Natürlich und zufrieden?

Natürlich und zufrieden?

Beitragvon stine » Mo 6. Sep 2010, 20:39

Vorweg: Ich weiß nicht, ob dieses Thema hier richtig ist, aber ich versuch mal zu erklären, was mich derzeit beschäftigt.

Jugend im Abseits, könnte man es im weitesten Sinne bezeichnen.
Wer null Bock auf Bildung hat, keine Lehrstelle annehmen möchte und sich der Gesellschaft verweigert wird als Außenseiter betrachtet und entsprechend behandelt. Kommen noch Alkohol und Drogen hinzu, ist das "misslungene" Leben vorprogrammiert.
Ich frage mich, was ist der Motor für solches Verhalten? Was ist falsch gelaufen? Oder ist gar nichts falsch gelaufen und wir haben nur ein falsches Bild davon, wie man sein muss? Wie man funktionieren muss?

Schaut man sich mal genauer an, mit was auffällige Jugendliche zu begeistern sind, dann ist das vor allem das Held sein. Sie wollen stark sein, sie wollen sich gegenseitig was vormachen, sich beweisen, buhlen, kämpfen, sie erstreben eine körperliche Rangordnung, sie wollen sich messen.
Wer es sich leisten kann, tobt sich am Computer aus, Spiele dazu gibt es zuhauf. Wer sich das nicht leisten kann, tobt sich auf der Straße aus und pöbelt herum oder begeht sogar im schlimmsten Fall eine Straftat.

Sind wir als Gesellschaft in unserem Leistungsdenken zu abstrakt geworden? Sind wir zu Kopfmenschen geworden, die sich nicht mehr vorstellen können, dass es auch noch körperliches Messen gibt? Könnte Sport ein Ersatz sein?
Wie kann man die geballte Manpower zwischen 16 und 26 in gesellschaftsgefällige Bahnen lenken?

Der Ruf nach besserer Bildung ist mE ein politisches Ablenkungsmanöver, weil die so Orientierten sich bereits in den unteren Klassen verweigern. Sie könnten allenfalls auf dem zweiten Bildungsweg erfolgreich werden, wenn sie sich ihre Hörner abgestossen haben.

Eigentlich würde ich gerne fragen, ob wir mit unseren gesellschaftlichen Leistungsansprüchen nicht das natürliche Sein des Menschen total unterbuttern und die Leistungsverweigerung nicht ein Aufbäumen dagegen darstellt das ganz klar die Grenzen absteckt, bis hierher und nicht weiter, eine Grenze, die wir ernster nehmen sollten, als nur hohe Strafen für Fehltritte zu verhängen?
Und wie kann das gehen?
Was müssten wir tun, außer das Korsett der Bildung noch enger zu schnüren?

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Re: Natürlich und zufrieden?

Beitragvon stine » Di 7. Sep 2010, 09:36

Vielleicht müsste es wieder mehr Schulen für sogenannte "schwer erziehbare" Kinder geben und vielleicht sollten die Lehrer an solchen Schulen aus der Mitte dieser Schüler kommen und nicht von außen hineingetragen werden. Die Bewerbung für solche Stelle muss im Lebenslauf diesen Schulbesuch vorweisen. Keine Theoretiker an solche empfindlichen Knotenpunkte, die die Szene nur vom Hörensagen kennen.
(So wie es sogenannte Orchideenfächer (Keltologie, Tibetologie, Sorabistik... ) an den Universitäteten gibt, die vermutlich auch nur dazu dienen, später der einzige Professor für solchen Lehrstuhl zu werden).

Wer versteht das Problem besser, als einer aus den eigenen Reihen und zudem hätte es den Vorteil der Motivation, da es wieder richtige Perspektiven für die so Geschulten gäbe. Die Perspektivlosigkeit halte ich für das größte Übel.
Aus unserem jetzigen Bildungssystem werden die musischen Fächer und der Sport zugunsten abstrakter Lernfächer immer mehr herausgekürzt. Sicher ist auch das ein Fehler. Körperliche Aktivitäten und das Messen untereinander bleibt der unorganisierten Freizeit überlassen.

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Re: Natürlich und zufrieden?

