Die Mem-Theorie

Re: Die Mem-Theorie

Beitragvon donquijote » Di 2. Nov 2010, 01:41

Lumen hat geschrieben:
Ist die Kooperation einiger Akteure besonders intensiv, kann sich eine neue Systemebene an Evolutionsakteuren - per Selbstorganisation - bilden, für die nun wieder das Gleiche gilt. Der unterschiedliche Erfolg der Evolutionsakteure bei der Reproduktion ihrer Kompetenzen bewirkt schließlich Evolution.
(http://knol.google.com/k/systemische-evolutionstheorie)


Ich kannte die Systemische Evolutionstheorie bisher nicht, jedoch scheint diese Stelle genau das zu beschreiben, was auch die Mem-Theorie beschreibt — sofern »Reproduktion der Kompetenzen« meint, dass sie (die Ideen) aufgrund ihrer 'besseren' Beschaffenheit leichter weiterverbreitet werden als andere Ideen. Gerade die 'bessere' Beschaffenheit ist aber meiner Ansicht nach der interessante Teil. Ich hoffe die Antwort ist nicht, weil der Verbreiter bestimmter Ideen die Reproduktion seiner Gene befördert. Das kann einmal der Fall gewesen sein, es muss sich beim Menschen aber entkoppelt haben (neue Systemebene?)


Die Systemische Evolutionstheorie unterscheidet 4 unterschiedliche Kompetenzebenen: 1. Genetisch, 2. epigenetisch, 3. speicherbar im Gehirn, 4. speicherbar in externen Medien in symbolischer Form. Nur der Mensch verfügt über die 4. Ebene. Aus diesem Grund ist er in der Natur einzigartig.
Reproduktion der Kompetenzen heißt: Tut man nichts, verliert man die Kompetenzen wieder, einerseits wegen des Entropiesatzes, andererseits weil die Konkurrenz ihre Kompetenzen erneuert und man zurückfällt (Red Queen). Individuen können sich ggf. entscheiden, welche Kompetenzen auf welcher Ebene sie erneuern. Beispielsweise erneuert ein Schachspieler seine Schach-Kompetenzen dadurch, dass er Eröffnungen lernt, Spiele nachspielt und an Turnieren teilnimmt. Schreibt er noch ein Schachbuch, gibt er einen Teil seiner Kompetenzen an die Nachwelt weiter. Ggf. hat er keine Nachkommen. Dann würde er seine genetischen Kompetenzen nicht reproduzieren.
Das alles hat aber nichts mit einer leichteren Verbreitung von Ideen zu tun. Die Systemische Evolutionstheorie hat nichts mit der Memetik zu tun. Sie ist auch mit materialistischen Ontologien vereinbar (im Gegensatz zur Memetik). Eine Gegenüberstellung der beiden Ansätze findet sich hier:
Memetik contra Systemische Evolutionstheorie
Für die Systemische Evolutionstheorie sind Lebewesen Evolutionsakteure, für die Memetik der Replikator Mem (den man aber noch nicht gesichtet hat).
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Re: Die Mem-Theorie

Beitragvon Arathas » Di 2. Nov 2010, 12:10

Habe jetzt mal die letzten paar Beiträge samt angegebener Links gelesen.

Zu Dawkins Mem-Theorie, von der ich auch schon in Teilen gelesen hatte (kenne den Gotteswahn und Teile von anderen Büchern, die man online lesen kann) kann ich auch nur sagen: Ich halte sie für recht überflüssig, da man auch meiner Meinung nach Mem mit Idee austauschen kann. Ich verstehe nicht recht, was uns die Mem-Theorie praktischerweise bringen könnte.

Merschs systemische Evolutionstheorie hingegen finde ich auch nicht einleuchtend, denn den Pfauschwanz kann man, denke ich, nicht erklären, indem man das ganze auf die Ebene von Individuen runterbricht: Denn das hieße ja, dass wir zu 100 % selbst entscheiden, was wir tun, wer wir sind, was wir wollen und wie wir leben. Aber soweit ich das beurteilen kann, ist nur ein kleiner Teil von dem, was wir unser "Ich" nennen, wirklich von uns individual steuerbar, der Großteil ist eben einfach genetisch bedingt. Dazu gehören sexuelle Vorlieben, der Hang zu einem Gottglauben oder keinem Gottglauben, für welche Ideen wir empfänglich sind, für welche nicht, und so weiter, und das wiederum beeinflusst ja auch nachträglich unsere Ideen und wie wir mit ihnen umgehen und sie sich verbreiten.

