Gernot Back hat geschrieben:Dann kannst du ja eigentlich auch nichts dagegen haben, wenn ich demnächst mit diesem Gewand auf die Straße gehe, oder?
Selbstverständlich habe ich etwas dagegen. Ich bin auch kein Fan der Vollverschleierung und sehe auch Nonnen in ihren Trachten nicht gerne. Ich habe aber sehr wohl den Unterschied zwischen etwas nicht mögen und dessen Verbot fordern verstanden. Wenn du also als Ku-Klux-Klanie rumlaufen willst, dann würde ich rhetorisch sicher kein gutes Haar an dir lassen und sehr genau beobachten, ob du strafbare Handlungen begehst, aber ich würde dir deine Tracht lassen, mit der du dich ja sowieso schon lächerlich genug gemacht hättest. Warum soll ich Menschen daran hindern, sich als rassistische Irre zu kennzeichnen, da weiß ich wenigstens, woran ich bin. Das ist mir lieber als die rechtsradikalen Biedermänner, die sich neuerdings formieren.
musicman hat geschrieben:Wie wäre es aber wenn die S/M Leute ihre Philosophie offen zur Schau stellen würden, ich stell mir grad mal vor, ich als Dom führe meine Sub (die es ja so will) am Halsband durch die Stadt ?
Wahrscheinlich wäre es "Erregung öffentlichen Ärgernisses". Was ist das?
So what? Jemanden am Halsband durch die Stadt führen ist, Freiwilligkeit vorausgesetzt, genauso wenig strafbar, wie bei einem Junggesellenabschied besoffen in einem Hühnerkostüm durch die Straßen zu laufen und sinnloses Gefasel rumzugrölen (neulich gesehen). Problematisch wäre ein Entblößen von Geschlechtsteilen oder öffentlicher Geschlechtsverkehr, das fällt aber in eine ganz andere Kategorie, nämlich die der sexuellen Belästigung. Solange es nur das Halsband ist (und das hat jeder Durchschnittspunk, der am Bahnhof rumhängt), gibt es da kein Problem. Und wo wir schon bei Punks & Co. sind, bizarre Äußerlichkeiten gibt es genug, das geht bis hin zu demonstrativ gecutteter (d.h. aufgeschnitter) Haut und Piercings bis zur Selbstverstümmelung. Ist das nicht auch menschenverachtend, da die Integrität des eigenen Körpers verletzt wird, nicht selten auch durch Gruppendruck? Oder das billige Herausputzen als Flittchen im knappen Kleidchen - das taugt mindestens (!) ebenso sehr als frauenverachtend (ja, danke für den Applaus, Frau Schwarzer...). Verbieten wir es deshalb? Nein! Weil keiner von uns behaupten kann, dass alle Subs, alle "Discoschlampen", alle den eigenen Körper aus Fashiongründen verletzenden Leute dazu gezwungen werden. Die meisten werden sogar davon ausgehen, dass das in der Mehrheit freiwillig geschieht.
Weil es aber seit Jahren gewohnter Bestandteil unseres Straßenbildes ist, kümmert es keinen mehr. Das war vor nicht allzulanger Zeit übrigens noch anders, als sich Tätowierungen auf das halbseidene ("asoziale") und gar kriminelle Milieu beschränkten oder noch früher, vor gut hundert Jahren, als man quasi noch vollbekleidet baden ging.
Da wir aber offensichtlich ein Feindbild brauchen und der komplexe Finanzmarkt oder die Umweltschädigungen, an denen wir alle selbst beteiligt sind, sich nicht auf Bildzeitungsniveau und vor allem auf Gesichter, also eine soziale Feindgruppe, herunterbrechen lassen, einigen wir uns halt auf eine schwache und leicht beknackte Minderheit, die wir im Rahmen unserer kulturellen Selbstvergewisserung in guter alter Überlegenheitsmanier der "mission civilisatrice" ordentlich assimilieren müssen. Die massiven Vereinfachungen, die in dieser gesellschaftlichen Debatte von Anfang an gemacht wurden, leider auch von sehr gebildeter Seite, deuten jedenfalls in die Richtung, dass die Gesellschaft offenbar gerade einen einfach zu definierenden Avatar braucht, den sie attackieren kann. Dass dabei das tatsächliche Ausmaß des "Problems" rein gar nichts mehr mit der Energie zu tun hat, die in dessen Bekämpfung investiert wird, hat dabei bisher offenbar kaum jemanden interessiert. Und ob das Problem gelöst wird, das interessiert sowieso keinen und zwar weder bei den Burkaträgerinnen, die daheim bleiben müssen, noch bei solchen BDSM-Leuten, die in einer bizzarren, sexsüchtigen Welt gefangen sind, noch bei Frauen, die sich als Verfügungsmasse für Machos verstehen und ein würdigeres Selbstbild nicht kennen. Komischerweise versteht da jeder, dass es keinen Sinn macht, Sextoys und knappe Kleidchen oder Discos zu verbieten, weil die Mehrheit, die damit hantiert oder hingeht, eben keinen Hau weg hat. UNd solange eine Burkaträgerin nicht unter der Burka leidet, soll es ihre Entscheidung bleiben, diese zu tragen, genau wie alle anderen sozialen Randgruppen ihre komischen Vorlieben in einem Rahmen, der andere nicht schädigt, auch öffentlich demonstrieren dürfen.
musicman hat geschrieben:Eine Mehrheit ärgert sich, wie über die Burka auch, die Frage ist doch immer die selbe, wo ist die Grenze der persönlichen Freiheit.
Die Mehrzahl der S/M Szene respektiert diese Grenze, Burkaträgerinnen eben nicht, eine Frage der Höflichkeit, wenn man so will.
Hier kommen wir vielleicht zusammen. Ich stimme dir zu, ich finde, es ist ein Gebot der Höflichkeit, dass man in der Öffentlichkeit sein Gesicht zeigt. Nichtsdestotrotz ist es eine zivilgesellschaftliche Frage, die Platz für Abweichler bieten muss. Diese dann sozial zu sanktionieren, etwa durch ein Rückfahren der Höflichkeit auf ein, sagen wir zivilisatorisch gebotenes, Mindestmaß, bleibt ja möglich.
Allerdings sollten wir uns da auch fragen: Ist es dann nicht auch ein Gebot der Höflichkeit, Muslimen das ein oder andere Minarett zu gönnen oder sie von verachtenden Karikaturen zu verschonen (nicht aus Angst, sondern aus Rücksichtnahme und auch nicht von Karikaturen generell!) oder dass man Muslimen dieselben Möglichkeiten wie Deutschen einräumt, zu Vorstellungsgeprächen zu erscheinen? Wie auch immer der Einzelne zu diesen Fragen steht, wenn wir Höflichkeit fordern, müssen wir akzeptieren, dass dieses Verhalten auch auf unserer Seite auf Gegenseitigkeit beruhen muss. In jedem Fall ist es dann eine Frage, die nicht gesetzlich, sondern im gesellschaftlichen Diskurs zu entscheiden ist.