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Re: Dawkins fordert Abtreibung aller Föten mit Down-Syndrom

Beitragvon Myron » Sa 13. Sep 2014, 16:29

Lumen hat geschrieben:Ich sehe nicht, wo er die Verantwortung dafür nicht übernimmt.


Dawkins schreibt:

"There’s a profound moral difference between ‘This fetus should now be aborted’ and ‘This person should have been aborted long ago’. I would never dream of saying to any person, 'You should have been aborted before you were born.'"

"Es besteht ein tiefgreifender moralischer Unterschied zwischen 'Dieser Fötus soll jetzt abgetrieben werden' und 'Diese Person hätte damals abgetrieben werden sollen'. Ich denke nicht im Traum daran, zu einer Person zu sagen, 'Du hättest vor deiner Geburt abgetrieben werden sollen'."


https://richarddawkins.net/2014/08/abor ... witterwar/

Hier irrt er, denn ein solcher Unterschied besteht eben nicht, da, wie gesagt, Ersteres Letzteres impliziert. Er ist sich dieser Implikation entweder nicht bewusst, oder er ist sich ihrer bewusst, aber er traut sich nicht, sie offen auszusprechen.

Lumen hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Ein menschlicher Fötus ist nicht nichts, sondern etwas, ein menschliches Lebewesen. Eine menschliche Person ist ein Fötus natürlich noch nicht. Aber wir waren alle mal Föten.
Das bezweifele ich. Ich war sicher nie ein Fötus. Ich ging irgendwann später hervor, mutmaßlich sogar erst nach der Geburt meines (damaligen) Körpers. Wir können uns darauf einigen, dass ein Fötus menschlich ist. In dem Sinne wie Hautschuppen, die mit dem Badewasser weggespült werden,„menschlich“ sind. Es ist aber aus meiner Sicht aber kein Lebewesen genausowenig wie ein Niere ein Lebewesen ist. Der Fötus ist ein Bestandteil seiner Mutter solange es nicht allein (oder mit medizinischen Mitteln) lebensfähig ist.


Nein, ein Fötus lebt zwar im Körper seiner Mutter und ist damit verbunden, aber er ist trotzdem kein Bestandteil davon. Ein Fötus ist kein Organ seiner Mutter. Ein Fötus ist auch nicht nur in dem Sinne menschlich, dass er wie eine Hautschuppe oder ein Haar menschliche DNS enthält. Er ist ein ganzes menschliches Lebewesen, wenngleich kein selbstständiges. Doch die fehlende Selbstständigkeit bringt einen Fötus nicht um den Status eines menschlichen Lebewesens, eines menschlichen Tieres, eines Menschen. Oder sind für dich Komapatienten, die für ihr Überleben auf künstliche Beatmung und Ernährung angewiesen sind, keine Menschen mehr?

Zur Frage, ob du mal ein Fötus warst: Ich sage ja, denn du bist aus biologischer Sicht ein menschliches Tier, ein Mitglied der Spezies Homo sapiens; und Tiere beginnen nicht erst dann zu existieren, wenn sie die Fähigkeit zu Bewusstsein oder gar Selbstbewusstsein erlangen. Der Bezugsgegenstand des selbstbezüglichen Personalpronomens "ich" ist also jeweils ein Tier. Die von mir vertretene Position zur ontologischen Frage danach, was für eine Art von Entität ich bin bzw. wir sind, nennt sich Animalismus. (Man beachte, dass "Was bin ich?" und "Wer bin ich?" zwei verschiedene Fragen sind.)

"Among the questions to be raised under the heading of “personal identity” are these: “What are we?” (fundamental nature question) and “Under what conditions do we persist through time?” (persistence question). Against the dominant neo-Lockean approach to these questions, the view known as animalism answers that each of us is an organism of the species Homo sapiens and that the conditions of our persistence are those of animals."

"Zu den sich unter dem Stichwort 'personale Identität' stellenden Fragen gehören diese: 'Was sind wir?' (Frage nach dem grundlegenden Wesen) und 'Unter welchen Bedingungen bestehen wir zeitlich fort?' (Frage nach dem Fortbestand). Entgegen dem vorherrschenden neo-Lockeschen Ansatz hinsichtlich dieser Fragen, antwortet die als Animalismus bekannte Ansicht, dass jeder von uns ein Organismus der Spezies Homo sapiens ist, und dass die Bedingungen unseres Fortbestehens diejenigen von Tieren sind."


http://plato.stanford.edu/entries/animalism/

Eine Anmerkung zum Begriff <Fötus>. Im nichtwissenschaftlichen Sprachgebrauch wird nicht klar zwischen einem Fötus und einem Embryo unterschieden. In der Wissenschaft spricht man bis einschließlich der achten Schwangerschaftswoche von einem Embryo und ab der neunten bis zur Geburt von einem Fötus.

Ein Fötus in der 10. Woche (nach der Befruchtung):

Bild

Lumen hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Es ist und bleibt widersprüchlich zu sagen, dass Föten mit DS abgetrieben werden sollen, aber Erwachsene mit DS nicht hätten abgetrieben werden sollen, als sie Föten waren. Das muss Dawkins erkennen und eingestehen.

Ja, das ergibt sich logisch, aber wie oben beschrieben ist es sinnfrei und höchst mißverständlich das auch zu tun. Es würde verstanden werden, dass das gegenüber im hier und jetzt keine Lebensberechtigung hat, auch wenn das mit fein säuberlicher Logik nicht so gemeint ist.


