Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon darwin upheaval » Fr 18. Jun 2010, 12:15

Myron hat geschrieben:
smalonius hat geschrieben:In der klassischen Logik gilt das Gesetz vom ausgeschlossenen Dritten. Man kann aber durchaus eine Logik bauen, in der das nicht stimmt.

- Man ist nicht entweder jung oder alt. Man kann auch in der Mitte des Lebens stehen. Ist ein 40-jähriger alt? Hmm. Kommt drauf an. darwin upheaval hat Fuzzy logic bereits erwähnt.
- Wenn man einen Stein aus einem großen Haufen nimmt, bleibt der Haufen groß. - Die Aussage ist gleichzeitig wahr und falsch.
- Der Barbier von Sevilla rasiert nur die, die sich nicht selbst rasieren. Rasiert er sich oder nicht? Neben wahr oder falsch gibt es ebenso den Wahrheitswert "undefiniert".


Fragt sich nur, was "X weiß, dass A" bedeuten soll, wenn der Wahrheitswert von A im Wissensfall nicht immer 1 sein muss, sondern es möglich ist, dass er
(a) sowohl 1 als auch 0 ist,
(b) weder 1 noch 0 und auch keine reelle Zahl e ]0,1[ ist,
(c) eine reelle Zahl e ]0,1[ ist.


Genau hier gerät Dein Wissens-Begriff in Kalamitäten. Smalonius hatte es angedeutet: Der Wahrheitswert faktischer Theorien liegt meist irgendwo zwischen 0 und 1. In manchen Fällen ist der Wahrheitswert sogar kontextabhängig. Schlechte Karten für einen Wissensbegriff, der einen absoluten Wahrheitswert von exakt 1 voraussetzt. Vielleicht sollten sich, wie Smalonius meint, die Epistemologen doch allmählich überlegen, ob ihr Konsens noch auf der Höhe der Zeit ist.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon darwin upheaval » Fr 18. Jun 2010, 12:33

smalonius hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Ich gönne den Wissenschaftlern ja ihr Wissen (auch wenn sie nicht wissen, ob es wirklich Wissen ist). :^^:

Natürlich gibt es sicheres Wissen.

Ich weiß zum Beispiel, daß es mir fürchterlich weh tun wird, wenn ich mir mit dem Hammer auf den Finger haue, weil ich kein Fakir bin, nicht an einer Krankheit leide, die Nervenimpulse unterdrückt, und kein Novocain in die Hand gespritzt bekam.

Ebenso weiß ich, daß Häuser bei einem heftigen Erdbeben einstürzen, wenn sie nicht erdbebensicher gebaut sind. Das ist eine "zeitkernig" "ewig" gültige Aussage. :pfeif:


M.E. gibt es sicheres Wissen nur in der Mathematik und Logik. Myron hat das Beispiel mit dem Hammer erwähnt, der sich, kurz bevor er Deinen Finger trifft, in Schaumstoff verwandeln könnte. Das ist zwar praktisch absurd aber eine logische Denkmöglichkeit. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass eine baufällige Hütte ein Erdbeben übersteht, während alle erdbebensicher gebauten Gebäude um die Hütte herum in sich zusammenstürzen. Quantenstatisch gesehen ist nichts unmöglich, nicht einmal Zeitreisen.


smalonius hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Und die Winkelsumme im Dreieck ist kein Wissen, sondern Mathematik. Und mathematisches Wissen, ist, das "wissen" wir inzwischen, gar kein Wissen, sondern streng genommen sogar falsch. So ein Pech aber auch. :joint:

Worauf bezieht sich denn "das Dreieck"?
Auf eine platonische "Form" oder "Idee"?

Wie wär's mit "Konstruktionsvorschrift"? Man ramme drei Pflöcke in die Erde, und umspanne sie mit einem Seil.


Da ich einen gemäßigten Konstruktivismus vertrete, ist mir Dein Vorschlag gar nicht unsympathisch. Wissen wird mental konstruiert. Dreiecke sind Verallgemeinerungen des Konkreten, also von Dingen, die über drei Ecken verfügen.


smalonius hat geschrieben:Oder etwas ausgefuchster: sieh dir mal eine Sonnenuhr an. Damit kann man nicht nur die Uhrzeit sondern auch die Jahreszeit feststellen. Das Resultat einer solchen Zeitmessung ist sogar unabhängig davon, ob man ein geo- oder ein heliozentrisches System annimmt. Der Weg des Schattens als Gleichung/Naturgesetzaussage ist unabhängig vom Modell.

Oder etwas spektakulärer, als Beispiel, wie sehr die physische Welt mit der mathematischen verbandelt ist:

Dies ist eine Logarithmentafel. Die Seiten mit kleinen Zahlen sind abgegriffener, als die Seiten mit den großen Zahlen.
log_tafel2.jpg


Das spiegelt ziemlich genau wider, was die Mathematik sagt, nämlich daß kleine Anfangsziffern häufiger sind. Das nennt man Benfords Gesetz.
250px-Benford.png

Ob man in dieser Tatsache etwas platonisches sieht oder nicht, ist mir ziemlich wurst. Wichtig ist das Aha-Erlebnis. Und das man etwas damit tun kann, zum Beispiel die Iranischen Wahlen als getürkt zu entlarven.