Beitragvon Bionic » Di 7. Sep 2010, 10:02

stine hat geschrieben:Eigentlich würde ich gerne fragen, ob wir mit unseren gesellschaftlichen Leistungsansprüchen nicht das natürliche Sein des Menschen total unterbuttern und die Leistungsverweigerung nicht ein Aufbäumen dagegen darstellt das ganz klar die Grenzen absteckt, bis hierher und nicht weiter, eine Grenze, die wir ernster nehmen sollten, als nur hohe Strafen für Fehltritte zu verhängen?
Und wie kann das gehen?

Ja sicher sind viele Leistungsansprüche zu hoch. Ich weiß allerdings auch nicht genau, auf was du hinaus willst.
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Re: Natürlich und zufrieden?

Beitragvon musicman » Di 7. Sep 2010, 10:08

stine hat geschrieben:Aus unserem jetzigen Bildungssystem werden die musischen Fächer und der Sport zugunsten abstrakter Lernfächer immer mehr herausgekürzt. Sicher ist auch das ein Fehler. Körperliche Aktivitäten und das Messen untereinander bleibt der unorganisierten Freizeit überlassen.

LG stine


Das ist ja putzig, jetzt antwortest Du dir schon selbst. :wink:

Spaß beiseite, das mit dem Sportunterricht ist ein gutes Thema.
Ich betreue in meiner Freizeit einige Kids und Jugendliche mit sagen wir mal schwierigem Hintergrund, die wir mit viel Mühe in den Verein holen konnten (Fußball, Tennis, Leichtathletik ) und da hatte ich zu Ende des Schuljahres ein depriemirendes Erlebnis.
Einer von denen, 14 Jahre alt ist ein Spitzentalent, man hat die Qual der Wahl in welchem Bereich man ihn spzeziell fördern soll. Er läuft die 100m in 10,8, Weitsprung 6,70 im Fußball ein kleiner Özil und seine Rückhand ist ein Traum.
So, der bekam im Zeugnis in Sport eine 4 und ich dachte, das kann nicht sein, es muß sich um ein Mißverständnis handeln und ging zum Lehrer. Der erklärte mir dann, daß die Note in Sport nicht aus sportlichen Leistungen resultiert, sonder aus der sozialen Kompetenz und daß es damit bei ihm nicht zum Besten bestellt sei.
Klar, daran arbeiten wir ja, deshalb kümmert man sich um ihn, aber jetzt verwehrt man ihm da, wo er wirklich Leistung bringt (bringen kann)
diese zu honorieren und das kann es nicht sein, das ist für ihn ein klares Signal, egal wie er sich anstrengt er ist ein Looser. Es war jetzt kein Leichtes, den Jungen wieder zu motivieren und wenn ich dem Lehrer mal allein begegne- Ok lassen wir das.

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Re: Natürlich und zufrieden?

Beitragvon stine » Di 7. Sep 2010, 10:15

Bionic hat geschrieben:Ja sicher sind viele Leistungsansprüche zu hoch. Ich weiß allerdings auch nicht genau, auf was du hinaus willst.

Ich möchte die Welt verbessern, was sonst!

:kg:

@musicman: Genau das ist es: Wir müssten als Gesellschaft die Leistungen anerkennen, die jemand im Stande ist zu erbringen. Nicht mehr und nicht weniger! Auch im Gymnasium wird die Sportnote aus theoretischem Wissen und Leistung zusammengesetzt, das ist wahrscheinlich notwendig, weil es sich beim Abitur um ein "Vollreifezeugnis" handelt, das beide Aspekte bewertet. An der Haupt- oder Realschule ist das aber eventuell gar nicht notwendig und eine zusätzliche Schikane. Da die Sozialnote ja sowieso eine Einzelnote ist.
Was das soziale Verhalten angeht - naja, da sind eben die Lehrer gefordert, aber leider meistens überfordert.

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Re: Natürlich und zufrieden?

Beitragvon Bionic » Di 7. Sep 2010, 10:20

stine hat geschrieben:Ich möchte die Welt verbessern, was sonst!

Ja das ist ja ok, aber was genau meinst du ist an unserem Leistungsanspruch übertrieben?
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Re: Natürlich und zufrieden?

Beitragvon stine » Di 7. Sep 2010, 10:22

Er ist zu abstrakt!
Daher für viele nicht nachvollziehbar.
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Re: Natürlich und zufrieden?

Beitragvon Bionic » Di 7. Sep 2010, 10:34

Ja, aber inwiefern genau?
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Re: Natürlich und zufrieden?

