Der freie Wille nur eine Illusion? Interessante Argumente

Beitragvon gavagai » Sa 6. Jan 2007, 06:10

ostfriese hat geschrieben:Zitat Julian Nida-Rümelin aus dem FR-Gespräch mit Wolf Singer: "Meine Gegenthese ist, dass Gene und Sozialisation den Menschen eben nicht vollständig festlegen."
Dieser Satz fasst die Gegenposition zur naturalistischen Auffassung beim Thema Willensfreiheit sehr prägnant zusammen.

IMO zu prägnant. Diese Aussage lässt nämlich offen, was Julian vom freien Willen hält. Aber wenn ich mich nicht täusche, ist er ein Kompatibilist, in dem Sinne, dass er den freien Willen bejaht (da bin ich mir sicher) und das sowohl mit einem deterministischen als auch einem nicht-deterministischen Weltbild als für vereinbar hält.
Damit bleibt bei der zu prägnanten Zusammenfassung offen:
Wie "verbiegt" Julian die Erklärung des freien Willens, damit das passt?
Geht er dabei von einem deterministischen oder einem nicht-deterministischen Weltbild aus?
Wenn nicht-deterministisches Weltbild, wie erklärt er das mit dem Energieerhaltungssatz?
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Beitragvon lorenz » Do 11. Jan 2007, 11:58

gavagai hat geschrieben:Wie "verbiegt" Julian die Erklärung des freien Willens, damit das passt?

Vielleicht, indem er Willensfreiheit ("Freiheit" beim Entstehen des Willens) mit Handlungsfreiheit (Freiheit, den irgendwie entstandenen Willen in Handlung umzusetzen) verwechselt?
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Energieerhaltungs-und Impulssatz

Beitragvon Klaus » Do 11. Jan 2007, 13:17

zunächst kann ich erstmal nicht erkennen, was freier Wille und Handlungsfreiheit mit dem Energieerhaltungs-und ImpulsGesetz zu tun haben, da sträuben sich die Geister in mir.

Anbei eine kleine physikalische Spielerei zur Problematik:

ich habe folgende Problemstellung:
Zwei Kugeln eines Kugelpendels (mit 5 Kugeln) mit der Masse m werden mit der Geschwindigkeit v losgelassen. Zu beweisen ist, dass zwei Kugeln im Gegenzug auf der anderen Seite hochgehen und es unmöglich ist, dass zum Beispiel nur eine einzige Kugel mit doppelter Geschwindigkeit hochgeht oder gar alle mit niedriger Geschwindigkeit sich weiterbewegen.

Folglich müsste hier sowohl der Impuls-, als auch der Energieerhaltungssatz gelten:

1) Impulserhaltungssatz:
m1*v1+m2*v2=m1*u1+m2*u2+m3*u3+m4*u4+m5*u5
Da m1=m2, m3, m4, m5 kann ich die m alle ausklammern und kürzen:

v1+v2=u1+u2+u3+u4+u5

2) Energierhaltungssatz:
0,5*m*(v1²+v2²)=0,5*m*(u1²+u2²+u3²+u4²+u5²)
Nach dem kürzen:
v1²+v2²=u1²+u2²+u3²+u4²+u5²

So jetzt könnte ich die obige Gleichung 1 quadrieren um beide Gleichungen gleich zu setzen. Dann würden die u-Quadrate alle wegfallen, ebenso v1 und v2. Übrig blieben die "gemischten Glieder" dieses Ausdrucks ( u1²+u2²+u3²+u4²)² , die wiederum gleich 0 wären. Allerdings nützt mir das nicht viel.

Zweiter Versuch:
v1=v2=v
Somit würden die Gleichungen wie folgt lauten:
1)v=u1+u2+u3+u4+u5
2)v²=u1²+u2²+u3²+u4²+u5²

Dann könnte man wie oben vorgehen mit dem Quadrieren, allerdings kann ich so nicht beweißen, dass genau zwei Kugeln wegfliegen.

