Stierkampf

Stierkampf

Beitragvon pinkwoolf » Sa 4. Jul 2009, 19:27

Die Tierfreunde unter uns haben schon im Vegetarier-Thread ordentlich leiden müssen. Es kommt schlimmer.

Ein Artikel in The Times hat mich daran erinnert, dass ich auch am Stierkampf nichts Schlimmes finden kann.

http://www.timesonline.co.uk/tol/commen ... 632871.ece

Tiere, die für den Stierkampf trainiert werden, führen ein vergleichsweise paradiesisches Leben. Sie werden gut gefüttert und erfreuen sich größtmöglicher Bewegungsfreiheit; sie werden gewissermaßen als Individuen behandelt und genießen nichts weniger als Hochachtung. Da kann ein Fleischrind nur vor Neid erblassen, wenn ich es mal so anthropozentrisch ausdrücken darf.

Der Tod, der uns alle einmal ereilen wird, ist in seinem Eintreten sicherlich höchst unbequem und unerfreulich, wie auch immer er eintreten mag, ob bei Mensch oder Stier. Der darauf folgende Zustand des Todes muss kein Rind und keinen Menschen bekümmern; es sei denn ich glaubte an ein ewiges Rinderleben nach dem Tode.

Übrigens betrachte ich mich durchaus selber als einen Tierfreund. Deshalb verabscheue ich die Auswüchse der industriellen Tierhaltung; jedoch nicht die Tierhaltung als solche. Irgendwie endet das Leben eben immer tödlich.
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Re: Stierkampf

Beitragvon folgsam » Sa 4. Jul 2009, 19:56

Die Form des Tötens beim Stierkampf ist mit unnötigen Leiden verbunden, also abzulehnen.

Doch nimmt man an, der Stier hätte ohne den Zweck des sterbens im blutigen Kampf kein vergleichbar 'gutes' Leben gehabt, dann muss abgewogen werden:
Ist der kurze, heftige Kampf einem weniger 'guten' Leben vorzuziehen, oder nicht?
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Re: Stierkampf

Beitragvon platon » Sa 4. Jul 2009, 20:42

Wenn der Stier beim Kampf den Hauch einer Chance hätte, d.h. Wenn mindestens jeder dritte Torero gelocht und abgelegt würde, könnte ich dem Stierkampf eine gewisse Daseinsberechtigung zugestehen. So aber ist das ein Gemetzel mit absehbarem Ausgang, an dem sich irgendwelche Figuren aufgeilen. Cui bono?
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Re: spanischer Stierkampf

Beitragvon 1von6,5Milliarden » So 5. Jul 2009, 08:59

Klugscheiß: Stierkampf ist nicht gleich Stierkampf, soweit ich weiß endet nur der spanische Stierkampf immer tödlich für den Stier.
@ Platon: Abgelochter Matador hilft selbst beim spanischen Stierkampf meines Wissens dem Stier nichts, da käme dann wohl ein Ersatz. (Auch wenn es schon ganz, ganz wenige Ausnahmen gegeben haben soll.)

Ein "schönes" Leben rechtfertigt keine tödliche Quälerei zum Schluss. Ob dies jetzt aber besser oder schlechter als ein "unschönes" Leben mit auch nicht unbedingt immer "friedlich-schönem" Ende ist, sei dahingestellt.
Ob dies allerdings wirklich eine diskussionswürdige Alternative ist, sollte diskutiert werden. Vom Ideal ist beides sehr weit entfernt.
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Re: spanischer Stierkampf

Beitragvon platon » So 5. Jul 2009, 19:55

1von6,5Milliarden hat geschrieben:... hilft selbst beim spanischen Stierkampf meines Wissens dem Stier nichts, da käme dann wohl ein Ersatz.

Bei einer Trefferquote von 30 % ginge denen schnell der Nachwuchs an Toreros aus. So blöd sind nicht mal Männer.
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Re: Stierkampf

Beitragvon stine » So 5. Jul 2009, 20:15

Stierkampf ist nicht gleich Stierkampf!
In der Camargue zB wird der Stier nicht getötet - im Gegenteil: Je besser sich der Stier verteidigt, umso wertvoller wird er und genießt noch ein besseres Leben als seine Gegenspieler.