:applaus:

Mit anderen Worten, wir wissen Benfords Gesetz, und wir verfügen hier sogar über empirisch bestätigtes (= wahres) Wissen. Ungeachtet der Tatsache, dass dieses Gesetz nichts über real existierende Entitäten aussagt.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon darwin upheaval » Fr 18. Jun 2010, 12:47

Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Partielle Falschheit bedeutet nicht nur, dass einzelne Aussagen, sondern auch elementare Konzepte und Begrifflichkeiten falsch sein können. Z. B. der Bahnbegriff in der Atomphysik. Trotzdem ist der Bahnbegriff (wahlweise: die klassische Physik), je nach Referenzklasse, eben nur partiell falsch.


Begriffe sind Teil von Aussagen, aber sie allein sind weder wahrheits- noch falschheitsfähig. Ein Begriff ist gegenstandslos oder nicht, d.h. es fällt (mindestens) ein Gegenstand unter ihn oder nicht.

darwin upheaval hat geschrieben:…Oder sagen wir besser: approximativ gültig. Erklärungen sind von Haus aus imperfekt. Daraus folgerte ein Mensch, den Du zitiert hast, dass Newtons Theorie streng genommen falsch sei, ergo liefere Newtons Theorie kein Wissen.


In einem meiner vorherigen Beiträge habe ich am Rande die Begriffe <Wahrheitsähnlichkeit> und <Wahrheitsnähe> erwähnt.
Diese streng logisch zu fassen, ist sehr schwierig (siehe: http://plato.stanford.edu/entries/truthlikeness), aber der damit verbundene Grundgedanke leuchtet intuitiv ein: dass nicht alle falschen Thesen oder Theorien gleich wertlos sind, sondern sich im Hinblick darauf, wie weit sie die Wahrheit bzw. die Wirklichkeit verfehlen (missrepräsentieren), unterscheiden und damit von unterschiedlichem Wert sind.

Das Wissen, dass eine Theorie wie die Newton'sche zwar nicht wahr, aber doch wahrheitsähnlich/-nah ist, könnte sehr wohl von praktischem Nutzen sein.


Allerdings ist knapp vorbei auch daneben. Wenn man Wissen als "true justified belief" definiert, dann liefert Newtons Theorie genauso wenig "Wissen" wie die Hohlwelttheorie.

Mit der Einführung des Begriffs der "Wahrheitsnähe" weichst Du die traditionelle Definition auf, führst sie sogar streng genommen ad absurdum. Denn "wahrheitsnah" impliziert parzielle Falschheit und damit eben auch "Falschheitsnähe". Der Unterschied zwischen "wahr" und "falsch" ist hier kein kategorischer, sondern nur noch ein gradueller. Womit bewiesen wäre, dass, wenn man der Newtonschen Theorie bescheinigt, "Wissen" zu liefern, es doch zumindest partiell falsches Wissen gibt.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon El Schwalmo » Fr 18. Jun 2010, 14:33

darwin upheaval hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Du erwiderst dem Falschen, El Schwalmo spielte darauf an, dass es mathematisches Wissen gibt. Aber das ist selbstverständlich auch meine Meinung.

Und mathematisches Wissen, ist, das "wissen" wir inzwischen, gar kein Wissen, sondern streng genommen sogar falsch. So ein Pech aber auch.


Entschuldige, war mein Fehler. Ich hätte [Ironie] [/Ironie] taggen sollen.

wahlweise hättest Du auch meine Frage beantworten können.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon darwin upheaval » Fr 18. Jun 2010, 15:06

El Schwalmo hat geschrieben:wahlweise hättest Du auch meine Frage beantworten können.


Myron und sein Claqueur im Hintergrund. Ich könnte auch sagen, der, der einstalkt.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon smalonius » Fr 18. Jun 2010, 15:46

El Schwalmo hat geschrieben:Du weißt das erst nach dem Erdbeben, ...

Ich hätte ein prägnanteres Beispiel liefern sollen. :ops: Eins bei dem man das Ergebnis schon vorher weiß. So eins:

Ein Trabbi wird auf zweihundert beschleunigt und dann gegen einen Betonblock gefahren.

Wie sehr beeindruckt der Trabbi den Betonblock? Und wie sehr beeindruckt der Betonblock den Trabbi?

Noch Fragen?

El Schwalmo hat geschrieben:und das ist in etwa der Grund, warum Darwin Upheaval und ich 'Wissen' in den Naturwissenschaften entweder als fallibel definieren oder auf den Begriff verzichten könnten.

Das kommt daher, weil ihr bei Wissen immer an Wissen in vorderster Forschungs-Front denkt, an Wissen bis auf die letzte Dezimalstelle. Man kann ganz bescheiden das eine oder andere wissen - und trotzdem im Unklaren sein, was die Welt im Innersten zusammenhält.