Man müsste das Ganze also

a) auf Individuen runterbrechen und dabei
b) in Betracht ziehen, dass auch das Individuum zu 60 %, 80 % oder auch 90 % gengesteuert ist und nur ein kleiner Teil wirklich freier Wille dabei ist.

Also irgendwas irgendwo in der Mitte zwischen Mersch und Dawkins.
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Re: Die Mem-Theorie

Beitragvon donquijote » Di 2. Nov 2010, 13:18

Arathas hat geschrieben:Merschs systemische Evolutionstheorie hingegen finde ich auch nicht einleuchtend, denn den Pfauschwanz kann man, denke ich, nicht erklären, indem man das ganze auf die Ebene von Individuen runterbricht: Denn das hieße ja, dass wir zu 100 % selbst entscheiden, was wir tun, wer wir sind, was wir wollen und wie wir leben. Aber soweit ich das beurteilen kann, ist nur ein kleiner Teil von dem, was wir unser "Ich" nennen, wirklich von uns individual steuerbar, der Großteil ist eben einfach genetisch bedingt. Dazu gehören sexuelle Vorlieben, der Hang zu einem Gottglauben oder keinem Gottglauben, für welche Ideen wir empfänglich sind, für welche nicht, und so weiter, und das wiederum beeinflusst ja auch nachträglich unsere Ideen und wie wir mit ihnen umgehen und sie sich verbreiten.

Wo kommt das denn bei Mersch vor? Die Pfauenschweife lassen sich doch perfekt mittels der Systemischen Evolutionstheorie erklären:
a) Die Männchen haben ein Reproduktionsinteresse. Um sich fortpflanzen zu können, benötigen sie die weiblichen Fortpflanzungsfunktionen. Sie müssen sich also mit einem Weibchen paaren. Da der weibliche Fortpflanzungsvorgang im Vergleich zur Paarung sehr zeitaufwendig ist, stellen die Weibchen aus Sicht der Männchen eine knappe Ressource dar. Aus dem Reproduktionsinteresse speist sich dann der männliche Wettbewerb um die Weibchen.
b) Die Männchen akzpetieren die Persönlichkeitsrechte der Weibchen. Anders als bei den See-Elefanten werden die Weibchen nicht vergewaltigt.
c) Hieraus ergibt sich: Die Weibchen haben die Wahl. Sie wählen Männchen gemäß ihren Präferenzen. Damit das Verhalten stabil bleibt, müssen diese Präferenzen etwas über die Fitness des Männchens aussagen (d.h. echte Fitnessindikatoren sein). Bei den Pfauen sind das zufälligerweise die Zahl der Augen auf dem Schweif der Männchen. Weiß der Henker, wie die Weibchen nun ausgerechnet dazu kamen, aber wer soll schon aus Weibchen schlau werden?
d) Bei den Pfauen ist der Fitnessindikator genetisch bedingt, bei den Singvögeln nur teilweise.

Wo siehst du ein Problem? Von "Ich" ist an keiner Stelle die Rede.

Arathas hat geschrieben:Man müsste das Ganze also

a) auf Individuen runterbrechen und dabei
b) in Betracht ziehen, dass auch das Individuum zu 60 %, 80 % oder auch 90 % gengesteuert ist und nur ein kleiner Teil wirklich freier Wille dabei ist.

Also irgendwas irgendwo in der Mitte zwischen Mersch und Dawkins.

Mersch gehört zu den Vertretern, die davon ausgehen, dass selbst der Mensch keinen freien Willen besitzt. Das sagt eigentlich schon alles. Deine Forderungen werden durch die Systemische Evolutionstheorie komplett abgedeckt. Eine Memetik braucht man dann nicht mehr.
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Re: Die Mem-Theorie

Beitragvon Arathas » Di 2. Nov 2010, 13:30

Ich muss gleich nochmal deinen verlinkten Beitrag studieren, um dir genau sagen zu können, welche Stellen mir unlogisch vorkamen.