LG stine
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Re: spanischer Stierkampf

Beitragvon 1von6,5Milliarden » So 5. Jul 2009, 20:22

platon hat geschrieben:
1von6,5Milliarden hat geschrieben:... hilft selbst beim spanischen Stierkampf meines Wissens dem Stier nichts, da käme dann wohl ein Ersatz.

Bei einer Trefferquote von 30 % ginge denen schnell der Nachwuchs an Toreros aus. So blöd sind nicht mal Männer.
So zuende gedacht hättest du recht. (Ich bin aber "nur" von deutlich verletzten Matadoren ausgegangen, so ähnlich wie beim Boxkampf.)
Aber da würde man wohl ganz einfach die Regeln ändern bzw. dies hat man ja schon gemacht. Picadores und Banderilleros sind ja eben dazu da, dem Matador eine hohe (eigentlich eines fast sichere) Chance zu geben.
Ohne "Gehilfen" wäre die "Trefferquote" der Matadore vermutlich so hoch, dass die Stiere freiwillig in diesen Kampf zögen und sich königlich dabei amüsierten - dächten sie denn wie Menschen.
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Re: spanischer Stierkampf

Beitragvon pinkwoolf » So 5. Jul 2009, 21:53

1von6,5Milliarden hat geschrieben:Ein "schönes" Leben rechtfertigt keine tödliche Quälerei zum Schluss.

Darüber lässt sich trefflich streiten. Ich als Raucher wähle diese Alternative ganz bewusst; und andere Menschen mit absonderlichen Hobbys tun dieses ebenfalls.

Der Kampfstier verfügt über diese Wahlfreiheit allerdings nicht. Verfügt er überhaupt über irgendeine Freiheit? Ist die Freiheit des Individuums auf Tiere anwendbar?

Noch einmal zuirück zur menschlichen Perspektive. Der Tod im Kampf scheint für viele Menschen erstrebenswerter zu sein als andere Todesarten. Vielleicht betäubt der Adrenalinschub den Schmerz?

Ich selber bevorzuge da doch den Lungenkrebs. Die Freiheit zu rauchen ist den Rindern verwehrt.
:joint:
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Re: Stierkampf

Beitragvon Kurt » So 5. Jul 2009, 22:08

pinkwoolf hat geschrieben:Tiere, die für den Stierkampf trainiert werden, führen ein vergleichsweise paradiesisches Leben. Sie werden gut gefüttert und erfreuen sich größtmöglicher Bewegungsfreiheit; sie werden gewissermaßen als Individuen behandelt und genießen nichts weniger als Hochachtung. Da kann ein Fleischrind nur vor Neid erblassen, wenn ich es mal so anthropozentrisch ausdrücken darf


Evolutionär gesehen haben sowohl Kampfstiere als auch Fleischrinder das große Los gezogen: Der Mensch garantiert/sorgt für ihr Überleben. Schmerz ist eigentlich nur Mittel zum Zweck, d.h. er soll helfen zu überleben und sich fortzupflanzen. Aus dieser Sicht würde der Nettonutzen beim Stierkampf sogar überwiegen. Allerdings ändert das nichts daran, dass ich derlei Tierquälerei nicht mag.
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Re: Stierkampf

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Mo 6. Jul 2009, 06:53

@ pinkwolf: du spielst mit falschen Karten. Denn einerseits ist dir dieses Schicksal nicht sicher und andererseits spekuliert ja jeder Raucher darauf, dass es nicht so schlimm werden wird. Und auch als Nichtraucher hat man diese "Chance", nur mit etwas geringerer Wahrscheinlichkeit.
Und es wird dich (hoffentlich) keiner mit Vorsatz tatsächlich bis aufs Blut quälen (- auch nicht ohne Vorsatz).
Darüber hinaus ist das stinkige Leben allerdings unter Drogen und in meinen Augen, also aus Außenansicht, auch nicht so der Himmel auf Erden.
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Re: Stierkampf

Beitragvon Jakob » Di 7. Jul 2009, 13:42

platon hat geschrieben:Wenn der Stier beim Kampf den Hauch einer Chance hätte, d.h. Wenn mindestens jeder dritte Torero gelocht und abgelegt würde, könnte ich dem Stierkampf eine gewisse Daseinsberechtigung zugestehen. So aber ist das ein Gemetzel mit absehbarem Ausgang, an dem sich irgendwelche Figuren aufgeilen. Cui bono?