Aber wer würde noch an Daltons relativen Atomgewichten zweifeln oder, wie oben erwähnt, an Plattentektonik?


RE: ALTER DER ERDE

Es sieht also aus, als sei die Erde bis zu 150 Mio. Jahre älter als gedacht.

Unser Physiklehrer hat immer gesagt: "wenn ihr ein Meßergebnis gebt oder lest, denkt immer daran, daß die letzte Stelle unsicher ist."

Demnach wäre die Aussage, die Erde ist 4,3 Mrd. Jahre alt, immer noch richtig. Wer das Alter der Erde übereifrig mit 4,357 Mrd. Jahren angegeben hat, sieht jetzt alt aus.

El Schwalmo hat geschrieben:Das mit den Parallelen zeigt nur, dass man sich verschiedene Modelle basteln kann, die Frage ist, ob sie auf die Wirklichkeit 'passen' und dann bist Du bei der Frage, die Myron gestellt hat.

Die Antwort ist ausweichend.

Myron sagte: "Wenn ich weiß, dass p falsch ist, dann weiß ich zugleich, dass ~p wahr ist."
Ich sagte: p = "Parallelen schneiden sich nie"
Offensichtlich ist mein p wahr. Mein -p ist auch wahr.
Damit ist Myrons Aussage durch Gegenbeispiel widerlegt.


Unausgesprochen behauptest du, daß Wahrheit und "Wissen" in der Mathematik anders zu verstehen ist, als in der physischen Wirklichkeit. Myron macht diese Unterscheidung nicht. Er trennt nicht zwischen mathematischen und naturwissenschaftlichen Aussagen, was ihn zum Schluß kommen läßt, Mathematik sei "falsch", weil sie nicht "existiert".

Dabei sind Unterscheidungen nach "Aussageklassen" nicht unüblich in der modernen Logik, zum Beispiel zwischen einer simplen Aussage und einer Aussage über eine Aussage. Siehe:

Aussage: alle Kreter sind Lügner.
Aussage über Aussage: Epimenides, der Kreter, sagte, alle Kreter seien Lügner.

Myron hat geschrieben:Wenn "sicheres Wissen" "logisch sicheres Wissen" bedeutet, dann müsstest du beispielsweise überdies die Möglichkeit ausschließen können, dass sich der Hammerkopf im Moment der Fingerberührung in Schaumstoff verwandelt, [...]

Gut, eine Brane, die, aus der 8. Dimension kommend, unser Universum durchdringt, und dabei Stahl in Schaumstoff wandelt, kann ich mir schmunzelnd zwar aber gerade noch vorstellen.

Ein Ereignis dieser Art würde aber unser vorher angehäuftes Wissen über Stahl nicht ungültig machen, sondern nur ergänzen.

Myron hat geschrieben:oder dass ein unsichtbarer Geist mit übernatürlichen Fähigkeiten (Gott?) für diesen einen Moment dein Schmerzempfinden ausschaltet, oder dass du in diesem Moment so schnell bewusstlos wirst, dass du keinen Schmerz spürst. Kannst du diese und ähnliche Möglichkeiten wirklich 100%ig ausschließen?

Ein schönes Deus-ex-machina-Argument. :mg:

Ich lade euch zu einem Hammer-Wettbewerb ein: Gewinner ist der, der sich als erster mit dem Hammer auf den Finger schlägt, weil die Wirklichkeit doch nur eine Illusion ist und tausenderlei Gründe angeführt werden können, warum es nicht weh tun könnte. Will jemand?

Wie hat jemand mal gesagt - ich nenne keinen Namen: "Wenn die Wirklichkeit eine Illusion ist, dann ist sie eine sehr hartnäckige."
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon Myron » Fr 18. Jun 2010, 16:21

darwin upheaval hat geschrieben:…Oder das Wissen, wie man ein Fahrzeug steuert. Zu behaupten, das Wissen, wie man Französisch spricht oder Auto fährt, sei kein Wissen, weil es keine ontologische Entsprechung von Motorik und Grammatik gibt, ist eine restringierte und offenkundig unbrauchbare Position.


Ich habe mich hier nur auf Wissen-dass und nicht auf Wissen-wie bezogen, d.h. ausschließlich auf Aussagen-/Tatsachenwissen (propositional knowledge) und nicht auf Verhaltens-/Handlungswissen.
Ich dachte, das wäre klar.

darwin upheaval hat geschrieben:Wenn wir also schon über "Offensichtliches" reden, dann bitte auch darüber, dass Dein "traditioneller" Wissensbegriff dem Lernen und Lehren an Schulen und Universitäten, die immer mit der Aneignung von Wissen verbunden ist, nicht gerecht wird.


…beziehungsweise mit der Aneignung von als Wissen geltendem Glauben.

darwin upheaval hat geschrieben:Lernen garantiert freilich nicht, dass das erlernte Wissen auch korrekt ist. Im Theologie-Studium eigne ich mir durchaus eine Menge illusionären Wissens an, wenn auch nicht ausschließlich.


