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Gericht annulliert Ehe wegen fehlender Jungfräulichkeit
Franzosen empört über ihre Justiz
Am Donenrstag hatte ein Gericht im französischen Lille eine muslimische Ehe annulliert - mit der Begründung, die Braut habe dem Bräutigam verheimlicht, dass sie keine Jungfrau mehr war.
Jetzt laufen die Franzosen - ob politisch links oder rechts - Sturm:
Das Urteil sei eine "Fatwa gegen die Freiheit der Frau".
Von Claudia Deeg, ARD-Hörfunkstudio Paris
Frauen und Männer in Frankreich - egal welcher Religion - sind entsetzt: Von einem altertümlichen Fundamentalismus ist die Rede. Politiker und Menschenrechtler können nicht begreifen, dass ein französisches Gericht im 21. Jahrhundert den Fall überhaupt angenommen hat und dann auch noch so entscheiden konnte.
Auch Elisabeth Badinter, Philosophin und Frauenrechtlerin, ist empört: "Ich sehe in diesem Gerichtsbeschluss einen verstärkten Druck, der auf junge muslimische Frauen ausgeübt wird. Sie haben ohnehin schwer mit veralteten Traditionen zu kämpfen und anstatt ihnen bei ihrer Emanzipation zu helfen, steckt in der Entscheidung vielmehr eine Warnung - nach dem Motto: Wenn Sie über Ihre Jungfräulichkeit lügen, können Sie verstoßen werden."
Ein Gericht in Lille hatte am Donnerstag die Ehe eines muslimischen Paares für nichtig erklärt - auf Antrag des Mannes. Denn der Ingenieur - um die 30 - hatte in der Hochzeitsnacht im Sommer 2006 festgestellt, dass seine Braut keine Jungfrau mehr war. Vor Gericht räumte die junge Krankenschwester dann auch ein, dem künftigen Ehemann ihr sexuelles Vorleben verheimlicht zu haben - aus Angst, er würde sie sonst nicht heiraten. Der Mann betonte, er habe eine Jungfrau heiraten wollen, die Lüge mache eine Ehe für ihn unmöglich. Das Gericht gab ihm recht. Die Begründung: Der Mann sei über wesentliche Eigenschaften seiner Frau getäuscht worden.
Operation - oder Drama
Elisabeth Badinter hingegen sagt, die Frau habe gar nicht die Freiheit gehabt, ehrlich zu sein: "Man kann sich sehr leicht vorstellen, dass sie weder ihrer Familie noch ihrem künftigen Ehemann die Wahrheit darüber sagen konnte, dass sie keine Jungfrau mehr war. Deshalb sind ja so viele junge muslimische Frauen dazu gezwungen, einen chirurgischen Eingriff vornehmen zu lassen, um ihr Jungfernhäutchen reparieren zu lassen. Sonst geschieht ein Drama."
Tatsächlich haben in den vergangenen Jahren Medienberichten zufolge chirurgische Eingriffe zur so genannten Reparatur des Jungfernhäutchens in Frankreich zugenommen. Der Eingriff wird meist in Privatkliniken vorgenommen und kostet zwischen 1000 und 2000 Euro. Mouloud Aounit - von der Vereinigung gegen Rassismus und für Völkerverständigung - befürchtet: der Gerichtsbeschluss ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die vom Kampf der Kulturen sprechen. "Es ist erstens eine Diskriminierung von Frauen und außerdem wird auch noch der muslimische Glauben diskriminiert - im Gegensatz zu anderen Religionen. Dadurch werden Menschen gegeneinander aufgebracht, anstatt dafür zu sorgen, dass in diesem Land, in dieser Republik jeder gleich behandelt wird", sagt er.
Ein bislang einzigartiger Fall
Der Anwalt des Klägers argumentierte dagegen, die Frage der Religion sei in diesem Fall nicht wesentlich gewesen. Es habe schon ähnliche Urteile gegeben, etwa wenn ein Partner vor der Ehe verschweigt, dass er ein verurteilter Straftäter ist, schon mehrfach verheiratet war oder eine Frau als Prostituierte gearbeitet hat. Mehrere hundert Ehen sollen in den vergangenen Jahren wegen solcher Lügen für nichtig erklärt worden sein.
Der Fall von fehlender Jungfräulichkeit ist laut Justizministerium jetzt allerdings zum ersten Mal aufgetaucht. Die konservative Regierungspartei UMP hat Justizministerin Rachida Dati aufgerufen, ein Berufungsverfahren in Gang zu setzen. Die Ministerin, die aus einer nordafrikanischen Einwandererfamilie stammt, sagte, die Möglichkeit, eine Ehe für nichtig zu erklären, könne auch eine Gelegenheit bieten sich schnell von einem Partner zu trennen. Das sei sicher auch im Interesse dieser jungen Frau gewesen.
Quelle:
http://www.tagesthemen.de/ausland/lille2.html