Erstmal aber möchte ich noch auf was anderes eingehen:

donquijote hat geschrieben:a) Die Männchen haben ein Reproduktionsinteresse.


Haben Weibchen kein Reproduktionsinteresse?

Ist deine Argumentation eigentlich auf Pfauen begrenzt oder würdest du die oben genannten Punkte von a) bis d) auch Menschen unterstellen?


Jetzt hab ich grad was gefunden in deinem Link:

verlinkter Beitrag Memetik contra Systemische Evolutionstheorie hat geschrieben:Die Umwelt ist die Gesamtheit der in einer bestimmten natürlichen Umgebung zusammenlebenden Lappenstarmännchen und -weibchen. Die Population (aus Evolutionsakteuren) besteht dagegen nur aus den (singenden) Männchen, die die weiblichen Fortpflanzungsressourcen (Ressourcen) zum Zwecke des genetischen Kompetenzerhalts erlangen möchten (das heißt, die Männchen besitzen ein Fortpflanzungsinteresse).


Ich würde jetzt gern erstmal fragen, warum die Weibchen kein Fortpflanzungsinteresse besitzen sollten. Dann würdest du wohl antworten, dass die Systemische Evolutionstheorie immer nur auf Teilbereiche angewandt wird:
"Grundlegend für systemtheoretische Betrachtungen ist zunächst die Festlegung der sogenannten System-Umwelt-Differenz."


Das heißt, wenn wir ein System festlegen, in dem die Population die Männchen sind und Weibchen die Ressourcen, dann funktioniert der Satz "die Männchen besitzen ein Fortpflanzungsinteresse".

Allerdings: Damit erschafft man ein neues System, dem man willkürlich Stempel aufdrückt, also z.B. Männchen wollen Fortpflanzung, Weibchen sind die Ressourcen dafür. Dieses neu geschaffene System kann man nun schön betrachten, und mit der Systemischen Evolutionstheorie bringt es ja vielleicht auch ganz tolle Ergebnisse, aber es gibt dennoch nicht die Verhältnisse wider, wie sie in der Natur vorherrschen. Wie gesagt: Auch Weibchen unterstelle ich durchaus ein Fortpflanzungsinteresse. Aber wenn man die Weibchen aus der Gleichung nimmt, sie zu Ressourcen erklärt und nur den männlichen Lappenstaren ein solches Interesse zugesteht, dann bekommt man ... eine Gleichung, wie man sie haben will. Aber sie sagt nichts aus, da sie nur die Teilbereiche beleuchtet, die man beleuchten möchte, und alle anderen Aspekte außen vor lässt.
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Re: Die Mem-Theorie

Beitragvon donquijote » Di 2. Nov 2010, 13:57

Arathas hat geschrieben:Haben Weibchen kein Reproduktionsinteresse?

Weibchen haben auch ein Reproduktionsinteresse, insbesondere bei der sexuellen Selektion. Es ist im allgemeinen jedoch niedriger als das der Männchen (was die Zahl an Nachkommen angeht). Bei den See-Elefanten würde die Sache selbst ohne weibliches Reproduktionsinteresse funktionieren, da die Männchen im Grunde allein bestimmen.

Anzumerken ist noch, dass der Ausdruck Reproduktionsinteresse seitens der Systemischen Evolutionstheorie allgemeiner verwendet wird als "Fortpflanzungsinteresse", wie er jetzt gerade von uns verwendet wird. Die Systemische Evolutionstheorie fasst Selbsterhalt und Fortpflanzung gewissermaßen zu "Reproduktion der Kompetenzen während des aktuellen Lebens" und "Reproduktion der Kompetenzen über das eigene Leben hinaus", d.h. zu Reproduktion zusammen. Und Kompetenzen müssen nicht zwingend genetischer Art sein. Wenn z. B. Eltern ihren Kindern mühsam die Sprache beibringen (oder mit Pfeil und Bogen umzugehen), dann fällt das auch unter Reproduktion der Kompetenzen.