Was sich die Theologie-Studenten an Wissen aneignen, ist religionswissenschaftliches Wissen über die theologische Dogmatik. Wer diese bestens kennt, weiß natürlich noch lange nicht, ob sie der Wahrheit entspricht.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon El Schwalmo » Fr 18. Jun 2010, 16:30

darwin upheaval hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:wahlweise hättest Du auch meine Frage beantworten können.


Myron und sein Claqueur im Hintergrund. Ich könnte auch sagen, der, der einstalkt.

sagt, der, der ad personam geht, weil ihm die Argumente fehlen.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon El Schwalmo » Fr 18. Jun 2010, 16:51

smalonius hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Du weißt das erst nach dem Erdbeben, ...

Ich hätte ein prägnanteres Beispiel liefern sollen. :ops: Eins bei dem man das Ergebnis schon vorher weiß. So eins:

Ein Trabbi wird auf zweihundert beschleunigt und dann gegen einen Betonblock gefahren.

Wie sehr beeindruckt der Trabbi den Betonblock? Und wie sehr beeindruckt der Betonblock den Trabbi?

Noch Fragen?

nein, schon seit vielen Jahren nicht. Auch in diesem Thread habe ich meinen Stanpunkt hoffentlich deutlich gemacht.

smalonius hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:und das ist in etwa der Grund, warum Darwin Upheaval und ich 'Wissen' in den Naturwissenschaften entweder als fallibel definieren oder auf den Begriff verzichten könnten.

Das kommt daher, weil ihr bei Wissen immer an Wissen in vorderster Forschungs-Front denkt, an Wissen bis auf die letzte Dezimalstelle. Man kann ganz bescheiden das eine oder andere wissen - und trotzdem im Unklaren sein, was die Welt im Innersten zusammenhält.

Aber wer würde noch an Daltons relativen Atomgewichten zweifeln oder, wie oben erwähnt, an Plattentektonik?

Ich denke nicht an Wissen in vorderster Forschungs-Front, sondern daran, was mich die Geschichte der Naturwissenschaften gelehrt hat. Ich habe viele Bücher gelesen, die älter sind als wir beide zusammen, und in denen von gesicherten Tatsachen gesprochen wurde, die sich heute als falsch erwiesen haben. Kann sein, dass in 50 Jahren Dinge, die heute als geklärt gelten, vollkommen anders erklärt werden.

smalonius hat geschrieben:RE: ALTER DER ERDE

Es sieht also aus, als sei die Erde bis zu 150 Mio. Jahre älter als gedacht.

Meines Wissens eher jünger.

smalonius hat geschrieben:Unser Physiklehrer hat immer gesagt: "wenn ihr ein Meßergebnis gebt oder lest, denkt immer daran, daß die letzte Stelle unsicher ist."

Schau Dir das aktuelle Beispiel an. Da ging es nicht um eine Stelle hinter dem Komma, sondern darum, dass man nun etwas weiß, was man vorher nicht wusste.

smalonius hat geschrieben:Demnach wäre die Aussage, die Erde ist 4,3 Mrd. Jahre alt, immer noch richtig. Wer das Alter der Erde übereifrig mit 4,357 Mrd. Jahren angegeben hat, sieht jetzt alt aus.

Woher hast Du die Angabe 4,3 Mia a?

smalonius hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Das mit den Parallelen zeigt nur, dass man sich verschiedene Modelle basteln kann, die Frage ist, ob sie auf die Wirklichkeit 'passen' und dann bist Du bei der Frage, die Myron gestellt hat.

Die Antwort ist ausweichend.

Nein.

smalonius hat geschrieben:Myron sagte: "Wenn ich weiß, dass p falsch ist, dann weiß ich zugleich, dass ~p wahr ist."
Ich sagte: p = "Parallelen schneiden sich nie"
Offensichtlich ist mein p wahr. Mein -p ist auch wahr.
Damit ist Myrons Aussage durch Gegenbeispiel widerlegt.

Ich vermute, dass Du Dir das noch einmal genauer durch den Kopf gehen lassen solltest, vor allem unter dem Aspekt, den Myron angesprochen hat ('Platonismus').

smalonius hat geschrieben:Unausgesprochen behauptest du, daß Wahrheit und "Wissen" in der Mathematik anders zu verstehen ist, als in der physischen Wirklichkeit.

Nein, das behaupte ich explitzie ('Vico-Axiom').

smalonius hat geschrieben:Myron macht diese Unterscheidung nicht. Er trennt nicht zwischen mathematischen und naturwissenschaftlichen Aussagen, was ihn zum Schluß kommen läßt, Mathematik sei "falsch", weil sie nicht "existiert".

Dazu sollte Myron etwas sagen.