Beitragvon Arathas » Di 7. Sep 2010, 10:50

Meine Gedanken zu dem Thema:

- Ja, die Welt ist unglaublich schnell und hektisch geworden im Gegensatz zu vor 100 Jahren
- Ja, die Welt ist nicht mehr das, was man als "natürlichen Lebensraum" eines Menschen bezeichnen könnte
- Ja, überhaupt gibt es wenig "Natürliches" mehr - Synthetik überall, selbst im Essen

Die Liste kann man noch beliebig und problemlos erweitern.

Was ich aber auch denke: Der Mensch ist ein sehr komplexes Gewohnheits- und Anpassungstier, zumindest, wenn er etwas von Geburt an mitbekommt und erfährt. Unsere nicht allzu hohe Lebenserwartung sorgt dafür, dass wir nicht zu sehr an der sich verändernden Welt verzweifeln. Würden Menschen 200 Jahre alt werden, gäb's sicherlich viel größere Anpassungsprobleme. Steck einen Menschen aus dem Jahr 1910 (der sich da schon dran gewöhnt hatte) ins Jahr 2010, und er wird vermutlich daran zugrunde gehen, weil wirklich alles anders ist. Aber da Menschen eben recht zeitig draufgehen und die nächste Generation mit den "Veränderungen" aufwächst, so dass es für sie überhaupt keine Veränderungen sind, sondern der Status Quo, halte ich das Problem gar nicht so sehr für ein Problem.

Egal, inwiefern und wie krass sich unsere Gesellschaft verändert, es werden immer nur die "Alten" (also wir, stine. Ich zähle mich auch schon dazu. Mit 31 Jährchen) die Veränderung überhaupt als Veränderung sehen. Unser komplexer und anpassungsfähiger Verstand wird dafür sorgen, dass unsere Kinder immer (und auch besser als die Erwachsenen) mit den Veränderungen klar kommen. Für ein Kind, das in der heutigen Zeit aufwächst, ist alles, was für uns unnatürlich scheint, der Normalzustand.
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Re: Natürlich und zufrieden?

Beitragvon Klaus » Di 7. Sep 2010, 15:32

Arathras hat geschrieben:Ja, die Welt ist unglaublich schnell und hektisch geworden im Gegensatz zu vor 100 Jahren


Ich hätte nicht gedacht, dass du so alt bist.
Ich kann dass so nicht bestätigen. Meine Oma hat mal zu mir gesagt, da war sie 80, sinngemäß, wir waren auch verrückt und haben gemacht was wir wollten, vielleicht nicht so offen, aber die Unterschiede ihrer Jugend zu heute, seinen nicht sehr groß gewesen.
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Re: Natürlich und zufrieden?

Beitragvon Zappa » Di 7. Sep 2010, 16:02

musicman hat geschrieben:So, der bekam im Zeugnis in Sport eine 4 und ich dachte, das kann nicht sein, es muß sich um ein Mißverständnis handeln und ging zum Lehrer. Der erklärte mir dann, daß die Note in Sport nicht aus sportlichen Leistungen resultiert, sonder aus der sozialen Kompetenz und daß es damit bei ihm nicht zum Besten bestellt sei.


So einen dämlichen Stuss können sich auch nur unsere Pädagogen ausdenke - gilt das auch für die Mathenote :irre:

Man kann ihm ja eine 2 geben und sagen nur mit mehr sozialer Kompetenz bekäme er eine 1 (von wegen Mannschaftssportart und so).

In diesem Zusammenhang ist übrigens sehr interessant, dass sich (MemMih) Menschen mit Migrationshintergrund in Leistungssportarten offenbar wesentlich besser durchsetzen können, als in einigen anderen gesellschaftlichen Gebieten. Hier zählt halt nur die Leistung und nicht irgendwelche aufgestülpten Konzepte.
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Re: Natürlich und zufrieden?

Beitragvon stine » Di 7. Sep 2010, 19:13

Arathas hat geschrieben:Der Mensch ist ein sehr komplexes Gewohnheits- und Anpassungstier, zumindest, wenn er etwas von Geburt an mitbekommt und erfährt.
Aber offensichtlich nicht alle, bzw passen sie sich nicht alle an die selben Umstände und Vorgaben an. Entweder weil sie nicht wollen oder weil sie nicht können.