Ich war einmal bei einem Stierkampf, im Madrid, neun Stiere und drei Matadore.

Zwei Matadore wurden auf die Hörner genammoen, aber nicht ernsthaft verletzt. Ein Stier wurde begnadigt. Ob er später geschlachtet oder zur Zucht eingesetzt wurde, weiß ich nicht.

Vom Stierkampf kann man halten, was man will. Aber ungefährlich ist es für die Stierkämpfer nicht.
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Re: spanischer Stierkampf

Beitragvon Jakob » Di 7. Jul 2009, 13:54

pinkwoolf hat geschrieben:Noch einmal zuirück zur menschlichen Perspektive. Der Tod im Kampf scheint für viele Menschen erstrebenswerter zu sein als andere Todesarten. Vielleicht betäubt der Adrenalinschub den Schmerz?


Ich denke, ich wäre lieber Kampfstier als Fleischrind. Da hätte ich ein schöneres, längeres Leben. Und wenn man die unschönen Zustände bei Tiertransporten berücksichtigt, wohl auch den schnelleren Tod.

An der Sache mit dem Adrenalinschub ist auch was dran. Der Stier - besonders der auf "agressiv" gezüchtete Kampfstier - empfindet in der Arena zumindest anfangs wohl eher Wut als Angst. Er gerät in Rage und greift den Feind an, bis zum bitteren Ende. Ich weiß nicht, ob er dabei überhaupt merkt, daß er keine Chance hat. Ich nehme an, daß er wutschäumend kämpft, bis zum Untergang oder zumindest bis kurz vor Ende.
Wenn ich mir hingegen vorstelle, wie ein Fleischrind - mit eher gemütlichem Charakter - in den Schlachthof geführt wird... Die Viecher kriegen irgendwie immer mit, was sie dort erwartet. Ne, da hätte ich keine Lust drauf.

Das beste wäre natürlich ein langes Leben auf saftiger Weide und dann eine sozialverträgliche Hausschlachtung im Beisein der Bezugsperson. Aber das ist wohl Utopie.

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Re: Stierkampf

Beitragvon platon » Di 7. Jul 2009, 20:14

Jakob hat geschrieben:Vom Stierkampf kann man halten, was man will. Aber ungefährlich ist es für die Stierkämpfer nicht.

Ich habe von einem gehört, der beim Schneckenrennen zwischen zwei Schneckenhäuser geraten ist und tragisch zu Tode kam. Ist wahrscheinlich selten, aber Schneckenrennen ist auch nicht ohne ...
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Re: Stierkampf

Beitragvon Jakob » Mi 8. Jul 2009, 11:16

platon hat geschrieben:
Jakob hat geschrieben:Vom Stierkampf kann man halten, was man will. Aber ungefährlich ist es für die Stierkämpfer nicht.

Ich habe von einem gehört, der beim Schneckenrennen zwischen zwei Schneckenhäuser geraten ist und tragisch zu Tode kam. Ist wahrscheinlich selten, aber Schneckenrennen ist auch nicht ohne ...

Also, ich würde jedenfalls nicht so einfach in die Arena steigen. Weiß nicht, wie es bei Dir aussieht...
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Re: Stierkampf

Beitragvon Twilight » Mi 8. Jul 2009, 12:05

Was passiert eigentlich mit dem Stier, nachdem dieser getötet wurde? Wird er komplett wie ein Fleischrind verarbeitet oder landen nur seine Eier auf dem Teller eines Feinschmeckers, während der Rest verbrannt oder sonstwas wird?
Im ersten Fall hätte ich kein moralisches Problem (mehr). Ein kurzer Kampf und mehr oder weniger schmerzhafter Tod als Preis für ein gutes Leben ist vermutlich akzeptierbar. Für Fleischrinder wird nicht so viel bezahlt.
Der zweite Fall hieße, dass man ein empfindungsfähiges Lebewesen allein für einen nervenaufreibenden und für manche unterhaltsamen Kampf züchtet. Das erscheint mir irgendwie sinnlos.
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Re: Stierkampf