Ganz so einfach ist es also nicht mit der Physik. Vielleicht meint gavagai ja auch die Grundsätze der Thermodynamik, die könnten IMHO hier besser heran gezogen werden.

Viel Spass beim Lösen.
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Beitragvon gavagai » Do 11. Jan 2007, 20:03

lorenz hat geschrieben:
gavagai hat geschrieben:Wie "verbiegt" Julian die Erklärung des freien Willens, damit das passt?

Vielleicht, indem er Willensfreiheit ("Freiheit" beim Entstehen des Willens) mit Handlungsfreiheit (Freiheit, den irgendwie entstandenen Willen in Handlung umzusetzen) verwechselt?

Servus Lorenz,
ich meine, deinen ersten halbsatz nicht richtig zu interpretieren. Denn so wie ich den satz lese ist er falsch.
Willensfreiheit ("Freiheit" beim Entstehen des Willens)
1) wann entsteht der Wille? Zeugung, Geburt? später? IMO ist das diffus.
2) Willensfreiheit hat im allgemeinen Sprachgebrauch nix mit dem "Entstehen des Willens" (was eh ziemlich diffus zu sein scheitn; siehe 1) zu tun.
Auch zum 2. halbsatz habe ich Einwände. Selbst wenn du zwischen Willensfreiheit und Handlungsfreiheit unterscheidest, so gibt es IMO keine Handlungsfreiheit wenn es keine Willensfreiheit gibt/gäbe und es keine echte Willensfreiheit, wenn ich keine Handlungsfreiheit habe/hätte. Was würde mir ein freier Willen nutzen, wenn ich ihn nicht in Handlungen umsetzen könnte? Und umgekehrt: wenn meine handlungen unfrei sind/wären, kann man IMO nicht von echter Willsenfreiheit sprechen.
Fazit: selbst wenn man differenziert, besteht ein enger Zusammenhang. Damit hat IMO Julian sehr wohl recht.
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Beitragvon lorenz » Fr 12. Jan 2007, 12:52

gavagai hat geschrieben:"Freiheit" beim Entstehen des Willens

Hallo gavagai,
ich verstehe darunter das Entstehen nicht der (allgemeinen) Instanz Willen, sondern dessen, was man will. In dem Sinne: "Ich will (Objekt=Inhalt)" bzw. "Ich habe den Willen dass (Objekt=Inhalt)". Wenn man sagt: "Sein letzter Wille war XYZ", dann meint man den Inhalt des Willens. Willensfreiheit wäre dann Freiheit bei dem Vorgang, bei dem der Wille ein Objekt / einen Inhalt wählt.
Die Frage für mich ist: Wie entsteht, WAS wir wollen? Oder: Was bedingt die Zielbildung? (Könnte man evtl. den konkreten Willen nennen.) Warum habe ich "Appetit" auf X und nicht auf Y? Was bedingt, dass ich schwarze und nicht braune Schuhe will?

In dem Sinn sind die 2 Freiheiten "hintereinander geschaltet". (Die "resultierende Gesamtfreiheit" könnte nur bei 100% liegen, wenn beide einzeln bei 100% liegen:)
(1) Kommt der Wille "frei" zustande? ==> Hängt von den Faktoren ab, die die Willensbildung determinieren. (Genetik, Sozialisation, ...)
(2) Kann der Wille "frei" in Handlung umgesetzt werden? ==> Hängt von den Faktoren ab, die die Handlungsmöglichkeiten determinieren.

In dem Sinn zu (1):
Wir können etwas wollen. Aber:
Wir können nicht wollen, was wir wollen. Und falls doch:
Wir können nicht wollen, was wir wollen wollen. Und falls doch:
Wir können nicht wollen, was wir wollen wollen wollen. Usw...

