Ich denke, Du wirst meinen Standpunkt erst verstehen, wenn Du probeweise versuchst, den "naturwissenschaftlichen Standpunkt" nicht als absolut und ihre Forschungsergebnisse nicht als schlechthinnige Realität anzusehen.
Wenn sie das wären, dann müsste man sie letztbegründen können. ("E=mc² ist eine ewige Wahrheit")
HFRudolph hat geschrieben:Die wissenschaftlichen Axiome haben jedenfalls einen Gebrauchswert und mit dem Nachweis ihrer Richtigkeit sogar überhaupt eine Begründung.
Es ist unmöglich, die "Richtigkeit" wissenschaftlicher Axiome festzustellen: Da sie Vorfestlegungen für empirische Versuche sind, kann man sie empirisch nicht nachträglich beweisen. Das wäre zirkulär, wie bei manchen Gottesbeweisen. Im übrigen gelten sie eh nur so lange, bis eine andere Theorie allgemein anerkannt wird.
Zu Deine Stellungnahmen zu archaischen, demokratiefernen Systemen und überhaupt zum Thema Gottesglauben (jenseits der Philosophie) nehme ich jetzt nicht Stellung, weil uns dies IMHO vom Thema abbringt.
HFRudolph hat geschrieben:Welchen sinnvollen Grund, geschweige denn "Letztgrund", sollte es denn für den Gottesglauben geben?
Auch dazu nehme ich nicht Stellung, weil (zumindest) ich gar nicht vom Gottesglauben spreche, sondern von einer (philosophischen) Letztbegründung.
HFRudolph hat geschrieben:Der Begriff Letztgrund ist überflüssig.
Nein. Es gibt Ableitunghierarchien, gerade in der Wissenschaft. Eine Begründung führt zur nächsthöheren Hierarchieebene.
Nehmen wir Gödels Satz: "Jedes hinreichend mächtige formale System ist entweder widersprüchlich oder unvollständig." Um alle Sätze des formalen Systems A' zu beweisen, benötige ich das übergeordnete formale System A. Da dieses noch mächtiger ist, kann ich dessen Sätze auch nicht aus diesem System beweisen, sondern benötige wieder ein übergeordnetes System - und so weiter, ad infinitum.
Kurzum:
Eine Begründung reicht hinten und vorne nicht. Ich kann mit einer Begründung nicht mal erkennen, wo die ganze Schose letztlich landet: Im logischen Zirkel? Im infiniten Regress? In einer Art Letztbegründung? Nirgendwo?
HFRudolph hat geschrieben:Entweder hat etwas einen Grund oder nicht. Eine andere Frage ist, ob einen der Grund überzeugt.
"Etwas" kann viele Gründe haben. ZB das Wetter.
Und noch eine Einsicht, an die man sich erst gewöhnen muss: Für jedes gültige Naturgesetz gibt es (theoretisch)
unendlich viele unterschiedliche Alternativtheorien, die die gleiche Gültigkeit besitzen. Es gibt nie nur eine "richtiges" Theorie.
HFRudolph hat geschrieben:Fishermans Fellow schrieb:
Die Konsequenzen dieser Einsicht:
1. Naturwissenschaftliche Erkenntnis ist auch nicht wahrer als irgendein religiöser Glaube oder eine sonstige, in sich schlüssige Ideologie oder Ontologie.
Religiöser Glaube ist doch im Kernbereich per Definition unnachweisbar, sonst würde es sich gerade um Wissenschaft handeln!
Das kannst Du nur sagen, weil Du die naturwissenschaftliche Erkenntnis mit der gleichen Inbrunst absolut setzt wie die Religiösen ihren Glauben.
Solange jedoch naturwissenschaftliche Erkenntnis keine Letztbegründung besitzt, worin ist sie dann - nun wirklich mal neutral betrachtet - besser begründet als irgend eine x-beliebige andere Ontologie, Ideologie oder Religion?
HFRudolph hat geschrieben: Überleg mal, was das Grundrecht der Religionsfreiheit wohl aussagt!
Was hat das denn damit zu tun?
Gerade die Religionsfreiheit trägt doch dem Umstand Rechnung, dass - rational - alles zu tolerieren ist, weil keine letzte Wahrheit intersubjektiv-rational bewiesen werden kann. Nicht einmal das, was Naturalisten aus den Naturwissenschaften ableiten.
HFRudolph hat geschrieben:2. Sie ist nicht neutral sondern fremdgesteuert von den Absichten dessen, der sie anwendet.
Zu einer derartigen Aussage kann man doch eigentlich nur gelangen, wenn man rationales Denken ablehnt.
Ich weiss, dass es unschicklich ist, und ich will auch nicht die Literaturverzeichnis-Keule schwingen, aber diese Sache ist hinlänglich untersucht. Sagt Dir der Ausdruck "Phlogiston" etwas?
In diesem Zusammenhang möchte ich Dich darauf aufmerksam machen, dass Du meine Frage nicht beantwortet hast. Darum noch einmal: Existiert in der Realität die Gravitationskraft "F"?
HFRudolph hat geschrieben:3. Der Anspruch des Naturalismus, Tatsachen statt Theorien und Plausibilitäten zu liefern, ist illusionär.
Der Naturalismus selbst liefert nicht, er ist eine Methode, der auch Du Dich nicht entziehen kannst, soweit Du nicht in großzügiger Ignoranz einen ganz bestimmten Bereich hiervorn ausnimmst, jedoch ohne bisher einen überzeugenden Grund geliefert zu haben, warum Du eine solche Ausnahme triffst.
Ich entziehe mich dem ja gar nicht und denke nicht daran, im Urwald Käfer zu jagen, aber das alles sind keine
Beweise.
Die Naturwissenschaft ist wie ein Schraubenschlüssel. Menschen haben sie geformt, um bestimmte Probleme zu lösen, und es klappt wunderbar. Ich kann mit dem Schraubenschlüssel Schrauben auf - und zudrehen, ich kann ihn als Hammer benutzen und vielleicht auch als Hebel. Für all das brauche ich keine besondere Begründung, denn die Eignung des Schlüssels begründet sich gewissermaßen selbst (bis es ein effektiveres Werkzeug gibt). Aber wenn ich anfange zu glauben, dieser wunderbare Schraubenschlüssel sei nicht nur ein Schraubenschlüssel, sondern ein universaler Problemlöser, mit dem sich auch Strümpfe stopfen ließen, dann mache ich mir in illusionärer Weise falsche Vorstellungen von den Möglichkeiten meines Schraubenziehers.
Es tut ihm auch gar nicht gut, wenn man sich vor ihm niederwirft. Da fängt er an zu rosten.
HFRudolph hat geschrieben:Um es noch einmal zu wiederholen: Nicht wir sind in der Beweislast, darzulegen, warum wir keine Gottesanbetung betreiben und keine Energie in Jenseitsvorstellungen stecken.
Es gibt keine Beweislasten, weil es keine Beweise gibt. Es gibt nur Plausibilitäten (in rationaler Hinsicht), und darum muss man auch jede in sich plausible Weltanschauung/Religion tolerieren.
Grüßle,
FF