Arathas hat geschrieben:Ist deine Argumentation eigentlich auf Pfauen begrenzt oder würdest du die oben genannten Punkte von a) bis d) auch Menschen unterstellen?

Beim Menschen ist alles viel komplexer, da bereits eine beiderseitige Selektion zwischen den Geschlechtern stattfindet (aus diesem Grund sind beim Menschen die Frauen schön und nicht die Männchen, wie in der restlichen Natur). Die Fitnessindikatoren beim Mann sind meist sozialer Erfolg und bei Frauen jung, gesund und hübsch. Ferner selektieren beide Seiten auf vergleichbare Intelligenz (man will sich ja auch unterhalten können). Hinter all dem verbergen sich auch genetische Kompetenzen, allerdings ist die Sache komplex. Aber im Grunde funktioniert auch beim Menschen alles so, wie es in dem Artikel Memetik versus Systemische Evolutionstheorie steht.
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Re: Die Mem-Theorie

Beitragvon Arathas » Di 2. Nov 2010, 14:05

Hab meinen obigen Beitrag noch erweitert, bitte auch darauf eingehen, danke.
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Re: Die Mem-Theorie

Beitragvon donquijote » Di 2. Nov 2010, 14:10

Arathas hat geschrieben:Allerdings: Damit erschafft man ein neues System, dem man willkürlich Stempel aufdrückt, also z.B. Männchen wollen Fortpflanzung, Weibchen sind die Ressourcen dafür. Dieses neu geschaffene System kann man nun schön betrachten, und mit der Systemischen Evolutionstheorie bringt es ja vielleicht auch ganz tolle Ergebnisse, aber es gibt dennoch nicht die Verhältnisse wider, wie sie in der Natur vorherrschen. Wie gesagt: Auch Weibchen unterstelle ich durchaus ein Fortpflanzungsinteresse. Aber wenn man die Weibchen aus der Gleichung nimmt, sie zu Ressourcen erklärt und nur den männlichen Lappenstaren ein solches Interesse zugesteht, dann bekommt man ... eine Gleichung, wie man sie haben will. Aber sie sagt nichts aus, da sie nur die Teilbereiche beleuchtet, die man beleuchten möchte, und alle anderen Aspekte außen vor lässt.


Nein, die Weibchen haben bei der sexuellen Selektion selbstverständlich ein Fortpflanzungsinteresse, sonst würden sie ja nicht wählen. Die Pfauenhennen wissen, dass sie einen Fortpflanzungspartner bekommen, wenn sie nur wollen, denn männliche Interessenten gibt es genug. Aber da sie gleichfalls ein Reproduktionsinteresse besitzen, wollen sie, dass ihre Nachhut beste Chancen besitzt. Deshalb wollen sie beste Gene und sind wählerisch. Die weibliche Wahl bzw. deren Zurückhaltung gegenüber männlichen Interessensbekundigungen erklärt sich gleichfalls aus dem Reproduktionsinteresse.

Genauso besteht auf einem Markt üblicherweise das Interesse des Verkäufers, zu verkaufen, und gleichzeitig das Interesse des Käufers, zu kaufen. Die technische Evolution erklärt sich aber primär aus dem Interesse des Verkäufers. Heute erfolgen die meisten technischen Innovationen ungefragt. Da kommt kein Käufer in den Laden und sagt: "Ich wünsche gerne ein Gerät mit den und jenen Eigenschaften", wenn es so etwas noch nicht gibt. Diese Eigenschaften werden in den Labors der Hersteller entwickellt und dann - wenn man Marktchancen sieht - angeboten. Deshalb kann man den evolutiven Prozess sehr wohl einmal systemtheoretisch abstrahieren.