Dawkins ist ja nicht auf den Mund gefallen. Er kann ausdrücklich betonen, dass daraus, dass Personen mit DS als Föten hätten getötet werden sollen, nicht folgt, dass sie nun nachträglich getötet werden sollen.

Lumen hat geschrieben:Ich halte es für unethsich, eine Person willentlich und wissentlich behindert auf die Welt kommen zu lassen, wenn es genausogut eine gesunde Person sein könnte. Niemand kann eine Frau dazu zwingen, ein Kind auszutragen, aber es kann auch niemand dazu gezwungen werden, ein behindertes Leben zu führen. In diesem Sinne tun das andere Menschen der noch nicht geborenen Person an, noch bevor diese geboren wurde. Es ist egoistisch und moralisch verwerflich von solchen Eltern.


Ich bin entschieden gegen die "Zwangsvermutterung" schwangerer Frauen, und es gibt eine Reihe von Erbkrankheiten, die meiner Meinung nach eine Abtreibung nicht nur moralisch rechtfertigen, sondern nahezu gebieten, weil sie zu einer wesentlichen Verminderung der Lebensqualität und zu großem Leid führen (würden). Die Frage ist, ob das Down Syndrom dazugehört. Denn es handelt sich dabei um eine vergleichsweise leichte Art von Behinderung.
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Re: Dawkins fordert Abtreibung aller Föten mit Down-Syndrom

Beitragvon Jounk33 » Sa 13. Sep 2014, 17:47

xander1 hat geschrieben:Gibt es da irgendeine Grenze, wo Dawkins, wo Dawkins Recht haben könnte, dass es manches Leben nicht geben sollte?


Nein und aus dem selben grund bin ich auch GEGEN Sterbehilfe.
Wir müssen lernen, oder dürfen nicht verlernen, auch nicht gesundes Leben zu akzeptieren.
Ich mein, wo ist denn da die Grenze ? wenn wir jetzt sagen, gut, wenn schon bei einem Fötus totale Behinderung erkennbar ist, dann abtreiben, weil nicht lebenswert, Belastung für Kind und Eltern, besser so. Wo hört dann dieser Gedanke "besser für alle" auf und wo fängt er an ? Oder wie wird das dann fortgesetzt. Irgendann mal könnte es so weiter gedacht werden, dass man schon bei einem Fötus sehen kann wie intelligent ein Mensch mal wird, oder welche Haarfarbe zu erwarten ist, und das Geschlecht sowieso. Und dann, wenn schon die Haarfarbe nicht die gewünschte ist, wenn zu erwarten ist, dass das Kind kein IQ von 150 haben wird, ist das dann auch schon ein Grund zur Abtreibung. Oder ganz einfach Leben nach Wunsch kreieren und in den Mutterleib einpflanzen ? Ich mein, wir leben eh schon in eine rWelt in der nurnoch schöne und junge Menschen als Ideal gelten, wie wird dann eine Welt erst sein in der nurnoch alle superintelligent und superschön und top gesund sind ?

Ich mein also, wir dürfen nicht verlernen auch nicht optimales Leben zu akzeptieren, wir sollten auch nicht wie früher Alte einfach zurück lassen um sie dem sicheren Tod aus zu setzen, weil das für den Stamm besser ist.
Ich finde es schadet nicht wenn man Leid und naher Tot aktiv miterlebt. ich finde das erst weckt gewisse kulturelle und auch psychosoziale Fähigkeiten.
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Re: Dawkins fordert Abtreibung aller Föten mit Down-Syndrom

Beitragvon Myron » Sa 13. Sep 2014, 19:56

Jounk33 hat geschrieben:Nein und aus dem selben grund bin ich auch GEGEN Sterbehilfe.
Wir müssen lernen, oder dürfen nicht verlernen, auch nicht gesundes Leben zu akzeptieren.


Forderst du eine Lebenspflicht oder gar einen Lebenszwang für Lebensmüde?
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Re: Dawkins fordert Abtreibung aller Föten mit Down-Syndrom

Beitragvon Jounk33 » Sa 13. Sep 2014, 20:38

Ich weiss nicht was Sie unter Lebensmüde verstehen.
Ich meine, dass eine Kultur ohne die Akzeptanz gegenüber nichtgesundem oder behindertem oder krankem Leben direkt in eine Enthumanisierung führt.
Erst die Erfahrung und/oder der Umgang mit nicht perfekten Zuständen führt zu mehr Verständnis und Einfühlungsvermögen gegenüber Andersartigkeit und darüber hinaus auch noch zum richtigen Umgang mit dem eigenen Alter oder schwerwiegenden Erkrankungen. Letzteres ist kein unerhablicher Punkt, denn wer z.B. das eigene Altern nicht akzeptieren kann der macht seinem Umfeld meist grosse Probleme.

Wenn wir immer weniger akzeptieren wollen oder können, dass es nicht perfekte und kranke Zustände gibt, dann wird die Toleranz eben für nicht pefekte und/oder alte und/oder kranke Menschen immer mehr sinken. Es wird dann irgendwann z.B. die Frage aufkommen was es kostet einen totkranken Menschen am Leben zu erhalten. Es ist dann nur die Frage was man dann, in solch einer Kultur als "gesund" verstehen kann.
Es gab z.B. hier in Deutschland schon mal eine Zeit in der ersthaft in Erwägung gezogen wurde schwer behinderte Menschen zu Gusten von jungen, gesunden und gut aussehenden Familien "einzuschläfern". Wie gesagt, es ist dann nurnoch eine Auslegungssache was oder wer schwer behindert ist.
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Re: Dawkins fordert Abtreibung aller Föten mit Down-Syndrom

Beitragvon Myron » Sa 13. Sep 2014, 21:05

Jounk33 hat geschrieben:Ich weiss nicht was Sie unter Lebensmüde verstehen.