Beitragvon Kurt » Mi 8. Jul 2009, 20:50

Gute Frage, ich hab mal kurz gegooglet:

Ein wirklich lohnendes Geschäft ist der Stierkampf nicht, zumal auch das Fleisch der getöteten Tiere bei den Verbrauchern nicht besonders begehrt ist. Die Kampfstiere haben nämlich ein längeres Leben als die Mastrinder, und ihr Fleisch ist daher weniger zart.

Aus: http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/ ... 18,1874997
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Re: spanischer Stierkampf

Beitragvon Nanna » Mi 8. Jul 2009, 22:54

pinkwoolf hat geschrieben:
1von6,5Milliarden hat geschrieben:Ein "schönes" Leben rechtfertigt keine tödliche Quälerei zum Schluss.

Darüber lässt sich trefflich streiten. Ich als Raucher wähle diese Alternative ganz bewusst; und andere Menschen mit absonderlichen Hobbys tun dieses ebenfalls.

Der Kampfstier verfügt über diese Wahlfreiheit allerdings nicht. Verfügt er überhaupt über irgendeine Freiheit? Ist die Freiheit des Individuums auf Tiere anwendbar?



Ist die Freiheit des Individuums denn auf den Menschen anwendbar? Anders gefragt, wählst du das Rauchen wirklich bewusst oder liegt hier eine Mischung aus genetischer Disposition und äußerer Einflussnahme durch Erziehung, gesellschaftliche Kultur, Marketing usw. vor und du bildest dir deinen freien Entschluss nur ein? Vielleicht wirst du ja von der Tabakindustrie instrumentalisiert?

Aber zum eigentlichen Punkt:
Vielleicht kennen hier einige den Film "Die Insel". Da werden in einer hochtechnisierten Geheimeinrichtung Klone von reichen Menschen als Organersatzteillager herangezüchtet. Die Klone wissen davon nichts, ihnen wird erzählt, sie seien Überlebende einer Umweltkatasptrohe und müssten in dem Gebäudekomplex ausharren. Nur ab und zu dürfen Gewinner einer "Lotterie", in Wirklichkeit nur eine durchgeplante Farce zur Erklärung des Verschwindens der Todeskandidaten, zum Urlaub auf die entkontaminierte Insel, die es in Wirklichkeit natürlich auch nicht gibt. Stattdessen werden die Menschen in OP-Säle gebracht und einige realisieren kurz vor ihrem Tod durchaus noch, was mit ihnen geschehen soll. Den Rest des Films spare ich mir mal, um die Spannung nicht vorwegzunehmen, es geht dann im wesentlichen um den Ausbruchsversuch zweier Klone.
Im Grunde passiert diesen Menschenklonen genau das, worüber wir hier reden: Sie haben ein vergleichsweise angenehmes Leben, glauben durch Hirnmanipulation beim Klonvorgang sogar, sie seien als Individuum etwas ganz besonderes. In einer gewissen Weise sind die meisten von ihnen glücklich - allerdings eben nur bis zu dem Tag, an dem ihre Besitzer einen Gesundheitsschaden haben und ihr Ersatzteillager ausschlachten lassen müssen (die Auftraggeber wissen allerdings zu ihrer Ehrenrettung nicht, dass die Klone Bewusstsein erlangen). Es kann sich jeder mal überlegen, ob er das nur für ansatzweise human hält.