Die dominante Kommunikation (Löwe frisst Zebra, Mensch frisst Kartoffel, See-Elefanten-Männchen vergewaltigt Weibchen) kommt dann aber tatsächlich ohne ein Interesse der Ressourcenseite aus und das ist schon einer der großen Unterschiede. Bei der dominanten Kommunikation setzt sich allein das Interesse der Seite durch, die an der Ressource interessiert ist. Die Ressource hat keine Rechte. Deshalb muss man dort auch nicht fragen, ob sie ein Reproduktionsinteresse besitzt. Bei einem osmanischen Harem musst du nicht fragen, ob die Frauen darin ein Reproduktionsinteresse besitzen.
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Re: Die Mem-Theorie

Beitragvon Arathas » Di 2. Nov 2010, 14:41

Klingt ja alles ganz einleuchtend. Muss jetzt aber noch ein bißchen mehr drüber nachdenken und lesen. Noch habe ich das ungute Gefühl, dass mir irgendwas wichtiges entgangen ist oder ich irgendwas wichtiges nicht gefragt habe, aber ich komme im Moment nicht drauf, was. ;-)


Noch ein bißchen Klugscheißerei am Rande:

donquijote hat geschrieben:Wenn z. B. Eltern ihren Kindern mühsam die Sprache beibringen (oder mit Pfeil und Bogen umzugehen), dann fällt das auch unter Reproduktion der Kompetenzen.


Sprache (jedenfalls die erste bzw. Muttersprache) muss Kindern nicht beigebracht werden (und schon gar nicht mühsam): Es ist im Gegenteil eher so, dass wir einen Bereich im Hirn haben, der wie ein leerer Schwamm die erste Sprache aufsaugt und "sich selbst aneignet". Ein Kind muss nicht aktiv dazu beitragen, sondern die Evolution hat dafür gesorgt, dass die erste Sprache automatisch "ins Hirn gefüllt" ("erlernt" wäre das falsche Wort) wird.

Also fällt das auch nicht unter Reproduktion der Kompetenzen. Ergo: Es kann also leicht passieren, dass man mit der Systemischen Evolutionstheorie (und deren Begriffen wie "Reproduktion der Kompetenzen") Sachen beleuchtet, die gar nicht darunter fallen, sondern nur so aussehen, als würden sie darunter fallen.

Ich sehe da viel Potential für falsche Schlussfolgerungen durch die Systemische Evolutionstheorie, da man, wie oben beschrieben, relativ willkürlich Dinge mit einem Label (z.B. Kompetenzen) versieht, die dieses Label gar nicht verdienen. Dann zieht man Schlüsse. Und diese Schlüsse hält man dann für logisch - aber es sind Zirkelschlüsse, weil sie nur deshalb klappen, weil man mit falschen Annahmen arbeiten musste.

Und dieses "labeln" von Eigenschaften und Verhaltensweisen ist bei der Systemischen Evolutionstheorie auffällig hoch. Bevor du jemandem überhaupt was erklären kannst, musst du ihm erklären, was die verschiedenen Begriffe wie Kompetenzen, Reproduktionskompetenzen, und so weiter und so fort, bedeuten. Und dabei setzt du (möglicherweise total unabsichtlich) bereits viele Dinge als gegeben voraus, die aber gar nicht wirklich gegeben sind.

Dabei sei natürlich gesagt, dass neue Begriffe und Begriffsdefinitionen nicht automatisch schlecht sein müssen. Aber ich bin der Meinung, dass man zumindest versuchen sollte, bei bereits festgelegten Begriffen zu bleiben, damit kann man einfacher etwas erklären, und man läuft nicht Gefahr, in seinen Wortneuschöpfungen etwas einzuflechten, das gar nicht hinein gehört.
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Re: Die Mem-Theorie

Beitragvon Nanna » Di 2. Nov 2010, 18:12

donquijote hat geschrieben:
Zappa hat geschrieben:Wäre mir neu, dass die Soziobiologie eine anerkannte Wissenschaft ist.

Natürlich ist sie das.

Wikipedia referenziert auf eine Quelle, die zumindest dokumentiert, dass einige Wissenschaftler die Soziobiologie als Pseudowissenschaft kritisieren: http://de.wikipedia.org/wiki/Soziobiologie#cite_note-1
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Re: Die Mem-Theorie

