Lieber Lumen, willkommen im Forum!
Lumen hat geschrieben:Das Übel steckt im Glauben selbst und ist damit fest verwoben.
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Wichtig: Das ist der christliche Glaube selbst, nicht irgendeine finstere Organisation die das verordnet hätte! Rechnet man noch die durch Frömmigkeit entstandene Haltung der Ignoranz und des Glaubens dazu, dass alles einem göttlichen Plan folge, kann man auch die Seuchen und Krankheiten dem christlichen Glauben anlasten.
Ich denke, dass du hier eine gefährliche Simplifizierung begehst, indem du eine bestimmte Ausformung des christlichen Glaubens mit dem christlichen Glauben an sich gleichsetzt. Das ist ein bisschen so, als würdest du von Thilo Sarrazin auf die SPD schließen.
Selbstverständlich reden wir hier, wenn wir über überdrehte Frömmigkeit reden, über einen Glauben, den man meiner Ansicht nach berechtigterweise als "verrückt" und auch "gefährlich" bezeichnen darf, aber wir sollten uns davor hüten, Glaubende per se in fromm und damit verrückt und nicht-fromm und damit eigentlich schon gar nicht mehr glaubend einzuteilen. Es ist auch eine inakzeptable Bequemlichkeit - inakzeptabel nicht aus ideologischen, sondern aus methodologischen Gründen -, eine Ausformung eines Glaubens mit der gesamten damit verbundenen religiösen Strömung gleichzusetzen. Es ist sicherlich auch unser Sprachgebrauch, der hier ein Problem darstellt: Der Begriff "Religion" suggeriert, dass es beispielsweise die Religion des Christentums gebe und diese ganz genau in ihren Inhalten definiert sei. Tatsächlich hat aber der Glaube der heutigen Baptisten mit dem der Russisch-Orthodoxen des 15. Jahrhunderts genausowenig zu tun, wie der lateinamerikanische Katholizismus mit den Nestorianern, trotzdem gehören alle vier und noch mehrere weitere tausend Strömungen zu einer Großströmung, die sich Christentum nennt. Ich halte es sowohl für sachlich falsch als auch den Betroffenen gegenüber unfair, alle diejenigen, die sich unter diesem Label versammeln, mit Schreckensgeschichten des europäischen Mittelalters kollektiv in Geiselhaft zu nehmen. Von daher bitte ich dich um Differenzierung: Es ist eine, sicherlich einflussreiche, Strömung unter dem christlichen Logo gewesen, die Schaden und Leid verursacht hat, aber es gibt auch Strömungen, die sich dagegen vehement zur Wehr setzen würden und das dürfen wir nicht ignorieren, nur weil es nicht in unser Weltbild passt, in dem die Religion eben nicht nur selbst an dämonische Kräfte glaubt, sondern auch selbst als eine solche angesehen wird.
Glaube muss nicht per se Schlechtes erzeugen, und ich kann die Leute aus der Ecke der kämpferischen Atheisten nur immer wieder daran erinnern, sich nicht an der Sisyphosaufgabezu versuchen, diesen Nachweis zu führen, das ist ähnlich aussichtslos, wie die Existenz Gottes beweisen zu wollen. Derlei Gedankenspiele sollten den spirituell Unausgelasteten überlassen werden. Was das viel größere Problem darstellt, ist die Tatsache, dass hier und heute in der Auseinandersetzung zwischen Religiösen und Säkulären von religiöser Seite oftmals in die Richtung argumentiert wird, der Glaube bringe automatisch das Gute hervor, und das ist eben genauso großer Käse. Glaube und Religion sind soziale, psychologische, z.T. auch politische Phänomene, die in ihrem Nutzen nicht scharf abzugrenzen sind: Wenn ich meinem Supermarkt vertraue, dass er frische Produkte verkauft, ist das auch eine Form von Glaube und einer, der wohl zu Recht nicht nur als harmlos, sondern auch als nützlich angesehen wird; in den meisten Fällen wird ein solcher Glaube ja nichteinmal als solcher reflektiert.
Sorry, ich mag einfach keine Pauschalisierungen.