Was also ist entscheidend? Die Freiheit, selbst zu entscheiden, welches Leben man wählt?
Meine Meinung: Jein;
Begründung:
- Erstens ist ja überhaupt nicht gesagt, dass es auch noch andere Möglichkeiten gäbe, nämlich weder das Leben als Fleisch- noch als Kampfrind, sondern z.B. das als braves Milchvieh, das vom Menschen, weil er es sich mittlerweile bei entsprechender Verwaltung seiner Ressourcen eigentlich leisten könnte und ein paar hunderttausend Liter Milch im Gegenzug bekommt, in seinen letzten Lebensjahren bis zu seinem natürlichen Tod noch sein Gnadenbrot erhält.
- Zweitens beinhaltet eine freie Entscheidung für mich, dass man über alle Aspekte jeder Alternative aufgeklärt ist und sie verstanden hat - erst dann kann man wirklich frei, d.h. nach seiner façon, entscheiden und (hoffentlich) selig werden. Da allein das schon quantitativ und qualitativ unrealistisch ist, wird der freie Wille, selbst wenn es ihn gibt, in der Praxis nicht die ideale, da nicht verwendbare, Lösung sein können. Ich gestehe ganz offen, dass mir hier aber auch keine Alternative einfällt.
- Drittens teile ich das Argument nicht, dass Todesart und Todeszeitpunkt gleichgültig seien, da man sowieso eines Tages stirbt. Auf dieser Schiene kann ich auch Auschwitz rechtfertigen (und nein, das ist jetzt nicht die Böser-Nazi-darüber-darf-man-nichtmal-nachdenken-Hau's-tot-Keule, sondern einfach nur eine krasse Verdeutlichung der Konsequenzen einer solchen nihilistischen Denkweise; selbst wenn das aus empirischer und normativ neutraler Sicht absolut richtig ist (dem Universum ist es egal, ob und wie Juden, Stiere, Ketzer oder kleine Kinder sterben), so folgt daraus nicht, dass diese Denkweise das richtige Umfeld für eine stabile, prosperierende und schon gar nicht humane Gesellschaft generiert).
- Viertens teile ich Kurts Meinung, dass die Rinder zwar einerseits evolutionär als Art wohl gut dran sind, dass sich aber innerlich Widerstände gegen diese Quälerei regen: Dazu will ich jedoch folgendes zu überlegen geben:
Ist das Überleben um jeden Preis wünschenswert, auch dann, wenn es in erster Linie aus Qual besteht? Gerade unter Areligiösen scheint es ja eine recht große Offenheit gegenüber Sterbehilfe zu geben, weshalb ich mal davon ausgehe, dass viele eben genau dieser Meinung nicht sind.
Dann: Sind die Rinder wirklich perfekt dran? Im Gegensatz zu ihren robusten wilden Artgenossen sind heutige, auf maximalen Ausstoß getrimmte, Fleisch- und Milchrinder ohne den Menschen nicht mehr überlebensfähig. Sie sind daher von einer anderen Art und deren Weiterentwicklung (und auch deren teilweise irrationaler Entscheidungen, z.B. Massenkeulung bei BSE-Verdacht) viel stärker abhängig, als ihre Vorfahren, je nach Rasse sogar total. Die Symbiose Mensch-Rind ist also nicht ausgeglichen, der Mensch könnte mittlerweile nämlich auch sehr leicht ohne sein Rindvieh. Sie ist noch dazu historisch nicht besonders alt. Man kann daher eigentlich noch gar keine Schlüsse darüber ziehen, ob die Richtung, in die die Rinder sich entwickeln, für ihre Art langfristig einen Erfolg darstellt. Vielleicht werden am Ende eher ein paar Andenrinder überleben, die im Gegensatz zum europäischen Fleckvieh nicht durch den Fleischwolf der Zivilisation gedreht wurden.
Zuletzt: Da Normen rational nicht letztbegründet werden können, muss die Intuition zwangsläufig bei moralischen Entscheidungen eine Rolle spielen. Wenn wir also feststellen, dass eine statistisch signifikante Menge an Menschen Widerwillen gegen unnötige (d.h. nicht dem direkten Überlebendienliche, da angesichts des Hungertodes notwendige) Quälerei von Lebewesen empfindet, sollten wir das nicht beiseitewischen. Ein intuitiver/emotionaler Widerwille ist zumindest ein Indiz dafür, dass irgendwo Sand im Getriebe ist. Beispielsweise lässt sich fragen, ob das rohe Verhalten gegenüber Lebewesen anderer Arten auch das Vertrauen der Menschen ineinander schwächt, à la "Heute töten sie nur einen Stier, aber morgen vielleicht einen Menschen?" Das würde unsere Fähigkeit zur Kooperation untergraben und die ist eines der, wenn nicht das wesentliche Überlegenheitskriterium der Menschheit. Insofern könnte man hier sogar einen evolutionären Nachteil für uns vermuten. Die Hartnäckigkeit der Tradition lässt dann nur darauf schließen, dass andere Faktoren das ausgleichen, beispielsweise der kollektive Aggressionsabbau oder die Stärkung des Gruppengefühls durch die Tötung eines symbolischen Avatars.