Beitragvon stine » Di 2. Nov 2010, 18:15

donquijote hat geschrieben:Die Fitnessindikatoren beim Mann sind meist sozialer Erfolg und bei Frauen jung, gesund und hübsch. Ferner selektieren beide Seiten auf vergleichbare Intelligenz (man will sich ja auch unterhalten können). Hinter all dem verbergen sich auch genetische Kompetenzen, allerdings ist die Sache komplex.
Dem Argument, dass die Sache sehr komplex ist, würde ich auch zustimmen.
Ansonsten sind die ersten Parameter nicht beweisbar und allenfalls gesellschaftliches Klischee. Sozial erfolgreiche Männer wählen auch manchmal ganz anders und junge hübsche Frauen fühlen sich auch ganz oft von sogenannten Loosern angezogen. Ich denke, die allgemein gültigen Fitnessindikatoren sind beim Menschen, weil sehr oft Gefühls- und nicht Körperbestimmt, als Beispiel gar nicht zu gebrauchen. Missmutige Charaktere und körperliche Unzulänglichkeiten dürfte es gar nicht mehr geben, wenn die Reproduktion immer nur nach klischeehafter Fitnessauswahl stattfände. :mg:

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Re: Die Mem-Theorie

Beitragvon Zappa » Di 2. Nov 2010, 18:21

Als arbeitendem Menschen wird mir hier wieder die Postfrequenz zu groß, das kann ich nicht alles lesen.

Ein Punkt möchte ich hier noch einmal herausstellen. Mir scheint die systemische E. das Individuum einfach zu stark herauszustellen. Mir ist auch nicht klar mit welcher Begründung sie dies tut. Das Individuum scheint ja sogar mit seinen Interessen die Evolution bewusst zu steuern, das finde ich albern.

Da man auf der Ebene des Individuums die E. nicht erklären kann, kommt man auch in logische Probleme (Henne-Ei Problem). Meiner Meinung nach hat die Evolution vor allem extraindividuelle Gesetzmäßigkeiten die sie steuern. Nicht das Individuum macht die Evolution, sondern die Evolution macht die Individuen! Die Interessen sind eigentlich Instinkte und die sind nicht da um erfolgreich zu sein sondern weil sie erfolgreich waren, sind sie da.

Leider ist man nicht auf meine konkreten Vorschläge zur empirischen Überprüfung der Memetik eingegangen, das fände ich noch spannend.

Ich versuche es mal mit einer Gegenfrage: Wie könnte man die syst. E. empirisch überprüfen?
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Re: Die Mem-Theorie

Beitragvon Zappa » Di 2. Nov 2010, 18:22

stine hat geschrieben: Missmutige Charaktere und körperliche Unzulänglichkeiten dürfte es gar nicht mehr geben, wenn die Reproduktion immer nur nach klischeehafter Fitnessauswahl stattfände. :mg:


Ooch, da kann mann (sic) mit einem ordentlichem Gehalt einiges wettmachen :jg:
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Re: Die Mem-Theorie

Beitragvon donquijote » Di 2. Nov 2010, 19:22

stine hat geschrieben: Ansonsten sind die ersten Parameter nicht beweisbar und allenfalls gesellschaftliches Klischee.


Diese angeblichen Klischees haben sich dermaßen einheitlich in allen Kulturen weltweit bestätigen lassen (Achtung: statistisch - es soll auch Pfauenhennen geben, die Männchen mit kleineren Schweifen bevorzugen, es geht immer nur um statistische Aussagen), dass einige Experten sogar schon die Mutmaßung aufgestellt haben, diese könnten biologisch sein (d.h. genetisch).
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Re: Die Mem-Theorie

Beitragvon donquijote » Di 2. Nov 2010, 19:24

Nanna hat geschrieben:Wikipedia referenziert auf eine Quelle, die zumindest dokumentiert, dass einige Wissenschaftler die Soziobiologie als Pseudowissenschaft kritisieren: http://de.wikipedia.org/wiki/Soziobiologie#cite_note-1

Ja ja und wen haben wir da wieder in der Liste: Lewontin.

Bei den Arbeiten von Trivers z. B. handelt es sich um alles andere als um Pseudowissenschaft.
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Re: Die Mem-Theorie

Beitragvon donquijote » Di 2. Nov 2010, 19:38

Arathas hat geschrieben: Sprache (jedenfalls die erste bzw. Muttersprache) muss Kindern nicht beigebracht werden (und schon gar nicht mühsam): Es ist im Gegenteil eher so, dass wir einen Bereich im Hirn haben, der wie ein leerer Schwamm die erste Sprache aufsaugt und "sich selbst aneignet". Ein Kind muss nicht aktiv dazu beitragen, sondern die Evolution hat dafür gesorgt, dass die erste Sprache automatisch "ins Hirn gefüllt" ("erlernt" wäre das falsche Wort) wird.