Ein "wirklich freier" Wille würde eine unendliche Regression bedingen. Zu solchen unendlichen (auch ewig dauernden) Leistungen sind wir aber gar nicht imstande.
Also gibt es diesen ganz freien Willen nicht.

Allerdings kann man die Freiheit bei der Willensbildung noch weiter kaputt machen. Etwa durch systematische Manipulation, oder durch Dummheit, Informationsentzug, mentale Drogen usw. Folglich gibt es relative Willensfreiheit als Wert auf einer Skala. Es gibt also auch die Möglichkeit, den Willen (die Willensbildung) ein Stück weit zu befreien. Aber grundsätzlich bleibt er/sie immer determiniert.

gavagai hat geschrieben:Was würde mir ein freier Willen nutzen, wenn ich ihn nicht in Handlungen umsetzen könnte?

Man wäre einen Schritt weiter. Unter Umständen ergibt sich DOCH eine Möglichkeit, den Willen (Inhalt) in Handlung umzusetzen. Prinzip Hoffnung. Es ist dieselbe Frage wie die, ob es Sinn macht, Benzin zu kaufen, wenn das Auto kaputt ist. Es könnte sinnvoll werden. Denn danach ergeben sich vielleicht neue Perspektiven. (Z. B.: Benzin in den Tank, DANACH erst ergibt sich die Möglichkeit, zu erkennen, dass es nur am Filter gelegen hat.)

Sollte ich Mist verzapft haben, kehr in weg! :wink:
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Beitragvon lorenz » Fr 12. Jan 2007, 13:48

Hier bei Wikipedia stehen ein paar aufhellende Sätze zu dem Streit um "freien Willen" (Hervorhebungen von mir):
wikipedia hat geschrieben:... die andauernde kontroverse Diskussion ist die Definition des Begriffs Willensfreiheit. Es ist also nicht so, dass man sich in der selben Frage nicht einig würde, sondernes gibt zwei verschiedene Auffassungen was Willensfreiheit bedeutet.
...
Die bedingte Willensfreiheit sieht den Willen als frei, wenn die Person ihren Willen nach ihren persönlichen Motiven und Neigungen gebildet hat, tun kann was sie will (Handlungsfreiheit) und auch anders hätte handeln können, wenn sie es denn nur gewollt hätte.
...
Die Forderung nach einem Konzept, das diese Beschränkung der Freiheit überwindet, liegt der unbedingten Willensfreiheit zu Grunde. Gedacht werden kann eine solche Freiheit nur dann, wenn das Wollen von absolut nichts abhängt oder bedingt ist.
...


Schmidt-Salomon plädiert h i e r für eine saubere Trennung von Willens- und Handlungsfreiheit.
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Re: Energieerhaltungs-und Impulssatz

Beitragvon gavagai » Fr 12. Jan 2007, 14:42

Klaus hat geschrieben:Ganz so einfach ist es also nicht mit der Physik. Vielleicht meint gavagai ja auch die Grundsätze der Thermodynamik, die könnten IMHO hier besser heran gezogen werden.
Servus Klaus,
was dein Pendel-Beispiel bewirken soll ist mir unverständlich.
Man kann das Problem von verschiedenen Seiten angehen. Eine ist der Energieerhaltungssatz.
1) Wikipedia: Der Energieerhaltungssatz ist der wichtigste Erhaltungssatz in der klassischen Physik (und gilt genauso in der Quantenmechanik und der (speziellen) relativistischen Physik) und sagt aus, dass die Gesamtenergie eines konservativen Systems durch Prozesse, die ausschließlich innerhalb des betrachteten Systems stattfinden, nicht verändert werden kann. Das heißt, es ist unmöglich, innerhalb eines abgeschlossenen Systems Energie zu erzeugen oder zu vernichten.
2) Das andere ist, dass man allgemein mit der kausalen Abgeschlossenheit der Natur argumentiert.
Beide Herangehensweisen zeigen prima facie (Feinheiten mag es geben), dass es schlechterdings unmöglichst par ordre di Mufti irgendeine Kraft herbeizuzaubern.
Mit beiden Herangehensweisen (die IMO letztlich aus dasselbe hinauslaufen) haben die Freie-Willen-Vertreter extreme Probleme. Da ist es völlig egal, ob bei einem Pendel mit 5 Kugeln sich die Energie auf 1 oder 2 oder was-immer Kugeln verteilt: sie bleibt erhalten. Und wichtiger für den freien Willen: keine unbewegte Kugel kann man ihne Engergieeinsatz zum Bewegen bringen (behaupte ich mal ;-))
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Beitragvon Klaus » Fr 12. Jan 2007, 15:58