Arathas hat geschrieben:(also wir, stine. Ich zähle mich auch schon dazu. Mit 31 Jährchen)
Du wirst lachen, aber mir macht die Veränderung unserer Gesellschaft weniger aus, als manchem jüngeren Zeitgenossen. :wink:

Meine Gedanken gehen dahin, ob wir nicht alle zufriedener wären, wenn wir unseren Fähigkeiten und Begabungen mehr freien Lauf lassen könnten. Das Integrationsthema ist da in ganz besonderer Weise ein Aufhänger, weil sich wahrscheinlich nicht integrieren lässt, was sich nicht integrieren kann. Man wird zur Kenntnis nehmen müssen, dass es unterschiedliche Bevölkerungsgruppen oder Temperamente gibt, die völlig andere Fähigkeiten und Fertigkeiten mitbringen, als dass man sie allesamt dazu zwingen könnte, am Schreibtisch still zu sitzen und lediglich den Kopf arbeiten zu lassen.
Vielleicht wäre hier das Handwerk wieder im Vormarsch, wenn man entsprechende Ausbildungsplätze schaffen könnte. Ich denke da zB an einen Schuster oder Schneider, an Goldschmied oder Spezialwerkzeugmacher, was halt in einer gut durchwachsenen Innenstadt so alles zu finden ist. Vielleicht muss man sich mal am Bosporus umschauen, mit was sich da die kleinen Geschäfte so durchschlagen.
Mit der kulinarischen Vielfalt klappt das doch auch...

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Re: Natürlich und zufrieden?

Beitragvon Arathas » Mi 8. Sep 2010, 10:00

stine hat geschrieben:Meine Gedanken gehen dahin, ob wir nicht alle zufriedener wären, wenn wir unseren Fähigkeiten und Begabungen mehr freien Lauf lassen könnten.


Na, auf jeden Fall. Ganz, ganz sicher. Aber wir sind heutzutage ja bereits auf einem Stand (zumindest in der westlichen Welt), der uns ermöglicht, unsere Fähigkeiten und Begabungen besser auszuleben, als das den Menschen in so ziemlich allen vergangenen Zeiten möglich war. Soviel Freizeit (und damit Zeit, unseren Hobbies nachzugehen) hatte (glaube ich) keine Generation zuvor.

Das Problem mit der mangelnden Zufriedenheit dürfte mitunter dann auch genau daran liegen: An zuviel Freizeit. Weil eben viele Menschen in Langeweile versumpfen, statt ihren Begabungen freien Lauf zu lassen. Wenn jemand in früheren Zeiten 90 % seiner wachen Zeit (oder mehr) damit verbringen musste, für seinen Lebensunterhalt zu ackern, dann blieb da gar nicht viel Zeit, unglücklich zu sein oder sich viele Gedanken zu machen ...
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Re: Natürlich und zufrieden?

Beitragvon laie » Mi 8. Sep 2010, 11:09

Arathas hat geschrieben:Das Problem mit der mangelnden Zufriedenheit dürfte mitunter dann auch genau daran liegen: An zuviel Freizeit. Weil eben viele Menschen in Langeweile versumpfen, statt ihren Begabungen freien Lauf zu lassen. Wenn jemand in früheren Zeiten 90 % seiner wachen Zeit (oder mehr) damit verbringen musste, für seinen Lebensunterhalt zu ackern, dann blieb da gar nicht viel Zeit, unglücklich zu sein oder sich viele Gedanken zu machen ...


Ganz recht. Das erinnert mich an einen Ausspruch von Hannah Arendt, die sinngemäß gesagt hat, "wenn die materiellen Bedürfnisse erst einmal befriedigt sind, kommen die echten Probleme"
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Re: Natürlich und zufrieden?

Beitragvon laie » Mi 8. Sep 2010, 11:42

@Stine: Ich habe mir dein Eingangsposting angeschaut.

Tja, die manpower von 16 bis 26. Ich weiss ehrlich gesagt nicht, wie ich die heutige Zeit bewerten soll. Auf der einen Seite hat auch meine Oma in etwa dasgleiche gesagt wie die Oma von Klaus ("früher war's für die Jugend im wesentlichen so wie heute"). Auf der anderen Seite aber sehe ich doch Unterschiede wie meine Generation aufgewachsen ist und wie heute Kinder in Deutschland aufwachsen.

