ostfriese hat geschrieben:Gar nichts ist "obvious", da hat sich wieder mal einer im eigenen Zirkel verfangen. Was ist denn "die Hand"? Was bedeutet denn "sehen"? Das sind doch wieder nur modellhafte Begriffe!
Meine Hand und mein Sehen meiner Hand sind keine Begriffe, sondern ein reales Ding beziehungsweise ein realer Vorgang.
Begriffe repräsentieren Eigenschaften bzw. geben vor, dies zu tun.
ostfriese hat geschrieben:In einer legitimen Umkehrung kann man auch sagen: Ein reales Objekt XY ist, wenn wir Glück haben, als Modell isomorph zu jener Struktur, die wir als XY bezeichnen. Per defintionem sind ja dem theoretischen Konstrukt XY bestimmte Eigenschaften zugeordnet.
Ein reales Objekt ist aber weder ein mentales Modell noch ein mentales Konstrukt.
Die Realität besteht nicht aus Repräsentationen und unsere Wahrnehmung der Realität beschränkt sich nicht auf Repräsentationen derselben.
Ich empfehle dir wärmstens Freges genialen Aufsatz
"der Gedanke", worin er den Idealismus entkräftet:
"Entweder ist der Satz falsch, dass nur das Gegenstand meiner Betrachtung sein kann, was meine Vorstellung ist; oder all mein Wissen und Erkennen beschränkt sich auf die Bühne meines Bewusstseins. In diesem Falle hätte ich nur eine Innenwelt, und ich wüsste nichts von anderen Menschen. (...)
Nicht alles ist Vorstellung, was Gegenstand meines Erkennens sein kann. Ich selbst bin als Träger von Vorstellungen nicht selber eine Vorstellung."Statt "ich" hätte Frege genauso gut "mein Gehirn" schreiben können.
ostfriese hat geschrieben:Und diese Merkmale kann auch das reale Objekt tatsächlich aufweisen, aber wir werden es niemals mit endgültiger Gewissheit feststellen können.
Ich denke nicht, dass man sagen kann, es sei ungewiss, ob ein Fußball tatsächlich rund ist.
ostfriese hat geschrieben:Doch, mittelbar schon. Denn in solchen Situationen merken wir, dass unser Weltbild nicht da draußen ist und durch Fenster zu uns herein kommt, sondern dass unser Gehirn es (re)konstruiert. Ja, es gibt eine Realität. Nein, sie ist nicht das, was uns in nüchternem Zustand "vorschwebt".
Wie gesagt, ein reales Objekt mag unter Umständen anders beschaffen sein, als es uns erscheint; doch das bedeutet nicht, dass das uns Erscheinende nicht das reale Objekt selbst ist, sondern bloß ein Bild davon.
ostfriese hat geschrieben:Wenn ich ein (nicht selbstleuchtendes) Objekt "sehe", dann fällt Licht in mein Auge, dass von diesem Körper gestreut wurde. Was ich eigentlich wahrnehme, ist also Licht, es ist nicht der Körper selbst. Aus den Informationen, die das Licht trägt, (re)konstruiert das Gehirn schließlich ein Bild des Objekts.
Das ist der Fehlschluss, den Searle aufzeigt, und auf den auch Pierre Le Morvan eingeht:
"In holding that external objects or events are immediate or direct objects of perception, Direct Realists deny that perception of these external objects or events must be mediated by a prior awareness of causal intermediaries in the causal series eventuating in perception. Even if, say, the photoisomerisation of rhodopsin photopigment molecules in one’s eyes is a nomically necessary intermediary event in one’s visual perception of external objects or events, it does not follow, on Direct Realism, that one must be aware of that event (or any other intermediary event or object) when one perceives external physical objects or events.
In this light, consider the following two claims:
(i) perception is indirect in the sense that it involves a series of causal intermediaries between the external object (or event) and the percipient;
and
(ii) perception is indirect in the sense of involving a prior awareness of something other than the external object (or event).
Claims (i) and (ii) thus distinguished, Direct Realists can argue that it does not follow from the fact that perception is indirect in the sense of (i) that it is indirect in the sense of (ii). What the Causal Argument establishes is only the causal indirectness of perception in the sense of (i), not the cognitive indirectness in the sense of (ii). Hence, this argument does not refute Direct Realists not committed to denying the indirectness of perception in the sense of (i). Thus, lest they fall prey to this argument, Direct Realists should be careful to distinguish between causal indirectness and cognitive indirectness."(
http://www.tcnj.edu/~lemorvan/DR_web.pdf)
ostfriese hat geschrieben:
Und wenn ich das Ding anfasse? Dann wirken zwischen den zwei Oberflächen Kräfte, Teilchen werden ausgetauscht und Nervenzellen in der Haut zum Feuern angeregt. Aus den einkommenden Signalen rekonstruiert das Gehirn das Gefühl von undurchdringlicher "Massivität". Dies ist aber gar keine reale Objekteigenschaft, sondern in diesem Fall ein gänzlich subjektabhängiges Merkmal: Wir (unsere Körperzellen) können ein Kristallgitter nicht durchdringen.