Eine Person, die nicht mehr leben, sondern sterben will. Es ist inhuman und geradezu sadistisch, einem Menschen ein Recht auf Selbsttötung zuzugestehen, ihm aber ein Recht auf ein möglichst humanes, möglichst schmerz- und leidfreies Ableben durch ärztliche Mithilfe abzusprechen.

Jounk33 hat geschrieben:Ich meine, dass eine Kultur ohne die Akzeptanz gegenüber nichtgesundem oder behindertem oder krankem Leben direkt in eine Enthumanisierung führt.


Wir reden hier nur von pränataldiagnostisch erkennbaren Erbkrankheiten oder zufälligen Missbildungen, und nicht von Behinderung und Krankheit im Allgemeinen. Selbst wenn nur noch normal entwickelte und erbgesunde Kinder auf die Welt kommen, wird es immer Behinderte und Kranke geben, da Erbkrankheiten und vorgeburtliche Entwicklungsstörungen ja nicht die einzigen Ursachen von Behinderungen und Krankheiten sind. Man denke beispielsweise an all die unfallbedingten Behinderungen.

Außerdem folgt aus dem moralischen Gebot der Tötung behinderter oder kranker Föten nicht das moralische Gebot der inhumanen Behandlung oder gar Einschläferung geborener Behinderter oder Kranker.

Jounk33 hat geschrieben:Erst die Erfahrung und/oder der Umgang mit nicht perfekten Zuständen führt zu mehr Verständnis und Einfühlungsvermögen gegenüber Andersartigkeit und darüber hinaus auch noch zum richtigen Umgang mit dem eigenen Alter oder schwerwiegenden Erkrankungen. Letzteres ist kein unerhablicher Punkt, denn wer z.B. das eigene Altern nicht akzeptieren kann der macht seinem Umfeld meist grosse Probleme.
Wenn wir immer weniger akzeptieren wollen oder können, dass es nicht perfekte und kranke Zustände gibt, dann wird die Toleranz eben für nicht pefekte und/oder alte und/oder kranke Menschen immer mehr sinken. Es wird dann irgendwann z.B. die Frage aufkommen was es kostet einen totkranken Menschen am Leben zu erhalten. Es ist dann nur die Frage was man dann, in solch einer Kultur als "gesund" verstehen kann.
Es gab z.B. hier in Deutschland schon mal eine Zeit in der ersthaft in Erwägung gezogen wurde schwer behinderte Menschen zu Gusten von jungen, gesunden und gut aussehenden Familien "einzuschläfern". Wie gesagt, es ist dann nurnoch eine Auslegungssache was oder wer schwer behindert ist.


Es besteht ein ethisch bedeutsamer Unterschied zwischen negativer Eugenik, die lediglich in der Ausmerzung von Krankheiten und Behinderungen besteht, und positiver Eugenik, die in der gezielten Züchtung von Individuen mit bestimmten erwünschten Merkmalen besteht.

Eine vollkommene Welt ohne jegliche Art von Behinderung und Krankheit, ohne jegliche Art von Leid, Elend, Qual, Schmerz ist (leider) eine unerreichbare Utopie. Nichtsdestoweniger will kein normaler Mensch behindert oder krank sein und leiden. Wenn wir Behinderungen und Krankheiten nicht völlig eliminieren können, dann wollen wir sie zumindest minimieren, oder etwa nicht? Es ist es eine ethische Perversion, Behinderungen und Krankheiten als in sich wertvoll und deshalb als erhaltenswert zu betrachten.
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Re: Dawkins fordert Abtreibung aller Föten mit Down-Syndrom

Beitragvon Vollbreit » So 14. Sep 2014, 13:06

@ Myron:

Ich stimme mit Deinen Positionen zu diesem Thema überein, bis auf die hier:
Myron hat geschrieben:Es besteht ein ethisch bedeutsamer Unterschied zwischen negativer Eugenik, die lediglich in der Ausmerzung von Krankheiten und Behinderungen besteht, und positiver Eugenik, die in der gezielten Züchtung von Individuen mit bestimmten erwünschten Merkmalen besteht.

Im Denkansatz vielleicht, in der Konsequenz aber eher nicht. In beiden Fällen deutet man bestimmte Eigenschaften als unerwünscht, andere als erwünscht.

Myron hat geschrieben:Eine vollkommene Welt ohne jegliche Art von Behinderung und Krankheit, ohne jegliche Art von Leid, Elend, Qual, Schmerz ist (leider) eine unerreichbare Utopie. Nichtsdestoweniger will kein normaler Mensch behindert oder krank sein und leiden. Wenn wir Behinderungen und Krankheiten nicht völlig eliminieren können, dann wollen wir sie zumindest minimieren, oder etwa nicht? Es ist es eine ethische Perversion, Behinderungen und Krankheiten als in sich wertvoll und deshalb als erhaltenswert zu betrachten.
Das sehe ich entschieden anders.
Man muss vermutlich zwei Aspekte trennen: Einmal den gesellschaftlichen Nutzen eines Menschen, zum anderen das persönliche Glück (oder mindestens die Zufriedenheit) einer Existenz.
Beide sind stark miteinader verknüpft.