Mein Punkt ist, dass Mathematik (und Logik) ein Bereich sind, Naturwissenschaften ein anderer, und die Frage, wie beide Bereiche zusammenhängen das interessante Problem. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, in denen die Elementarteilchenphysik im Umbruch war. Die Ergebnisse von Experimenten zwangen die Forscher oft zur Wahl, welches als gültig geltende 'Gesetz' sie opfern wollten. Interessant war auch das Wechselspiel zwischen theoretischer und praktischer Physik. Angenommen, es gäbe einen Platonismus. Dann könnte man durch 'reine Mathematik' physikalische Erkenntnisse gewinnen. Falls nicht, könnte es immer noch sein, dass man durch die Struktur einer mathematischen Modellierung weitere Erkentnisse erhält, aber die müssten dann immer empirisch geprüft werden. Im ersten Fall hätte die Mathematik den Primat, in zweiten die Empirie. Ich persönlich tendiere zur Empirie.

Vielleicht ein Beispiel:

1 + 1 = 2

ist trivial, wenn man '1', '+', '=' und '2' im üblichen Sinne verwendet.

Wenn man '1' aber als konkrete Entität fasst, muss '2' nicht zwei konkrete Entitäten bedeuten. Falls '1' eine Stoffportion bezeichnet, die mehr als 50 Prozent der kritischen Masse ausmacht, sind '2' durchaus ein Umschlag von Quantität in Qualität. Selbst wenn fast in 100 Prozent der Fälle die Modellierung 1 + 1 = 2 gilt, so gibt es doch Ausnahmen, und die sind dann das Problem, wenn man 'Wissen' zu 'zeitkerniger Geltung' sagt. Das muss nicht mal für die Praxis relevant sein.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon Myron » Fr 18. Jun 2010, 17:25

darwin upheaval hat geschrieben:Selbstverständlich sind Zahlen und mathematische Terme fiktiv. Aber das tangiert den Wissens-Begriff nicht, weil der weder Wahrheit noch die reale Existenz des Gewussten voraussetzt, sondern einen Denk- bzw. Lernprozess.


Du scheinst zu denken, dass aus "X hat gelernt, dass A" "X weiß, dass A" folgt.
Doch das ist nur dann der Fall, wenn das Gelernte wirklich wahr ist.
Wenn der Lehrer unwissentlich Unwahrheiten an seine Schüler weitergibt, dann vermittelt er kein Wissen, auch kein falsches, sondern falsches Glauben, dessen Falschheit unerkannt ist.

darwin upheaval hat geschrieben:Im übrigen ist für die Wahrheit von Aussagen in der Mathematik die Kohärenz, nicht die Korrespondenz zwischen Faktum und Aussage ausschlaggebend.


Wenn man die Mathematik formalistisch oder deduktivistisch interpretiert, dann sind in der Tat logische Kohärenzkriterien wie Widerspruchsfreiheit und Ableitbarkeit maßgeblich.

"Like term formalism, game formalism either solves or sidesteps difficult metaphysical and epistemological problems with mathematics. What is mathematics about? Nothing. What are numbers, sets, and so on. They do not exist, or they might as well not exist. How is mathematics known? What is mathematical knowledge? It is knowledge of the rules of the game, or knowledge that certain moves that accord with these rules have been made. The equation '2^10 = 1024' and the theorem that for every natural number x there is a prime number y > x (in symbols, AxEy(y > x & y is prime)) each indicate the outcome of a certain play in accordance with the rules of arithmetic."
(p. 145)

"Like the game formalist, our deductivist proposes clean answers to philosophical questions. What is mathematics about? Nothing, or it can be regarded as about nothing. What is mathematical knowledge? It is knowledge of what follows from what. Mathematical knowledge is logical knowledge. How is a branch of mathematics applied? By finding interpretations that make its axioms true."
(p. 150)

(Shapiro, Stewart. Thinking about Mathematics: The Philosophy of Mathematics. Oxford: Oxford University Press, 2000.)

P.S.:
Auch hier gilt übrigens: Wenn X weiß, dass B aus A folgt, dann folgt B aus A; und wenn X weiß, dass "B folgt aus A" wahr ist, dann ist "B folgt aus A" wahr.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon Myron » Fr 18. Jun 2010, 17:43

darwin upheaval hat geschrieben:Genau hier gerät Dein Wissens-Begriff in Kalamitäten. Smalonius hatte es angedeutet: Der Wahrheitswert faktischer Theorien liegt meist irgendwo zwischen 0 und 1. In manchen Fällen ist der Wahrheitswert sogar kontextabhängig. Schlechte Karten für einen Wissensbegriff, der einen absoluten Wahrheitswert von exakt 1 voraussetzt.


Ich bin überhaupt kein Experte auf diesem diffizilen logischen Gebiet, aber gerade im Zusammenhang mit der epistemischen Logik und der Epistemologie erscheint mir die Einführung von Wahrheitsgraden aus dem Intervall [0,1] doch ziemlich problematisch.

"One might, perhaps, think that the mere existence of many-valued logics shows that there exist infinitely, in fact, uncountably many truth values. However, this is not at all clear (…)."