@gavagai, stimme dir zu, ich hatte nur ein Problem mit dem von dir eingebrachten Energieerhaltungssatz, und wollte zur Untermauerung mal zeigen, wie scheinbar, einfache Vorgänge, plötzlich kompliziert und komplex werden können. Ansonsten habe ich dazu keine andere Auffassung.
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Beitragvon gavagai » Fr 12. Jan 2007, 16:53

lorenz hat geschrieben:
gavagai hat geschrieben:"Freiheit" beim Entstehen des Willens

Hallo gavagai,
ich verstehe darunter das Entstehen nicht der (allgemeinen) Instanz Willen, sondern dessen, was man will. In dem Sinne: "Ich will (Objekt=Inhalt)" bzw. "Ich habe den Willen dass (Objekt=Inhalt)".

Wenn ich dich richtig verstehe, ist das das Entstehen eines Urteils. Ich überlege, was ich heute mache und komme zum Urteil: "Ich gehe ins Kino". meinst du dies?
lorenz hat geschrieben:Die Frage für mich ist: Wie entsteht, WAS wir wollen? Oder: Was bedingt die Zielbildung? (Könnte man evtl. den konkreten Willen nennen.) Warum habe ich "Appetit" auf X und nicht auf Y? Was bedingt, dass ich schwarze und nicht braune Schuhe will?
Oh, das sind komplexe Fragen. Zum einen drehen sich die Antworten darauf gerade um die unterschiedlichen Auffassungen zum freien Willen.
Während die einen sagen (so ich): Man ist durch Gene / Erziehung / Umfeld / Sozialisation etc. (=B) ein abwägendes Wesen. Man entscheidet aufgrund von den Bs. und ist damit nicht frei; argumentieren andere: man wägt die Optionen ab, wobei die Bs eine entscheidende Rolle spielen, und kann dann frei wählen.
lorenz hat geschrieben:(1) Kommt der Wille "frei" zustande?
Da meinst du wohl wieder die Willensentscheidung!? Den Willen hat jeder; egal ob man ihn als frei oder unfrei deklariert.
Zu deinem anderen Hinweis auf Salomons Vortrag: er fastt da die Handlungsfreiheit recht metaphorisch auf; deshalb hat er so eine starke Dichotomie Willensfreiheit und Handlungsfreiheit. Soweit ich die Diskussion kennen, ist das eine etwas eigenwillige Definition von Handlungsfreiheit, die schon die zur Verfügung stehenden Mittel und Freiheitsgrade berücksichtigt. Auch ein Süchtiger hat die Freiheit (jetzt Willens- + Handlungs-), sein Ziel zu setzen: Weg vom Alkohol. Es kommt auf seine Willensstärke an, ob er
1) sich dieses Ziel ernstlich setzt und 2) dieses Ziel verwirklicht. Dabei spielt natürlich seine Erziehung etc. (halt wieder die Bs von oben) die entscheidende Rolle.
IMO ist es dann wieder Auffassungssache, das als Ausfluss eines freien Willens anzuerkennen oder (so wie ich) zu sagen: durch die Bs determiniert, entscheidet er sich, noch eine Halbe zu kippen.
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Beitragvon ostfriese » Mo 15. Jan 2007, 00:32

gavagai hat geschrieben:
ostfriese hat geschrieben:Zitat Julian Nida-Rümelin aus dem FR-Gespräch mit Wolf Singer: "Meine Gegenthese ist, dass Gene und Sozialisation den Menschen eben nicht vollständig festlegen."
Dieser Satz fasst die Gegenposition zur naturalistischen Auffassung beim Thema Willensfreiheit sehr prägnant zusammen.