Ich könnte jetzt alle fünf Sinne durchexerzieren, aber ich denke, diese beiden Beispiele sollten genügen.
Die natürlichen Eigenschaften realer Objekte sind gänzlich geistesunabhängig.
Es ist zu unterscheiden zwischen Eigenschaften von Wahrnehmungen und Eigenschaften von wahrgenommenen Gegenständen.
Es gelingt den Naturwissenschaftlern durchaus, objektive Eigenschaften natürlicher Objekte festzustellen.
Es gibt auch objektive dispositionale Eigenschaften realer Objekte wie z.B. diejenige, sich bei Berührung fest anzufühlen.
ostfriese hat geschrieben:Nee, Myron, das ist genau die Stelle, an der sich Deine Katze in den Schwanz beißt. Du tust so, als seien 'Kräfte' reale Objekte und als sei 'physisch' eine Eigenschaft, die jedem realen Objekt zukommt. Aber wir wissen erst dann, was wir unter Kraft verstehen, wenn wir ein Modell davon haben. Das Kraftmodell eines Laien unterscheidet sich ganz erheblich von dem eines Quantenphysikers, und die Behauptung, beide "meinten" "eigentlich" das gleiche reale Objekt, bleibt genau so lange inhaltsleer, bis definiert ist, woran "es" "eigentlich" zu identifizieren sei.
Natürlich wird der Kraftbegriff in der Physik in einem spezielleren und präziseren Sinne gebraucht als in der Alltagssprache.
Ganz allgemein gesprochen ist Kraft die Fähigkeit von etwas, etwas anderes zu beeinflussen. Kräfte sind also keine selbstständigen Dinge. (Dieser irrtümliche Eindruck mag entstehen, wenn von Kraftfeldern die Rede ist, die so gar nicht "dinghaft" erscheinen; dennoch sind in diesem Fall eben die Felder die Kraftträger—oder womöglich die jenen zugrunde liegende Raumzeit selbst.)
ostfriese hat geschrieben:Nochmal: Ich lehne diese quasidualistische A-priori-Trennung ab.
Zur Geschichte dessen, was in der Naturwissenschaft als wirkungsfähig angesehen wurde und wird:
"Modern Science and Causal Influence"In der zeitgenössischen Naturwissenschaft ist die Idee einer Seelenkraft oder -energie längst ad acta gelegt worden, sodass dem Naturalisten nur eine Alternative in Bezug auf die psychischen Phänomene bleibt: Entweder Reduzibilität plus Effektivität oder Irreduzibilität minus Effektivität, d.i. plus Epiphänomenalität.
Die Emergentisten wählen weder das eine noch das andere, was die Frage nach der logischen Kohärenz ihrer Position aufwirft.
ostfriese hat geschrieben:Myron hat geschrieben:Es scheint nach wie vor keinerlei kausale Löcher in der Natur zu geben, die von etwas Transphysischem gestopft werden können.
Nochmal: Kausalität ist ein theoretisches Konstrukt, mit dem wir Naturvorgänge aus anderen erklären. Es ist kein Band, an dem die Natur aufgehängt ist.
Es geht um reale Prozesse, durch die ein Ereignis ein anderes hervorbringen kann.
Kausalität erfordert irgendeine Art von "Nexus", und es spricht alles dafür, dass ausschließlich physische Prozesse imstande sind, solche Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge herzustellen.
ostfriese hat geschrieben:Und aus den Erklärungen 4. bis 6. ließe sich schließlich überhaupt keine Theorie mehr gewinnen, das hier jeweils verwendete Kausalitätsmodell scheitert völlig, gerade weil es so stark reduziert ist.
Dies ist keinesfalls ein Plädoyer für einen generellen Verzicht auf Reduktion, sondern lediglich eine Warnung vor naivem Optimismus. Physiker beschreiben und erklären bisher nur sehr, sehr einfache Systeme halbwegs erfolgreich!
Wie schon gesagt, es geht nicht darum, alle biologischen, psychologischen und soziologischen Erklärungen in die Sprache der Physik oder gar der Mikrophysik zu übersetzen, sondern um die Frage, was in der Raumzeitwelt
fundamental wirkungsfähig ist und aufgrund welcher Art von Eigenschaften.