Wenn man sich eine Liste von Menschen anschaut, die wir heute als bahnbrechend und wegebnend betrachten, dann hat, nach allem was wir wissen, ein großer Teil von ihnen an erheblichen Pathologie und Psychopathologien gelitten. Nicht ein kleiner Tick oder eine dezente Neurose, sondern erheblich bis richtig schwer erkrankt.
Einstein steht immer wieder im Verdacht Autist gewesen zu sein. Nachher ist es keine Frage, dass er hätte leben sollen, aber was, hätte die Mutter vorher gewusst, dass ihr Sohne nicht der Norm entspricht? Was ist mit Hawking? Russell, schwer depressiv. Wittgenstein, vermutlich auch nicht ganz frisch. Schon Habermas mit seinem Wolfsrachen. Wer will schon so ein Kind, nach Dawkinskriterien? Nash, psychotisch. Bei Künstlern gehört eine gewisse Pathologie schon fast zum guten Ton. Politiker, reihenweise schräg. Die Liste ist wirklich lang und beeindruckend.
Nachher, würden wir natürlich 1000 Gründe finden, warum diese wertvollen Menschen unbedingt hätten leben sollen, aber, man weiß ja vorher nicht, was aus so einem Leben wird.

Der andere Punkt ist das persönliche Glück. Keine Ahnung, was eine Mutter denken würde, der man sagt, ihr Kind wird die Welt vermutlich entscheidend voranbringen, aber intensiv leiden. Ein glückliches Leben würde das nicht. Wenn die Mutter narzisstisch genug ist, wird sie sagen, her mit dem Kind, aber sonst, will das ja, dem Vernehmen nach, keine Mutter.
Manche Pathologie – das, was aktuell als solche gilt – zwingt einen Menschen ja, neue Perspektiven einzunehmen und das kann durchaus beglückend sein. Sind die „Leistungverweigerer“ in unserer Gesellschaft einfach Luschen, die es nicht schaffen, dem gesunden Druck nicht standhalten oder sind das kluge Menschen, die den Wahnsinn Normalität kopfschüttelnd betrachten? Krankheit ist nicht schön, aber wie viele Menschen sind erst durch ihre Krankheit anders geworden und schätzen ihre Lebensqualität danach selbst deutlich besser ein? Sicher könnte man das auch immer anders erreichen, macht dann nur kaum einer, von denen, die voll im Saft stehen.

Ist Transhumanismus selbst die Rettung der Menschheit oder ein Projekt von sich chronisch selbstüberschätzenden Irren? Hätte ich die Wahl ein gehetzter Perfektionist und chronisch unzufrieden zu sein oder in bescheidener Zufriedenheit zu leben und mich über selbstangebaute Kartoffeln zu freuen, ich würde nicht lange überlegen. Zudem ist die Welt der Kranken, ist eine ganz eigenartige Parallelwelt, die nicht ohne Reiz ist.

Was soll also unsere ethische Linie sein? Ob ein Mensch der Gesellschaft nutzen kann, ist sicher nicht ganz unwichtig, aber ob er selbst glücklich ist, hat ein nicht minder entscheidendes Gewicht, so meine ich. Aber, um es mal böse zu formulieren: Viele selbsternannte Teilnehmer der selbsternannten Leistungseliten sind nur durch einen Mangel an Reflexionsvermögen davor geschützt, die eigene Selbstentsorgung fordern zu müssen.

Es gibt Grenzen nach unten, wo ich verstehen kann, dass Eltern ein schwerbehindertes Kind nicht zur Welt bringen wollen, ich würde es vermutlich auch nicht wollen. Mit der Aussicht auf eine terminale Erkrankung mit einer infausten Prognose, wie es so schön heißt, würde ich mir auch eine effektivere Sterbehilfe wünschen, auch wenn ich das Thema insgesamt kritisch sehe. Vielleicht sollten wir aber zuerst darüber nachdenken, ob wir für alte Menschen nicht wieder attaktivere Rollen, als den des „Kostenfaktors“ finden. Als alter Mensch kann man ja bei uns kaum anders als depressiv zu werden, wenn man täglich hört, dass man den Kindern und überhaupt der nachwachsenden Generation im karriere-, zeit- und kostenmäßig Weg steht. Nun hat man ja konsequent Kinder auch schon als Karrierhindermis erkannt. Dass eine Geselllschaft, die diesen Unsinn ungefragt schluckt schrumpfvergreisend ausstirbt und einem sozialdarwinistischen Modell folgend nun ihre darwinistische Unzulänglichkeit unter Beweis stellt, habe ich immer als ein Indiz dafür empfunden, dass Gott Humor hat. ;-)
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Re: Dawkins fordert Abtreibung aller Föten mit Down-Syndrom

Beitragvon Lumen » So 14. Sep 2014, 23:05

Vollbreit hat geschrieben:
Lumen hat geschrieben:Ich halte es für unethsich, eine Person willentlich und wissentlich behindert auf die Welt kommen zu lassen, wenn es genausogut eine gesunde Person sein könnte. Niemand kann eine Frau dazu zwingen, ein Kind auszutragen, aber es kann auch niemand dazu gezwungen werden, ein behindertes Leben zu führen. In diesem Sinne tun das andere Menschen der noch nicht geborenen Person an, noch bevor diese geboren wurde. Es ist egoistisch und moralisch verwerflich von solchen Eltern.