Vorweg: unsere Kinder kommen mit nichts auf die Welt, also ist der weitere Gang durch das vorgezeichnet, was sie in der Gesellschaft, in der sie hineingeboren werden, vorfinden. Und ich denke mal nicht, dass sich die Erbanlagen des Menschen in den letzten 20 Jahren allzu verändert haben.

Was ist das für eine Gesellschaft? Zuallererst fällt mir auf, wie schwer es für ein Kind ist, echte Freizeit mit anderen verbringen zu können. Freizeit meint heute viel zu oft: institutionalisierte Freizeit. Diese Freizeit wird im Hort, im Kindergarten, in irgendwelchen Einrichtungen verbracht. Versuchen sich Kinder direkt zu verabreden, dann heisst es: "Mein Sohn (oder Tochter) hat heute Termin bei (xyz)". Das Kind, welches nicht das Glück hat, an einer solchen institutionalisierten Freizeit teilzunehmen, vereinsamt ganz einfach und zieht sich in die Welt der Computerspiele zurück. Nur nebenbei: ich kenne keine Eltern, die nicht einen mehr oder weniger erfolglosen, dafür aber pausenlosen Kampf gegen das Computerspielen kämpfen.

Das alles sind freilich Klischees und persönliche Meinungen. Aber ich meine dennoch, dass hier ein Trend vorliegt. Dieser Trend erfährt so etwas wie seine Bestätigung durch die Abgabe von Ritalin, welches sich in den letzten 20 Jahren schätzungsweise verdreihundertfach hat:

http://www.welt.de/gesundheit/article2903082/ADHS-Abweichung-von-der-Norm-wird-zur-Stoerung.html hat geschrieben:Dem "Deutschen Ärzteblatt" zufolge stieg der Verbrauch von Methylphenidat - besser bekannt als das Psychopharmakon Ritalin - allein zwischen 1993 und 2001 von 34 auf 639 Kilo.


Als nächstes fällt der brutale, völlig gekünstelte Leistungsdruck auf. Jede Generation muss etwas leisten und leistet auch etwas, das muss man nicht eigens hervorheben. Heutzutage aber wird das Leistungsdenken bereits im Kindergarten an die Kleinen herangetragen. Und was sind das für Leistungen, die da als so furchtbar wichtig erachtet werden? Alles, jede Tätigkeit oder Handlung, die im Rahmen der o.g. institutionalisierten Freizeit begangen wird, wird unter dem Aspekt gesehen, ob sie mit der Gesellschaft, so wie sie gerade defniert wird, kompatibel ist. Ich möchte wirklich kein Kind mehr sein, nicht mehr in dieser Zeit.
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Re: Natürlich und zufrieden?

Beitragvon stine » Mi 8. Sep 2010, 13:26

@laie: Wie schön einen Sinnesgenossen gefunden zu haben!
Einerseits sind da die völlig alleingelassenen Kinder, um die sich niemand kümmert, die schlimmstenfalls noch gequält werden und anschließend verhungern und auf der anderen Seite die Kleinkinder mit Chinesisch-Unterricht, Geige und Ballett in den Pausen zwischen Kindergartenende und Abendbrot. (Um das mal ordentlich zu übertreiben :wink: )

Ich bin auch der Meinung, dass ADS oder ADHS eine hilfreiche, von der Pharmaindustrie entdeckte, Absatzmöglichkeit für billige Pillen mit großem Gewinn ist. Wer nicht stillsitzen und theoretischen Lerninhalten folgen kann, ist nicht krank, sondern eben einfach nur anders, als unsere Gesellschaft das derzeit gebrauchen kann. Für viele ist es einfacher hier eine Pille einzuschieben, als sich mal darüber Gedanken zu machen, wie man alternativ damit leben könnte.

Was die Manpower zwischen 16 und 26 angeht: Es fehlt im Großen und Ganzen die Perspektive! Früher konnte man noch erreichbare Ziele generieren und sich die erarbeiten, das kann man heute fast nicht mehr. Entweder man lernt bis zum Umfallen oder man lässt sich treiben. In beiden Fällen ist jedoch die Zukunft völlig ungewiss. Die viele menschliche Energie wird dann oft völlig fehlgeleitet frei gesetzt.