IMO zu prägnant. Diese Aussage lässt nämlich offen, was Julian vom freien Willen hält. Aber wenn ich mich nicht täusche, ist er ein Kompatibilist

Ja, ist er. Ohne angeben zu können, welche Einflüsse denn außer Genen und Sozialisation wirken. "Gründe", sagt er meistens, ohne dann zu präzisieren, wie er Deliberationen abkoppeln will von naturgesetzlich determinierten Vorgängen. Kann er eben nicht, ohne auf quasi-dualistische Vorstellungen zurückzugreifen. Und selbst die retten bekanntlich die Willensfreiheit nicht...

gavagai, vielleicht hattest Du meinen Beitrag oben missverstanden, kannst meine Position dazu ja auch nicht kennen (so selten, wie ich hier bin). Jedenfalls teile ich Deine Ansichten! :wink:
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Beitragvon Klaus » Fr 19. Jan 2007, 16:09

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Beitragvon ostfriese » Sa 20. Jan 2007, 22:38

In einem anderen Forum bin ich schon über acht Seiten an einer Diskussion über Willensfreiheit beteiligt. Sich da durchzuwühlen, kann ich niemandem empfehlen, aber zu meinen letzten beiden Beiträgen in jenem Forum (beide von heute) stehe ich voll und ganz. Zitieren möchte ich sie hier nicht, weil ich sie sonst aus dem Kontext der Diskussion herausreißen müsste.

Deshalb, für Interessierte, der Link dorthin.
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Beitragvon HF******* » Mo 21. Mai 2007, 10:00

Habe jetzt mal den von Lorenz verlinkten Artikel von Schmidt-Salomon "Von der illusorischen zur realen Freiheit Autonome Humanität jenseits von Schuld und Sühne" gelesen.

Der Artikel ist eine schöne Zusammenfassung der Thematik.

Zur Frage des Determinismus im eigentlichen Sinne sind die Ausführungen allerdings irreführend: MMS erkennt einzelne Detreminanten des Willen im Sozialwissenschaftlichen Sinne an, er ist jedoch im eigentlichen Sinne Indeterminist. So führt er zu Unrecht Nietzsche und Einstein für sich ins Felde, die meines Erachtens echte Deterministen wahren (Abgesehen davon ist das Anführen von Personen nicht sinnvoll, ohne ihre Argumente zu nennen…).

Auf S. 15 rutscht der Artikel von rationaler Argumentation in grundloses Postulieren ab: Der Fatalismus (Schicksals"glaube") sei zum Scheitern verurteilt, weil das Leben aufgrund seiner Kreativität prinzipiell und auch "theoretisch" unberechenbar sei (Dass das Verhalten für den Menschen im Einzelfall unberechenbar ist, wird von keinem Deterministen behauptet). MMS sagt, das Leben folge "anderen Gesetzmäßigkeiten" als das Nichtleben. Die Zukunft sei nicht feststehend, weil sie von Sekunde zu Sekunde immer wieder neu geschaffen werde.

Unbeantwortet lässt er allerdings die damit aufgeworfene Frage, wie denn die damit postulierten Ereignisse ohne Ursache möglich sein sollen.