Es ist immer problematisch, wenn fremde Menschen über die Qualität des eigenen Lebens urteilen.
Zumal die Stoßrichtung Empirie, die Du so gerne verfolgst ja nahelegt, dass die allermeisten Menschen mit Down-Syndrom ja gar nicht unglücklich sind.
Du kannst so einen Haufen Genscheiße, denn genau so ist es ja von Dawkins gemeint, ja mal fragen, ob er nicht lieber tot sein möchte.
Warum einen klapprigen Fiat fahren, wenn es auch ein Mercedes sein könnte?
Weil ein britischer Biologe meint, das sei eigentlich besser so. Für wen?
Was ist denn daran unethisch? Wer bestimmt denn was ethisch ist? Warum sollte jemand der vielleicht einfach nur emotionaler unterwegs ist nicht glücklich sein? Weil sie komisch aussehen? Weil sie weniger Geld verdienen?
Warum sollte man glückliches Leben verhindern? Sollte man Menschen mit depressiver Neigung auch abtreiben? Wer legt die Kriterien fest?


Weil Trisomie 21 mit einer statistisch hohen Wahrscheinlichkeit schwere Behinderungen verursacht und damit ein mündiges, und freies Leben in den meisten Fällen nicht möglich ist. DIe meisten Down-Syndrom Betroffenen können nie ohne enge Betreuung leben. Wenn es für dich okay ist, ein gesundes Kind nachträglich mit Down-Syndrom zu versehen, weil es angeblich deren Glück und co nicht beeinträchtigt, und du das für moralisch unproblematisch hälst, dann wirst du eben dazu stehen müssen, denn das ist genau das, was du hier implizierst. Falls du doch irgendwie moralische Schwierigkeiten damit hättest, würde ich gerne wissen, warum genau und auf welcher Basis.

Vollbreit hat geschrieben:Alfred Hoche hat damals seine Antwort gefunden:
Alfred Hoche hat geschrieben:„Die Anstalten, die der Idiotenpflege dienen, werden anderen Zwecken entzogen; soweit es sich um Privatanstalten handelt, muß die Verzinsung berechnet werden; ein Pflegepersonal von vielen tausend Köpfen wird für diese gänzlich unfruchtbare Aufgabe festgelegt und fördernder Arbeit entzogen; es ist eine peinliche Vorstellung, daß ganze Generationen von Pflegern neben diesen leeren Menschenhülsen dahinaltern, von denen nicht wenige 70 Jahre und älter werden.
Die Frage, ob der für diese Kategorien von Ballastexistenzen notwendige Aufwand nach allen Richtungen hin gerechtfertigt sei, war in den verflossenen Zeiten des Wohlstandes nicht dringend; jetzt ist es anders geworden, und wir müssen uns ernstlich mit ihr beschäftigen. Unsere Lage ist wie die der Teilnehmer an einer schwierigen Expedition, bei welcher die größtmögliche Leistungsfähigkeit Aller die unerläßliche Voraussetzung für das Gelingen der Unternehmung bedeutet, und bei der kein Platz ist für halbe, Viertels und Achtels-Kräfte. Unsere deutsche Aufgabe wird für lange Zeit sein: eine bis zum höchsten gesteigerte Zusammenfassung aller Möglichkeiten, ein freimachen jeder verfügbaren Leistungsfähigkeit für fördernde Zwecke. Der Erfüllung dieser Aufgabe steht das moderne Bestreben entgegen, möglichst auch die Schwächlinge aller Sorten zu erhalten, allen, auch den zwar nicht geistig toten, aber doch ihrer Organisation nach minderwertigen Elemente Pflege und Schutz angedeihen zu lassen -- Bemühungen, die dadurch ihre besondere Tragweite erhalten, daß es bisher nicht möglich gewesen, auch nicht im ernste versucht worden ist, diese von der Fortpflanzung auszuschließen.
[...]
Vor dem Standpunkte einer höheren staatlichen Sittlichkeit aus gesehen kann nicht wohl bezweifelt werden, daß in dem Streben nach unbedingter Erhaltung lebensunwerter Leben Übertreibungen geübt worden sind. Wir haben es, von fremden Gesichtspunkten aus, verlernt, in dieser Beziehung den staatlichen Organismus im selben Sinne wie ein Ganzes mit eigenen Gesetzen und Rechten zu betrachten, wie ihn etwa ein in sich geschlossener menschlicher Organismus darstellt, der wie wir Ärzte wissen, im Interesse der Wohlfahrt des Ganzen auch einzelne wertlos gewordene oder schädliche Teile oder Teilchen preisgibt und abstößt.
Ein Überblick über die oben aufgestellte Reihe der Ballastexistenzen und ein kurzes Nachdenken zeigt, daß die Mehrzahl davon für die Frage einer bewußten Abstoßung, d.h. Beseitigung nicht in Betracht kommt. Wir werden auch in den Zeiten der Not, denen entgegengehen, nie aufhören wollen, Defekte und Sieche zu pflegen, solange sie nicht geistig tot sind; wir werden nie aufhören, körperlich und geistig Erkrankte bis zum Äußertsten zu behandeln, solange noch irgendeine Aussicht auf Änderung ihres Zustandes zum Guten vorhanden ist; aber wir werden vielleicht eines Tages zu der Auffassung heranreifen, daß die Beseitigung der Geistig völlig Toten kein Verbrechen, keine unmoralische Handlung, keine gefühlsmäßige Rohheit, sondern einen erlaubten nützlichen Akt darstellt.“
– Alfred Hoche: Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens, 2. Auflage 1922, S. 56f.
https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Ho ... s.E2.80.9C


Dawkins ist natürlich kein Nazi, er argumentiert nur wie einer, wenn er sagt, dass es Leben gibt, was es eigentlich nicht geben sollte.
Was wäre denn Deine Antwort?


