Also zwei Dinge kann ich bei dir nicht verstehen:
1) was macht dich so sicher, wir hätten alle die gleiche christliche Erziehung genossen? Du kennst deine Erziehung, aber doch gar nicht die von stine, mir oder Father Coyne. Wie kommst du also zu dem Schluss, es hätte ganz definitiv nicht an den Unterschieden gelegen?
2) Wie kommst du darauf, du hättest mir erklärt, woran es gelegen hat?
ostfriese hat geschrieben:Ich habe als Jugendlicher jenen Diskrepanzen ins Auge gesehen und war danach gezwungen, mein Gottesbild zu reformieren, damit mein Glauben ein ehrliches (!) Für-wahr-Halten bleiben konnte (und nicht zur a priori angenehmen Spekulation degenerieren musste). Den eigenen Sohn am Kreuz zu opfern ist kein Zeichen von Liebe, sondern von Grausamkeit. Wenn Gott einigen willkürlich erwählten Menschen ewige Geborgenheit offenbart und gleichzeitig das Leiden so vieler Kreaturen tatenlos geschehen lässt, dann ist er entweder ahnungslos oder ungerecht oder ohnmächtig -- ich musste mich entscheiden.
Du schilderst hier sozusagen, was dir durch den Kopf ging. Aber ich habe als Jugendlicher den Diskrepanzen auch ins Auge gesehen, spätestens mit der Lektüre von Hoimar v. Ditfurth. Bei mir wäre der erste Satz also noch gleich. Aber alles danach war bei mir anders. Die Tatsache, dass Gott seinen eigenen Sohn am Kreuz opfert, hielt ich die ganze Zeit für ein sicheres Zeichen starker Liebe. Das gleichzeitige Geschehenlassen von Leiden wurde mir durch die den Menschen übertragene Freiheit und Eigenverantwortung, manchmal auch durch den Teufel erklärt. So ganz habe ich diesen Punkt nie verstanden, aber zumindest teilweise erschienen mir die Erklärungen ausreichend.
Die Frage, wieso die christliche Erziehung (wenn sie denn wirklich die gleiche war, wie du behauptest) bei dir so anders wirkte als bei mir, auf diese Frage bist du, soweit ich sehe, noch nicht eingegangen. Oder sollte der folgende Passus eine Erklärung sein?
ostfriese hat geschrieben:ganimed hat geschrieben:Was haben ich, stine und Coyne, was du nicht hast?
Was ich schon als Kind nicht mehr hatte: die Fähigkeit, über offensichtliche Widersprüche achselzuckend hinweg zu sehen, anstatt konsequent dem logischen Prinzip zu folgen, dass von zwei einander ausschließenden Behauptungen nur eine wahr sein kann.
Du konntest über Widersprüche nicht hinweg sehen. Und wir anderen konnten es. Hm, nicht sehr befriedigend und von einer Erklärung für meine Begriffe auch noch sehr weit entfernt. Die Frage ist doch sofort, wieso du über die Widersprüche nicht hinweg sehen konntest. Glaubst du ernsthaft, dass dein Gehirn so frühzeitig so anders gearbeitet hast als unseres? Könnte ja sein, aber sehr wahrscheinlich kommt es mir zumindest nicht vor.
Ich finde deine Folgerung, dass es unmögliche an Erziehungsunterschieden gelegen haben kann, sehr voreilig. Ich könnte mir zumindest tausend Dinge vorstellen, die doch anders waren bei dir als bei mir. Vielleicht dass dein Pfarrer die biblischen Widersprüche zufällig weniger angesprochen hat, weniger Erklärungen dazu geäußert hat oder du vielleicht keinen älteren Bruder hattest, der dir Erklärungsvorschläge hätte liefern können oder du hast mit 12 Jahren ein anderes, wichtiges Buch gelesen als ich oder bei euch in der Kirche war es etwas kälter und dein Wohlbefinden beim Konfirmationsbesuch war deshalb um durchschnittlich 7% geringer als bei mir und deshalb deine Bereitschaft zum geduldigen Zuhören um 13% geringer. Alles mögliche wäre möglich. Es könnte hunderte, tausende oder noch viel mehr entscheidende kleine Unterschiede gegeben haben.
ostfriese hat geschrieben:Du kannst aber erstens nicht wissen, ob es (relevante) Erziehungsunterschiede gab, noch sind in der vorangegangenen Diskussion Erziehungsunterschiede genannt worden, auf die sich Deine Formulierung hätte beziehen können.
Die Gegenbehauptung, es hätte garantiert keine Unterschiede gegeben ist, mit Verlaub, aber doch wohl irgendwie lächerlich. Wieso um alles in der Welt wirfst du mir also vor, dass ich also ganz selbstverständlich davon ausgehe, dass es Unterschiede gab? Natürlich gehe ich davon aus. Nicht einmal Zwillinge erhalten die völlig gleiche Erziehung, weil sich ja ihre Persönlichkeiten, ihr Temperament und demzufolge der Grad an Aufmerksamkeit und Zuwendung schon kurz nach der Geburt relativ stark unterscheiden kann. Meine ich zumindest mal in einer Doku berichtet bekommen zu haben.
Ich finde es also viel plausibler, dass in diesem großen Becken der möglichen Erziehungsunterschiede zumindest ein Teil der Antwort liegt. Viel plausibler als wenn du einfach nur lapidar annimmst, dass du nunmal ein anderes Gehirn hattest mit anderen Fähigkeiten als wir drei anderen (was natürlich aber auch nicht völlig ausgeschlossen werden kann).
Ich nehme also mal an, die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. Teilweise sind es bestimmte Eigenschaften beim Kind, teilweise sind es bestimmte Elemente und Wirkungen in der Erziehung, die aus dem einen einen Leidenden machen und aus dem anderen jemanden, der von der christlichen Erziehung profitiert. Auf gar keinen Fall aber verstehe ich, wieso man zu dem Schluss kommen kann, dass christliche Erziehung in jedem Fall schädlich ist. Bei stine, mir und Coyle war sie es ja nicht. Wie könnte man diese drei Gegenbeispiele ignorieren? Und muss ich erst wieder diese Statistiken zitieren, nach denen ein Gläubiger länger, gesünder und weniger depressiv lebt? Wenn christliche Erziehung dazu beiträgt, kann sie also zumindest nicht in allen Fällen schlecht sein.