(http://plato.stanford.edu/entries/truth-values)

Aus dem bloßen Vorhandensein mehrwertiger Alternativlogiken wie der Fuzzy Logic folgt nicht, dass sie generell "realitätsadäquater" sind als die klassische Logik.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon Myron » Fr 18. Jun 2010, 18:02

darwin upheaval hat geschrieben:Da ich einen gemäßigten Konstruktivismus vertrete, ist mir Dein Vorschlag gar nicht unsympathisch. Wissen wird mental konstruiert.


Du kannst deine Gedanken bauen, wie du willst—nur wahr machen kannst du sie nicht selber.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon Myron » Fr 18. Jun 2010, 18:12

darwin upheaval hat geschrieben:Allerdings ist knapp vorbei auch daneben.


Meine Rede!

darwin upheaval hat geschrieben:Wenn man Wissen als "true justified belief" definiert, dann liefert Newtons Theorie genauso wenig "Wissen" wie die Hohlwelttheorie.


Zum letzten Mal: Die Herausnahme des Merkmals der Wahrheit aus dem Wissensbegriff ist sinnentstellend.

"There is a general agreement among epistemologists on two basic conditions, with disagreements on what further conditions are required. The core of agreement is that in order for a person to count as knowing that p, the person must at least believe that p, and it must be true that p."

(Huemer, Michael, ed. Epistemology: Contemporary Readings. Abingdon: Routledge, 2002. p. 435)
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon Myron » Fr 18. Jun 2010, 20:14

smalonius hat geschrieben:Myron sagte: "Wenn ich weiß, dass p falsch ist, dann weiß ich zugleich, dass ~p wahr ist."
Ich sagte: p = "Parallelen schneiden sich nie"
Offensichtlich ist mein p wahr. Mein -p ist auch wahr.
Damit ist Myrons Aussage durch Gegenbeispiel widerlegt.


??? Wenn sowohl p als auch ~p wahr ist, dann ist (p & ~p) wahr, was nicht sein kann. Folglich ist es nicht der Fall, dass sowohl p als auch ~p wahr ist.

smalonius hat geschrieben:Unausgesprochen behauptest du, daß Wahrheit und "Wissen" in der Mathematik anders zu verstehen ist, als in der physischen Wirklichkeit. Myron macht diese Unterscheidung nicht. Er trennt nicht zwischen mathematischen und naturwissenschaftlichen Aussagen, was ihn zum Schluß kommen läßt, Mathematik sei "falsch", weil sie nicht "existiert".


Die Existenz der Mathematik bezweifle ich nicht, sondern die Existenz abstrakter mathematischer Objekte.
Und mathematische Aussagen wie "3 ist ein Primzahl" und Aussagen wie "Helmut Kohl ist ein Politiker" sind in meinen Augen semantisch analog. Die Wahrheit der einen Aussage setzt die Existenz der Zahl 3 und die der anderen die Existenz Helmut Kohls voraus.

smalonius hat geschrieben:Dabei sind Unterscheidungen nach "Aussageklassen" nicht unüblich in der modernen Logik, zum Beispiel zwischen einer simplen Aussage und einer Aussage über eine Aussage.


Aussagen über Zahlen (z.B. 3) sind objektsprachliche Aussagen und Aussagen über Ziffern, d.i. Zahlzeichen (z.B. "3"), metasprachliche Aussagen.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon darwin upheaval » So 20. Jun 2010, 12:13

Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:…Oder das Wissen, wie man ein Fahrzeug steuert. Zu behaupten, das Wissen, wie man Französisch spricht oder Auto fährt, sei kein Wissen, weil es keine ontologische Entsprechung von Motorik und Grammatik gibt, ist eine restringierte und offenkundig unbrauchbare Position.


Ich habe mich hier nur auf Wissen-dass und nicht auf Wissen-wie bezogen, d.h. ausschließlich auf Aussagen-/Tatsachenwissen (propositional knowledge) und nicht auf Verhaltens-/Handlungswissen.
Ich dachte, das wäre klar.


Es geht um das Wissen im Allgemeinen. Und da spielt es keine Rolle, ob das, was gewusst wird, existiert, wahr ist, Handlungs- oder Faktenwissen ist. Wissen ist ein mentaler Prozess des Denkens, des gedanklichen Konstruierens und (Re-) Konstruierens.


Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Wenn wir also schon über "Offensichtliches" reden, dann bitte auch darüber, dass Dein "traditioneller" Wissensbegriff dem Lernen und Lehren an Schulen und Universitäten, die immer mit der Aneignung von Wissen verbunden ist, nicht gerecht wird.


…beziehungsweise mit der Aneignung von als Wissen geltendem Glauben.


Selbstverständlich kann man Glauben1 wissen und Wissen glauben2 (s. o.).


Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Lernen garantiert freilich nicht, dass das erlernte Wissen auch korrekt ist. Im Theologie-Studium eigne ich mir durchaus eine Menge illusionären Wissens an, wenn auch nicht ausschließlich.