Folglich sind die 90% und mehr Frauen, die potentielle Down Syndrom Kinder abtreiben zwar keine Nazi-Massenmörder, aber verhalten sich wie welche, oder wie? Du hast ein Talent genau so zu klingen, wie Evangelikale (für die ist Abtreibung Massenmord und wird bisweilen ebenso verglichen). Für mich ist das nicht diskussionswürdig.
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Re: Dawkins fordert Abtreibung aller Föten mit Down-Syndrom

Beitragvon Vollbreit » Mo 15. Sep 2014, 10:14

Lumen hat geschrieben:Wenn es für dich okay ist, ein gesundes Kind nachträglich mit Down-Syndrom zu versehen, weil es angeblich deren Glück und co nicht beeinträchtigt, und du das für moralisch unproblematisch hälst, dann wirst du eben dazu stehen müssen, denn das ist genau das, was du hier implizierst.

Nein, es stimmt nicht, dass das implizit ist.

Ist denn ein Leben mit Betreuung, was obendrein nicht gesichert, sondern nur wahrscheinlich ist, zwingend ein unglückliches Leben?
Vor allem ist es ein Leben das es nicht geben sollte, also lebensunwertes Leben?
https://de.wikipedia.org/wiki/Down-Synd ... nd_Verlauf
Schwierig zu entscheiden, in jedem Einzelfall.

Die Abtreibung prinzipiell zu begründen, halte ich für noch schwieriger, weil damit tatsächlich einer Bewegung Tür und Tor geöffent wird, die ich für eher bedenklich halte. Ist ne Depression denn auch ein legitimer Abrteibungsgrund? Warum (nicht)? Was markiert die Grenze?

Lumen hat geschrieben:Für mich ist das nicht diskussionswürdig.

Du verweigest also die Antwort, ich vermute, Du hast keine.
Ansonsten stehst Du doch auf Provokationen und Zuspitzungen, oder hat sich da was geändert?
Ist das etwa einseitig, unfair und polemisch, wenn es nicht aus der richtigen Ecke kommt?
Wie gesagt, Du passt in meinen Augen Deine Argumentation geschmeidig an, erkennbar getragen von Sympathien und Abneigungen.
Hoffentlich deutet das nicht mal jemand als lebensbehindernden Makel, oh oh. :erschreckt:
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Re: Dawkins fordert Abtreibung aller Föten mit Down-Syndrom

Beitragvon Lumen » Mo 15. Sep 2014, 11:36

Vollbreit hat geschrieben:
Lumen hat geschrieben:Wenn es für dich okay ist, ein gesundes Kind nachträglich mit Down-Syndrom zu versehen, weil es angeblich deren Glück und co nicht beeinträchtigt, und du das für moralisch unproblematisch hälst, dann wirst du eben dazu stehen müssen, denn das ist genau das, was du hier implizierst.

Nein, es stimmt nicht, dass das implizit ist.

Ist denn ein Leben mit Betreuung, was obendrein nicht gesichert, sondern nur wahrscheinlich ist, zwingend ein unglückliches Leben?
Vor allem ist es ein Leben das es nicht geben sollte, also lebensunwertes Leben?
https://de.wikipedia.org/wiki/Down-Synd ... nd_Verlauf
Schwierig zu entscheiden, in jedem Einzelfall.

Die Abtreibung prinzipiell zu begründen, halte ich für noch schwieriger, weil damit tatsächlich einer Bewegung Tür und Tor geöffent wird, die ich für eher bedenklich halte. Ist ne Depression denn auch ein legitimer Abrteibungsgrund? Warum (nicht)? Was markiert die Grenze?


Jemand kann Würfel werfen und bei einer 1 entscheiden, dass es ein schlechtes Omen ist und sich gegen Nachwuchs entscheiden. Abtreibungen müssen garnicht begründet werden. Das müssen Betroffene mit sich (und ihrem Partner) ausmachen und das finde ich grundsätzlich richtig so. Die Grenze, die du da ziehen willst, gibt es nicht. Wenn es einen guten Grund gibt, abzutreiben, dann dass das Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit schwer behindert sein wird.

Vollbreit hat geschrieben:
Lumen hat geschrieben:Für mich ist das nicht diskussionswürdig.