"[Ontological physicalism consists in] the claim that material particles and their aggregates distributed over spacetime exhaust all of concrete reality. There are to be no spirits (which some supposed necessary to explain mentality) and no vital forces or 'entelechies' (which, according to neo-vitalists, made biological phenomena possible). As we ascend to higher levels from the level of basic physical particles, no new entities or forces make their appearance; we only find increasingly complex structures and configurations of the basic particles."
"Der ontologische Physikalismus [Materialismus] besteht in der These, dass sich die konkrete Wirklichkeit in materiellen Teilchen und deren über die Raumzeit verteilten systematischen Zusammenballungen erschöpft. Es gibt keine Geister (die einige für notwendig hielten, um die psychischen Phänomene zu erklären) und keine Lebenskräfte oder 'Entelechien' (die den Neovitalisten nach biologische Phänomene ermöglicht haben). Wenn wir von der Ebene der elementaren physischen Teilchen auf höhere Ebenen emporsteigen, treten keine neuen Dinge oder Kräfte auf. Wir stoßen lediglich auf zunehmend komplexe Strukturen und Konfigurationen der Elementarteilchen."[© meine Übers.]
(Kim, Jaegwon.
Philosophy of Mind. 2nd ed. Boulder, CO: Westview, 2006. p. 291+)
Das heißt, wenn wir von einfachen zu immer komplexeren Systemen übergehen, dann tauchen nicht ab einer bestimmten Komplexitätsstufe auf einmal neuartige Kräfte oder Energieformen auf, die den komplexeren Systemen eine transphysische Art von kausaler Potenz bescheren, welche den einfacheren Systemen abgeht.
Psychologische Verhaltenserklärungen bedienen sich zwar nicht des physikalischen Vokabulars, sondern benutzen Begriffe wie "Motiv" ("Beweggrund"), aber das bedeutet nicht, dass sich die tatsächlichen Wirkungshervorbringungen nicht auf der physikalischen Ebene vollziehen, d.h. dass die eigentlichen "Beweger", die unser Verhalten anstoßen, keine physischen Zustände und Ereignisse sind. Dabei spielt es keine Rolle, ob wir uns dieser
als physischen Ursachen bewusst sind oder nicht.
ostfriese hat geschrieben:Myron hat geschrieben:Den nichtreduktionistischen Physikalisten zufolge, zu denen die Emergentisten gehören, sind psychische Eigenschaften von physischen Eigenschaften verschieden und nicht auf diese reduzierbar.
Wenn Du unter 'Eigenschaften' Prädikate verstehst, die wir in unserem Beschreibungen theoretischen Konstrukten zuordnen, dann stimmt das. Aber nimm bitte zur Kenntnis, dass Emergentisten nirgends im realen Geschehen irgendwelche Sphären abtrennen. Alle Abgrenzungen existieren nur zwischen den sprachlichen Ebenen, mit denen das reale Geschehen modellhaft erfasst werden soll.
Eigenschaften sind nichts Sprachliches, während Prädikate sprachlicher Natur sind.
Es ist plausibel anzunehmen, dass nicht jedes Prädikat für eine (reale) Eigenschaft steht, wobei nicht a priori entscheidbar ist, welche Prädikate sich auf natürlicherweise vorhandene Eigenschaften beziehen und welche nicht.
Nun ist zwischen dem Prädikatsdualismus und dem Eigenschaftsdualismus zu unterscheiden (siehe:
http://plato.stanford.edu/entries/dualism/#VarDuaOnt).
Ersterer wird von allen Physikalisten, den reduktionistischen und den nichtreduktionistischen gleichermaßen, akzeptiert: Die Vokabulare der nichtphysikalischen Wissenschaften lassen sich nicht auf das Vokabular der Physik reduzieren, sprich durch dieses ersetzen.
Doch die Emergentisten scheinen auch den Eigenschaftsrealismus sowie den Eigenschaftsdualismus zu vertreten. Die emergenten psychischen Eigenschaften bilden für sie einen eigenen Typ von Eigenschaft, der von den physischen Eigenschaften verschieden ist. Auf der ontologischen Ebene besteht für sie also keine Typenidentität, die lediglich auf der linguistischen Ebene in physikalische und psychologische Prädikate (Begriffe) aufgespalten wird.
ostfriese hat geschrieben:Und der vernünftige Grund, hierbei Trennlinien einzuziehen, ist die Tatsache, dass komplexe Strukturen Merkmale aufweisen, welche ihren Komponenten fehlen.
Wenn das nicht mehr besagen soll, als dass ein Ganzes Eigenschaften haben kann, die nicht Eigenschaften seiner Teile sind, dann ist dem insoweit voll und ganz zuzustimmen.