Da muss dann bei meinen Kindern etwas schief gelaufen sein. Wir mussten nicht nur diverse Fremdwörter erklären, diverse Wörter öfters wiederholen, sondern auch Ausdrücke erklären (kaum 14 Tage im Kindergarten: "Mama was heißt 'F.ck dich!'?")

Arathas hat geschrieben:Also fällt das auch nicht unter Reproduktion der Kompetenzen.

Aber natürlich. Die Kinder von gebildeten Menschen hören in aller Regel eine gewähltere und komplexere Muttersprache.
Würden die Eltern nicht mit ihren Kindern reden, hätten die es später schwer.

Arathas hat geschrieben:Ich sehe da viel Potential für falsche Schlussfolgerungen durch die Systemische Evolutionstheorie, da man, wie oben beschrieben, relativ willkürlich Dinge mit einem Label (z.B. Kompetenzen) versieht, die dieses Label gar nicht verdienen.


Darwin verwendete den sehr allgemeinen Begriff "Anpassung". Im Englischen war das Fitness. Diesen Fitnessbegriff haben die Evolutionsbiologen verdorben, da er nun für relativer Lebenszeitfortpflanzungserfolg steht. Den Begriff Kompetenzen halte ich für wesentlich variabler, da er einerseits enger an Entropie/Information dran ist und ferner auch sonst leichter zu verwenden ist. Es hört sich z. B. besser an, wenn man sagt, Hans erwirbt in der Schule Kompetenzen, als wenn von Anpassung gesprochen wird. Gleichfalls kann man sagen, ein Unternehmen besitzt Marktkompetenzen. Anpassung ist auch dort ggf. unpassend, zumal es sich immer so anhört, als sei die Umwelt fix und man müsse sich an die anpassen. Das gleiche gilt für die Wissenschaften. Wissenschaftler erwerben Kompetenzen und darüber ggf. Prestige. Aber sie passen sich nicht an.

Arathas hat geschrieben:Und dieses "labeln" von Eigenschaften und Verhaltensweisen ist bei der Systemischen Evolutionstheorie auffällig hoch. Bevor du jemandem überhaupt was erklären kannst, musst du ihm erklären, was die verschiedenen Begriffe wie Kompetenzen, Reproduktionskompetenzen, und so weiter und so fort, bedeuten. Und dabei setzt du (möglicherweise total unabsichtlich) bereits viele Dinge als gegeben voraus, die aber gar nicht wirklich gegeben sind.


Das ist ein Punkt, den man in Kauf nehmen muss. Die Theorie ist extrem komplex. Geschenkt wird einem im Knol über die Systemische Evolutionstheorie nichts.

Arathas hat geschrieben:Dabei sei natürlich gesagt, dass neue Begriffe und Begriffsdefinitionen nicht automatisch schlecht sein müssen. Aber ich bin der Meinung, dass man zumindest versuchen sollte, bei bereits festgelegten Begriffen zu bleiben, damit kann man einfacher etwas erklären, und man läuft nicht Gefahr, in seinen Wortneuschöpfungen etwas einzuflechten, das gar nicht hinein gehört.

Das versucht die Theorie ja. Reproduktionsinteresse ist z. B. ein etablierter Begriff, der sich in vielen Lehrbüchern der Soziobiologie findet und dort auch erklärt wird. Aber die systemtheoretische Herangehensweise stellt eine Schwierigkeit dar. Auch Systemtheorie wirft mit Begriffen um sich.
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Re: Die Mem-Theorie

Beitragvon donquijote » Di 2. Nov 2010, 19:49

Zappa hat geschrieben:Ich versuche es mal mit einer Gegenfrage: Wie könnte man die syst. E. empirisch überprüfen?


Die Systemische Evolutionstheorie kommt für normale biologische Populationen zu exakt den gleichen Aussagen wie die Darwinsche Evolutionstheorie. Letztere lässt sich als Spezialfall aus der Theorie ableiten. In der Hinsicht ist sie also genauso bestätigt wie die Darwinsche.

