von molosovsky » Mi 13. Jun 2007, 12:27
@LinuxBug:
Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Appell wie »Stirb tapfer für Dein Hinterwälderland« heute noch groß bei (westlich geprägten) Jugendlichen ankommt. Und, ich sehe diesen Appell in »300« so nicht, denn dazu gibts zuviele andere Stimmen. Propagandappelle zeichnen sich dadurch aus, daß sie ›rein‹ und unzweideutig sind. Guck ich mir z.B. die knackigen Orakelmädchen an, dann lese ich den Appell aus dem Film, einer von den alten Omen-Greisen werden zu wollen, um junge Mädels abschlecken zu dürfen. Auch die erwähnte Korruption unter den Spartanern selbst errodiert den ganzen tollen Kriegerschmu, denn Leonides und seine Jungs sterben eben nicht für ein durch und durch ›edles‹ Volk. Der Wurm, der an allen Großgruppen nagt, windet sich erkenntlich auch durch Spartas Fruchtfleisch.
Dann: Für Dich sind Leute mit Muskeln schon tendentiell Propaganda? Ich selbst bin zwar nur so ein Fruchtzwerg mit Schilddrüsenunterfunktion (oder wars -überfunktion — egal: halt 175cm & ca. 55-58 kilo; kann fressen was ich will und werd nicht dick), aber soooooo eine komische Abscheu vor bestimmten Körpern hab ich denn doch nicht.
Obwohl: ich gehe durchaus mit z.B. Camille Paigla konform und kritisiere diese ›Football-Körpersilhouette‹, die grad in der von mir so geliebten (Genre-)Phantastik nicht selten anzutreffen ist. Ist aber für mich erstmal ein ästhetisches Übel, denn ein ideologisches, denn oftmals wird dieses harte Kriegerbild ziemlich zweischneidig inszeniert. Eine wohl anthropologische Wahrheit kann aber selbst das schlimmste Heroenjubelwerk kaum nichten: Krieger sind zum frühen Tod bestimmt. Da unterscheiden sich die »300«-Krieger eben nur anhand ihrer Ballettformation von Selbstmordattentätern (oder auch von den Rock-Heroen der 60ger und 70ger).
Zum Gehorsam gegenüber Authorität: Erinnere ich mich richtig und Leonides selbst widersetzt sich (bzw. umgeht anhand einer Regellücke) mit seiner Leibgarde den Entscheidunen des Sparta-Rates? Nene, da pappste zu schnell und einseitig lesend den Propagandawarnaufkleber auf den Film.
Propaganda läge für mich dann vor, wenn irgendjemand (z.B. per Recherche) Verbindungen aufzeigen kann zwischen den Filmemachern und z.B. des Desinformationskader vom Donald Rumsbumsfeld.
»300« behandelt zwar unbequeme, heikle Themen, aber werden die entsprechend bedenklichen Werte EINDEUTIG ANGEPRIESEN, zweifelsfrei überhöht vermittelt? Ich sehe durchaus den Spielraum, dass man dem Film und seinen Machern ein gewisses Maß an Naivität und Spektakelfreude attestieren kann, mehr aber auch nicht.
Mal ein Gedankensprung: »300« kann genauso G8-Gegenern als Inspiration dienen, wie irgendwelchen Faschos. Ja, was hält Brights davon ab, sich als standhaltende Spartaner-Schaar zu sehen, die den Ansturm der fundamentalistischen Religiösen aufzuhalten trachten?
Der Film ist da sehr offen, eben weil er eine mythische Vergangenheit der europäischen Welt verarbeitet. Da es sich nicht um einen Film handelt, der sich um eine historisch-authentische Darstellung kümert, reihe ich ihn unter Fantasy ein (nicht zu verwechseln mit Phantastik). Aber wer eben so oberflächlich auf Fantasy guckt, daß auch »Der Herr der Ringe« den Faschismusmakel trägt, dem ist wohl interpretatorisch nicht zu helfen. Kurz: »300« zeigt sehr kräftig, wo ein wichtiger Quell für europäische Faschomythen entspringt, ruft aber nicht eindeutig/einseitig dazu auf, sich diesem Strom hinzugeben.
Wer war noch mal die Multikultitruppe in dem Film, wo dicke Schwarze höhere Manager werden können?
Fantasy ist nun mal die konsumbürgerliche Arena zum Spielen und Reflektieren von vormodernen Mythen. Da feiern u.a. Manichäismus, Bellezismus, Heroismus, Mystik, Polytheismus, Animismus, Magie und und und fröhliche Urständ, und Zuschauern, die sich zu einer fundamentalen Allergie gegenüber solchen Dingen erzogen haben, kriegen das alles natürlich schnall mal in den falschen Hals. Deshalb aber solche Genre-Werke per se zu verurteilen ist aber für mein Empfinden eine Überreaktion (nicht unähnlich der spartanischen Multikultireichverweigerung). Da kann man gleich den Gebrüdern Grimm vorwerfen, Kindern reinzureiben, daß Tiere reden können.
Ich gebe aber zu, daß man sich anhand einer so gut gemachten Spektakelfaszination wie sie »300« bietet, darüber streiten kann, ob das Publikum im Großen und Ganzen klug genug ist, so was nicht falsch zu verarbeiten, bzw. ob das Publikum eben so dumm und beeinflußbar ist, daß es sich zu altforderer Heldendenke verleiten läßt.
Wie andere Werke dieser Coleur bietet »300« Gelegenheit dazu, die extremen Interpretationen zu meiden (denn sowohl wer sich von sowas zu Heldentum im Spartasinne verleiten läßt, als auch jene, die in dem ganzen Film ein faschistisches Propagandawerk wähnen, liegen imho daneben, weil sie eben zu heftig, zu affektbetont überinterpretieren).
Grüße
Alex / molo