Tatsächlich besteht auch das Gehirn aus purer Physik, ohne übernatürliche Zutaten. Es sind also Elektronen und Moleküle, Magnetfelder und möglicherweise auch nicht vollständig erforschte Umstände, die dort in Wechselwirkung stehen. Weshalb sollte es ausgerechnet in diesem Bereich Ereignisse ohne Ursache geben können? Nur dann wäre der Schmidt-Salomonsche Indeterminismus denkbar. Das Postulat ist jedoch ohne Logik, ohne praktischen Anhaltspunkt und natürlich erst Recht ohne Beweis: Es ist unhaltbar!

Auch scheint mir, dass MMS die Zeit nicht vollständig versteht:
Die Vergangenheit wird von Indeterministen regelmäßig für theoretisch berechenbar gehalten, die Zukunft aber nicht. Die Zeit in Zukunft und Vergangenheit ist physikalisch vergleichbar, auch ändern sich die Grundsätze der Kausalität nicht. Wenn man beides akzeptiert, entbehrt der Indeterminismus für die Zukunft jedoch jeder Grundlage.
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Beitragvon ostfriese » Mo 21. Mai 2007, 14:56

HFRudolph, mir scheint eher, Du hast die Position von MSS missverstanden. Dass komplexe Systeme sich unvorhersagbar verhalten, ist wohl unbestritten (da man die Rand- und Anfangsbedingungen eines Systems eben nicht beliebig genau kennen kann!). Sie müssen deshalb aber nicht indeterministisch sein (Stichwort "deterministisches Chaos").

MSS ist, wie ich vermute, kein Indeterminist, aber er zeigt, dass die Entscheidung zwischen Determinismus und Indeterminismus für die Frage, ob es reale Handlungsfreiheit gibt, eben gar keine Rolle spielt.

An seiner Behandlung der Frage, warum es die Willensfreiheit nicht gibt, hätte ich auch wenig bis gar nichts auszusetzen.
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Beitragvon HF******* » Mo 21. Mai 2007, 16:43

ostfriese schrieb:
aber er [Anm. Schmidt-Salomon] zeigt, dass die Entscheidung zwischen Determinismus und Indeterminismus für die Frage, ob es reale Handlungsfreiheit gibt, eben gar keine Rolle spielt.


Nicht ganz, er scheint der Ansicht zu sein, dass die Theorie für vollständigen Determinismus die Ursache für den sog. Fatalismus ist, für die Schicksalsgläubigkeit. Tatsächlich kann Fatalismus aber nur dann als verhängnisvoll bezeichnet werden, wenn er zu Passivität führt bzw. dazu, dass sich jemand seinem Schicksal fügt. Das ist aber ansich unsinnig, weil kein Mensch sagen, kann, was das Schicksal ist: Dazu müsste man es ja berechnen können...

... MSS ist, wie ich vermute, kein Indeterminist, ...


Schmidt-Salomon legt sich eindeutig auf Indeterminismus fest, indem er ausdrücklich schreibt, dass das Leben aufgrund seiner schöpferischen Eigenschaft theoretisch und prinzipiell unberechenbar sei. Als Beispiel führt er Hitler im Alter von zwei Jahren an: Keine noch so große (gedachte) kosmische Intelligenz hätte nach seiner Auffassung berechnen können, dass aus dem Zweijährigen ein Massenmörder werden würde. Er lehnt den Laplaceschen Determinismus damit klar ab.

Im Manifest bezeichnet er den Determinismus allerdings noch als eine der größten Beleidigungen der Menschheit, meint allerdings wohl nur einzelne determinierende Umstände. Das kann ich erst nachträglich aus diesem Artikel schließen.
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Beitragvon ostfriese » Mo 21. Mai 2007, 20:08

HFRudolph hat geschrieben:Schmidt-Salomon legt sich eindeutig auf Indeterminismus fest, indem er ausdrücklich schreibt, dass das Leben aufgrund seiner schöpferischen Eigenschaft theoretisch und prinzipiell unberechenbar sei.

Du ignorierst es offenbar, aber ich schreib's auch gern ein drittes Mal: Unvorhersagbarkeit/Unberechenbarkeit ist nicht dasselbe wie Indeterminismus.