Sie kann aber zusätzlich z. B. das demografisch-ökonomische Paradoxon erklären. Sie macht auch andere Prognosen über menschliche Gesellschaften, die sich längst bewahrheiten. Man könnte das als Bestätigung der Theorie werten oder als unerwünschte politische Stellungnahme, je nachdem welcher Gesinnung man gerade ist.

Gemäß der Systemischen Evolutionstheorie sind auch Insektensozialstaaten mit geringen Verwandtschaftsverhältnissen denkbar, wenn die sozialen Rollen (Arbeiterin/Königin) nicht genetischer Art sind. Solche eusozialen Staaten existieren. Es gibt Bienenstaaten, in denen mehrere Königinnen operieren, wobei die Arbeiterinnen alle Eier aller Königinnen gleichermaßen versorgen. Teilweise paaren sich die Königinnen mit bis zu 20 Männchen. Die Verwandtschaftsverhältnisse sind dann so gering, dass Kin Selection nicht mehr in Frage kommt.

Gemäß der Systemischen Evolutionstheorie können solche Gemeinschaften aber unter bestimmten Voraussetzungen (die üblicherweise erfüllt sind) noch immer evolvieren und stabil bleiben. Das könnte man - je nachdem wie man drauf ist - als komische Ausnahme der Verwandtenselektion, als deren Falsifikation oder als Bestätigung der Systemischen Evolutionstheorie werten.
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Re: Die Mem-Theorie

Beitragvon Nanna » Di 2. Nov 2010, 19:51

donquijote hat geschrieben:Sie kann aber zusätzlich z. B. das demografisch-ökonomische Paradoxon erklären. Sie macht auch andere Prognosen über menschliche Gesellschaften, die sich längst bewahrheiten. Man könnte das als Bestätigung der Theorie werten oder als unerwünschte politische Stellungnahme, je nachdem welcher Gesinnung man gerade ist.

Könntest du Beispiele geben?
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Re: Die Mem-Theorie

Beitragvon donquijote » Di 2. Nov 2010, 21:19

Nanna hat geschrieben: Könntest du Beispiele geben?


Z. B. prognostiziert sie, dass es in den Industrienationen zu einem Absinken des mittleren IQs der Bevölkerung kommen wird. Der ist längst zu beobachten, und zwar ausgerechnet bei der fluiden Intelligenz.
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Re: Die Mem-Theorie

Beitragvon Zappa » Di 2. Nov 2010, 22:39

donquijote hat geschrieben:
Zappa hat geschrieben:Ich versuche es mal mit einer Gegenfrage: Wie könnte man die syst. E. empirisch überprüfen?


Die Systemische Evolutionstheorie kommt für normale biologische Populationen zu exakt den gleichen Aussagen wie die Darwinsche Evolutionstheorie.


Ja suppi, genau wie meine Kristallkugel, wenn mein Hund sie abschleckt. Ne echt jetzt, das stimmt! Ich meine ich glaub Dir ja, dass Du glaubst die Theorie stimmt aber ich finde nicht wirklich eine Ebene mit Dir darüber zu diskutieren. Also lassen wir das.

So gehe denn hin und publiziere in peer reviewed Journals oder halt die Klappe ....
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Re: Die Mem-Theorie

Beitragvon donquijote » Di 2. Nov 2010, 23:10

Zappa hat geschrieben: Ja suppi, genau wie meine Kristallkugel, wenn mein Hund sie abschleckt. Ne echt jetzt, das stimmt!


So etwas ist doch eher eine Bestätigung:
1. Für normale biologische Populationen ist sie identisch mit Darwin.
2. Für Sozialstaaten (Insekten, Menschen) kommt sie zu anderen Ergebnissen als Darwin.
3. Sie modelliert auch die sozioökonomische Evolution, was mit Darwin überhaupt nicht geht, bestenfalls mit der Memetik. Mir scheint sie aber viel schlüssiger als die Memetik zu sein.

Was hattest du erwartet? Dass die Theorie bei Fruchtfliegen zu anderen Ergebnissen kommt als Darwin?
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