Was sich die Theologie-Studenten an Wissen aneignen, ist religionswissenschaftliches Wissen über die theologische Dogmatik. Wer diese bestens kennt, weiß natürlich noch lange nicht, ob sie der Wahrheit entspricht.


Bingo! Und jetzt frag' Dich nochmal, ob Wissen unbedingt den Begriff der Wahrheit voraussetzt. (Im Englischen gibt es übrigens die Differenzierung zwischen "kennen" und "wissen" nicht, beides stammt vom selben Wortstamm ab: to know - the knowledge.) :winkgrin2:
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon darwin upheaval » So 20. Jun 2010, 12:23

Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Allerdings ist knapp vorbei auch daneben.


Meine Rede!

darwin upheaval hat geschrieben:Wenn man Wissen als "true justified belief" definiert, dann liefert Newtons Theorie genauso wenig "Wissen" wie die Hohlwelttheorie.


Zum letzten Mal: Die Herausnahme des Merkmals der Wahrheit aus dem Wissensbegriff ist sinnentstellend.


Bestimmst Du das jetzt per Order de mufti? Wo sind denn Deine Argumente?

Zur Information, ich habe Deine Position argumentativ ins Wanken gebracht. Du wollstest das "Wissen" der Newtonschen Theorie durch die Einführung des Begriffs der "Wahrheitsnähe" retten. Dann habe ich gezeigt, dass daraus folgen würde, dass es dann auch partiell falsches Wissen gäbe. Damit wäre Deine Definition obsolet. Oder Du stimmst mir zu, dass Newtons Theorie genauso wenig "Wissen" liefert wie die Hohlwelttheorie. Du hast die Wahl.


Myron hat geschrieben:"There is a general agreement among epistemologists on two basic conditions, with disagreements on what further conditions are required. The core of agreement is that in order for a person to count as knowing that p, the person must at least believe that p, and it must be true that p."

(Huemer, Michael, ed. Epistemology: Contemporary Readings. Abingdon: Routledge, 2002. p. 435)


Okay, Du hisst die weiße Flagge. Das kann man natürlich machen. Aber bitte das "general agreement" nicht mit einem Argument verwechseln.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon darwin upheaval » So 20. Jun 2010, 12:29

Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Da ich einen gemäßigten Konstruktivismus vertrete, ist mir Dein Vorschlag gar nicht unsympathisch. Wissen wird mental konstruiert.


Du kannst deine Gedanken bauen, wie du willst—nur wahr machen kannst du sie nicht selber.


Jetzt musst Du mir nur noch nachweisen, dass ich das irgendwo behauptet habe.

Zum letzten Mal, der Wissensbegriff ist nach Bunges Definition nicht an den Begriff der Wahrheit geknüpft. So lange Du mir falsche Prämissen unterstellst, kann kein Dialog zustande kommen.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon darwin upheaval » So 20. Jun 2010, 12:39

Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Genau hier gerät Dein Wissens-Begriff in Kalamitäten. Smalonius hatte es angedeutet: Der Wahrheitswert faktischer Theorien liegt meist irgendwo zwischen 0 und 1. In manchen Fällen ist der Wahrheitswert sogar kontextabhängig. Schlechte Karten für einen Wissensbegriff, der einen absoluten Wahrheitswert von exakt 1 voraussetzt.


Ich bin überhaupt kein Experte auf diesem diffizilen logischen Gebiet, aber gerade im Zusammenhang mit der epistemischen Logik und der Epistemologie erscheint mir die Einführung von Wahrheitsgraden aus dem Intervall [0,1] doch ziemlich problematisch.

"One might, perhaps, think that the mere existence of many-valued logics shows that there exist infinitely, in fact, uncountably many truth values. However, this is not at all clear (…)."

(http://plato.stanford.edu/entries/truth-values)

Aus dem bloßen Vorhandensein mehrwertiger Alternativlogiken wie der Fuzzy Logic folgt nicht, dass sie generell "realitätsadäquater" sind als die klassische Logik.


Wir sprechen über das Wissen der faktischen Wissenschaften. Da gibt es den Begriff der partiellen Wahrheit. Damit ist gemeint, dass die Theorie mit einigen Fakten korrespondiert, mit anderen nicht. Die Newtonsche Theorie ist wahr, wenn sie makroskopische Objekte beschreibt und falsch, wenn sie Quantenobjekte beschreiben soll. Da also Theorien weder absolut wahr (1) noch absolut falsch (0) sind, noch beides zugleich sein können, liegt folglich der Wahrheitsgehalt irgendwo zwischen 0 und 1. Daran sehe ich überhaupt nichts Problematisches, im Gegenteil.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon Myron » So 20. Jun 2010, 21:31

darwin upheaval hat geschrieben:Es geht um das Wissen im Allgemeinen.
Und da spielt es keine Rolle, ob das, was gewusst wird, existiert, wahr ist, Handlungs- oder Faktenwissen ist. Wissen ist ein mentaler Prozess des Denkens, des gedanklichen Konstruierens und (Re-) Konstruierens.