Du verweigest also die Antwort, ich vermute, Du hast keine.
Ansonsten stehst Du doch auf Provokationen und Zuspitzungen, oder hat sich da was geändert?
Ist das etwa einseitig, unfair und polemisch, wenn es nicht aus der richtigen Ecke kommt?
Wie gesagt, Du passt in meinen Augen Deine Argumentation geschmeidig an, erkennbar getragen von Sympathien und Abneigungen.
Hoffentlich deutet das nicht mal jemand als lebensbehindernden Makel, oh oh. :erschreckt:


  • Ich habe kein Interesse mit dir Abtreibung durchzudiskutieren. Wenn du das für Völkermord hälst, bist du klar in der Idiotenkategorie wo es schon zwecklos ist, eine vernünftige Diskussion zu führen.
  • Für mich ist es nach wie vor nicht gleichwertig, auf tatsächlich stattgefundene Ereignisse hinzuweisen (woran du extremst Anstoß nimmst), und damit, andere Leute mit Nazis, Fundamentalisten usw. zu vergleichen wo es garkeine vernünftige Basis gibt. Dawkins hat weder jemanden getötet, noch sich an Kindern vergangen usw. und seinen Fall überhaupt auf eine Stufe zu stellen mit vormals genannten ist schon so krumm, das gilt glatt als vertikal. Auch das ist weit in der Idiotenkategorie, dass es sinnlos ist, da irgendwo drauf einzusteigen.
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Re: Dawkins fordert Abtreibung aller Föten mit Down-Syndrom

Beitragvon provinzler » Mo 15. Sep 2014, 21:12

Ich muss sagen, dass mich die Leichtfertigkeit, mit der so mancher Diskussionsteilnehmer über wertes und unwertes Leben entscheidet, doch etwas erschreckt.
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Re: Dawkins fordert Abtreibung aller Föten mit Down-Syndrom

Beitragvon Lumen » Di 16. Sep 2014, 02:04

provinzler hat geschrieben:Ich muss sagen, dass mich die Leichtfertigkeit, mit der so mancher Diskussionsteilnehmer über wertes und unwertes Leben entscheidet, doch etwas erschreckt.


Ich nehme an, du bist Veganer und setzt dich gegen Tierversuche ein. Immerhin empfinden diese Lebewesen weit mehr als ein Zellhaufen es kann, und haben zumeist ein höher entwickeltes Gehirn...

Richard Dawkins hat geschrieben:Briefly, I support those philosophers who say that, for moral purposes, an adult, a child and a baby should all be granted the rights of a person. An early fetus, before it develops a nervous system, should not.
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Re: Dawkins fordert Abtreibung aller Föten mit Down-Syndrom

Beitragvon Vollbreit » Di 16. Sep 2014, 11:00

@ Lumen:

Lumen hat geschrieben:Jemand kann Würfel werfen und bei einer 1 entscheiden, dass es ein schlechtes Omen ist und sich gegen Nachwuchs entscheiden. Abtreibungen müssen garnicht begründet werden. Das müssen Betroffene mit sich (und ihrem Partner) ausmachen und das finde ich grundsätzlich richtig so.
Ich auch, aber darum geht es hier gar nicht.
Die Frage um die es geht, ist, ob man sich öffentlich hinstellen sollte und sagen: „Ich bin schwanger und werde jetzt würfeln. Wenn ich eine 1 würfle, treibe ich das Kind ab, wenn nicht trage ich es aus.“ Oder als Berater: „Jede Frau sollte bei einer Schwangerschaft würfeln. Wenn sie eine 1 würfelt, sollte sie das Kind abtreiben und es noch mal versuchen.“ Klingt ziemlich gaga, aber wenn Du statt eine 1 würfeln Down-Syndrom einsetzt, bist Du bei dem, was Dawkins geraten hat.

Lumen hat geschrieben:Wenn es einen guten Grund gibt, abzutreiben, dann dass das Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit schwer behindert sein wird.
Ohne Zweifel, aber das hat ja niemand bestritten.

Lumen hat geschrieben:Ich habe kein Interesse mit dir Abtreibung durchzudiskutieren. Wenn du das für Völkermord hälst, bist du klar in der Idiotenkategorie wo es schon zwecklos ist, eine vernünftige Diskussion zu führen.
Wieso sollte ich das für Völkermord halten, komm mal runter. Ich halte es nicht mal für Mord.
Ich halte es nur für mehr als grenzwertig einer Frau zu sagen, sie solle ihr Kind abtreiben, wenn es ein Down-Syndrom hat, wenn man in einer exponierten Stellung ist, wie Dawkins und das öffentlich sagt. Eine Nichtabtreibung moralisch zu verurteilen, das tut Dakwins, steht für mich dem Geiste der Naziideologie nahe.
Ihm wird da etwas entglitten sein, er wird das vemutlich in der Form nicht wiederholen und ist ja auch zurückgerudert, also braucht man nicht mehr draus zu machen, als es ist, aber dass Du Dich so blind und taub stellst, wo Du sonst die Flöhe husten hörst ist schon bezeichnend.
Selbst wenn die Frau ihn explizit gefragt hätte, ist es m.E. nicht im Geiste der Aufklärung dieser Frau die Entscheidung abzunehmen. Dafür, für die überlegenen Ideen der Aufklärung, statt dem was Dawkinsanhänger so gerne Indoktrination nennen – jemanden vorschreiben, wie er zu denken und zu handeln hat – zu werben macht Dawkins sich ja stark. Ich kenne seine sonstigen Neigungen so wenig wie Du sie kennst, aber auch diesen performativen Widerspruch kann man schon hinweisen. Man wird doch wohl in diesem Land noch sagen dürfen... ;)
Deine Antwort hätte mich interessiert, aber Du scheinst keine geben zu wollen/können.

Lumen hat geschrieben:Für mich ist es nach wie vor nicht gleichwertig, auf tatsächlich stattgefundene Ereignisse hinzuweisen (woran du extremst Anstoß nimmst), und damit, andere Leute mit Nazis, Fundamentalisten usw. zu vergleichen wo es garkeine vernünftige Basis gibt.
Diese Äußerung von Dawkins hat tatsächlich stattgefunden.
Ich weise darauf hin.