Für eine zeitgemäße Determinismus-Definition greift heute niemand mehr auf den Laplaceschen Dämon zurück, der ist schon seit Heisenberg passé. Unbestimmtheit gehört zur Realität von Mikroobjekten.

Unter determiniert verstehen die meisten heute: naturgesetzlich zwingend. Und gemäß dieser Explikation ist der "Freie Wille" mit dem Naturalismus unvereinbar, da dieser postuliert, dass alles überall "mit rechten Dingen", also naturgesetzlich, also determiniert zugeht. Das hat MSS nirgends bestritten.
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Beitragvon Andreas Müller » Mo 21. Mai 2007, 23:56

Für eine zeitgemäße Determinismus-Definition greift heute niemand mehr auf den Laplaceschen Dämon zurück, der ist schon seit Heisenberg passé. Unbestimmtheit gehört zur Realität von Mikroobjekten.


Na ja, wenn man den Dämon vernünftig definiert, im Sinne des Determinismus, dann könnte man ihn schon noch vertreten, oder? Warum sollte es für diesen Dämon auch unmöglich sein, Ort und Impuls von Teilchen genau zu bestimmen, nur weil Menschen das nicht können?
Zuletzt geändert von Andreas Müller am Di 22. Mai 2007, 09:28, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon HF******* » Di 22. Mai 2007, 09:14

Ostfriese schrieb:
Du ignorierst es offenbar, aber ich schreib's auch gern ein drittes Mal: Unvorhersagbarkeit/Unberechenbarkeit ist nicht dasselbe wie Indeterminismus.


Schmidt-Salomon behandelt nicht nur die Unberechenbarkeit durch den Menschen, sondern die prinzipielle theoretische Berechenbarkeit.

Was Determinusmus ist, ist eine Definitionsfrage, über die sich bekanntlich nicht streiten lässt.
Der Brockhaus schreibt: Determinismus
der, Philosophie: die Lehre von der eindeutigen Bestimmtheit allen Geschehens durch Ursachen, aller späteren Ereignisse durch frühere, im Gegensatz zum Indeterminismus.
© 2003 Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG


Ostfriese schrieb:
Für eine zeitgemäße Determinismus-Definition greift heute niemand mehr auf den Laplaceschen Dämon zurück, der ist schon seit Heisenberg passé. Unbestimmtheit gehört zur Realität von Mikroobjekten.


Ich bin wohl nicht der einzige, der vermutet, dass Heisenberg und die Herren um ihn herum wohl nicht richtig lag. Mit Albert Einstein und Steven Hawking befinde ich mich in nicht ganz schlechter Gesellschaft, das letzte Wort ist in diesem Bereich noch nicht gesprochen. Im Übrigen ist es kein Argument, ob jemand sonst noch so denkt.

Ostfriese schrieb:
Unter determiniert verstehen die meisten heute: naturgesetzlich zwingend. Und gemäß dieser Explikation ist der "Freie Wille" mit dem Naturalismus unvereinbar, da dieser postuliert, dass alles überall "mit rechten Dingen", also naturgesetzlich, also determiniert zugeht. Das hat MSS nirgends bestritten.

Unter determiniert vestehen die meisten Leute auf Kausalität beruhend feststehend, anderes wäre falsch. Nach Ansicht der Deterministen (im eigentlichen Sinne) ist das naturgesetzlich zwingend. Man kann über den Determinusmus nicht diskutieren, wenn man versucht, den Begriff umzudefinieren. Kein mir bekanntes Lexikon gibt den Begriff nach Deinem Verständnis wieder.

Mir lag allerdings am Herzen, dass Schmidt-Salomon sich auch bezüglich der Frage Determinismus-Indeterminusmus festlegt (nicht nach Deinem Verständnis), auch nicht bloß bezüglich der Beobachtung einzelner Determinanten. Du kannst ihm ja schreiben, dass er sich das hätte sparen können, weil das ohnehin "niemand" vertritt, obwohl Schmidt-Salomon die Ursache des indischen Fatalismus eben dort geortet hat.