Sollten gerade die letztgenannten Gedanken einen Kern Wahrheit beinhalten, also dass sich hier verschiedene Faktoren die Waage halten, von denen wir einzelne vielleicht für sich genommen ablehnen, hätten wir ein vorerst unauflösbares Dilemma. Auflösbar wird es nur durch Veränderung unserer Kultur, also andere Formen der Unterhaltung/Katharsis, Gruppendruck von Vegetariern und Co., Erfindung billigen Fleischersatzes oder vielleicht einfach eine schöne globale Rinderseuche. ;-)

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit für meinen ersten sachbezogenen Beitrag - für meine Verhältnisse übrigens nicht unbedingt einer der langen Sorte. Man mache mich darauf aufmerksam, wenn ich ZU viel schreibe. :blush2:
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Re: Stierkampf

Beitragvon stine » Do 9. Jul 2009, 06:58

Tiere die zum Verzehr geschlachtet werden machen uns glücklich, Tiere deren Fell oder Häute wir uns gerne umhängen sind nach wie vor strittig.
Wo ist der Unterschied?

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Re: Stierkampf

Beitragvon Nanna » Do 9. Jul 2009, 12:45

Ich nehme mal an, die Handtasche als Statussymbol erfüllt einfach das bessere Feindbild. Beim Fleischverzehr ist der Nutzen offensichtlicher und die Gewohnheit stärker. Bei genauerer Überlegung sind die Unterschiede wohl marginal und man sollte entweder beides zulassen oder beides verurteilen oder sich ganz andere Kriterien suchen, z.B. nur auf die Umweltverträglichkeit eingehen, was eine moderate Bejagung von Krokodilen wahrscheinlich durchaus ermöglichen würde.
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Re: spanischer Stierkampf

Beitragvon pinkwoolf » Do 9. Jul 2009, 16:35

Nanna hat geschrieben:Ist die Freiheit des Individuums denn auf den Menschen anwendbar?

Die Frage ist berechtigt; aber bringt sie uns weiter? Auch meine Freiheit als Wähler unterliegt letzten Endes "äußerer Einflussnahme durch Erziehung, gesellschaftliche Kultur, Marketing usw." Einige Vertreter der Zwillingsforschung schließen auch "genetische Disposition" nicht aus.

Den Film "Die Insel" kenne ich nicht; eine ähnliche Geschichte erzählt jedoch Kazuo Ishiguro in seinem Roman "Never Let Me Go", deutsch "Alles, was wir geben mussten", den ich verschlungen habe.

Nanna hat geschrieben:Im Grunde passiert diesen Menschenklonen genau das, worüber wir hier reden: Sie haben ein vergleichsweise angenehmes Leben, glauben durch Hirnmanipulation beim Klonvorgang sogar, sie seien als Individuum etwas ganz besonderes. In einer gewissen Weise sind die meisten von ihnen glücklich ...

Nein, für human halte ich das nicht einmal ansatzweise. Ebenso inhuman übrigens wie all die religiösen Versprechungen zuküftiger Glückseligkeit, wenn man nur die ganze Quälerei hienieden klaglos über sich ergehen lässt.