Lumen hat geschrieben:Dawkins hat weder jemanden getötet, noch sich an Kindern vergangen usw. und seinen Fall überhaupt auf eine Stufe zu stellen mit vormals genannten ist schon so krumm, das gilt glatt als vertikal.
Och, ich weiß ehrlich gesagt auch nicht ob Hitler himself mal jemanden umgebracht hat, so eigenhändig. Oder was ist mit Eichmann? Aber ist es das worum bei den Nazis geht, ob sie mit eigenen Händen getötet haben?

Darum noch mal. Wer hat mit welchem Recht darüber zu bestimmen, wer leben darf und wer es nicht wert ist zu leben?



@ provinzler:

provinzler hat geschrieben:Ich muss sagen, dass mich die Leichtfertigkeit, mit der so mancher Diskussionsteilnehmer über wertes und unwertes Leben entscheidet, doch etwas erschreckt.
Wie würdest Du denn die Aussage von Dawkins, dass es, ginge es nach ihm, Kinder mit Down-Syndrom nicht geben würde = dass sie besser nicht leben sollten (um nicht zu sagen, dass sie es nicht wert sind zu leben), da man sie, ginge es nach ihm, besser alle hätte abtreiben lassen sollen, denn formulieren?
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Re: Dawkins fordert Abtreibung aller Föten mit Down-Syndrom

Beitragvon Jounk33 » Di 16. Sep 2014, 11:48

Myron hat geschrieben:Es besteht ein ethisch bedeutsamer Unterschied zwischen negativer Eugenik, die lediglich in der Ausmerzung von Krankheiten und Behinderungen besteht, und positiver Eugenik, die in der gezielten Züchtung von Individuen mit bestimmten erwünschten Merkmalen besteht.

Eine vollkommene Welt ohne jegliche Art von Behinderung und Krankheit, ohne jegliche Art von Leid, Elend, Qual, Schmerz ist (leider) eine unerreichbare Utopie. Nichtsdestoweniger will kein normaler Mensch behindert oder krank sein und leiden. Wenn wir Behinderungen und Krankheiten nicht völlig eliminieren können, dann wollen wir sie zumindest minimieren, oder etwa nicht? Es ist es eine ethische Perversion, Behinderungen und Krankheiten als in sich wertvoll und deshalb als erhaltenswert zu betrachten.


Ich finde nicht, dass es innerhalb der Eugenik bedeutsame Unterschiede gibt. Im grunde zielt die Eugenik auf das hinaus was ich befürchte, nähmlich eine intensivierte Inakzeptanz gegenüber nicht optimalen Zuständen, also Inakzeptanz allem gegenüber was nicht einer Norm entspricht.
Das wird in sehr vielen Dystropien wie "Brave new World" oder "Fahrenheit 451" sehr gut beschieben. Und Ansätze wie in Fahrenheit 451 sehe ich auch schon in unserer heutigen Gesellschaft.
Sie sagen es ja selbst, es wird nie eine Welt ohne Krankheit und/oder Behinderungen geben und ich sehe aber gerade in der Intensivierten Bemühung Krankheit und Behinderung "auszumerzen" die Gefahr, dass dann gerade Leben das dann noch immer oder entgegen aller Bemühungen nicht der Norm entspricht als nicht lebenswert erachtet wird.
Es ist was anderes wenn man versucht mit einer Krankheit zu leben, mit dem nahen Tod zurecht zu kommen, mit Alter und Demenz sich zurecht zu finden, als das einfach weg zu spritzen. es ist was vollkommen anderes wenn man versucht Krankheit zu heilen, oder Schmerzen zu lindern, als einfach alles abzutreiben oder dem Selbstmord zu empfehlen. Behinderungen werden sich nicht ausmerzen lassen, daher dürfen wir nicht verlernen damit zu leben oder Behinderte als Teil unserer Gesellschaft zu sehen.
Es kann z.B. auch einem völlig gesunden und leistungsfähigen Menschen passieren, dass er z.B. durch einen Unfall schwerstbehindert wird und haben wir in den letzten Jahrzehnten es nicht geschafft dass auch Schwerstbehinderte ein glückliches Leben führen können ?
Warum sollten wir jetzt damit anfangen den Menschen einzureden, dass der tod die besser Wahl sei, dass es besser sei für jemanden und für sein Umfeld nicht zu leben ?
Ich sehe darin eher ein Rückschritt. Vielleicht auch ein wenig der Versuch Familien und sozialer Zusammenhalt und soziale Verantwortung zu schwächen, zugunsten von Wirtschaftlickeit und manischen individualismus.
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Re: Dawkins fordert Abtreibung aller Föten mit Down-Syndrom

Beitragvon xander1 » Di 16. Sep 2014, 14:02

Also ich will noch ein Argument entkräften, ob das hier gefallen ist oder nicht.
Wenn es jemanden wie Dawkins darum gegangen sei, dass der Genpool, also die Erbinformationen für unsere zukünftigen Generationen in Ordnung bleiben sollen:
Es wird heute schon unter Wissenschaftlern vermutet, dass wir in Zukunft Kinder zeugen können werden, die keine genetischen Fehler haben, d.h. Eltern Zeugen Kind, aber Erbinformationen von Krankheiten werden entfernt.

Also aus dieser Warte her, gibt es wohl kein Prolblem Kinder mit Downsyndrom zu bekommen.
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