Hab neulich einen Bericht gesehen von einem 16jährigen, der bei einem Steinmetz gelernt hat. Nicht nur Werkstatt saubermachen, sondern der auch richtig mit Hammer und Meißel an die Monolithen durfte. Er war abends richtig müde...

laie hat geschrieben:Das erinnert mich an einen Ausspruch von Hannah Arendt, die sinngemäß gesagt hat, "wenn die materiellen Bedürfnisse erst einmal befriedigt sind, kommen die echten Probleme"
Arathas hat geschrieben:Weil eben viele Menschen in Langeweile versumpfen, statt ihren Begabungen freien Lauf zu lassen.
Weil nicht alle wissen was ihre Begabungen sind und weil nicht jeder weiß, was er damit anfangen könnte...
Das Problem ist aber auch die Anerkennung und die daraus resultierende Befriedigung am Getanen.
Genau deshalb ist auch Mamas wichigste Aufgabe zu Hause, sich Zeit zu nehmen, zu schauen und zu bewundern. Und Große wollen Geld dafür haben, weil das in unserer Gesellschaft die gebührende Anerkennung ist.

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Re: Natürlich und zufrieden?

Beitragvon Sappy » Mo 13. Sep 2010, 22:31

stine hat geschrieben:Was die Manpower zwischen 16 und 26 angeht: Es fehlt im Großen und Ganzen die Perspektive! Früher konnte man noch erreichbare Ziele generieren und sich die erarbeiten, das kann man heute fast nicht mehr. Entweder man lernt bis zum Umfallen oder man lässt sich treiben. In beiden Fällen ist jedoch die Zukunft völlig ungewiss. Die viele menschliche Energie wird dann oft völlig fehlgeleitet frei gesetzt.


Mit meinen 21 Jahren befinde ich mich ja praktisch in der Mitte der Zielgruppe. Und ich sage dir, du hast absolut Recht, es fehlt Perspektive und die Zukunft ist absolut ungewiss!
Ich denke ich war zu Teenagerzeiten nicht großartig anders als andere Mädchen. Von Natur aus bin ich nur schon immer eher ruhig und zurückhalten gewesen. Ich hab mich nicht an irgendwelchen fragwürdigen Orten aufgehalten, mich regelmäßig volllaufen lassen o.ä. Und trotzdem haben meine Eltern, meine Schwester, meine Lehrer und meine Klassenkameraden immer etwas gefunden, was eben doch nicht Recht war. Dabei handelte es sich nicht um angemessene Kritik sondern es waren vielmehr diverese Ansprüche, die ich nicht erfüllen konnte und das damit verbundene "Motzen".
Ein dreiviertel Jahr vor meinem Schulabschluss stand ich dann da und hatte nicht die geringste Ahnung was danach kommen sollte. Mehr durch Zufall (soll nicht heißen durch Vitamin B!) bin ich in einer Ausbildung gelandet, die scheinbar ganz gut gepasst hat und mir letzten Endes eine Stelle eingebracht hat, von der ich gut Leben kann, die mich aber nicht unbedingt "erfüllt".
Heute stelle ich mir so einige Fragen... Was wäre aus mir geworden, hätte es nicht diesen glücklichen Zufall gegeben? Sollte ich irgendetwas anderes machen? Wenn ja, was? Wieso bin ich nicht so glücklich und zufrieden wie andere? Warum weiß ich die meiste Zeit nicht wohin mit mir?
Oft kommt mir der Gedanke, dass ich vielleicht einfach ein Opfer der Gesellschaft bin. Ich denke viele Menschen sind es, denn so sehr ich mich auch bemühe, ab und zu stelle ich immer wieder fest: Du bist genau wie sie! Wir können uns oft unsere Fehler nicht eingestehen, lassen unseren Ärger an anderen aus und sind immer auf der Suche nach einem, der noch weiter unten ist als man selbst. Im Grunde kann sich keiner unserer "Wettbewerbsgesellschaft" entziehen.
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Re: Natürlich und zufrieden?

Beitragvon stine » Di 14. Sep 2010, 06:34

Hallo Sappy,

dein Post bestätigt meine Beobachtungen in dieser Altersgruppe, was mich natürlich nicht besonders froh macht.
Sappy hat geschrieben:Wir können uns oft unsere Fehler nicht eingestehen, lassen unseren Ärger an anderen aus und sind immer auf der Suche nach einem, der noch weiter unten ist als man selbst.
Das hat einen natürlichen Grund: An den Schwächen der anderen, erkennen wir unsere eigenen Stärken! Und das ist ein ganz wichtiger Punkt, je früher man das erkannt hat, umso besser.