Dass es unterschiedliche Arten von Wissen gibt, muss schon berücksichtigt werden.
Was das Tatsachenwissen anbelangt, so kann man zwar Sachverhalte gedanklich "konstruieren" und an deren Tatsächlichkeit glauben, aber ob sie tatsächlich bestehen, hängt nicht von mir und meinem Denken ab.
Fehlbares Wissen ist immer zu einem gewissen Teil Glückssache. (Nur bei unfehlbarem Wissen ist kein Erkenntnisglück [epistemic luck] im Spiel.)

darwin upheaval hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Was sich die Theologie-Studenten an Wissen aneignen, ist religionswissenschaftliches Wissen über die theologische Dogmatik. Wer diese bestens kennt, weiß natürlich noch lange nicht, ob sie der Wahrheit entspricht.

Bingo! Und jetzt frag' Dich nochmal, ob Wissen unbedingt den Begriff der Wahrheit voraussetzt.


Es ist zu unterscheiden zwischen "X weiß, dass A" und "X weiß, dass—der Sage nach—A". Jeder Behauptungszusammenhang ist eine "Sage": religiöse Mythen, philosophische Ismen, wissenschaftliche Theorien. Um wissen zu können, dass—der Sage nach—A, muss A natürlich nicht wahr sein. Aber auch dies ist kein falsches Wissen, da es ja wahr ist, dass—der Sage nach—A. Es ist der "Theismus" genannten Sage nach wahr, dass Gott existiert; aber ob es wahr ist, dass Gott existiert, ist damit freilich noch nicht beantwortet.

darwin upheaval hat geschrieben:(Im Englischen gibt es übrigens die Differenzierung zwischen "kennen" und "wissen" nicht, beides stammt vom selben Wortstamm ab: to know - the knowledge.)


Wenn im Englischen "to know" mit direktem Objekt verwendet wird (also nicht "to know that", sondern "to know sth/sb"), dann spricht man von "knowledge by acquaintance" (im Gegensatz zu "knowledge by description"), was man mit "Wissen durch (direkte) Bekanntschaft" übersetzen kann. Ich kann zum Beispiel dank eines Reiseführers eine Menge Beschreibungswissen über Peking besitzen, ohne jemals dort gewesen zu sein; aber ich kann kein Bekanntschaftswissen über Peking besitzen, ohne jemals persönlich dort gewesen zu sein. Bekannschaftswissen ist also "Wissen aus erster Hand", während Beschreibungswissen "Wissen aus zweiter Hand" ist.
(http://plato.stanford.edu/entries/knowl ... aindescrip)
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon Myron » So 20. Jun 2010, 22:05

darwin upheaval hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Zum letzten Mal: Die Herausnahme des Merkmals der Wahrheit aus dem Wissensbegriff ist sinnentstellend.

Bestimmst Du das jetzt per Order de mufti? Wo sind denn Deine Argumente?


Ich habe das Folgende bereits zitiert, aber ich zitiere es noch einmal, weil es ein entscheidender Punkt ist:

"[Y]ou can only speak of 'knowledge' if the thing said to be known is in fact the case. If it is not the case, then it is a semantic rule of English that the cognitive attitude involved is not to be called 'knowledge'. The word has a demand for truth built into its meaning, just as 'vixen' has a demand for female nature built into its meaning."

(Armstrong, D. M. Belief, Truth and Knowledge. Cambridge: Cambridge University Press, 1973. p. 138)

darwin upheaval hat geschrieben:Zur Information, ich habe Deine Position argumentativ ins Wanken gebracht. Du wollstest das "Wissen" der Newtonschen Theorie durch die Einführung des Begriffs der "Wahrheitsnähe" retten.


Das ist zunächst nicht mehr als "handwaving" meinerseits, also eine oberflächliche Überlegung.

darwin upheaval hat geschrieben:Dann habe ich gezeigt, dass daraus folgen würde, dass es dann auch partiell falsches Wissen gäbe. Damit wäre Deine Definition obsolet. Oder Du stimmst mir zu, dass Newtons Theorie genauso wenig "Wissen" liefert wie die Hohlwelttheorie. Du hast die Wahl.


Eine falsche Theorie bleibt falsch, auch wenn sie "der Wahrheit näher steht" als andere falsche Theorien.
Wenn es der falschen Newton'schen Theorie nach wahr ist, dass A, dann wissen wir nicht, dass A.
Wenn man nun sagt, sie sei zwar nicht wahr, aber doch wahrheitsnah und damit besser als andere falsche Theorien, dann stellt sich allerdings in der Tat die Frage, inwiefern eine unwahre Theorie dennoch als eine gute und nützliche Theorie gelten kann.

darwin upheaval hat geschrieben:Okay, Du hisst die weiße Flagge. Das kann man natürlich machen. Aber bitte das "general agreement" nicht mit einem Argument verwechseln.


Wenn die darwinistische Evolutionstheorie angegriffen wird, berufst du dich dann etwa nicht u.a. auf ein "general agreement" oder einen "nearly universal consent" unter den Biologen?
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