von ostfriese » Do 14. Feb 2008, 13:04
JustFrank, eine allgemein positive Einstellung zur Horizonterweiterung wäre wünschenswert für die Menschheit, aber wohl leider nicht aus Sicht des einzelnen.
Viele, wenn nicht die meisten Menschen lernen nur, wenn man sie "dort abholt, wo sie stehen", wenn man sie "an die Hand nimmt", wenn sie sich beim Betreten von Neuland erfahrenen "Reiseleitern" anvertrauen können. Entdeckerseelen, die einfach auf eigenes Risiko losmarschieren, sind dagegen unter Erwachsenen (!, s.u.) sehr selten.
Wer sich irgendwo ein bequemes Weltbild gezimmert hat, der wird nicht ohne weiteres die Tür öffnen. Denn der frische Wind, der hineinbläst, könnte ihm die ganze Einrichtung durcheinander wirbeln. Das ist für die meisten Menschen beängstigender, als die neuen Aus- und Einsichten verlockend sind.
Hier liegt m.E. das große Versagen der Schule. Zwar plädieren alle für die Förderung von Selbständigkeit, aber das muss zwangsläufig ein Lippenbekenntnis bleiben, wenn man zugleich die Gefahren, die entdeckendes Lernen naturgemäß mit sich bringt (das Scheitern!), auszuschalten und Intelligenz-Unterschiede zu nivellieren versucht.
Ließe ich z.B. eine normale Gymnasialklasse ohne Anleitung an zwanzig mathematischen Problemen knobeln, dann gäbe es Kinder, die in der Zeit, bis der oder die schnellste alle zwanzig gelöst hat, bestenfalls eines erfolgreich hinbekämen.
Wären diese intellektuell benachteiligten Kinder unter sich, könnten sie ihr gelöstes Problem als Erfolg feiern und wären zu weiteren selbständigen Entdeckungen motiviert. Da sie aber in der Schule dem Vergleich mit den Mathe-Assen sowie großem Zeitdruck durch einen fest vorgegebenen Lehrplan ausgesetzt sind, erleben sie nichts als Frustration.
Also greift der Lehrer wohlmeinend vorbeugend ein* und richtet damit großen Schaden an: Besonders talentierte Kinder werden um persönliche Höhenflüge betrogen, lernschwächeren Schülern wird die kindliche Entdeckerseele und natürliche Lernbereitschaft sogar vollends ausgetrieben.
*Didaktische "Hilfen" sind wie Serpentinenwege in der Kletterwand. Alle sollen das gleiche "Lernziel" (den Gipfel) erreichen. Vergessen wird dabei, dass sich nicht als Entdecker fühlt, wer einen von anderen vorgetretenen Weg entlang wandert, sondern dass nur derjenige in seinem Forschergeist bestärkt wird, der die steile Wand erklettert hat wie ein Erstbesteiger.