Sappy hat geschrieben:...diverese Ansprüche, die ich nicht erfüllen konnte...
Wir leben in einer Perfectworld - nach außen!
Zu verdanken haben wir das der Werbeindustrie, die die einzige ist, der es immer gut geht. Anscheinend. Jedenfalls verdient wird im Hochglanzsektor noch jede Menge. Man muss sich von dem Gedanken verabschieden, dass man alle Anforderungen erfüllen kann, das kann niemand. Jeder Mensch hat seine besonderen Fähigkeiten und seine Schwächen.
Mir persönlich sind Freunde, deren Schwächen ich erkennen kann lieber, als die aalglatten Bekannten, die scheinbar immer alles so perfekt organisieren und so smart durchs Leben gehen, dass sie nirgendwo auch nur eine menschliche Seite erkennbar lassen. (Siehe oben: An ihnen kann ich nur meine eigene Unzulänglichkeit messen und keine Stärken erkennen)

Sappy hat geschrieben:Im Grunde kann sich keiner unserer "Wettbewerbsgesellschaft" entziehen.
Nein, hierzulande und in anderen Wirtschaftswunderländern geht das nicht. Man nennt das "die neue Freiheit"! 60Stundenwoche und Freizeitstress.
Dabei ist es egal, ob du in der Stadt oder auf dem Land lebst. Manchmal glaube ich, wir Menschen waren uns noch nie so fremd, wie jetzt. So ferngesteuert und so gesellschafts- und wirtschaftskonform.
Wir messen uns mit überdimensionierten Werbe-Ikonen, wir nötigen unsere Kinder in den Freizeitstress, wir ackern für Statussymbole, wir leugnen unsere Familienbande und flüchten letztlich in Exzesse jeglicher Art.
Und warum: Weil wir verlernt haben, dass wir auch NUR Säugetiere sind, die Nestwärme brauchen, starke Bindungen suchen und geliebt werden wollen.

Sappy, ich versteh dich so gut und wenn du möchtest kannst du mir auch unter PN schreiben.

LG stine, die auch immer schon etwas anders war :wink:
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Re: Natürlich und zufrieden?

Beitragvon musicman » Di 14. Sep 2010, 09:51

stine hat geschrieben:
Sappy hat geschrieben:Im Grunde kann sich keiner unserer "Wettbewerbsgesellschaft" entziehen.
Nein, hierzulande und in anderen Wirtschaftswunderländern geht das nicht.


Sorry wenn ich mich da einmische, aber das ist nicht nur hierzulande so. Bei den Massais in Kenya zB ist das nicht viel anders, ich habe drei Jahre in Kenay gelebt, ein Jahr davon mit der Familie meiner Frau, das Nomadenleben liegt mir ja sozusagen im Blut und ich wollte diese Erfahrung mal machen, wie es ist quasi in einer anderen Zeit zu leben und so zog ich mit ihnen ein Jahr durchs Rift Valley. Der Konkurenzkampf untrereinander ist genau so groß, wer die größte Viehherde und die meisten Frauen hat, ist in der Rangordnung oben und da will jeder hin. Die Statussymbole sind andere (Handy hat mittlerweile auch dort fast jeder), das Prinzip bleibt aber gleich.
Der Unterschied ist, der Lebensplan fest steht und die Unsicherheit ob ich morgen noch meinen Job habe gibt es nicht, allerdings dürfte das in nächster Zukunft der Vergangenheit angehören, diese Kultur ist - leider - dem Untergang gewidmet und wird in wenigen Jahren nur in der Folklore weiterleben. Dann wird es nicht viel anders sein, als bei uns - nur ohne Krankenversicherung.
Gesellschaftlich wird sich, glaube ich nicht viel ändern, the show must go on, lediglich für sich selbst kann man entscheiden, ob man auf jeder Hochzeit tanzen muß, ich muß nicht jedes Jahr drei Handys kaufen, ein schnelleres Auto haben ect. und im Urlaub liege ich am liebsten auf der Terasse und nach Kalifornien fliege ich nur wenn ich eine neue Gitarre brauche, mittlerweile nicht mal mehr das, McIlroy in Irrland baut auch gute Instrumente - ich merk gerade ich bin auch nicht besser - aber Kühlschrank mit Monitor brauch ich definitiv nicht.

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