Es ist wenig sinnvoll, zu schreiben, dass MSS schreibe, dass alles naturgesetzlich zugehe. Naturgesetzlich bedeutet nicht zwangsläufig determiniert, wie das Beispiel Heisenberg zeigt und Du selbst geschrieben hast: Man kann sich selbstverständlich die Frage stellen, inwiefern die Heisenbergsche Unschärfetheorie überhaupt als wissenschaftlich bezeichnet werden kann, postuliert sie doch einen Quasi-Naturgesetzfreien Bereich. Nach Heisenberg soll sie ein Elektron "irgendwie" bewegen, so dass man auch dann nur statistische Aussagen über gleichzeitigen Ort und Impuls abgeben könnte, wenn man alle nur denkbaren Informationen des betrachteten Systems hätte, wenn man die Informationen im Sinne des Laplaceschen Dämons hätte. Diese Auffassung ist indeterministisch, sie negiert die eindeutige Bestimmtheit allen Geschehens durch Ursachen, sie postuliert sogar, dass es keine Ursache etwa für eine Richtungsänderung des Elektrons gebe. Heisenberg meint, einen Bereich gefunden zu haben, in dem es Wirkung ohne Ursache gibt, etwa die Richtungsänderung eines Elektrons.
Zuletzt geändert von HF******* am Di 22. Mai 2007, 09:29, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon Klaus » Di 22. Mai 2007, 09:28

:^^: Es ist aber so, dass die Heisenbergsche Unschärferelation entscheidend hilft gewisse Phänomene bei Teilchen zu erläutern, eben hervorgerufen durch den Dualismus von Welle und Teilchen. Wir wissen eben nicht, noch nicht, wann ein Teilchen sich als Welle verhällt oder eben als Teilchen. Heisenberg hat sich in seiner Theorie bisher nicht geirrt, die Experimente mit Quanten zeigen das
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Beitragvon HF******* » Di 22. Mai 2007, 10:01

@Klaus: Unbestritten, als Arbeitstheorie ist die Unschärfetheorie unzweifelhaft brauchbar.

Warum aber musste er sich festlegen, dass die statistische Aussage das maximal entdeckbare sei, dass er meinte, entdeckt zu haben, dass auch dann Impuls und Ort eines Elektrons nicht berechenbar wären, wenn man alle Naturgesetze kennen würde und alle Informationen hätte? (Oder wurde er missverstanden?) Das ist ja gerade die Ablehnung der Kausalität ansich und das Hineinbringen des Indeterminismus in einen Bereich, zu dem man eigentlich nur sagen kann: Wir können es nicht genauer feststellen und die Ursachen nicht genauer erkennen. Er aber sagt: Es ist auch theoretisch nicht berechenbar, was gleichbedeutend ist mit der Aussage, dass es keine Ursache gibt.

Bei Heisenberg habe ich den Verdacht, dass er das gerne feststellen wollte: Immerhin meinte er, Gott in der Naturwissenschaft gefunden zu haben. Das mag ihn natürlich persönlich disqualifizieren, ist aber sicherlich kein Argument gegen seine Theorie.

Zum gewissen Grad ist Heisenberg forschungsfeindlich, indem er sagt: Ich kann es nicht genauer feststellen, deshalb ist das auch theoretisch nicht möglich. Das ist so, als wenn vor 1000 Jahren jemand gesagt hätte: Ich weiß nicht, warum der Blitz vom Himmel kommt, deshalb kann es auch kein anderer feststellen. Ihr braucht es gar nicht erst zu untersuchen…

Mir erscheint es etwas leichtfertig, das Kausalitätsprinzip einfach so über Bord zu werfen. Das Kausalitätsprinzip ist das Grundgesetz aller Naturwissenschaft.
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