Damit sind wir wieder bei der Frage, inwieweit der Begriff "Humanität" auch auf Tiere anwendbar ist. Einig sind wir uns vermutlich, dass wir von Tieren keine Humanität erwarten. Zuteil werden lassen müssen wir sie ihnen, finde ich, in dem Maße wie unsere genetische Disposition es uns nahelegt, z.B. "Quäle nie ein Tier zum Scherz ...". Da bin ich nicht weit entfernt von deinem Standpunkt:
Nanna hat geschrieben:Wenn wir also feststellen, dass eine statistisch signifikante Menge an Menschen Widerwillen gegen unnötige (d.h. nicht dem direkten Überlebendienliche, da angesichts des Hungertodes notwendige) Quälerei von Lebewesen empfindet, sollten wir das nicht beiseitewischen. Ein intuitiver/emotionaler Widerwille ist zumindest ein Indiz dafür, dass irgendwo Sand im Getriebe ist.


Nicht weit entfernt; aber ein bisschen doch, nämlich was die "statistisch signifikante Menge" angeht.

Wenn eine solche Menge etwa der Meinung ist, dass Ehebrecherinnen gesteinigt gehören, dann wische ich das ohne zu zögern beiseite. Und wenn eine solche Menge behauptet, dass der Verzehr eines T-Bone-Steaks dem Kannibalismus moralisch gleichzusetzen sei - dito.

Ich vertraue darauf, dass du mir diese Parallele ebenso wenig übel nimmst wie ich dir den Holocaust-Vergleich. Du hast ja recht, dass die Annahme einer absoluten Beliebigkeit des Todeszeitpunkts - Shit happens! - jeden Mafiakiller moralisch rechtfertigen würde. Was die Todesart angeht - da sehe ich mich von Jakob bestätigt - wäre der Tod in der Arena, zumindest aus menschlicher Perspektive, dem Tod im Schlachthof nach einem qualvollen Transport eindeutig vorzuziehen. Und von der menschlichen Perspektive reden wir hier ja.

Der Todeszeitpunkt des Kampfstiers liegt, wie gesagt wurde, deutlich später als der des Fleischrindes; zugegebenermaßen immer noch fremdgesteuert.

Die Sache mit dem Gnadenbrot erinnert mich allzusehr an das Altenteil in bäuerlichen Kommunen. Tiere bekommen eher dann ihr Gnadenbrot, wenn sie vom Menschen weniger als Tiere wahrgenommen werden denn als Kumpels: Pferde, sowie Hunde und alle anderen Schoßtiere. Es bleibt jedem Menschen unbenommen, auch ein Krokodil oder eine Python in diesen Kreis aufzunehmen.

Nanna hat geschrieben:... beinhaltet eine freie Entscheidung für mich, dass man über alle Aspekte jeder Alternative aufgeklärt ist und sie verstanden hat - erst dann kann man wirklich frei, d.h. nach seiner façon, entscheiden und (hoffentlich) selig werden.


Genau diese Option steht unseren tierischen Brüdern, jedenfalls nach dem gegenwärtigen Forschungsstand, nicht offen. Und wenn wir schon gehalten sind, an ihrer Stelle zu entscheiden - müssen wir dann zwangsläufig zu ihren Gunsten entscheiden anstatt zu unseren?

Nanna hat geschrieben:Sind die Rinder wirklich perfekt dran? Im Gegensatz zu ihren robusten wilden Artgenossen sind heutige, auf maximalen Ausstoß getrimmte, Fleisch- und Milchrinder ohne den Menschen nicht mehr überlebensfähig.


Genau. Perfekt sind sie sicherlich nicht dran; aber im Rahmen ihrer Möglichkeiten könnte es manchmal schlimmer sein. Ich rede jetzt nicht von den tierquälerischen Auswüchsen, die es zweifellos auch gibt, und die zu bekämpfen sind.

War es nun für unsere Altvorderen moralisch ebenso unverzeihlich, Tiere für ihre Zwecke zu domestizieren und zu züchten, wie es unverzeihlich wäre, menschliche Klone für die Organverpflanzung zu züchten?

Im Falle des Hundes sagen viele Forscher, dass die Initiative eher vom Wolf ausging als vom Menschen.
Nanna hat geschrieben:Vielen Dank für die Aufmerksamkeit für meinen ersten sachbezogenen Beitrag - für meine Verhältnisse übrigens nicht unbedingt einer der langen Sorte.

Hat Spaß gemacht. Es ist allerdings eher unwahrscheilich, dass mein Terminkalender immer so ausführliche Antworten zulassen wird.

:santagrin:
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